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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 4 (2. Novemberheft 1905)
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Steinhausen, Heinrich: Vom Kulturwert der deutschen Schule: Randbemerkungen zu dem Buche von Bonus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0235

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was zuviel ist, das bleibt zuviel, und endlich schnappt das dauer-
hastestc Sprachorgan über. Ja, auch davon abgesehen: selbst des
höchstgcspaunteu Grundtons wird das Publikum bald gewohnt, und
am Ende fragt cs gar einem Steutor gegenüber: was hat cr gcsagt?

Tahiu abcr ist es weuigsteus mit dem heutigen Zeitungspubli-
kum uud mit alleu deuen gekommen, die sich als Lernwillige um
die ihnen in uusern Tagen so rcichlich gebotene Bildungszufuhr
sammclu. Das stärkste Donuerrollen nationaler und politischer Droh-
ungcu, alle Feierlichkeit moralischer Beschwörung, entzückte Freuden-
versichcrungen nnd dumpfe Klagegesänge richten da auch dem Auf-
nahmefähigeu gegenüber wenig mehr aus; gerade wie in der Schule
selbst die liebsten Schüler endlich die Scheltworte des immer zür-
nenden Lehrers mit eben derselben Gleichgültigkeit anhören, wie die
noch so lobenden des immer zufriedeuen. Ohr und Gemütsempfänglich-
keit werdeu abgestumpft durch die Gewohnheit, und die gewähltesten
Kraftworte verlicren ihren Stachel wie ihren Honig.

So geht es — eine sehr triviale Wahrheit — überall, im Leben
wie iu der Schule.

Aber auch mit der Schule? Mit unsrer deutschen Staats-
schule, wie sie mit alleu ihren immer reicher entwickelten Bildungen,
vom Gymnasium bis zur Halbtagsvolksschule samt allen Unter-
arten sich vor uns ausbreitet?

Sonderbar, sehr sonderbar! Einmal, gibt es irgend eine Ein-
richtung in deutschen Landen, zu deren Ruhme die Superlative
dcs Lobes bis zur Erschöpfung gehäuft werdeu — seit Jahrzehuten
mit steigendem Eifer — so ist's nnser Schulwesen. Und lein Leit-
artikel, keine Abhandlung wird über die Schule geschrieben, die hohe
oder niedre, kciue Rede im Parlamente oder in irgend einer andern
Vcrsammlung übcr diese Errungenschaft unsrer Kultur gehalten, ohne
dasz Verherrlichungen unsrcr Staatsschule laut werdcn. Sie ist der
Hort, der Nückhalt unsrer Kulturgüter, das Kleiuod unsres National-
besitztumes, unser Stolz, und ihre Lehrer sind die Bildner des Volks,
denn unserc Staatsschule ist die cigeutliche Kulturträgeriu: wer sie
hat, der hat oder gewinut die Mncht im Volke. Unsre Schule ist
auch die Hüteriu uusrer höchsten idealen Güter: Vaterlandsliebe,
Königstrcue, Bürgertugend, Moralität, Religion, Humanität, Befrei-
ung vou fiustrem Aberglaubcu uud verfolgungssüchtigem Fauatismus.
So hören wir von dem, was sie kann, was sie leistet und noch leisten
wird, wie jahraus jahreiu große uud kleiue Glocken, mit gellenden
oder mit dröhnenden Klängcn läuten, auch Kirchenglocken sind dabei.

Dies wäre nun noch nicht das Seltsame, das ich meine. Deun

im Einzclneu dcnkcn wir da und dort nicht ganz so, wie der vcrehrtc Ver-
fasscr. Selbstverständlich ist das große Thema mit diesem Aufsatz auch
für unsre Blätter nicht ctwa erschöpft. Welche Frage könnte auch für
uns wichtigcr sein! Nur, daß wir bei ihrer Behandlung uns in noch
bcsonderem Maße als Laien fühlen müssen: wir haben sür diese Pro-
blcme auch unsre Leser nach Möglichkeit zu interessieren, nicht aber
fällt ihre ausführliche, ihre — was man so nennt: „erledigende" Behand-
lung in unser Arbeitsgebiet. A

2. Novemberheft t90ö 182
 
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