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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Spielzeug
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0380

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tastisch gebildeten Bühne des Spiels nunmehr ganz real sich üben.
Der Mensch, der harmonisch gedeiht, Pflegt auch sie, aber die andern
vernachlässigt er deshalb nicht. Vernachlässigt er auch nicht, wenn
Mannes- oder Frauenreife naht, noch, wenn sie da ist. Sein Spiel
wandelt nur den Namen. Als Erwachsener heißt er's Kunstgenuß.
Und wie er im Handeln seiner eigenen Arbeit, im beobachtenden und
durchdenkenden Erfassen der Wirklichkeit, im Nach-Erkennen fremder
Erkenntnisse auf dem Seienden baut, so steigert er sein Fühlen vor-
ausschwebenden Jdealen nach über das Wirkliche hinaus. „Was sich
nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nie." Aus den
Möglichkeiten bauen sich ihm Bilder der Zukunft auf, wertvolle Bil-
der, denn was von ihnen verwirklicht werden kann, wird die Zeit
verwirklichen, wenn es nur erst einmal vorgeschaut, vorempfunden,
wenn nur das Sehnen danach erst geweckt ist. Und im Vorge-
fühle des höchsten Glückes findet seine Befriedigung selbst der Faust.

G

Alles das ist nicht im geringsten Neues. Erstaunlich ist nur,
daß, obgleich es so Altes ist, heute noch Spielzeug wie die „lebende
Puppe" möglich ist und zwar nicht nur in „reichen" und „vor-
nehmen" Kreisen, sondern auch in solchen, die außerdem noch „ge-
bildet" sind. Was soll ein Kind mit dem Dinge anfangen, das alles
schon tut, was es selbst, das Kind, erst hineintragen müßte, wenn
es der Erweiterung seiner Gefühle spielend genießen und seine Kraft
selber im Spiele erweitern soll? Sie „geht selbsttätig", „schläft und
lebt", „ist hochfein kostümiert". Aber das würde ja gerade erst den
Segen des Spieles ausmachen, daß vom „Kostümieren" bis zum
„Sprechen" alles als Phantasie und Gefühl im Kinde entstände,
daß nicht das „vorzügliche Uhrwerk", sondern des Kindes Seele
die Puppe belebte. Wieder eine Banalität, die man sich auszusprechen
scheut, so selbstverständlich ist sie jedem, der nur je über Spiel und
Spielzeug nachgedacht oder etwas Ernsteres gelesen hat. Und doch
zeigt jeder Spielzeugkatalog und jeder Spielwarenhändler bestätigt
es, daß die beliebtesten „Nouveautss der Branche" alljährlich auf
das Phantasietöten ausziehen. Der Erwachsene kaust, was ihm
einen Augenblick Vergnügen oder was beim Kinde für cinen ebenso
flüchtigen Augenblick den „größten Effekt" macht. Und was „ge-
fragt" wird, das eben fabriziert „die Branche".

Jmmerhin dürfte so gut wie alle übrigen kunstgewerblichen
Betriebe auch unsre Spielzeugindustrie auf ihre Kosten kommen, wenn
sie dic neue ästhetische Bewegung ernsthafter zu verstehen und danach
sie zu berücksichtigen, „geschäftlich" gesprochen: „auszunutzen" suchte.
Es liegt beim Spielzeug vielleicht nicht anders als bei Haus, Möbel
und Gerät: wir haben die Ueberlieferung verloren. Oder wenigstens:
wir sind eben dabei, sie zu verlieren. Einfaches, Derbes, mannigfach
Verwendbares, Charakteristisches wird immer seltener und wird selbst
auf den Weihnachtsmärkten, zumal in den Großstädten, schon zum
Erbarmen selten, während Knecht Ruprecht noch zu meiner Kinder-
zeit schon durch die bäuerischen Holzarbeiten eine Menge solcherlei
lustigen Zeugs in den Sack bekam. Dagegen ist beim Markte immer

! 204 Aunstwart XIX, 6
 
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