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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 10 (2. Februarheft 1906)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0701

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weit vonemander entfernt. Der Neu-
gierige oder Müßige, der als Zu-
schauer einen kleinen Spaziergang
durch die aufgestapelten Herrlichkeiten
machen wollte, komint als Käufer
wieder heraus. Der nichts zu kaufen
brauchte, hat was gekaust — weil es
ihm in die Augen stach. Das Kauf-
haus hat Museumscharakter bekom-
men. Aber während man das Mu-
seum mit interesselosem Wohlgefallen
durchwandelt, wird im Kaufhause
auf Schritt und Tritt der Trieb
zum Besitz geweckt und wach gehalten.
Wir haben über all das hier keine
Betrachtungen anzustellen, die außer-
halb unseres Gebietes führen. Aber
eine Tatsache springt in die Augen,
die sehr wichtig auch für unsere
Arbeit ist: das Kaufhaus ist als
Mittel ästhetischer Kulturpolitik für
die Massen überaus wichtig geworden.

Aesthctische Kultur im Warenhausc
— ein Hohngelächter erhebt sich. Und
wir geben ohne weiteres zu: vom
großen Wertheim in der Leipziger-
straßc bis zum kleinen Kohn in Me-
mel wirkt das Warenhaus einstweilen
wider die Bestrebungen für eine ästhc-
tisch höhere Kultur. Schon von Grund-
satz wegen: es ist auf den Massen-
absatz angewiesen und muß mit allen
Mitteln versuchen, die Käufermasse
durch seine Artikel zu suggeriercn.
Das gelingt ihm auch, sogar durch
die einfachsten, aber auch — wie uicht
zu bestreiten ist: durch ästhetisch
einwandfreie Mittel. Jch entsinnc
mich, in dem Riesenschaufenster eines
Warenhauses einmal weiter nichts
gesehen zu haben, als brauu gebun-
dene Reklambändchen. Wir war's,
als seien die kleinen, wohlbekannten
Bücher die appetitlichsten, einladend-
sten Bücher der Welt. Sie lagen und
standen kunstvoll geordnet umher,
ganze kleine Gebäude hatte der pfif-
fige Verkäufer errichtet, Säulcn, Py-
ramiden nnd Triumphbogen, und
alle wiederholten eindringlich die

stumme Mahnung: sieh mich an und
nimm' mich mit. Ein Buchhändler
wäre wohl kaum auf die Jdee ge-
kommen, ein ganzes Schaufenster
grade diesen billigen Bändchen zu
opfern. Der Warenhäusler vcrsucht
es und kann es auch versuchen: er
ist kein Buchhäudler mit dem Ehr-
geiz, die mannigfaltigsten und diffe-
renziertesten literarischen Ansprüche
zu befriedigen, — er ist ganz einfach!
Kaufmann für die Masse, er stilisiert
und uniformiert sie und ihren Ge-
schmack, und er hat den Konsum
dieser Masse, wenn er's versteht, bis
zum gewissen Grade in der Hand.

Jst das nun beklagenswert, so
dämmert doch so ctwas wie eine
Hoffnung auf. Es handelt sich darum,
das Warenhaus und durch seine Kauf-
kraft die 'Jndustrie in die ästhetischc
Gewalt zu bekommen. Sollte das
so ganz unmöglich scin? Wo früher
fünfzig kleine Kaufleute den Geschmack
ihrer Kunden bestimmten, da tut es
heut ein großcr, der Unternehmer
des Kaufhauses. Er wird sich von
Prinzipes wegen gegen das Schöne
anstellc des Geschmacklosen gewiß
nicht sträuben, wenn sein Verdienst
der gleiche bleibt. Er geizt viellcicht
sogar, wie z. B. die Brüdcr Wert-
heim in Berlin, ein wenig nach der
Ehre, die ihm Kunst und Schönheit
neben dem Baren einbringen. Er ist
jedenfalls als Vermittler so ernst zu
nehmen, wie seine Macht reicht, und
die reicht weit. An ihn kann man
mit Forderungen eher herantreten,
als an die fünfzig verschiedenen La-
deninhaber. Er ist Repräsentant einer
neuen und unzweifelhaft notwendigeu
kaufmännischen Wirtschaftsform, die,
wie betont, keine Besonderheit der
Großstadt mchr ist, sondern sich mit
einer Schnelligkeit ohnegleichen über
alle Städte vcrmehrt hat. Wir
müssen, anstatt über sie bloßl zu
klagcn und zu schelten, ernsthaft mit
solchen Mächten rechncn, wenn wir

2. Februarheft sst06
 
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