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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0399

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aufsliegt bis zur Galliou! Seht, wie sie dort in der Ferne durch Wolken
und Regen und Hagel, durch das weite wilde Grau dahin jagt: die Goodefroo.

Sie hatten am Abend vorher, die Segel voll vom Südwestwind,
den Kanal verlassen, und der zweite Steuermann, Piet Boje von Hilligenlei,
dachte so um fünf Uhr morgens, als sie die Höhe von 'Texel hatten, Kurs
nach Osten zu nehmen. Aber da kam Jan Deeken an Deck, fing an, in
die Luft zu schnuppern, ging nach unten und kam gleich darauf, wahrhastig,
mit der Wollmütze, wieder nach oben und blieb oben.

Sie sagten wieder alle: „Ditmal lüggt hee! Gott sei Dank! Hee
lüggt."

Er humpelte auf und ab, zwischen Reeling und Rudersmann hin und
her, die Hände in den Taschen, und sah dann und wann auf und spuckte
aus. Nach ciner halben Stunde sagte er so im Gehen zu Piet Boje:
„Stüermann. Wi wilt nördlich holn." Und er winkte so verloren nach
Norden zu.

Piet Boje schüttelte heimlich den Kopf und tat, wie ihm befohlen.

Um zehn Uhr, als Steuermann Boje schon wußte, daß die schmale
und dürrc Nase des Alten wieder einmal ihre Schuldigkeit getan hatte —
denn es stürmte nun hart aus Südwest und hatte Neigung, nach Norden
umzugehen, sodaß es gut war, so fern als möglich von den verdammten
friesischen Sanden zu sein — da deutete der Alte mit dem Daumen nord-
wärts nach einem Segler: „Schon gesehen, Stüermann? Den Seiler da?
Das ist der Goodemann"

Der Goodemann war der Bruder von der Goodefroo und gehörte
derselben Reederei.

„Sieh mal: Kap'tän Winckel war früher Steuermaun bei mir und
denkt: »Fahr du mit dem Alten!« Sie hatten kein Vertrauen, Stüer-
inann!" Und er sah Piet Boje schief von nnten an.

„Jch hab's mehr mit dem Sehn als mit dem Glauben," sagte Piet Boje.

„Das ist im allgemeinen auch richtig," sagte der Alte.

Eine Stunde später war der Sturm nach Nordwest gegangen, und
die beiden stolzen Schifse jagten nebeneinander her, keine Meile voneinander
entfernt, mit Kurs auf Helgoland durch die wild wühlende See. Die
Segel waren zum Bersten voll, im Tauwerk pfiff und heulte es. Böen
mit schwerem Hagel und Regen jagten hintereinander her und machten
die Luft dick und unsichtig. Als es nach einer Stunde ein wenig aufhellte,
hatte der Goodemann noch mehr Backbordruder gegeben. Die Leute waren
alle an Deck.

Bald darauf erschien ein Lotsenschoner und beide Schiffc nahmen
mit großer Mühe Lotsen an Bord, zuerst der Goodemann, dann die Goode-
froo. Dabei kam der Goodemann Backbord voraus.

Gleich darauf zog eine neue Bö heran und raste mit wildem Un-
gestüm über das Meer.

Schwerer Hagel suhr rasselnd und schlagend über Deck. Mittschiff
liefen wirbelnde Seen über. Die Leute krochen mühsam nach achtern. Die
Luft war von Hagel und stürmenden Wolken so dick und die Sonne war so
verhüllt, daß sie nicht weiter als bis zum Logis sehen konnten, gegen das
wirbelndes Wasser sprang. Das dauerte so eine Stunde.

Da hellte es ein wenig auf und der Sturm ließ ein wenig nach und
sie sahen um sich.

2. Dezemberheft MS 323
 
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