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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 31 - Nr. 40 (6. Februar - 16. Februar)
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Bevölkerung groß. Die Besatzungsbehörde beab-
sichügj jetzt, zur Bskadung der Kohlenwagen Arbei-
lerkonrmandos, die iw. Sluslande angeworben sind,
im KohlengcSiet zu verwenden. — Bisher sind 150
Beamte mit ihren Familienangehörigem zusamnren
etwa 600 Personen, ausgewftsrn worden.

Die Orierrtkrise.
Lausanne» 4. Febr. Die Ausregung über
das Scheitern der Verhandlungen ist außer-
ordentlich st a rk. Die Konferenz scheiterte aus-
schließlich an Fragen, an denen vor allem dieFra n
zosen intereisiett waren, nämlich am Ausländer
statut und in erster Linie den wirtschaftlichen
Fragen. Die französische Delegation bemüht sich
daher lebhaft, als Gr-und des Abbruchs ausschließ-
lich den Schutz der Ausländer in der Türkei darzu
stellen. Demgegenüber wies ISmet Pascha so-
fort nach Abbruch der Verhandlungen nachdrücklich
darauf hin, daß die Konferenz an den wirtschaftlichen
Fragen gescheitert sei, die eine Versklavung der Tür-
kei bezweckten.

Kurze Meldungen.
< Die deutsch« Negierung har wegen Eitzen-
tumsverlzehe« französischer Soldaten im
Ruhrgebiet Protest eingereicht.
X Der Polizeipräsident von Essen,
Melcher, i-st heute morgen von den Franzosen ver-
haftet worden.
-j- Auf ein Ultimatum Frankreichs, Eng-
lands und Italiens an Litauen, die bewaffneten
Banden aus Memel zurückzugeben, erklärte die
litauische Regierung die vorgebrachten Anklagen für
unbegründet.
O Der endgültige Vertrag tu der Frage der eng-
kisch-amerikanischen Schulden ist »wischen der anw-
rikanischen Schulden Kommission und Sir Geddes
abgeschlossen worden. Die Totalfumme der
Schulden beträgt nach Abzug der bereits gezahlten
Summe -1001128 086 Dollar. Dir Zinsen betragen
dis 1923 3 vom Hundert, von dann ab 314 vom
Hundert bei einer Amortisation von )4 v. H. tväh-
rend 62 Jahre».

Die Lage im Reich.
Reichrtagrpräfidenl Löbe über die
kommende Katastrophe.
Breslau, 5. Febr. I« BreSlau tagte gestern
rin BezirkSpartestag der mtttekschlrsischon Sozial»
demokratte, auf welcher ReichstagöprSstdent
LSvr, der gerade aus dem Ruhrgebiet kam, das
Referat über die politische Lage hielt. Reichstags-
präsident LSVe erklärte, Mitte oder Ende Februar
Würde es wohl nur wenige Deutsche geben,
dir einen Ausweg aus der Katastrophe
erhoff,««, während dir meiften sich
der Verzweiflung anheim geben
würden, nachdem die ErfüllungSpolitik durch de»
französischen Rechisbrnch über den Haufen geworden
sei. Hoffnungen auf einzelne Stimmen aus Ame-
rika oder auf aktives Eingreifen Englands
seien illusionär. Die Hoffnung auf Rußland be
deute den Wunsch nach einem aussichtslosen Krieg
im Osten und Westen Deutschlands, und die Neu-
tralen seien durch die französtfche Politik soiveit
eingefchüchtrrt, daß e« gegenwärtig wahrscheinlich
keine Instanz gebe, der sich Frankreich fügen würde.
Widerlegt sei damit di« Politik der versuchte» Er-
füllung nicht, denn
die jetzige Politik der Richt-
er f ü l l n n g
»rige leinen Ausweg. Der Eintritt der So-
zlaibemotratie in das Kabinett Cuno hätte dessen
Politik auch nickt wesentlich ändern könne«, «no
dieses Kabinett, das die Parole des Widerstandes

und der Nichterfüllung ausgegeben habe, werde es
auch sein müssen, das die Verhandlungen
führt, die diesen Konflikt nbzuschließen hätten
Nationalistischer Wahnsinn.
Ter Wahnsinn von 1914 geht wieder in deutsch-
nationalen Köpfen herum. In der letzten Nacht kam
es, wie ariderswo in letzter Zeit öfters, auch in
Frankfurt a. M. zu lebhaften Kund geb un
gen vor den Hotels, die Ententekommts-
i ionsmitgltedrr beherbergen. Um 11)4 Uhr
demonstrierten etwa 800 biS 1000 Personen vor d«m
Carlton-Hotel. Die PMzet konnte nur mit größter
Msihe ihr Eindringen in das Hotel verhindert. Die
Schutzpolizisten wurden in Erfüllung ihrer
Dienstpflicht beschimpft und mit Flaschen bom-
bardiert. Von den Demonstranten, deren größter
Teil au» Jugendlichen bestand und angetrunken
war, wurde» mehrere verhaftet. Verletzungen sind
nicht vorgekommen. Erst gegen 2 Uhr morgens ge
lang es der Polizei, die Ruh e wiederherzustellen.
Der bayerische Ausnahmezustand
aufgehoben.
München, 5. Feh,-. Wie die Korrespondenz
Hoftmann meldet, hat das Gesamt mtütfte-
rtum des Freistaates Bayern den AnSnahmc-
zustand aufgehoben.
Zuvor wurden allerdings bezeichnenderweise noch
verschiede,le sozialdemokratische Verfaurmlmrgen ver-
boten.
Beginnende Einsicht über die
Hitleret.
Der Münchener O.-Korrcfponderu der «Frank
futter Zeitung" meldet seinem Watte:
Bis in rechtsstehende Kreise ist jetzt die Erkennt-
nis gedrungen, daß die natiottalsojialistischc Bewe-
gung eine Gefahr für das deutsche Volk geworden ist.
So dring, die „MünchenAugSburger Abendzeitung*
eine Krnis Hitlers und seiner Leute aus Kreisen der
Bayrischen Mittelhart« i, die sagt, daß di«
verschiedenen Grichpen, die sich im NationalsoztaUS-
mus zmammengöschlossen Hanen, weniger durch den
positiven Gedanken der Vaterlandsliebe als
durch den negativen des Hasses gegen das Voll Ju-
da geeint würden. Diese verschiedenartigen Elemen-
te würden vielleicht bis zum Umsturz des augenVlick-
lieben Staates zusammenhalten, sich aber dann mit
Sicherheit untereinander befehden. Hitler selbst wird
als ein Mann ohne ftaarspolttifche Bil-
dung und ohne strenge Selbstzucht bezeichnet; seine
Aeußcrungen auf dem Parteitag zeigten seine Hem-
mungslosigkeit wie seinen gänzlichen Mangel au ge-
schichtlicher und politischer Bildung in erschreckender
Weise. Ter nationalen Sache habe Hitler eilten
herzlich schLechten Dienst erwiesen und den vater-
ländisch gesinnten Männern gegenüber, die ihm nicht
gefolgt feien, habe er sich — gelinde gesagt — un
vornehm benommen.
Attentatrabfichterr.
Oberbürgermeister Gew Scheid «mann der»
öffentlich,, wie bereits kurz mitgeteift, folgende
Warnungen vor Attentaten, die ihm im Januar zu-
gegangen sind:
üi
Warnung von der Zentralpolizet-
stelle in .P. vom 23. Dezember 1922 LgS. Nr.
568/22.
(Zusaurmengesaßter Auszug.) Der auf dem <m-
llegenden Lichtbilds dargestellte Adolf B., geboren
am 28. Mai 1900 in Z., hat 15 bis 20 zu allen Taren
entschlossene Leute für sich verpflichtet in der Absicht
nach den Feiertagen führende Persönlichkeiten der
Sozialdemokratischen Partei, in- erster Linie den
Reichspräsidenten Ebert und den Oberbürgermei-
ster Scheidemann, evtl, auch den Oberprästden-
ten N oske, zu beseitigen.
Die Angelegenheit ist um so ernster, als U. geistig
minderwertig und daher in feinen bekannten rechts-
radikalen Bestrebungen unberechenbar ist . . .
A. hat später noch eine Karte aus München geschrie-
ben, die aus diese Angelegenheit Bezug haben kann»
Der Verbleib des B. wird hier, soweit angängig,
kontrolliert. Nach Zeitungsberichten hat er am 17.
d. M. in München alS Führer seiner Arbeitsgemein-
schaft an dem Demonstrationszuge der Nationalisti-
schen demschen Arbeiterpartei tsilgenommen.

Warnung aus D , den 16. Januar 1923.
ES sind in den letzten Tagen Nachrichten zuge-
lüngcn, die daraus schließen lassen, daß man in ge-
wissen nationalistischen Kreisen sich inmwr noch sehr
nett Ihrer Person beschäftigt, und daß es nicht als
ausgeschlossen erscheint, -atz irgendein« Tätlichkeit
gegen Sie unternommen wird. Wir halten es für
unsere Pflicht, Sie zu bitten, auf der Hut zu sein.
*
Warnung aus XX., den 18. Januar 1923.
Nach einer mir vertraulich zugegmigenen Mittei-
lung beabsichtigt ein gewisser Karl B. ein Atten -
t a t auf den Oberbürgermeister Scheidemann zu un-
ternehmen. B. befand sich bis in die letzten Tage
in München. Angeblich soll er Samstag früh in
Kassel «iniresssn und will den Anschlag Anfang
nächster Woche ausführcn, und zwar durch Erschießen
(Pistole).
B. (Karl), gebürtig ans Wismar i. M., Student,
ist etwa 1P2 Meter groß, 22 Jahre alt, hat schwarzes
Haar, frisches Gesicht und spricht urecklenburgischen
Dialekt. Er war wegen Begünstigung der Mörder
Rache naus bei deren Flucht seinerzeit in Hast. B.
soll mit Geldmitteln versehen sein
In der Begleitung des B. sollen sich angeblich
befinden: ein gewisser A. und ein gewisser F., beide
aus München. (Folgt die Personalbeschreibung die-
ser beiden.)
*
München, den 20. Jan. 1923.
Der Polizeidtrektton ist bekannt gewor-
den, daß der erst vor kurzen, in München zugereiste
und bet der Universität immatrikulierte sind. jur.
Katt B.. geboren 21. März 1901 in Wismar, hier,
Hohenzollernstraße 77/2 wohichast, di« Absicht habe,
Ende dieses Monats den Herrn Oberbürgermeister
Scheidemann in Kassel zu ermorden. Bei seiner am
IS. Januar 1923 erfolgten polizeilichen Einvernahme
gab B. zu, daß er tatsächlich ohne Einfluß dritter
Personen, di« Absicht hatte, Hern, Oberbürger-
meister Scheidemann zu ermorden. Hin-
sichtlich der Ausführung der Tat hatte rr sich angeb-
lich am IS. Januar 1923 mit den in Berkin wohn-
hafte« mW am 18. Januar 1923 in Mümhen ariwe-
lend gewesenen Oberleutnant a. D. Rotzbach vor
dessen Rückfahrt nach Berlin am Bahnhof besprochen
und ihn uni Rat befragt. Nachdem R. ihm entschie-
den «briet und erklärte, daß er jeden, der henie eine
solche Tat ansführen werde, selbst erschießen werde,
habe B. unter etzreMvöttlicher Zusicherung dem R.
gegenüber seinen Plan ausgegeben. . .
Obwohl B. auch hier die feste Zusicherung abge-
geben Hai, daß er seinen Plan vollständig aufgegeben
hab«, möchte ich nicht verfehle«, von dem Vorfall
Kenntnis zu geben. Er wähn, sei noch, vast nach den
eigenen Angabe» des B. gegen ihn zurzeit ein Ver-
fahren wegen Begünstigung der RaiheuauMörder
beim Landgericht Schwerin anhängig sei.

Republik Baden.
Landbrrndkrise.
SS ist nicht das erstemal, daß der Landümid von
inneren Krisen geschlittert wird. Seine Bemühungen,
die Landwirte so ziemlich unauffällig kn das
Lager der Rechtsparteien zu bugsieren, haben
nicht immer den von ihm gewünschten Erfolg. Al
lerdings muß mau nach der unten wiederg-gebenen
Meldung der rechtsradikalen »Süddeutschen
Zeitung* annthmen, daß im Landbund erneut
Streber* verruchten, ihr« politischen Son-
derwünsche mit Hilfe des LandbmrdeS zu be-
friedigen. Das genannte Blatt schreibt:
»Der geßhästsstihrende Vorstand des Badischen
LandbunvcS erläßt ein Rundschreiben an die Be-
zirks- mW Ortsgruppe,^Vottitzenden des Gaues
Freiburg und der Bezirke Müllheim und Bonn-
dorf, in den, er darauf Hinweis!, daß schon Wit
langem der Abg. Klaiber mit dem Gedanken
umgeht, aus dem Landbund eine Partei zu
machen, während er satznngsgcmätz politisch
neutral sein müsse. Die Taktik, die hierbei
befolgt werde, sei die, daß man zuerst aus eine
satzungswidrige Sclbständigmachung des „Gaues
Oberbaden" ytnarbcite, um aus dieser Grundlage
auch in politischer Hinsicht unabhängig von der
Landesorganisarion dir eigenen Wege gtt-cn
«u können. Das Rundschreiben verweist daun auf

die Freiburger Beschlüsse vom 7. lJanuar und wei
nach, das; sie von falschen Voraussetzungen auSM
ytn. Es sichtt den Beschluß des gcschäftSsühren
den Vorstandes vom 8. Januar an, der lautet
Bezüglich der Organisatwnsform des Badisch«»
Landbundes bleibt der bisherige Zustand dei
Zcutrasisasion aufrecht erhalten. Ma» kann cä
dem Vorstand des Landbundes nachfühlen, da-
rr an dem Rbg. Klaiber keine gemischte Freuoc
hat, und man kann ihn nur beglückwünschen, da-
rr reinen Tisch gemacht mW der drohenden Zett
fdUtterung vorgebeugt hm -Herr Klaiber hat
eine ganz eigentümliche Taktik bet seiner Agita-
tion. In katholischen Gegenden verdächtigt
rr feine Gegner als deutschnattona! und rechts-
radikal, in mehr evangelischen denunziert er
den Direktor des Landbundes, Herrn Füller,
als Katholik, der mit der» Zentrnmsführer Dk,
Schoser unter einer Decke stecke.*
Dem Herrn Klaiber wird dann noch vorgeworfen,
daß er eine eigene Bauernpartei gründe»
möchte, an deren Spitze er zu konrmen hofft.

Volkswirtschaft.
Schwierigkeiten der deutschen Ausfuhr uns Rohstoff'
brschasfung.
Man kann sich feln sct'wcr vorstellen, wie die
deutsche Industrie ohne RuhrkoYle ihr Lebe«
fristen kamt. Bezieht dock die deutsche Schwerindu-
strie ihren gesamten Koksbcdars und 60 Prozent
ihres Kohletwedarfs von der Ruhr. Auch ein Teil
der Industrie, welche sich früher obrrtchwsischer Kohle
bediente, bat sich in letzter Zeil aus Ruhrkohr« um-
gestellt, seildem die oberschlrstschen Bergwerke pol-
nisch geworden find. Ohne Ruhrkohlen könu«n z. B
die großen Elektrizitätswerke, wie das Rheinisch-
Westfälische Elektrizitätswerk, die «SG. »kW., ihr,»
Betrieb nicht weiter führen.
Diese Tatsachen springen um so mehr ins Auge,
da diese und auch di« anderen deuttchen Industrie
zweige bereits vor der Puhchesetzung große
Schwierigkeiten tm Export und m der Roh
stosfbeschasfung hatten. Laut einer neuen Dar
stellung des englischen »Manchester Gurdtan* kau»
vie bursche Eisenindustrie gegen die belgisch«
und insbesondere französische Industrie, welch letzte
re durch Unterstützung (Prämien) und billige R«-
parmionskohle gefördert wird, nicht mehr aufkorw
men. Die Walliser Weißbkechindnstrie -al
die an Deutschland verloren«» ^-amerikanischen, »st-
asiatischen und kanadischen Märkte bereits zwrücker-
ober!. In der M asch in« nt ndu st ri e Haven dl«
deutschen Preise die Weltmarktpreise überschritte»,
weswegen, denk »Manchester Gurdian* znsslg«, dies«
Industrie ans größere Bestellungen des Auslandes
nicht mehr rechnen kann. Ebensowenig die Lokoma
livenvauindustric, welche besonders der Bestellung
sder portugiesischen Eisenbahnen viel« Arbeiter ent-
lassen mußt,. Polen hat seine Bestellungen für Lo-
komotive« an Amerika und Belgien vertritt. Rur
die Schiffsbau- und die mit Sach liefe"
rungcn auf ReparatiouSwnr» beschäftigte Indu-
strie war in der letzten Zeit lebhaft. Die Berkei-
dungSindustrie, Wokkspinnerei, sogar
die L e inrnindustri e, wekchc di« Hälfte deS
Rohstoffes vom Inland bezieht, mutzten Kurz-
arbeit einsühren. Die Lage der banmwoll arbei-
tenden Textilindustrie ist insbesondere durch
die Schwierigkeiten d-r Roystofsbeschaffmrg erschwert,
was wieder in der Kredirknapphett und der Getdenl-
werlung einerseits und der Knappheit der Wekrbam»
Wollvorräte anvererfetts seinen Grund hat. Die
Textilindustrie für Fertigfabrikate verrichtete
irr dcr Hauptsache Lohnarbeit fürs Ausland mW ar-
beitete kaum für eigene Rechnung. Dies« Industrie
ist tu Elsaß-Lothringen stark enNv-ickelt, und
da ihr« Produkte laut Friedensvertrag frei nackt
Deutschland eingefühtt werden können, bedeuten st«
eine starke Konknrrenz. Wie der „Manchester
Guardian* feststellt, zählt bereits auch diese deutsch«
Industrie nicht mehr mit im Wettbewerb auf deck
Weltmarkt. Durch den jüngst erfolgten Mark stur»
können sich freilich die geschilderten Zustande für ein«
Weile verschieben, aber nur vis zu dem Zeit-
punkt, in welchem sich die Anpassung der Preise a»
den veränderten Stand der Valuta vollzieht, was an-
gesichts des Kohlenmangels in kürzester Zelt erfolge»
muß.

Die Waffen nieder!
Eins Lebensgeschühie von Bertha v. Suttner.
(15. Fortsetzung.)
„Allerdings," nickte der Minister — (wenn Mi-
nister As. „allerdings" sagte, so war das ein Zeichen,
daß er sich zu einer längeren Rede den Anlaus
nahm), „die Sache klingt etwas komisch; doch kann
dieselbe nicbt als Scher; ausgesaßt werden. Es ist
eine nicht ohne Talent und mit dem Apparat fleißig
gesammclter Tatsachen aufgestellte wissenschaftliche
Theorie, welche allerdings von den Männern vom
Fach schon genügend widerleg« worden, welche aber,
Wie alle abenteuerlichen Ideen so abgeschmackt
dieselben auch seien einen gewissen Effekt hervor-
gebracht hat und ihre Verteidiger findet. Neber
Darwin zu disputieren, ist Mode geworden. Es
wird nicht lange dauern, so kann man das Wort
„Darwinismus" erfinden — allerdings wird dann
die so benannte Theorie selber schon aufgehört
haben, ernst genommen zu werden. Es ist ein Feh-
ler, daß die Leute in Bekämpfung dieses englischen
Sonderlings sich so erhitzen; dadurw wird seiner
Lehre eine Wichtigkeit beigelegt, die -!>r nickt zu-
kommt. Namentlich ist es die Geistlichkeit, welche
sich gegen die allerdings herabwürdtgcude Zumutung
zur Wehr setzt, daß dcr nach dem Ebenbild, Gottes
geschaffene Mensch jetzt Plötzlich aus dem Tierreich
entstammend gedacht werden soll, eine vom religiösen
Standpunkt aus allerdings höchst anstößige An-
nahme. Jedoch ist bekanntermaßen die kirchliche
Verdammung einer unter dem Gewand der Wissen-
schaftlichkeit auftreten-e Lehre, nicht imstande, der
Verbreitung derselben Einhalt zu tun. Dieselbe
wird erst dann unschädlich, wenn sie von den Ver-
tretern der Wissenschaft ack absurdum geführt wor-
den ist, was gegenüber der Darwinischen aller-
dings
„Aber der Unsinn!" unterbrach mein Vater, wel-
cher f mochte daß noch eine lange Kette von
»«llerbt ferne 'ig„>. Gäste ermüden tonnte,
der Unsinn: „von Affen der Mensch! Da genügt

doch wohl der sogenannte gesunde Menschvetstand,
um solche tolle Einfälle abzuweisen da braucht
mau doch nicht erst gelehrte Widerlegungen" . . .
„Nun, sttr gar so apodiktisch sicher möchte ick
diese Widerlegungen doch nicht halten," irahm nun
der Doktor das Wort. „Es haben fick' zwar Aweifel
erhoben, aber die Theorie hat doch manches Wahr-
scheinliche für sich uilid es wird noch eine Zeit brau-
chen, bis die Gelehrten einig werden."
„Ich glaub' die Herren werden nie einig," be-
merkte der General zn meiner Linken, welcher in
barschem Ton und ün Wiener Dialekt zu sprechen
pflegte, „die leben ja vom Disputieren. Ich hab'
von der Asfeng'schicht auch schon was g'hört. War
mir aber zu dumm, rmr aufzupassen. Wenn nran
sich immer mu alles Geschwätz kümmern sollt', mit
dein uns dw Sterngucker und GraSpfkücker und
Froschhaxel-Untersucher ei» X für ein U vormachen
wollen - da müßt einem ja Hören nud Sehen ver-
gehen. ttebrigcnS habe ich neulich in einer illustrier-
ten Zeitung dem Darwin fein G'sickt «'sehen und das
ist selber so afwnmäßig, daß ich fast glauben möcht,
sein Großvater is ä ScAmpans g'wcseir."
Diesen« letzten, den Sprecher sehr bofnedigeuden
Witz ließ derselbe ein schallendes Gelächter folgen,
in welches in,in Vater aus haushertticher Zuvor-
kommenheit cinstimmte.
„Gelächter ist allerdings auch eine Waffe," sprach
der Minister ernst, — „beweist aber nichts. Dem
Darwinismus — ich benütze schon das neue Wort
— kann inan doch auch ernsthafte, aus Wissenschaft,
sicher Basis ruhende Argumente siegreich entgegen-
stellen. Wenn man gegen einen Schriftsteller ohne
Autorität, Namen wie Linnä, Crrvier, Agassi;, Qua
lrefages anführen kann, so muß dessen System zu-
sammenstürzcn. Andererseits läßt sich allerdings
nicht leugnen, daß zwischen Mensch und Affe eine
große Stammesähnkrchkeit bestehl uns daß —"
„Trotz dieser Wohnlichkeit ist die Kluft doch «ine
meilenweite," unterbrach der sanfte General. „Läßt
l-ch ein Affe denken, der den Telegraphen erfinden
könnte? Die Sprache allein erhebt den Menschen so
weit über Vas Tier

taucht, mn sich herum im Chor Vorbringen hört,
muß man in diese neue Idee auch selber eingednin
gen sein. Gewöhnlich sind es die schlechtesten und
seichtesten Gründe, die mit solcher Einstimmigkeit
von den Masten wiederholt werden — und am
diese hin fäll: mir nicht ein, ein Urteil zu stützen. Als
die Lehre des Kopornikus austauchte, konnten nm
diejenigen, die sich der Mühe unterzogen, die koper-
nikanischen Berechnungen nachzurechnenc einseyc»,
daß dieselben ttcvtig waren; die anderen, di« ihr
jlirtcil nach den Bannslttchen richteten, welche vo»
(Nom ans gegen das nene System geschleudert W»r-

„Entschuldigen Sie, Excellsnz," sagte Doktor
Bresser, Sprache und technische Erfindungen waren
dein Menschen nicht ursprünglich angeboren — ein
Wilder wird auch heute keinen Telegraphenapparat
konstruieren; das alles sind Früchte langsamer Ver-
vollkommnung und Entwicklung —*
„Ja, ja; lieber Doktor," versetzte der General,
„ich weiß: Entwicklung ist das Schlagwort der
neuen Theorie — aber aus einem Känguruh ent-
wickelt sich kein Kameel . . . und warum steht man
heutzutage keinen Assen Mensch werden?"
Jetzt wandle ich mich an Baron Tilling:
„Und was sagen Sie? Haben Sie von Darwin den —*
gehört und zählen Sie sich zu seinen Anhängern oder „In unserem Jahrhundert werden, wie ich schon
— Gegnern?" j früher bemerkte," unterbrach der Minister, »WM»-
„Gehört habe ich über diesen Gegenstand sckwn ßdastliche Hypothesen, wenn sie irttg sind, nicht meb»
- 'vom Standpunkte der Orthodoxie, sondern vv»

vom Standpunkte der Orthodoxie,
demjenigen der Wissenschaft Lbgesettigt."
„Nicht nur wenn sie irrig sind," versetzte Tilliust-
„auch wenn sie sich später bewahrheiten sollen, wett
den neue Hypothesen anfänglich immer von einet
Zopfpckttei unter den Gelehrten bestücktem Die!«
läßt auch heute nicht gern an ihren althergebrachte"
Anschauungen un- Dogmen rütteln; gerade so w>«
damals nicht nur die Kirchenväter, sondern ebcnw
die Astronomen gegen Kopernikus geeifert." .
„Wollen's damit behaupten," siel der barsche Ge-
neral ein, „daß dem verrückten Engländer seine A>tt
fenidee so richtig ist, wie daß di« Erd' um die So»»

vieles, Gräfin; aber ich kann kein Urteil abgeben;
dem» das in Frage stehende Werk habe ich nicht gele-
sen."
„Ich muß gestehen," sagte der Doktor, „ich auch
nicht.'
„Gelesen habe ich es allerdings auch nicht,"
gestand der Minister.
„Ich auch nicht* — „ich auch nicht — „ich auch
nicht" — kam es nun von den anderen.
„Aber," suhr der Minister fort, „das Thema wird
so vielfach besprochen, die Schlagwörter des Systems
sind in aller Mund; „Kampf ums Dasein" — „na>
rürltche Zuchtwahl," — „Evolution" und so weiter,

daß man sich doch einen klaren Begriff vom Ganzen
macken kann und sich resolut auf die Seite der An-
hänger oder der Gegner stellen, zu welch erster Kate-
gorie allerdings nur umsturzliebende und effekt-
haschende Heißsporne gehören, während die kalt-
blütigen. nach positiven Beweisen verlangenden,
streng kritischen Leute unmöglich einen anderen, als
den von so bedeutenden Fachgelehrten geteilten
Standpunkt der Gegnerschaft einnehmen- können; ein
Standpunkt, der allerdings —"
„Nicht mit Sicherheit zu behaupten ist, wenn matt
denjenigen der Anhängerschaft nickt kennt," ergänzte

hcrumlauft?"
„Ich will gar nichts behaupten, wett ich, wie S«"
sagt, das Buch nicht kenne. Doch nehme ich mir VA
dasselbe zu lesen; vielleicht — «Ser auch nur
leicht: denn meine einschlagenden Kenntnisse
nur gering — werd« ich mir dann- ein Urteil btt«
können. Bis dahin muß ich mich daraus beschränk^'
meine Meinung auf den Umstand zu stützen, S»"-»
Theorie ans verbreiteten und leidensckastsicheu -
Versprach stößt, ein Umstand, welcher mir allerd»'»
eher für als gegen deren Ricktigkcit zeugt."
„Du tapferer, gerader, Heller Geist," apsi-r

Tilling. „UN! zu wissen, was die Gegenargumente i phierte ich in Gedanken den Sprecher.
Wert sind, welche mau, so oft eine neue Idee auf- (Fortsetzung folgt.)

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