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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0043

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Die Mutter Gottes am Himmelsrand greift mit der Hand nach dem
Herzen.

„Jesulein!" schreit sie hcll auf.

Da fährt's wic ein Ruck durch die Teufelsschar in den Felsen, und
das schwarze Bürschcl kugelt kopfüber die Kuppenwiese hinab.

Das Jesuskind aber in seinem Glanz dreht sich herum und lacht
aufwärts ins Blau: von dort schwebt ans den Scharen dcr Himmelsleute
die Mutter mit wehendem Mantel herab.

A Nochmalsvom„Popu--
larisieren"

Der kleine Kunstwartaufsatz (Kw.
XVIII, s8) gibt einer gewissen Ab-
ncigung gegen „die Wissenschaft"
Ansdruck, behauptet, daß die wich-
tigsten Aufgaben, die in der Ge-
genwart zur Erledigung drängen,
„praktisch-geistiger" Art seien und
von der Wisscnschaft nicht gelöst wer-
dcn können; daß zu ihrer Lösung
die spezisisch Wissenschaftliche Aus-
bildung nngeschickt mache; daß die
wissenschaftlichen Ergebnisse nvch nicht
„das Hohe und Bornehme" seien,
sondcrn nur den Baustoff darstellen,
„ans dcm das große Haus gebaut
uud gedichtet wcrden soll, auf das
wir warten" und dergleichen.

Schön, aber das wissen wir doch
wohl allc, daß „die Wissenschaft"
nicht sämtliche Bedürfnisse be-
friedigen kann. Sie kann nicht aus
eigener Krast die soziale oder die
Frauenfrage lösen, die Jugend zu
Jdealistcn machen, Religiouen stärkcn
oder stiften oder Schlachten gewin-
nen; sie kann weder die politischen
Zustände Rußlands zur Gcnesung
führen, noch in Deutschland cine
nene Blüte der Kunst hcraufbeschwö-
ren; sie kann weder neue Lebens-
werte suggerieren noch beseligende
Jllnsioncn züchten. Sie kann noch
sehr vieles andere nicht, doch hat
auch kein Berständiger je das Ge-
genteil behauptct. Handclt es sich
aber um Er ken n tnis fragen, die

richtig gestellt und nach menschlichem
Ermessen überhaupt beantwortbar
sind, so hat doch schließlich, was
man auch sagen mag, die Wissen-
schaft das letzte und entscheidende
Wort zu sprcchen — freilich „die
Wissenschaft" im wohlverstandenen
Sinn.

Es ist fcrner unzweifelhaft richtig,
daß nicht jede Art wissenschaftlicher
Betriebsamkeit etwas Bewunderns-
wertes und Ehrfurcht gebietendes dar-
stellt. Wer mit vorzüglicher metho-
discher Schulung und mit einem
großcn Vorrat von Kenntnissen aus-
gerüstet ein Leben lang Heraldik
treibt, die Anatomie der Blattläuse
studiert oder eiue bcsondere Art von
Differentialgleichungen untersucht, der
braucht deshalb noch lange kein
großer Geist zu sein. Und wenn
ein solcher Fachmensch mit großen
wissenschaftlichcn Ansprüchen cs unter-
nimmt, bedeutende Probleme zu Le-
handcln, so ist das gewiß ebenso
wertlos wie unerfreulich. Aber gibt
cs unter den Männern der Wissen-
schaft wirklich nnr beschränkte No-
tizengelehrte und cinscitige Fachleute,
die nichts vcrstehen, als Berge von
Beobachtungen anzuhäufen, eincn
Wust von Kcnntnissen aufzuspeichern
oder aus tausend Büchern ein neues
zusamincnzukleben? Gibt es nicht
auch große Dcnker und bahnbrechende
Forscher mit weitem Blick und be-
deutenden Jdeen? Spricht man von
Staatsmänncrn und hoher Politik,

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