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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Hausbildereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0660

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I)au8bi1ctsreien

„Sie meinen wohl: Bildnereien?" Nein, nichts Geschnitztes oder
Modelliertes — Bildereien, wie's Büchereien gibt! „Hausbildereien?
Wir kennen ja das Wort nicht einmal, und wo eine Sache ist, ist doch
auch ein Wort!" Gerade, daß wir das Wort noch gar nicht und die
Sache noch taum haben, gerade das scheint mir interessant.

Eigentlich kennt der Deutsche — so der Durchschnittsdeutsche —
bei sich zu Hanse nur Bilder in der Zeitung oder Bilder für die Wand.
Bei dem Sosabilde fängt das an die Wand hängen an, aufhörcn tut's
erst bei den Photographien im Visitenkartenformat, die man doch nur
zwei Spannen weit von der Nase halten sollte, wenn man sie vrdent-
lich erkennen will. Ach was, es gibt Ausnahmefälle, wo die sogar
auf der Tapete am Platze sein mögen, Gott behüt uns vor ästhetisieren-
der Pedanterie! Aber damit ist wirklich nicht gesagt, daß alles, was
man an Bildern hat oder haben mag, an die Wand müßte. Die
Wände blieben oft besser leer, sie werden keineswegs immer durch
Bilder „geschmückt", die Bilder beeinträchtigen sehr hänfig, was nn-
ersetzlich ist: das Raumgefühl und die Rnhe. Bin ich keiner, der
sich für eine Privatgalerie die Mauern hinstellen kann, so würde>n
Gemälde dann freilich für mich nichts weiter sein, als tot lagernder
Besitz. Gemälde — aber auch Kunstblätter? Die gehören in Mappen,
und aus den Mappen mit Kwnstblättern zusammen setzt sich die Haus-
bilderei. Wirklich, es ist interessant, daß uns das Wort noch sehlt und
daß dic Sache erst in den Anfängen da ist. Melleicht gibt es keinein
stärreren Schcinbcweis für die unehrerbietige Behauptnng: der Zivili-
sierte von hcute scheint die Augen nur noch zu haben, damit er nicht
an Laternen rennt. Allerdings, auch zum Lesen hat er sie. Dann und
wann sogar zum Lcsen in Büchern, die ihm selber gehören. Und wer
ein Musikfreund ist, hat mitunter auch einen Notenbesitz. Das Emp-
fangen unmittelbar durchs Auge jedoch ist immer noch eine so un-
gebräuchlichc Sache, daß uns sogar das Wort für die entsprechenden
häuslichen Sammlungen fehlt.

Nnd doch erhebt sich die Klage schon da und dort: der Bilder-
publikationen werden zu viel. Steht das zu jenem Mangel des Begriffs
und der Sache „Bilderei" im Widerspruch? Ganz und gar nicht, denn
was beweist es, als daß uns im Verarbeiten des gebotenen Materials noch
die Zeit und damit die Uebung fehlt! Stellen wir uns vor, was
sreilich sehr wunderlich vorznstellen ist: eine Kultur, in der es kein
Lesen und Schreiben gibt, und nun käm' es Plötzlich auf. Ein Buch —

2. Zebruarheft M6 525
 
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