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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1906)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Altisländisch und neudeutsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0727

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dennoch ausgesprochen: Jch halte dafür, daß an diesen Erzählungen
sich der Sinn dafür entwickeln oder stärken kann, was etwa an
unserer modernen deutschen Erzählungskunst bodenwüchsig, nicht nach-
ernpfunden, was sozusagen rassig ist, und daß wir im weiteren Ver-
lauf einer solchen Entwickelung zu einem strengeren nnd kräftigcren
Erzählungsstil kommen könnten, als das ist, was heute herrscht. Um
es im Rahmen einer kunsthistorischen Analogie auszudrücken: Jch
halte für möglich, daß diese isländische Prosa, eine der reinsten, die
es gibt, für uns eine ähnliche Bedeutung haben könnte, wie sür die
Goethesche Periode die englischen Volkslieder: Zur Besinnung auf
unser Eigenstes uns zu bringen und zu dem Mut, uns dazu zu
bekennen.

Jch kann des beschränkten Raumes wegen nur ein paar ganz
kurze Proben vorlegen. Sie werden aber schon genügen, um wenig-
stens das gewöhnlichste Vorurteil zu untergraben, als läge das Ger-
manische im Nebelhaften, Verwischten, in alledem, worin das Ossia-
nische, also Keltische liegt. Die These, die Willy Pastor hier vor
kurzem über die Nordgermanen in der Malerei aufstellte, daß für
sie charakteristisch gerade ein scharf zeichnerischer Stil sei, wird sich >
auch für diese Erzählungen bewähren. Was ich an ihnen besonders ^
bewundere, ist die stark künstlerische Haltung, mit der sie alles, was l
sie auszudrücken wünschen, in eine entschlossene Plastik tauchen und ^
mur soweit ausdrücken, als es in diese Plastik aufgeht.

; Wenn gesagt werden soll, daß der weise Njal in Gedanken '
'gerät über den neuen Glauben, der da hereinbricht — die Geschichten
spielen in der heidnischen und den ersten Jährzehnten der christ-
lichen Zeit —, so wird erzählt, daß man über den neuen Glauben
spricht, und dann heißt cs: „Er ging von den anderen hinweg, ein-
sam, und murmelte vor sich hin." Selbst Wendungcn, wie in unsercr
ersten Probe: „Er sprach zu sich selbst" mit darauf folgeudem Jn-
halt der Gedanken, sind daher in diesem Erzühlungsstil selten. Was
einer denkt, wird sonst nur im Gespräch, meist iudirekt oder ge-
radezu gegensätzlich oder aus seinem Tun klar, nicht aus Erläute-
rungen des Erzählers. Man beachte, wie die List des Snorri bis
zu Ende unverraten bleibt. Wem es nachher, als Snorri plötzlich
Geld hat, nicht einfällt, weshalb er in so armseligem Aufzuge nach
Hause kam, obwohl er doch, wie sich nun zeigt, in Norwegen gute
Handelsgeschäfte gemacht hat, dem wird es uicht ins Ohr geschrien.
Die Charaktere sind, was unsere kurzen Proben natürlich nicht be-
weisen können, rund gezeigt, in voller Plastik, weder Engel noch
Teufel. Das psychologische Jnteresse und die Sicherheit der Psycho-
logischen Zeichnung sind erstaunlich. Sie zeigen, daß nicht nmsonst
in der nationalen Erziehung der Jsländer zwei Fächer vorkamcn,
von dcnen das eine Geschlechtskunde, das andere Menschenkenntnis
hieß. Dieser Knecht, wie er sich über die Heuarbeit hermacht, wäh-
rend sein Herr erschlagen wird, wie er dadurch die Angst in sich
zu dämpfen versucht, wie er durch eine Frage aus seiuer Hypuose
erwacht, ist für mich ein psychologisches Meisterstück. Noch stärker
als das Psychologische spricht aber gerade in diesem Stück die eigen-
tümliche Verbindung von Humor und düsterster Tragik; sie ist dcr

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