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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1905)
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Gregori, Ferdinand: Der ideale Zuschauer
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Bartels, Adolf: Adalberbert Stifter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0085

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Szene einen schönen Abgang besorgen will, so hat es schon einen
großen Schritt auswärts genracht und wird bald lernen, sogar gute
und schlechte Stücke zu unterscheiden. Dann hätten wir in einem
den idealen Zuschauer für zwei Gebiete: die dramatische Literatnr
und die Schauspielkunst. Und dieses Jdeal lebte noch obendrein.

Ferdinand Gregori

Zäalbert 8lik1er

Adalbert Stifters Geburtstag kehrt am 25. Oktober zum hun-
dertsten Male wieder. Man hatte ihn, der am 28. Jannar s868
starb, auch als Dichter schon für tot gehalten, und noch N. M.
Meyer redet von seinen Schriften als „dem wehmütig-weisen Ab-
schiedsgruß einer schon halb erstorbenen Zeit". Aber siehe da,
nachdem seine Werke freigeworden waren, tauchten sie in allen bil-
ligen Bibliotheken in ziemlicher Anzahl auf, und zurzeit erscheint
sogar eine große wissenschaftliche Ausgabe. Die Wahrheit ist:
Stifter ist überhaupt nie tot und vergessen gewesen, er hat selbst
in den Zeiten, da Paul Lindau und Georg Ebers die deutsche Lite-
ratur zu sein schienen, seine Freunde gehabt, ist von ihnen immer
wieder mit Entzücken gelesen worden und wird es auch noch heute.
Und er ist in der Tat der Mann, wieder gelesen zu werden; denn
seine Stärke ist das Einzelwerk, wie wir „Detail" wohl am besten
deutsch ausdrücken, und die durch dieses erreichte Stärke der Natur-
stimmung, und so gut man der Natur selber nicht satt wird, so
kann man auch die Bücher, die sie treu — schildern, wollen wir
zunächst einmal sagen, immer wieder lesen. Man wird es sogar
mit einer gewissen Wollust tun, wenn man in der Stimmung ist,
vor etwas zu flüchten — und wer wäre das nicht öfter in unserer
unruhigen Zeit! Hier streise ich nun gleich die oft hervorgehobenen
Schwächen Stifters, seine, wie man meint, mehr aus Beobachtung
erwachsende und daher bloß schildernde als aus dichterischer An-
schauung entspringende Darstellung und seinen Naturquietismus, der
vor dem Leben und seinen großen Problemen, ja selbst vor den
Menschen zurückscheut. Doch sollte man bei der Beurteilung Stifters
vorsichtig sein: Ein bloßer Schilderer ist er trotzalledem nicht, er
lebt ganz in der Natur und gibt eine solche Fülle ins Feinste
treffender Züge, daß wir jederzeit in seinen Bann geraten, nnd
er setzt auch seine Menschen, wenn sie oft auch nicht viel mehr als
Staffage werden, außerordentlich sicher in die Natur hinein. Ueber-
haupt ist er nicht etwa der Mann schöncr Stellen, er arbeitet sehr
sorgfältig und gleichmäßig, hat allezeit ein Gesamtbild vor Augen
und bringt auch ein solches fertig, nur daß bei ihm etwa Vorder-
grund und Hintergrund vertauscht sind und statt der Erzählung
selber, des Menschenschicksals, das Naturleben, in dem es sich ab-
spielt, feste Linien gewinnt. Das tut es, Stifter ist Nealist. Wie-
derum ist er aber auch keineswegs ohne Phantasiekraft, das Ganze
seiner Werke ist stets dichterisch geschaut und weiter auch dichterisch
empfunden, nur der Weg, es herauszubringen, führt oft an den
Niederungen bloßer Schilderung dicht vorbei, und zwar aus dem
durchaus lobenswerten, auf Liebe beruhenden Streben nach völliger

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