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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Wilhelm Steinhausen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0601

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Aber deshalb, weil bei Steinhausens besten Werken das Kunst-
gebilde als solches sich gleich einem Nebel auflöst, deshalb ist ja die
Webekunst dabei nicht etwa schlecht, sondern nur eigentümlich fein. So
fein ist sie, daß man Strahlen nnd Schimmer sieht, wo Fädcn und
Flächen sind. Das bringt Gefahren mit sich, und Gefahren dieser Art
wie solchen der eigentümlichen Zartheit seines Wesens überhaupt war
Steinhausen vielleicht seltener gewachsen, als die gern zugeben mögen,
die seine Werte recht fühlen. Als Jüngling zeichnete und malte er
auch „derber". Noch heute tut er's, wo er mit einfacher Freude an
der Schönheit der Welt gesegnete Sommerfluren malt oder das Feld,
das im Golde rauscht, oder den Wald, in dem der Vogel singt, oder
auch dies oder jenes Menschengesicht, auf dem die Jugend lacht oder
das Alter erzählt. Aber immer wieder ruft ihn ja das Herz zu den
heiligen Stoffen hin. Und wie sie ihm immer wieder zu inneren
Erlebnissen geworden sind, sind sie ihm zu Gesichten geworden, die sich
in den Bildern in einer ganz eigenen Form höchster Gesammeltheit
und Vereinfachung abspiegeln. Man wird dann und wann an Millet
erinnert, doch kommt es Steinhauscn seltener, als diesem Großen,
darauf an, durch ein Herausheben der Silhouette deu Körper ins
Monumentale zu steigern. Weshalb er auch in den religiösen Bil-
dern Licht und Schatten meist nicht in starken Kontrasten, sondern
in mi'ldem Scheine oder gar in cinem Dämmern alles beruhigend
umfließen läßt. Eine sehr deutliche, aber auch ganz einfache Geste Pflegt
dann die Beziehung zwischen den Dargestelltcn herzustellen. Jst deren
nnr einer, so Pflcgt eine sehr ausdrucksvolle, aber ganz schlichte Hal-
tung glcichsam einzuladen zu der vertrauten Zwiesprachc, die das
Jntime enthüllt.

Es gibt auch für die Gegenwart nicht nur eine religiöse Malerei,
und nicht allein die Steinhausens ist es, die zum Guten führt. Aber
das ist so schmerzlich, daß die Malerei, die unsre Kirche ein halbes
Jahrhundert lang in Betsälen und Gotteshäusern gepflegt hat, in
tieferem Sinne überhaupt keine religiöse Kunst war. Jn gefälligen
Farben, in äußerlich schöneu Männer- und Frauengesichtern, in schan-
spielerischen Stellungen, in reizvoll fließenden Gewandfaltcn haben die
Diener der innerlichsten Religion Jahrzehnt auf Jahrzehnt das Edle
gesehen, weil die Aufnahmefähigkeit durch das Auge, im Mangel an
Uebung matt geworden, nicht cinmal durch die äußerste Umhüllung
der Erscheinung drang. Steinhauscn ist sechzig Jahre alt. Wie viele
Kirchen hätte seine Kunst schon sein bisheriges Leben lang adeln können!
Jn zweien, dreien nur h a t er gemalt.

Aber das beweist ja die Echtheit seiner Arbeit, daß sie trotzdem
durchgedrungen ist. Wie gesund mußte sie im Jnnersten sein! Wie
fest dürfen wir nun hoffen, daß auch dereinst, weun sie sclber nicht
mchr schaffen wird, das beste ihres so treu reingehaltenen Geistes durch
die Kirchen atmen wird, die kommen werden! A

liunstwart XIX, st
 
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