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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 161 - Nr. 170 (14. Juli - 25. Juli)
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SeschSstsftunden8-WNHr. Sprecht

Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 14. Juli 1923

Nr. 161

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NN Auswärtige Ml. s-on. Reklame- Wjr MM» WWL^ Druck u. Verlag der Unterdadischcu
Nieilien <74mw brcit)Mk.1UM,fiir M «MMM WLM WM WMW» DWW^ SMM WM Aerlagsanstalr E.M.H.H., Heidel-
auswärtige Mk.l-lXlV. Bei Wieder- V MM MÄM M TM M-ÄiM MM MiM WWMMKF 8eLS berg. Geschäftsstelle: Schröderstr.z».
uolungen Nachlaß nach Tarif. RM WM WjM U tWk WM WIK WZd WM, WM WM WM Tel.: Expedition LS73u.Redak.SS7L
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Druck u. Verlag der Unterbadischen

berg. Geschäftsstelle: Schröderstr.SS.
Tel.: Expedition SS73 u. Redak.SS7L

Tatsachen.
xr. Heidelberg, 14. Juli.
Das vo>l „ehrsamen Kaufleuten" und „erfahr«-
le>t Generaldirektoren" geleitete Deutsche Reich ver-
,il seiner Leistung wenig von der „Sorgfalt des
^btlamen Kaufmanns". Sonst müßte Herr Cuno
"«ch Einsicht in die Bilanz der jetzt sechs--
Monatlichen Ruhrbefetzung Konkurs an-
lagen. Zusammenbruch innen und Zusanv-
lNenbruch außen, Rettungsanker weitab, so lautet
ntrwahr das Ergebnis. Die englischen Unterhaus-
"erbandlungen zeigen, daß eine fähige aktive
Republikanische Reichsregierung, die
ourch geschlossene Zusammenfassung des
putschen Volkes französischen Maßlosigkeiten die
^l'itze zu bieten versteht, einen internationa-
len Rückhalt finden kann, sofern sie unter rück-
'chtsloser Beiseiteschiebung dentschnattonailer itnd
Nationalsozialistischer Hetzphantasmagorien die Hand
3» einer zielklaren und friedlichen Erfüllungs-
politik bietet. Die Aufgabe des deutschen Volkes
,re daher vorgezeichnet. Jedes andere Volk der
^elt würde eine notorisch unfähige Regierung zum
, Teufel jagen — der deutsche Reichstag lehnt es aber
"egen die Stimmen der S o z i a l d e m o k r a t e u
""d Kommunisten ab, über die allgemeine Lage
"Uch nur zu sprechen. Zn was auch sollen sich die
"ärgerlichen Vertreter des Reichstags ihre Ferien
"ürch potfiisches Getriebe verkümmern lasten? Herr
Aolffcrich als Freund und Berater des Herrn
^-Ußo weiß ja in Konknrssachen Bescheid.

Deutschland kann erst dann wieder Außen-
politik treiben, wenn die Reichsregierung all die
"tattern zertritt, die aus parteipolitischer Gehässig-
bit jeden Ansatz zu außenpolitischem Erfolg begei-
"r>t und vergiften. Nachdem die geradezu geniale
Ußeupoliiische Leistung Ratbenaus zu einem Tr.üm-
lerhauseu wurde, wird es endlich Zeit, daß sich alle
oolitischcn Schichten, denen der Wiederaufstieg
^eutfchtnnds am Herzen liegt, zusmmnenfiuden, um
Saboteure des deutschen Wleder-
ufsiiegs entweder in Kinderstuben und Jrren-
. ausi-r oder ins Zuchthaus zu verweisen. Wir körn-
en in der deutschen Außenpolitik niemals auch nur
neu Schritt Weiler, wenn wir uns nicht — schon
'"s nationalen Rücksichten, die vor parteipolitischen
«ragen kommen — gegen die oft mit sehr dunklen
Geldquellen gespeisten Geheimorgani f a tio -
>. b zu« Wehr setzen, wenn tvir auch weiterhin der
^Ukschnationalsn Volksvergiftung das Feld ttber-
'ßeu. Georg Bernhard hat recht, wenn er in
„Voss, Zsg,« schreibt: „Hier aber versagt wieder
. Mui. Artch der Mut der Parteien. Der Hin-
^s, daß dieses oder jenes im Ausland agitatorisch
»genutzt werden kann, läßt alles sofort in Schtvei-
u versinken. Wenn inan die Frage der Sauber-'
»l der deutschen Presse diskutiert, so heißt es:
oincore wird seine Freude daran haben." Wenn
-Zentrumsabgeordnete Bell sein« Stimme dafür
d-,s, dgZ sm Fall Fechenbach begangene Un-
d " wieder gut gemacht werde, so wagt die. „Süd -
Zeitung" in Stuttgart zu schreiben:
o, "d Sie. Herr Dr. Bell, sind Sie nicht aus Essen
Lum Ruhr? Wie ist es möglich, daß Sie Zeit und
--!> !^aben, über Fechenbach zu sprechen, während
^echrer Heimat die feindliche Soldateska mordet,
ihr, "t>. die Blüte der unvergleichlichen Wirtschaft
y er Heimatstadt dabinsinkt, während das Hunger-
"si durch die Straßen Ihrer Stadt zieht?"
s cs wagt, endlich einmal die Fiuanzwtrt«
le, " ? tin Deutschland in Ordnung bringen zu wol-
Niio Wenigstens das gröbste Valntaelcnd anszu-
tzz der wird beschuldigt, Herrn PoincarS
v»,, G'gen Deutschland zu liefern. Und er kann
iiste sagen, Wenn man über ihn nicht aus-
v>^."gt, daß er in französischem Solde steht, und
"bn" ,cr nicht wie Rathenau endet. So geht es
sch^ kHon jahrelang. Jeder Versuch, wirt-
ichafr ""cr moralisch Ordnung in Deutschland zu
khgpl ' "'Erd mit dem Hinweis auf das Ausland
dyh . Parteipolitiker, die ihre bestimmten Zwecke
st. .-"erfolgen, propagieren diese Grundsätze, und
ieq^en damit den gewünschten Erfolg, den Mut
"er, ; "arteipoliliker, die solchen Zwecken widerstre-
Dg- ""tcn, zu lähmen und sie tu Angst zu versetzen.
auf die Dauer so nichtweitcr. Die
digs.,^ Politik kann unmöglich länger die Notwcn-
>vgh'"n der inneren Politik verdunkeln. (Es ist
sstlsH kein zwingender Grund für Deutschland,
kstch M handeln, weil die Franzosen es ebenso
eitle ^""chsn.) Es ist nicht wahr, sondern nur
Mßeuu des Parteiteufels, daß man seine
*echt ^'"tische Position schwächt, indem man Un-
^dwf^ eigenen Lande eingesteht Und abstellt. Man
j^Sen Gegenteil ein um so begründeteres Recht,
ejq-^Rdes Unrecht zu protestieren, nachdem man
"cn bände Recht geschaffen hat."
. Di« "
""ke Ag " herrschen Gerichte gehen Wunder«
"c Die baverischen Staatsanwälte habest
""er M "be, ivenn soztakdemokrattsche Zeitungen
>?P«ll . "Ebener Vorgänge berichten, die der ganzen
'"ch« g^""Nt sind. Sie sind jedoch in ihrer Ruhe
" wenn im Münchener Hochver-
"" Bys^^cß hochpolitische Fragestellungen rmr
' 'Md Reiches aufgerollt werden. Der

MM WM k!Wk».
Eine Provokation der deutschen Republik.

Die Provokationen der deutschen Republik neh-
men kein Ende. Hohn und Spott ist es, ivas di«
deutsche Reaktion mit dem deutschen Staate treibt.
All den Vorgängen der letzten Wochen setzt die so-
eben erfolgte Flucht des Käppi st en Ehr-
hardt, des Hauptes der Verschwörerbanden, die
Krone auf. Was sagt die „starke" Reichsregierung
zu dieser Verhöhnung des Nechtsgefühls? Wie
lauge läßt sich das deutsche Volk noch demütig mit
der Faust ins Gesicht schlagen?
Leipzig, 13. Juli. Kapitänleutnant Ehrhardt,
gegen den am 23. Juli vor dem StaatsgertchtShof
in Leipzig die Verhandlung wegen Hochverrats,
begangen durch Teilnahme am Kapp-Putsch, be-
ginnen sollte, ist heute aus dem Gefängnis entflohen.
Ehrhardt wird fett der sechsten Abendstunde ver-
mißt.
Leipzig, 13. Juli. Sofort nachdem das Ver-
schwinden des Kapitäns Ehrhardt bemerkt worden
war, wurde das gesamte Personal alarmiert. Man
nahm anfangs an, daß Ehrhardt noch tm Gebäude
sei. Die eingehende Untersuchung sämtlicher Ge-
schosse und Räume, ja selbst des Kellers und des
Daches ergab, daß Ehrhardt tatsächlich ent-
k o m m e n war.
Die Vorgänge bei der Flucht.
Leipzig, 14. Juli. (Letzte Meldg.) Nmy de»
bisherigen Ermittelungen hat sich der Vorgang bei
der Flucht folgendermaßen zugetragen: Ehrhardt
hatte sich gegeit 5 Uhr nachmittags wie jeden zweiten
Tag von seiner im 3. Stock gelegenen Zelle in den
Baderanm begeben, nm ein Bad zu nehmen. Nach
Beendigung des Bades verließ er unter Aufsicht des
Wärters de» Baderanm und stieg bis zum ersten
Stock empor. Dort sollte er an einem Gittertor, das
einen Gang abschließt, von dem Einlaßdienst in
Empfang genommen werde». Zuvor äußerte er

jedoch plötzlich, er habe seine Seife liegen lassen und
wolle sie schnell holen. Es steht noch nicht genau
fest, ob er den Weg nach dem Badevaum in Beglei-
tung eines Wärters gemacht hat. Jedenfalls kehrte
er nicht mehr zurück. Es Ust sestgestellt worden, raß
Ehrhardt mit einem N ach s chlüs s el, der ihm von
außen her rügest eckt worden sein muß, die
eiserne Gittortüre, die ihm den Weg versperrte, ge-
öffnet hat. Durch die offerre Türe entkam er ins
Freie. In einem Wasserleitungsausguß wurde
Seife und Handtuch des Entflohenen gesunden. Man
nimmt an, daß Ehrhardt sich bereits nicht mehr
in Leipzig befindet und sich nach Süd-
deutschland gemacht hat. Es sind Vorkehrun-
gen getroffen, alle Chausseen und Wege unter scharfe
Kontrolle zu halten.
Der Herr Gefangene.
Leipzig, 13. Juli. Ein Lehrer» der fast sechs
Atonale in Untersuchungshaft im gleichen Gesängni/Z
wie Ehrhardt zugebracht hat, hatte kürzlich der
„Leipziger Zeitung" nach seiner Entlastung bertchret.
daß Ehrhardt eine Menge Vergünstigungen
genieße. Er wird von allen Amtspersonen mit
„Herr Ehrhardt!" gerufen; der Respektston ist ganz
unverkennbar. Man fühlt ordentlich, daß die Titu-
lierung „Herr Kapitänleutnant" hinuniergeschluckt
wird. Während wir zum täglichen Spazier-
gang im Gänsemarsch spazieren müsselr, geht Ehr-
hardt für sich allein in vornehmer Distanz an dei
Gefängnismauer aus und ab. Ebenso kann Ehr-
hardt, der auch täglich besonders rasiert wird, die
Treppe spazieren.
Der Verteidiger Ehrhardts meinte neulich mit
großer Bestimmtheit und Ueberlegenheit: „Uebrigens
wird es nie m a l s zum Prozeß Ebrvardt kommen:
Sie werden ja sehen!
Seine Prsphezcihung ist vorläufig wenigstens
cingetroffen. Die deutsche Justiz ist zu einem Jam-
merbild geworden.

wegen Hochverrat verurteilte Fuchs stand seit Jah-
ren in nahen Beziehungen zum ehemaligen Kron-
prinzen Rupprecht, die miteinander so ver-
traut waren, daß sich Fun,» jederzeit, auchnachts,
bei Rupprecht ineideu lassen konnte und empfangen
wurde. Zwischen beiden wurde über die französi-
schen Verbindungen des Fuchs gesprochen, Wer
Richert und andere Franzosen, und Wohl auch
iiber die Absichten, mit denen sich 1921 das offizielle
Paris betr. Bayern und das Haus Wittelsbach trug
und worüber Fuchs gerade in dieser Zeit mit Lau-
estem verhandelte. Das Münchener Gericht batte
hierfür ebensoweuig Interesse wie dafür, daß Fuchs
den damaligen Kommandant des Wehrkreises 7
(Bayern), den General Möhr, einen ausgespro-
chenen Monarchisten, von seinen Beziehungen nach
Frankreich unterrichtet Md mit ihm eingehende Be-
sprechungen über eine militärische Verbindung der
baverischen Reichswehr mit den bewaffneten Ver-
bänden gehabt hat. Das Münchener Volksgericht
interessierte sich auch nicht, wie der „Sozialdemokra-
tische Parlamentsdienst" mit Recht hervorhebt, für
die hundert und mehr Millionen Mark französischer
Herkunft. Wo sind sie letzten Endes hingeflofsew,
wozu wurden sie verwendet? Ist dieses Verräter-
geld vielleicht heut« noch in der Lage, innerhalb der
bewaffneten Verbände „aktivistisch" und als zer-
setzendes Gift in Kreisen deutscher Studenten und
ehemaliger Offiziere zu wirken und damit die Quelle
zu bilden für weitere Konfflittsmöglichkeiten mit
Frankreich? Ja, man kann in Mttitchen in „natio-
nalen Fragen" auch weitherzig sein. Je nach
Bedarf.
*
Das deutsche Volk ist im Begriffe, langsam
Hungers zu sterben. Die Ernähruugsver-
hältnisse sind skandalös. Arbeitslosigkeit geht nm.
Die Löhne entsprechen in keiner Weife mehr den
Preisen. Was geschieht? Die Reichsregierung b e-
rät über alles Mögliche — und tut nichts.-
Die bürgerliche Presse konstatiert, wie „ge-
drückt die Stimmung in Frankreich" ist nach halb-
jähriger Ruhrbesetznng. Wenn man die bürgerliche
Presse liest, möchte man's leidlich glauben — genau
so wie anno dazumal, als die bürgerliche Presse Tag
für Tag deutsche Stege zu melden wußte. Will das
deutsche Volk dauernd belogen und betrogen
werden?

Internationale Lage.
Die Politik des Abrvartens.
* Heidelberg. 14. Juli
Die deutschen Preffekommentare über die Rede
Baldwins sind gleich uns der Ausfassung, daß bis
zur Erledigung des Ruhrkouf >kis immer nocv gc- '

raume Zelt vergehen wird. Ob das deutsche Volk
dies ertragen kann, wenn die Regierung Cuno sich
nick» endlich entschließt, auf poetischem und wirt-
schaftlichem Gebiet die hierzu nötigen Möglichkeiten
zu schaffen? Eine furchibare Verantwortung lastet
auf Cuno—Becker-Rosenberg, eine Verantwortung,
der gewachsen zu sein, sie bisher noch in keiner
Weise zeigten.
Der „Vorwärts" schreibt: Deutschland kann
vorläufig in der Hauptsache nichts anderes tun, als
das Ergebnis der angeknndigten neuen Politik
Englands ab war len. Abwarien, das heißt die
Kapitulation vor Poincarö verweigern
— dir in Deutschland nie von irgendjemand gewollt
wnrde und die heute natürlich noch weniger gewollt
werden kann — und einen inneren Zusammenbruch
Verbindern. Die Aufgabe der deutschen Reichs-
regiernng muß also zunächst darin bestehen, nach
außen schädliche Dummheiten zu vermei-
d e», nach innen die Verhältnisse zu konsolidie-
ren und dem deutschen Volk, insbesondere seinen
breiten werktätigen Massen, jenes Abwarten und
Standhalten zu ermöglichen, das die auswär-
tige Lage gebietender von ihm forderst
Das „Berliner Tageblatt" schreibt: Was
man in Paris bei der Erklärung Baldwins vor
allein herauZhörcn und mit Freude heraushören
Wird, das ist, -atz Herrn Poinenw ein neuer Zeit-
raum der Bewegungsfreiheit und neue
Möglichkeiten für seine verzögernde Taktik
eröffnet sind und datz er vermutlich versuchen wird,
diesen erneuten Aufschub zu einem vermehrten Druck
auf Deutschland, zu einer unerhörten Steige-
rung des Gewaltregimes ans alle vertragsmäßig
und vertragswidrig besetzten Gebiete auszunutzen,
um Vie deutsche Bevölkerung zur Verzweiflung
und die deutsche Regierung zur Kapitulation
zu treiben.
Die „Frankfurter Zeitung" schreibt: Die
Reichsregierung mutz Wie stets den „authentischen
Wortlaut" abwarten. Der authentische Wortlaut
und die Verpflichtung, ihn abzuwarten, sind die
großen Hilfsmittel einer notleidenden Di-
plomatie. Uebrigens ist ja von der Regie-
rung Cuno, die überhaupt dis Oefsenilichkeit so
weit wie Möglich vermeidest nicht zu fordern, datz
sie gerade den jetzigen Moment zur Aeutzerung sehr
energischer Meinungen nehme, den Moment, in dem
England zu versuchen scheint, die diplomatisch« Füh-
rung in der Entente an sich zu nehmen.
Zustimmung in England.
London, 13 Juli. Die Rede Baldwins fin-
det allgemeine Zustimmung; auch die Labour Party
nimmt sic gut auf. Die „Times" schreibt, endlich sei
Großbritannien nicht mehr passiver Zuschauer der j

Zerstörung, der Europa anheimgefallen sei. Nach
sechs Monaten der Ruhrbesetzung werde der bri-
tische Einfluß zur Geltung gebracht. Der
Schritt der Regierung stelle nur den Anfang dar. —
Der „Manchester Guardian" stellt fest, daß gleichviel
mit oder ohne Frankreich die englische Regierung
definitiv entschlossen sei, gewisse Schritte zu
tun. — „Daily Chronicle" bemerki kritisierend, Bald-
wins Vorschlag gebe Poincars lediglich die Mög-
lichkeit, die Sache einige Monate zu verschleppen. —
Der „Daily Telegraph" erwartet, datz der Entwurf
ebenfalls Vorschläge für ein Kompromiß bezüg-
lich der Frage des passiven Widerstandes enthalten
werde.
Newyork, 13. Juli. Die Erklärung Baldwtits
Wird im allgeiueinen günstig beurteilst indessen hätte
die „World" positivere Vorschläge gewünscht.
Die engl. Antwort an Deutschland.
London, 13. Juli. Der Entwurf der englische»
Antwortnote an Deutschland wird am Montag im
Kabinett geprüft werden und daun zu event. Abän-
derungen an die Alliierte» weist rgegeben. Vor
Uberitächster Woche ist somit das Eintreffen der eng-
lischen Antwort kaum zu erwarten.
Paris, 13. Juli. Der französische Ministerrat
wird bereits heute unter dem Vorsitz des Präsiden-
ten Millerand zusammentreten, um sich mit der Er-
klärung des englischen Kabinetts zu befassen.
Italien au England« Seite.
Rom, 13. Juli. „Giornale d'Jtalia" bestätigst
die Richtigkeit der Darstellung Baldwins, wo-
nach die englische Anschauung sich grundlegend mit
der Italiens decke. In diesem Zusammenhang
dürfe man nicht übersehen, daß Baldwin sicb das
Programm Mussolinis weitgehend zu eigen gemacht
habe, indem er 1. auf der Pflicht der deutschen Zah-
lungen besteht, 2. Schulden nnd Reparationen zu-
samnrenbringen wolle und 3. di« Schäden der Ruhr-
besetzung ackfdeckt.
Frankreich unbefriedigt.
Paris, 13. Juli. Die Kommentare der Msr-
geNblätter zu der gestrigen Erklärung der englische»
Regierung verraten das Bestreben, die von Bald-
win offen gelassene Tür offen zu halten.
Ihre Gesamttendenz läßt darauf schließen, datz
gestern abend am Quai d'Orsay Zurückhaltung
und Mäßigung empfohlen worden und die Pa-
role ausgegeven worden ist, die für Frankreich gün-
stigen Stellen der englischen Erklärung in den Vor-
dergrund zu stellen.
Trotzdem sind einzelne Blätter unbefriedigt. Das
„Echo de Paris" schreibt: Peinliche Uebcrraschun-
und tiefe Enttäuschung verursacht hier der Umstand,
daß der englische Premierminister allen Erwartun-
gen entgegen die passive Resistenz Deutsch-
lands init keinem Wort verurteilte. — Der „Petit
Parisicn" erklärt, Baldwins Rede besage, daß Eng-
land sich in schroffem Gegensatz zu den französisch-
belgischen Gesichtspunkten stelle.
Die Reichsregierung hat es nicht
eilig.
Berlin, 13. Juli. Von zuständiger Seite wird
folgender Waschzettel verbreitet: Vorläufig liegt der
amtliche Text der Rede Baldwins in Berlin noch
uichi vor. Im übrigen habe es die Retchsregierung
auch nicht eilig, Beschlüsse zu fasten, denn der eng-
lische Ministerpräsident bat ausdrücklich erklärt, daß
der Entwurf, der als Antwort auf die letzte deutsche
Note ausgearbettet worden ist, vor der Absendung
nach Berlin den Alliierten zur Begutachtung zugeht

Die Lage im Reich.
„Diskontfähige" Bankrottpolitik.
5V Mark Schulden — 1 Mark Einnahme.
Aus Mangel an Mnt konnte sich die Regierung
Cuno—Becker-W. Rosenberg nicht entschließen, die
sozialdemokratischen Vorschläge zur Sanierung -er
Neichsfinanzen zu begehen. Notenvruck ersetzte das
finanzpolitische Denken. Wir sind nunmehr in elirer
Schuldenkatastrophe sondergleichen. In der dritten
Dekade des Monats Juni stieg das Verhältnis der
Staatsausgaben zu den Staatseinnahmen auf 50:1,
d h. nur 2 Proz. der Reichsausgaben waren durch
Steuern gedeckt. Wir haben also gegenwärtig den
geradezu ungeheuerlichen Zustand zu verzeichnen,
datz das Reich von je 1ÜÜ MI., die es ausgibt, 2 MI.
als Steuern erhält und 98 Mk. sich durch Schuldeu-
mrsnnhmen verschafft.
Im bürgerlichen Leben würde in diesem Falle
der Staatsanwalt einschreiten. Die Regierung Cu-
now—Becker—Rosenberg wird dagegen von deutscv-
nattonialov Seite über alle Maßen gepriesen. Die
Regierung der „Diskonlfähigkeit" hat bewiesen, daß
sie in Wirklichkeit ein Gebilde diskontfähiger
Bankerotteure ist.
 
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