Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1906)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Arten des Musikgenusses
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0729

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Musikwelt sein. Alleiu sie steht in einein Buche von Richard Walla-
schek,* das den unauffälligen Titel führt: „Psychologie nnd Patho-
logie der Vorstellung", und das darum kein Musiker gelesen hat.
Was geht mich denn — so meint er — Psychologie, Pathologie
nnd Vorstellung an? Nnd Schriftsteller, die an keinem Parteiwagen
ziehen und deren Ruhmestaten kein eifernder Anhang vcrkündet,
müssen immer warten. Darum hat bis jetzt auch uoch keiue Musik-
zeitung das vor acht Monaten schon erschienene Werk angczeigt.
Aber es ist da, ein Maiierbrecher des Fortschritts und gehört nicht
zu denen, die eilig genossen werden müssen, weil sie nach ein paar
Monaten veralten. Es räumt auf mit hundert vagen, unklaren,
falschen Begriffen, stürzt ebensoviel artistische Luftschlösser nm und
stellt die Musik als eine gleichwertige Macht ein unter die Erschei-
nungen des gesamten geistigen Lebens.

Wir verdanken Theodule Ribot die ebenso einfache wie bedeut-
same Lehre von den drei Vorstellungstypen. Darnach stellen sich
nicht alle Menschen die Dinge der Außenwelt in derselben Weise vor,
wenn sie veranlaßt sind, an sie zu denken. Fragen wir eine An-
zahl von Personen, wie sie einen Löwen, einen Gletscher, das Meer
sich vorstellen, so wird, wie die Erfahrung zeigt, ihre Antwort ver-
schieden ausfallen, selbst wenn sie all diese Dinge schon einmal im
Leben gesehen haben. Es haben gar nicht einmal alle das wirkliche
Bild des Gegenstandes vor ihrem geistigen Auge, weil die ganze
Tendenz der Vorstellungskraft nicht das wirkliche Bild verlangt, anch
bei bekannten Dingen nicht. „Diese Tendenz wird noch dentlicher,
wenn es sich nicht um greifbare Gegenstände handelt, sondern um
abstrakte. Viele begnügeu sich in solchen Fällen, das Wort geschrieben
oder gedruckt zu sehen, ja es kommt vor, daß auch dieses Gesichts-
bild fehlt und der Klang des Wortes, also ein Gehörsbild an seine
Stelle tritt, oder daß eine Bewegnng vollzogen wird, die entweder
dazu dient, das Wort auszusprechen, schriftlich darzustellen, seinen
Jnhalt durch eine Aktion auszudrücken oder die ihm zugrunde liegende
Funktion durchzuführen. Die Menschen stellen mit einem Worte ent-
weder optisch, akustisch oder motorisch vor."

Obzwar der Mensch nach allen diesen drei Typen vorstellen
kann, Pflegt er doch gewöhnlich einem davon vorzngsweise an-
zugehören. Nach diesem Merkmal kennzeichnet man dann nicht nur
die Jndividuen, sondern auch Völker uud Nnssen. Die Anglikaner
z. B. gehören vorzugsweise dem Gesichtstypus an (Naturwissen-
schaften, Technik); der Romane neigt dem Bewegungstypus
zu (Darstellungstalent, Formensinn, dramatische Tendenz), der
Deutsche dem Gehörstypus und daneben jenem Gesichtstypus, der
in geschriebenen oder gedruckten Worten vorstellt. „Auf diesen be-
schränkten Typus wird durch falsche Schulbildung unser gesamtes
Vorstellungsleben leider nur zu oft gewaltsam eingezwängt."

Diese Ribotsche Lehre überträgt nnn Wallaschek sinngemäß auf
das musikalische Vorstellen und stellt auch hier die Geltnng dcr drei

* R. Wallaschek, Psychologie und Pathologie der Vorstelluiig. Bei-
träge zur Grundlegung der Aesthetik. (Leipzig M5, Joh. Ambr. Barth.)



582

Kunstwart XIX, p
 
Annotationen