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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1906)
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Pflaum, Christoph D.: Psychologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0669

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Bewußtsein einer Förderung oder Hemmung unserer Lebensfunktionen
mit der Vorstellung des Fördernden oder Hemmenden zu einer Ein-
heit verknüpft ist und dicser Einheit des Bewußtseinsinhalts anziehende
oder abwehrende Bewegungen des körperlichen Organismus, die auch
ihrerseits im Moment ihres Geschehens vorgestellt werden können,
zugeordnet sind.

Kein Seelenleben ohne Nervenshstem und Gehirm Es gibt nicht
ein Physisches Jndividuum und ein psychisches Jndividunm, sondern
nur ein psychophysisches Jndividuum. Physisches Leben und psychisches
Leben sind nur auf Grund allgemein anerkannter crkenntnistheoretischer
Unterscheidungen für die Betrachtung zweierlei; gegeben sind sie
in einem Organismus. Die Organisation ist wesentlich: sie recht-
fertigt die Mannigfaltigkeit der psychophysischen und noch mehr der
psychologischen Vorgänge und zugleich ihre Vereinheitlichung. Gedächt-
nis und Erinnerung sind nur möglich vermöge der Befähigung von
Gehirn und Nervensystem, zur Wiederaufnahme bereits gehabter oder
zur Aufnahme verwandter Eindrücke besonders disponiert zu scin; sie
vollziehen sich vcrmittels der unendlichen Zahl von Verbindungen zwi-
schen den Gehirnzellen, die bei dem räumlich-zeitlichen Zusammensein
mehrerer erlebter Eindrücke sich knüpfen und bei der Reizung auch nur
einer der Zellen durch einen neuen Eindruck sämtlich in verschiedenen
Stärkegraden in Wirksamkeit treten.

Jeder Bewußtseinsinhalt ist ein Komplex auch isoliert erlebbarer
einfacher Vorgänge, der Empfindnngen und einfachen Gefühle. Die
Qualitäten der Empfindungen sind unmittelbar abhängig von den
Sinnesorganen, und es darf deren Reizung nicht zu schwach uud nicht zu
stark sein, um überhaupt eine Empfindung zu erwccken. Eine jede Emp-
findung hat ihre Gefühlsbetonung, und zwar Lust oder Unlust, wenn-
gleich zumeist von sehr geringer Stärke. Die Beziehungcn der seelischcn
Elemente sind entweder assoziativer Natur oder sogenannter apperzep-
tiver. Das heißt: an einen wirkenden Eindruck rcihen sich die früheren
Erlebnisse, ohne daß sie sich zu einem neuen seelischen Gebilde zusammen-
schließen; oder aber: es bilden sich neue Einheiten, Vorstellungen, Ur-
teile, Begriffe, Affekte, Vorstellungs- und Begriffsreihen. Nicht die
seelischen Gebilde als solche bcharren im Gedächtnis, sondern ihre
Bestandteile, und die Erinnerung beruht ebenso wie alles seelische
Geschehen auf Assoziation, anf Verbindung der einfachsten Bestandteile.

Bewußtsein ist nie ruhendcr Zustand, Bewußtscin ist stets Ge-
schchen.

Die Stärke jedes seelischen Erlebnisses ist eine Unterschiedsstärte,
das heißt: sie ist abhängig von dem voraufgcgangencn Erlebnis. Jm
besonderen gilt, daß der Bewußtseinsinhalt durch den Kontrast ge-
steigert wird. Der Umfang des Bewußtseins ist begrcnzt: es kann
in einem Augenblick nur ein Jnhalt starke oder mittlere Jntensität
haben, während eine beliebige Zahl minder oder mindest intcnsiver
Jnhalte sich um ihn gruppieren kann. Alle Wahrnehmung, Aufmerk-
samkeit, Denken ist ein Vorwiegen eines Jnhaltes und ein Zurück-
treten der mit ihm gleichzeitigen übrigen Jnhalte.

Seelische Entwicklung besteht erstens im Wachstum der Zahl und
Mannigfaltigkeit der Erlebnisse und zweitens im Schaffen oder im

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