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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
DOI Artikel:
Schultze-Naumburg, Paul: Biedermeierstil?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0176

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dem Tiktat der praktischen Forderung und der natürlichen Mittel
gefolgt ist. Nnd doch wird man auf den ersten Blick erkennen, daß
das Ganze seine Herkunft von jenen älteren Bauten nicht verlcugnet.
Daß aber schlechthin nur von einer Kopie eines älten Hauses die
Rede sein kann, wird man nicht behaupten können, da im Jnnern
allen modernen Anforderungen Rechnung getragen ist. Zur Linken
lehnt sich an das Hcms eine Glasveranda an, die oben vor dem
Schlafzimmer einen großen Balkon trägt (Abb. 8). Das Haus aber
wegen seinem quadratischen Grundrisse und dem Zeltdach schlecht-
weg ein „Biedermeierhaus" nennen zu wollen, wäre doch zum minde-
sten etwas Oberflächlichkeit. Abb. 9 zeigt ein etwas größeres Haus,
bei dem die Aufgabe gestellt war, eiue Neihe von größeren Zimmcrn
im Dachgeschoß einzubauen und eine gedeckte Vorfahrt vor das Haus
zu lagern. Bei der Anlage der letzteren ergab sich auch alles ziem-
lich vou selbst. Da das Haus in einer sandsteinreichen Gegend
steht, war es natürlich, Säulen aus diesem Material zu errichten;
der Raum aus der Bedachung der Vorfahrt lud gauz von selbst
zur Anlagc eines großen Balkons ein. Bei der Wahl des Daches
ergab sich die Mansardendachform. Diese Art des Daches ist nicht,
wie manchmal merkwürdigerweise angenommen wird, eine Spielerei
aus Stilrücksichten; sie ist vielmehr die, billigste und praktischste
Dachform, wenn es gilt, Wohnungen im Dach unterzubringen. Denn
das Dach wird nicht allzuviel teurer, als ein gewöhuliches Sattel-
dach; die eingebauten Zimmer können gerade Wände bekommen und
unter der Dachschräge ist willkommene Gelegenheit, zahlreiche Wand-
schränke einzubauen. Sämtliche Wohnräume in diesen wie in den
folgenden Mansardendächern unterscheiden sich, da sie senkrechte Wände
haben, innen von andern Wohnräumen nur durch tiefere Fenster-
nischen, die wiederum erwüuschte Gelegenheit zum Ausbilden von
gemütlicheu Sitzplätzen bieten. Das Märchen vou der konstruktiveu
Mindcrwertigkeit der Mansardendächer ist eigentlich zu siunlos, um
noch besonders widerlegt zu werden.

Auch auf Abb. (0 istäein Mansardendach. Hier war die Auf-
gabe, eiu großes Laudhaus vor der Stadt zu bauen, dessen sämtliche
Näume im Erdgeschoß untergebracht werdeu sollten, währeud sich
im Mansardgeschoß uur einige Fremdenzimmer usw. befinden, die
in die Giebel eingebaut wurden. Die Laterne auf dem Dache leitet
das Licht in die große Diele, die in der Mitte des ganzen Hauses
liegt. Auch hier wird mau weder im Grundriß noch an der übrigen
Gestaltung irgend welche Formen finden, die nur einem vorgefaßten
Stilprinzip zuliebe angebracht sind.

Auf Abb. war die Aufgabe die, ein behagliches aber billiges
Haus zu bauen, das viel Raum enthält. Und so wnrde man wieder
von selbst zu der Gestaltung des ausgebauten Mansardengeschosses
geleitet. Der Risalit, auf dem der Giebel mit dem runden Fenster
sitzt, enthält bis hinauf das Treppenhaus. Das Haus lehnt sich an
den Berg an, dem die hier auf dem Bilde wiedergegebene Seite zu-
gekehrt ist, während die andere Seite auf eine hohe Terrasse hinaus-
führt.

Abb. (2 endlich zeigt ein Haus, dessen ganze Anordnung gleich-

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