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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Batka, Richard: Weihnachtsmusik
DOI Artikel:
Scheffler-Friedenau, Karl: Der Deutsche und seine Kunst, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0388

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gerade an WeihnachtsstMen ziernlich reich. Neben dem einstimmigen
Gesang müßte aber auch der mehrstimmige eifrig gepflegt werden,
und das Hausqnartett fände namentlich unter den älteren Schätzen
deutscher Musik, bei Cornelius Freund, Prätorius usw. wundervolles
Material. Daneben mögen die Kinder ruhig ihre gewohnten Weih-
nachtslieder singen, sie dürften sich in ihrer Einfalt um so rührender
neben der Kunst der Großen ausnehmen. Wären wir erst so weit,
so würden die Himmelschöre und Freudengesänge nicht mehr red-
nerische Bilder sein, sondern hörbare Wirklichkeit, und unserem Volks-
leben wäre ein verlorenes, schönes, ja beglückendes Land aufs neue
gewonnen. B

ver veolseke uncl seine Runs«

(Schluß)

Aber seit Wagners Hang zur Grenzenlosigkeit das verderb-
liche Wort vom Gesamtkunstwerk gesprochen hat, können sich unsere
Schwärmer auf eine Autorität berufen, wenn sie darangehen, die
natürlichen Grenzen der Künste niederzureißen. Der Malerci wird
bei diesem in Wahrheit ganz dekadenten Spektakel ein „poetischer
Gehalt" gegeben; die arme Malerei! sonst hätte sie keinen. Und
unter Poesie versteht man immer nur eines: den dramatisch thea-
tralischen Gedanken. Und weit entfernt, das Ungesunde dieses for-
cierten Wesens zu erkennen, halten die Jdealisten dieser Art ihre
Zustände für höchste Gesundheit und bezeichncn das Wesen des
Jmpressionismus als Verfall. Sie werden sich verrechnen. Freilich
ist die verkehrte Vorstellung nicht verwunderlich bei der systematischen
Jrreführung des Urteils. Man hält allgemein die französischen Maler
der Manetschule für Rückenmärkler. Sie sind das so wenig wie
verbrauchte Boulevardiers. Als gesunde alte Herren mit langen
weißen Bärtern, leben und malen sie von früh bis spät in ihren
Gärten oder Ateliers, ohne sich um Kunsthandel oder Börse zu küm-
mern. Der Kunsthandel: das ist ein Kapitel für sich. Und die Epi-
leptikcrkunst der Lantrec und Beardsley ist auch eins, eines der lehr-
reichsten sogar unserer Kunst. Den alten Meistern des Jmpressionis-
mus ist das Sehen ein einziges fortgesetztes Fest und darum vermögen
sic Dinge zu malen, die uns zu Offenbarungen einer lebendigen
Schünheit werden. Jhre Kunst ist gesund und von weiser Beschrän-
kung. Sie malt Bilder, die in einem Rahmen sind, wie eine in sich
geschlossene Welt; wogegen die Dramatisierungen der Jdealisten sich
innerhalb der Nahmenleisten zu gebärden pflegen, wie wilde Tiere
im Käfig. Und es ist wahrhafte Naumkunst, die der Jmprcssionismus
bietet, keine gemalte Plastik. Sie will nie mchr, als sie kann, und
laun stets meisterhaft, was sie will. Von Tschudi hat ganz recht,
wenn er ihre „Phantasietat" der cines Böcklin gleichsteklt. Denn
die Lichtwirkungen, die Farben- und Formgewalten der Natur im
Bild mit der bescheidenen Skala des Staffeleimalers synthetisch
darzustellen, den Eindruck höherer Wahrheit mit den geringsten Mit-
teln zu erreichen: das erfordert eine vollkommene Uebersetzung des
Eindrucks, das bedingt eine souveräne Beherrschung der Darstellungs-

3^2 Runstwart XIX, 6
 
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