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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 101 - Nr. 110 (2. Mai - 14. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48727#0015
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6. Jahrgang

Heidelberg, Freitag, den 4. Mai 1923

Nr. 103

N MW Mk klMWlöS

wir

wesentliche konservative Presse einschließlich
i der „Times" verwirft Form und Inhalt der
Note aufs schärfste. Ein weiteres Symptom ist,
daß die Mitglieder der industriellen Grup -
' Pe des Parlaments, welche auf deutsch« Etn-
- ladung zwecks Aussprache Uber die Repara-
ttonsfrage gestern nach Berlin fahren sollten, mit
Rücksicht aus den neuesten Stand a b s a g t e n. Nach
Ansicht beachtlicher Kreise beweise die Berliner Note,
daß mich die deutsche Regierung noch auf einem zu
i hohen Roß sitzt. Viele gehen soweit, daß, wenn eine
Demütigung nötig sei, sie in erster Reihe
- Deutschland zuzumuten sei. Schon deshalb sei der
einleitende Teil der deutschen Note verfehlt.
Der „Daily Telegraph" kommentiert das
deutsche Angebot wie folgt: Ms wir den Text der
deutschen Note gelesen hatten, fragten wir uns zu-
nächst, welchen Zweck seine Urheber verfolgten,
als sie uns dieses Dokument überreichten. Wir wa-
ren indessen unfähig, dies zu erraten. Wir nehmen
aber an, daß bei den geistigen Urhebern dieser Note
ein Mißverständnis Wer die Haltung der
öffentlichen Meinung in den alliierten Ländern vor-
handen war. In England hat niemand daran ge-
dacht, der deutschen Note von vornherein mit Ver-
dächtigungen zu begegnen, da man weiß, daß
Deutschland eine Regelung der Reparationsfrage
dringend nötig hat. In England hoffte man, daß
das neue Angebot der deutschen Regierung diese
Lösung erleichtern würde und inan war ge-
neigt, die Note nacy ihrem Verdienst hin zu prüfen.
Was kann man aber von ei nein Dokument sagen,
das gestern nachmittag im Quai d'Orsey überreicht
wurde. Es bedeutet keinerlei Frieden und
wird sogar vom moralischen Standpunkt aus eine
schon heikle Lage noch verschlimmer n.
London, 3. Mai. Reuter meldet: Zustän-
dige britische Kreise sind nicht geneigt, sich über das
neueste deutsche Angebot zu äußern. Es liegen
keine Anzeichen dafür vor, ob Großbritannien
das Angebot als vernünftige Grundlage für eine
Erörterung ansehe oder nicht. Die britische Regie-
rung werde sich nach sorgfältiger Erwägung der
Note mit der sr an z ö s i s ch e n, b e l gi s che n und
italienischen Regierung in Verbin-
dung setzen, um deren Auffassung festzustellen,
selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß
Frankreich nicht sofort eine Erklärung abgibt.
Bonar Law hat auf dem holländischen Damp-
fer „Prinzeß Juliana" seine Erholungsreise
angetreten. Er wird am 9. Mai in Genua eintref-
fen und imch kurzem Aufenthalt in dieser Stadt die
Reise nach Algier sortsetzen, wo er wahrscheinlich
auch an Land gehen wird. Es heißt, daß er in der
Pfingstwoche wieder in London eintreffen und an
der Wiedereröffnung des Parlaments teilnehmen
werde.
Italien unentschieden.
R o m, 3. Mai. Von der Morgenpresse kommen-
tiert nur „Giornale di Roma" die deutsche
Note. Es findet die Hauptschwicrigkcit in dec deut-
schen Forderung b a ld m ö gl ich st e r Räumung
»es Ruhrgebiets und dem diametral entgcgeugeietz-
ten französischen Standpunkt. Im übrigen findet
das Blatt die angebotene Kapitalböhe und den Mo-
dus der Zinsverrechnung nicht befriedigend,
wogegen die angebotenen Garantien u. das Schied-
gerichtsversahren, welches die französische Sicherheit
verbürgt, als annehmbar gellen. Diese Ausführurv-
gen spiegeln wider, was die offiziösen Kreise auf
Grund einer ersten Prtifung der Note denken.
Die Auffassung der Neutralen.
Zürich, 3. Mai. Zu dem deutschen Angebot
schreibt die „N e u e Z ü r ch er Z e t tu n g": Man
wird ohne weiteres zugeben, daß als Ergebnis der
Beratungen nun eine eingehende, ziemlich klar
formulierte Note vorliegt. Man wird aber
auch seststellen müssen, daß die Note keine Vor-
schläge oder Gedanken enthält, die nicht ihre end-
gültige Fassung mich in viel kürzerer Zeit
hätte finden können.
NewYork, 3. Mai. Der Eindruck der deutschen
Note in der Presse ist nicht ungünstig. Die
„Eve,ring Post" und die frankobtle „Times" erklä-
ren, die Note stelle eine ausreichende Basis für
weitere Verhandlungen dar.
Stockhol m, 3. Mai. Die deutsche Note wird
in Schweden durchweg günstig beurteilt und
als .ine geeignete Grundlage für Verhandlungen
bezeichnet. Die gesamte bürgerliche Presse ist sich in
diesem Urteil völlig einig, aber ebenso pessimistisch
bezüglich der Aussichten.
Ein rheinischer Aufruf.
Köln, 3. Mai. Die Parteien, Gewerkschaften,
Wirtschaftsorganisationen und Vereine des Rhein-
lands erlassen einen Aufruf, worin sie erklären, mag
der feindliche Druck noch so stark werden, so werden
wir doch in der Treue zum deutschen Volk nicht
Wanken. Niemals lassen wir fremde Macht über
Recht und Verfassung unserer Rheinlands entschei-
den. Wir wissen, daß die ganze deutsche Nation ein-
stimmig hinter uns steht

Der große Patriot.
Von Jakob Altmaier.
Der Dollar ist immer höher
emporgeschnellt, die Preise für die wich-
tigsten Lebensmittel folgten ihm auf!
dem Fuße. Die neue Markentwertung
ist in der Hauptsache auf die Manipu-
lation eines großen Industrieunterneh-
mens zurückzuführen, an dessen Spitze
Herr Sttnnes steht.
Vor Monaten sang in einem Berliner Kabarett
öin Humorist ein Lied aus Stinnes, das bei jedem
Vers mit dem Refrain schloß: „Hugo, wo haste wie-
der deine Finger drin?" Wir wissen, daß sie der
glänzende und gerissene Geschäftsmann überall
drin hat, in den Bergwerken, Fabriken, Schisfahrts-
llesellschasten, Werften und Wäldern, in der Börse,
in den Maklerstuben und auf allen Märkten des
F>r- und Auslandes. Zu seinem eigenen Nutz und
Frommen und zum Schaden des deutschen Landes
und Volkes hat aber auch Herr Hugo Stinnes seine
Finger dort, wo er sie zu allerletzt drin haben dürste:
in den Tclegraphenbureaus, in den Zeitungen, in
den Parlamenten — in der Politik. Stinnes,
Stinnes über allesi Wo solches klingt, kann kein
Deutschland gedeihen.
In einer von dem „Assyrerkönig" noch nicht ge-
kauften Zeitschrift, im „Tagebuch", gräbt zur rechten
Zeit der Großindustrielle und frühere Adjutant des
Kronprinzen, Arnold Rechberg, Erinnerungen
"ns dem Weltkriege aus. Sie verdienen ans gr.lle
Tageslicht gezogen zu werden, um als Waffe zu
dielten in dem Kampf zwischen Staat und Wirt-
schaft, der nach dem Ruhrkrieg zur Entscheidung
gebracht werden m u ß. Es sind keine Enthüllungen,
dis Rechberg gibt. Jetzt aber, wo wieder Dolchstoß-
legenden fällig sind, muß sich das Volk dreimal an
das unheilvolle Wirten derer erinnern, die im Kriege
»Vaterland" schrien und den Geldbeutel meinten, u.
denen am Friedcnsvcrtrag von Versailles nur die
eine Tatsache nicht gefällt: daß er von Foch und
licht von Ludendorff diktiert worden ist.
Rechberg erinnert an die Worte des verstorbene»
Generalfeldmarschalls Haeseler, der schon nach
dem Verlust der Marne-Schlacht iw. Septcnrber 3914
de» militärischen Sieg Deutschlands als aussichts-
los, den Verständigungsfrteden aber als einzigen
Gewinn bezeichnet batte. „Damals streckten deutsch«
Schwerindustriellc ihre Hand nach Belgien und nach
den Erzgebieten Nordfrankreichs aus. Ihr politi-
scher Führer wurde mehr und mehr Hugo Stinnes."
Diese Annexionsabstchten wären aber nur durch den
völligen Sieg über Frankreich und England zu er-
reichen gewesen, und es mußte sich bald ein Abgrund
auftun zwischen der verständigungsucheuden Politik
Dethtnann-Hollwegs und Herrn Stinnes. Selbst-
verständlich brauchte die Schwerindustrie für ihre
Annexionspläne Hilfe. Sic fand sie zunächst in dem
Eh«f der Propagandaabteilung des Großen Haupt-
guartiers, dem Ober st en Bauer. Einflußreiche
Zeitungen und Abgeordnete stellten sich ein, Hinden-
burg und Ludendorfs wurden gewonnen, die Wühl-
arbctt gegen den Reichskanzler begann.
Am IS. Juli 1915 schreibt Stinnes einen Brief
au die Verantwortlichen Stellen und verlangt die
Freigabe der Erörterung der Kriegs-
Siele. Dazu bemerkt Rechberg, daß durch die Frei-
gabe der Erörterung der Kriegsziele die Propagie-
rung von Aunexionsplänen möglich, die Einigkeit
des Volkes gesprengt und den Gegnern Deutsch-
lands eine furchtbare Waffe in die Hand gegeben
lvurde. Die Gegenströmung aber, so möchten wir
hier einschalten, war schwach, da sie durch die Zcn-
surftellen mit allen Mitteln unterdrückt wurde.
Stinnes aber, der uneigennützige Patriot, sagt in
keinem Brief: „Selbst der einfachste Mann ist ent-
rüstet, wenn man auch mir iin entferntesten andeutet,
daß etwa Belgien wieder herausgegeben werden
könne.
Hier wird Reckisbergs Artikel, der Hindenburg
>»rd Ludendorsf entschuldigen will, sie hätten sich
nicht um Politik kümmern und den Schwerindu-
striellen glauben müssen, zu einer furchtbaren An-
klage gegen seine Schützlinge: zwar habe der Gene-
ral Hoffmann schon frühzeitig geäußert, wenn
rs nicht gelänge, bis zum Frühjahr 1918 den Frie-
den zu erreichen, Deutschland dem Zusammenbruch
verfallen wäre. „Hindenburg aber kannte das Aus-
land und seine Kraftwerken wenig", entschuldigte
Rechberg. „Die Jnponderabilien der Weltpolitik
waren niemals in den Kreis der Aufgaben getreten,
welche die militärische Vergangenheit dem Feld-
herrn gestellt hatte."
Wenn auch Rechberg die Oberste Heeresleitung
hieutals reinwascheu wird, denn was sie nicht wußte,
dätte sie wissen müssen, wenn sie eine Oberste Hee-
ttslcitung sein wollte, so wuchtet doppelt und
dreifach das Gewicht, das Rechberg Herrn Stinnes
wl die Beine häugl: „Je mehr der Einfluß von
H»go Stinnes in der Obersten Heeresleitung wuchs,
wn so mehr wurde er schon damals der Mann,
ldelchcr tatsächlich die Geschicke des
deutschen Volkes bestimmte, und zwar
wesentlich nach Ab sichten »industrieller Expansionen".
Tast aber der uneigennützige Patriot Stinnes allein
lchon aus der Besetzung Belgiens ein glänzen-
des Geschäft zu machen wußte, wie seine Unterneh-

* Heidelberg, 4. Mai.
Was zu erwarten war, ist eiugetroffen. Die nichts
weniger als geschickte deutsche Note hat ihre Wirkung
völlig verfehlt. Auch in den uns nicht unfreundlich
gesinnten Ländern. Und Frankreich gar, auf das
es ankommt, glaubt angesichts dieser Konstellation
sie ohne viel Ueberlegen glatt ablehne« zu können.
Wir sind also, wenn auch die definitive Erledigung
noch einige Zeit beanspruchen wird, wieder genau
so weitwte bisher: Deutschland wird weiter
passiven Widerstand leisten, Frankreich wird weiter
Brutalitäten ausüben und das deutsche Volk findet
bei sinkender Mark Zeit zur Ueberlegung,
welcher Wandel sich seit den Genuatagen Wirth- Ra-
thenaus bis zur Wounezeit Cuno-BeckerS vollzogen
hat.
Die Antwort unterwegs.
Paris, 4. Mat. Laut Havas wird die franzö-
sische Regierung heute Morgen den Text ihrer Ant-
wort in England und Rom Mitteilen lassen. Die
Note an die deutsche Regierung werde Freitag
abend, wahrscheinlich SamStag vormittag
überreicht.
Die französische Ablehnung.
Parts, 3. Mat. Ueber den heutigen Minister-
rat wird folgendes offizielle Communt-
gue ausgegeben:
Die Minister sind heute vormittag unter dem
Borsitz des Präsidenten Mill er and zusammen-
getreten. Der Ministerpräsident hat das Schreibe«
zur Kenntnis gebracht, das er vom deutschen Ge-
schäftsträger erhalten hat. Der Ministerrat war
einmütig der Ansicht, daß die Vorschläge alS
unannehmbar zu betrachten seien, und zwar
sowohl wegen der gestellten Bedingungen uud
des Mangels an Garantien als wegen der U ns
zu länglich leit der gebotenen Ziffern.
Der Ministerpräsident wird sich mit der belgi -
schen Regierung über die Absendung der Antwort
an die deutsche Regierung und deren Mitteilung an
sämtliche Alliierten verständigen.
»Erstaunlich ungeschickt".
P a c i s, 3. Mai. Der gut unterrichtete Pariser
L. Sl.- Vertreter der „Franks. Ztg." telegraphiert
feinem Blatt:
In dem größten Teil der hiesigen Blätter wird
die glatte Zurückweisung der deutschen
Vorschläge in einer in den kürzesten Ausdrücken ge-
haltenen Note befürwortet.
Die Kommentare der heutigen Morgenpresse b e-
stättgen in allen Punkten den bereits mitgereisten
ersten Eindruck. Die Mütter fast a l l er P a r! e i -
richtungen stellen an die Spitze ihrer Betrach-
tungen die Feststellung, daß die deutsche Regierung
wieder einmal erstaunlich ungeschickt os e -
riert habe. So schreibt die „Oeuvr e", die Deut-
schen hätten ihre Vorschläge in der denkbar unge-
schicktesten Form gemacht und sie damit um jede Wir-
kung gebracht. Der „M a 1 i n" meint, die Note, die
in deutscher Sprache überreicht worden sei, sei deutsch
in jeder Hinsicht. Sie verrate eine geradezu un-
glaubliche Verkennung der Situation, sondern vor
allem auch der Psyche anderer Völker. Und leibst
das hhpenrattonalistische „Echo de Paris" rst
erstaunt, über das Ungeschickte in der Abfassung der
Note, die es nicht verstanden habe, mit ihren positi-
ven Vorschlägen den mindesten Eindruck zu machen.
Die sachliche Beurteilung der deutschen
Vorschläge in der Regierung nahestehenden Blättern
ist absolut negativ.
Mangel an Psychologie.
Brüssel, 3. Mat. Die deutsche Note wird heute
morgen im belgischen Ministerrat geprüft
werden, der sich bereits am Mittwoch abend mit
der französischen Regierung über den Inhalt der
Nöte und deren Beantwortung in Verbindung gesetzt
hat.
Der „Soir" schreibt zu der deutschen Note: Von i
den angebotenen 3» Milliarden Goldmark bekäme
Belgien aus Grund des gegenwärtigen Vertrages
ungefähr 2^ Milliarden, d. h. w i r b e käm en fast <
nichts. Dies besagt, -aß nicht die Rede da- l
von sein kann, einen solchen Vorschlag anzuneh- '
men. Die Deutschen haben wieder einmal einen '
Beweis ihres völligen Mangels an Psy-
chologie abgelegt, indem sie sich vorstellten,
könnten ein derartiges Projekt unterzeichnen.
England enttäuscht.
London, 3. Mai. Die erste Wirkung der deut-
schen Note ist vorliegender Meldungen zufolge
höch st ungünstig. Vereinzelt finden sich in li-
beralen Blättern etwas erläuternde Kommentare,
doch sind auch diese natürlich überzeugt, daß Paris
ablehnt. Die für die künftige Haltung der Regierung

mungen beim Betrieb und Ankauf belgischer Objekt«
begünstigt wurden, darüber Weitz auch Rechberg
deutlich zu reden.
1917. „Ein Verhandlungsfriede schien möglich."
Kaiser und Kronprinz waren nach Rechberg bereit,
sogar Teile von Elsaß-Lolbringen preiszugeben.
Der päpstliche Abgesandte kam nach Berlin, um
Fühler auszustrecken. Die Kardinalsrage wac Bel-
gien. Bethmann-Hollweg war bereit. „Dem deut-
scher» Volke eröffnete sich eine glänzende Zukunft."
Verständigung — und seine Wertmachtstellung wäre
nach menschlichem Ermessen alle Zeit gesichert ge-
wesen! Der Kampf gegen Bethmarm-Hollweg setzte
mit erneutem Nachdruck im selben Augenblick ein,
als die Friedensgerüchte auflauchten. Es begann
die Hetze gegen Erzberger, den Vater der
Friedensresolution der damaligen Neichstagsmehr-
heit, für den Rechberg menschlich eine warme Lanze
bricht, den er alS einen vom besten Willen beseelten,
selbstlosen Patrioten schildert. Steigende Agitation
gegen Erzberger, Wühlarbeit gegen den General
Hofsmann, der zu Beginn des Jahres 1918 zur
Strecke gebracht wird. Die Vaterlandspartei und
ihre bekannte Annextonspropaganda war entfesselt.
„Vaterlandsverräter, Scheidemannfrieden, Schmach-
frieden! schallte es von Konstanz bis Königsberg."
Und Rechberg schließt: „In der Vaterlandspartet
saßen deutsche Männer und Offiziere, an deren Va-
terlandsliebe kein Zweifel erlaubt ist, alle — oüue
es zu ahnen — damit beschäftigt, die Grundvesten
des deutschen Kaiserreiches zu untergraben und die
Zertrümmerung des deutschen Heeres vorzubereiten
So geschah, was geschehen mußte. Es kam die
Niederlage, die Revolution, der Zusammenbruch und
das Diktat von Versailles".
So Arnold Rechberg. Was er gibt, istnurein
Ausschnitt der Kriegspolitik Deutschlands rin-
der Ursachen des Zusammenbruches. Ein Verhält-
nis Stinnes — Oberste Heeresleitung ist nur in
einem Obrigkeitsstaat Wilhelm I!. möglich gewest«,
in dem Generäle und Vrositgierige Kapitalisten
alles, die große Masse des Volkes nichts zu
sagen, desto mehr aber zu bluten hatte. Zu Ehren
des Geldbeutels des Herrn Stinnes konnten hun-
derttausende blühender Menschenleben geopfert wer-
den, und Kulis fanden sich schon während des Krie-
ges genug, die dem Volke durch geeignete Prosm-
ganda und Reklame die Atlgen zuschmierten.
Ist es heute anders? Stinnes hat durch den
Zusammenbruch keinen Schaden genommen. Er ist
beute fünfzigmal so stark geworden als er 1917 war.
Seine Wirtschaftsdiktatur, seine Beein-
flussung der öffentlichen Meinung, seine Macht
gegenüber den Verantwortlichen Staatsmännern ist
keine geringere Gefahr für die Existenz Deutschlands
als im Kriege. Er und seine Schwerindustriellcn
organisieren und bezahlen die Presse, die Hitler-
Banden und alle anderen Schutzgarden des Kapi-
tals, dem die Republik und die Arbeiterbewegung
hinderlich sind. Dieses von Stinnes geführte Kapital
ist es, das die Erfttllnngspolitik des Staates nach
außen und nach innen sabotiert hat. Geldentwer-
tung, Steuer- und Lohnschinderet sind die Eckpfeiler
dieser Nacbkvicgspolitik der Verderber Deutschlands.
Wenn es auch nicht das letzte Spiel verlieren und
leben will, dann nur im Kampf gegen Stinnes
und sein System, mit den arbeitenden Massen
Deutschlands. Das ist die Lehre des Krieges, die
uns Rechberg wieder bestätigt, das ist die warnende
Mahnung der vergangenen vier Jahre.

Die Lage im Reich.
Zum neuen Marksturz.
BerIin, 4. Ma«. Unser Berliner OMitarbeiier
telegraphiert uns:
Nach den Vorgängen der letzten- Wochen hat es
nicht einmal mehr Uebenaschnng Hervorrufen könne»,
daß der Dollar von etwa 3N00N, wo er sich einigt
Tage aufgehalten hat, am Donnerstag ans 40 (M
geklettert ist. Ob daran in erster Linie die Spe-
kulation oder der Bedarf der Wirtschaft für Einfuür--
zwecke die Ursache ist, bleibt ganz gleichgültig. Je-
denfalls sind Wir mitten in einer Entwicklung, die
ohne die schärfsten und radikalsten Maßnahmen nicht
nur die Wirtschaft aus das allerschwerste erschüttert
und große Teile der Bevölkerung völlig ver-
elendet, sondern auch den Widerstand an der
Ruhr schwer schädigt. Es ist kein Zweifel, daß
dieses sprunghafte Steige» der ausländischen Zah-
lungsmittel zeitlich znsammentrtsft mit der un-
günstigen Aufnahme der Note der Reichs-
regierung im In- und Auslände. Die Regie-
rung Cuno-Becker, der ein großer Teil des
Volkes mit den hoffnungsvollsten Erwartungen ent-
gcgengetreten ist, hat damit auf zwei Gebieten, und
zwar aus den entscheidensten, eine st arkeNted er-
lag e erlitten.
Wenn die Sozialdem. RetchstagSfrak-
tion sich zu dem Anträge veranlaßt gesehen hat,
einen Untersuchungsausschuß mit der
Aufhellung der Vorgang-- auf dem Geldmarkt M
 
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