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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1905)
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Weber, Leopold: Walt Whitman
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Weingartner, Felix: Die erste Ouverture zu Cornelius' "Barbier von Bagdad"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0028

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noch eimnal knapp zusammenzufassen: ich finde, zn den Großen der
Weltliteratur darf man Whitman denn doch nicht stellen, und Ver-
gleiche mit der Edda und mit der Bibel greifen wohl viel zu hoch. Zum
Bewältigen seiner Niesenanfgabe, ein Jdeal der freien Persönlich-
keit und der freien Kameradschaft dieser Persönlichkeiten zu ge-
stalten, fehlt es ihm wie an der lctzten Sehnen- und Muskelhärte
der Schöpferkraft, so auch an der Schärfe des Adlerblicks. Und wie weit
er in seinem Bestreben, diesem Trieb künstlerisch Ausdruck zu geben,
vom Zicl cntfernt bleibt, das zeigt als Gegenbeispiel am deutlichsten,
mein' ich, die Prosadichtung Nietzsches. Dem ist es in der Tat ge-
lungen, was Whitman nur ausnahmsweise glückt: den Gefühlsgehalt
seines Denkens zu dichterischer Anschauung zu bringen, seine Lebens-
überzeugungen zu lösen in Gesang. Leopold weber

Oie srsle Ouverlure ru Lornelius' „karbier von kagclacl"

Man braucht noch kein Nietzsche-Schwärmer zn scin, um das
Wort „Unzeitgemäß" zu lieben und in seinem Sinne gelegentlich
Betrachtungen anzustcllen. Zu einer solchen reizt mich eine kleine
Partitur, die erst vor wcnigen Monaten der Vergessenheit ent-
rissen worden ist. So frisch, naiv und vornehm, so nnprogra,m/-
matisch und nnpathologisch mutet das Werkchen an und so knapp
gefaßt ist seine Form, daß man, da es sonst eigentlich ganz
moderne Züge trägt, fast vergessen könnte, daß es bald fünfzig
Jahre alt sein wird, wenn nicht gerade die oben erwähnten Eigen-
schaften es für unsere Tage erst recht unzeitgemäß erscheinen ließen.
Aber bereits zur Zeit seiner Entstehung krankte dieses Wcrkchen,
ich mcinc die erste Ouvertüre zn Cornelius' „Barbier von Bagdad"
an diesem ehrenvollen Uebel, ebenso wie die ganze gemütstiefe und
geistvolle Oper des bei Lebzeiten gänzlich verkannten Meisters, den
man sich heute eifrig bemüht, mit dem Lorbeer des zeitgemäßen nnd
nnzeitgemäßen Nachruhms zu schmücken. Damals schon hatte der
Wagner-Stil mit seiner glühenden Schwüle und seinen dramatischen
Keulenschlägen die Gemüter heftig erregt. Wo sollten sie wohl Platz
sinden, Nurredins und Margianas zartes Liebesgeflüster, Bostanas
zierliche Kuppelei und des köstlichcn Ali Eben Bekkar halb gntmütige
halb gaunerhafte Schwatzhaftigkeit neben Tannhänsers Entzücknng,
neben Elsas Entrückung und nebcn den schon von ferne herandäm-
mernden phantastischcn Ungeheuern des Nibelungen-Ringes? —
Hätte auch die Weimarer Clique des oberflächlichen Dingelstcdt nicht
gesiegt, die traurigen Vorgänge, die Liszt nach der ersten Aufführung
der Corneliusschen Oper von seinem dortigen Dirigentenpult ver-
trieben haben, wären wohl ungeschehen geblieben, der Oper selbst
aber wäre Popularität kaum beschieden gewesen. Und — täuschen wir
nns nicht — bis heute ist sie nicht populär geworden. Die Kritik
erkennt sie als Meisterwerk an, die Theater halten es für eine „Ehren-
Pflicht", sie zu geben, und das Publikum hört wohl mit mehr oder
weniger Jntcresse zu, steht aber den dichterischen und musikalischen
Feinheiten im ganzen teilnahmslos gegenüber. „Sehr schön, aber

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