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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Wilhelm Steinhausen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0600

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Milbelm Stemkausen

Drcißig Jahre ist's her, da hingen auf der großen Kunstausstel-
lung zu Berlin zwei Bilder uach biblischen Gegenständen umnittelbar
beicinander. Das eiue hieß „Die Bergpredigt": eiu schöner und schön-
gcschcitclter junger Mann sprach da mit bühnengerechter Gebärde zu
wohlcrzogeuen Zuhörern. Es war alles gefällig und reinlich auf dem
Bild bis auf die Gewänder, die sich so dauerhaft gestärkt in einwandfrei
edcl arrangierten Falten hielten. Und man bewunderte das Werk.
Das andere war eine Federzeichnung, Christus predigend auf dem See:
nur eine Gestalt, der sitzende Christus im kleinen Kahn, ein hagerer
Darber in grobem Sackrock, die Hände erhoben, das Autlitz eher unschöu,
aber aus dcm tiefsten Jnuern belebt von einer Seele, die aus dem
Ringen Frieden erkämpft hat uud nun auf das Jnnigste sorgt, diesen
Friedeu auch denen zu briugen, die friedlos sind. Als Umgebung uur
Wasser und Himmel und am Himmel die große Sonne, sein Licht.
Unsere Leser kennen das Blatt aus einer Beilage (Kw. XII, (8). Das
Publikum ging daran vorbei oder spottete, und die Kritik sprach sich
entrüstet darüber aus, daß man es in solch hohe Nachbarschaft gehängt,
ja, daß mau überhaupt gewagt hatte, es auszustellen.

Wir sind doch vorwärts gekommen seitdcm. Des damals so be-
rühmten Malers denkt heute keiu Ernsthafter mehr, Wilhelm Steiu-
hausens sechzigster Geburtstag aber wird für viclc als Festtag gclten.

Dabei ist die eigentliche Malerkraft in seiner Kunst nicht gar so
groß. Es lcben manche unter uns, deren gestaltende Phantasie reicher,
deren Zeichnuug als solche energischer, deren Farbengebung eigentüm-
licher ist, als die seine, auch unter den ihm verwandten lebcn sie, ich
nenne Hans Thoma. Die Art der Stcinhausenschen Kompositionskunst
wiederholt sich auch wohl dann uud waun, uud es ift eiue Weiche, eiue
Wehmut fast iu all seinen religiösen Bildern, die öfter, als man's wünschen
möchte, untcr den Saitcn der frommen Harfe diese eine der Elcgie au-
schlägt. Es ist selten sofort Ueberwciltigendes, es ist nichts Berauschendes
und uichts Bestechendes in seiner Kunst. Sie naht leise, mitunter fast
schattcnhaft. Du mußt ihr, weun sie dich anrührt, lange ins Auge
sehu. Daun aber wird dir vor den edelsten ihrer Schöpfungen sein,
als schwebe das Kunstwerk hinweg vor einer Secle, die blickt. Die aus
den Tiefen eines einzigen gesammelten Gefühles dich bis in dein
Jnnerstes hinein anblickt. Und es wird dir seltsam erscheinen, daß
dn vor dieser seltsamen Kunst nach Kolorit und Komposition viel
gefragt hast.

tz Zebruarheft IZ06 ^77
 
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