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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 7 (1. Januarheft 1906)
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Unsere Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0515

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Wenn der Winter am kältesten, der Tag am kürzesten nnd die Nacht
am längsten und dnnkelsten ist, dann spukt, so glaubten nnsre Altvordern,
znr tiefsten Mitternacht anf eine kurze Stnnde der Sommer im Land. Mag
er auch in unsre Januarnächte einmal hereinschauen — mit Toni Stad-
lers meisterhaftem Bild! Stadler, auf dcn vor Jahren zuerst Leopold
Weber den Kunstwartleserkreis und damit nberhaupt weitere Kreise hin-
gewiesen hat, ist mittlerweile bekannt nnd hoch angesehen geworden, aber
warum dieses kleine Bild ein Meisterbild ist, das läßt sich mit wenigen
Worten wirklich nicht nmschreiben. Denn Stadlers Kunst hat keine stark in die
Angen fallende Eigentümlichkeit, die ihre „Note", die ihren besondern per-
sönlichen Vorzng machte, von Bild zu Bilde geht sie gleichsam auf in der
Landschaft, ihr nachfühlend mit dem fcinsten Naturempfinden nnd sie in
Farben künstlerisch znsammen bildend mit einer köstlichcn Ausgeglichenhcit.
Wie Busch nnd Strauch in atmendem Pflanzenleben still vor sich hinträumen
in diesem Stück Einsamkeit, wie tief in seiner seligen Rnhe, nur vom
leisesten Wölkchen durchschwebt, der Sommerhimmel darüber blant, und wic
wundervoll all das znm Bilde zusammengehalten wird! Keine Spur von
„Tapezierer-Harmonie" dabei, von jenem billigen Harmonisieren der verschie-
denen Farben durch Beimischung einer gemeinsamen, etwa eines Brauns —
alles hat hier sein besonderes Farbenleben, abcr alle Töne klingen miteinander
in dem reinsten vollen Akkorde.

Vom Sommer zum Winter — Franz Müller - Münsters „Wilde
Jagd" zeigt cine andere Seite der Welt, die aber auch jetzt in den Zwölf Nächten
so „zeitgemäß" wie etwas ist. Hei, geht das auf den gespenstischen Kleppern
höchst glaubhaft durch die Lnft! Es ist wirklich etwas wie G e i st e r s e h e n,
wo wir so oft bei verwandten Stoffen nur grnselig kostümierten Zirkns vor-
geführt bekommen — nnd das hebt das Werk anf eine Höhe.

Giorgiones „Bildnis cines Manncs" aus der Berlincr Galerie
möchten wir den Freunden nicht nur mit den „Meisterbildern" zeigen, in
deren neucr Folgc es eben in größerem Formate crschiencn ist, sondern auch
hier, weil es eines der intimsten Bildnisse aller Zeiten ist. Sieht man's
flüchtig an, meint man, man hab' es mit einem jungen Mann zu tun,
sieht man dem dargestellten Herrn längcr ins Auge und die kräftige Nase
hinab auf den Mund, so bemerkt man, daß die Reife eines älteren, viel-
erfahrenen, ein wenig nervösen nnd in der Selbstbeherrschnng durch intelli-
gente nnd sittliche eigene Zucht geübten Mannes zu dem Beschauer spricht. Hier
ist eines jener ganz „leisen" Bilder, als deren herrlichstes wir die Mona
Lisa des Lionardo kennen, man könnte sagen: hier ist ein Geschwisterwerk
zu ihr.

Runstwart XIX, 7
 
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