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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 131 - Nr. 140 (9. Juni - 20. Juni)
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6. Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 9. Juni 1923

Nr. 131

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Auswärtige Mk.tvuo. Bc> Wieder- M H8M MM EWW»^ M MW WM SZ-A WM berg. Leschästsstelle: Schriiderstr.M.
Ölungen Nachlaß nach Tarif. RUM Tel.:LrpeVitionL673u.Redak.MS7.
Toges-ZeliMg für die weMWe VevöHerMg öer Amrsbezirke öeivelberg. WiesloS, öwrhel«, Wiagea, MrvaS. MosbaS. BuSen. Belsheim. Norberg. TauverMasrheiN u. WerWm

SulmMkitkl MkimsrmWlli.
» Heidelberg, 9. Juni.
Noch ist es nicht möglich, mit völlige« Klarheit
d>e Wirkung zu erkennen, die das neueste deutsche
^nge-ot auslöste. Würde man die uns von den
ärgerlichen Korresporwengbureaus zugehenden Aus-
^chniite der ausländischen Presse als Richtlinie neh-
>u«n, so könnte man in lauter Wonne zerfließcm
^üseve Erfahrungen zwingen uns jedoch zur äu-
ßersten Vorsicht gegenüber den eiligen Früh--
^rrgskündern. Sicherlich versöhnt das von der zu
den Ersüllungspolitikern übergegangenen volkspar-
^tltchen Reichsregtemng leider um ein halbes Jahr
spät gemachte Garantieangebot — vom inner-
volitischen StandpunN aus wird noch vieles dazu
ia sagen sein — manche feindliche Stimme. Doch
Reiben immer noch vielerlei Mängel bestehen und
Aden sich vor allem zwischen Deutschland und
Frankreich so ungeheure Reibungen gebildet, daß
Airnachwtevor der. Weiierentwickelung düsteren
Silges entgegensehen.
Um jedoch dem chronologischen Verlauf der
Dinge nicht vorzugreifen, geben wir zunächst die
Ausländischen Kommentare zur deutschen
^iote wieder, indem wir dabet darauf aufmerksam
Zachen, patz — die Folge der Brüsseler Konferenz
7" zur Zeit fahr wichtige interalliierte Be-
'brechungen vor sich gehen.
Seit gestern bereits, so meldet die „Franks. Ztg.",
nndet ein Meinungsaustausch zwischen Parts,
London, Rom und Brüssel statt, wobei die
Initiative daM von französisch-belgischer Seite aus-
^Sangen ist. Nach Meldungen aus Brüssel hat die
.elgische Regierung noch gestern sofort nach
einer ersten Prüfung der deutschen Note der eng-
f schen Regierung ihre Eindrücke mitgeteilt und
e>"e ähnliche Mitteilung scheint heute von Paris
ßus in London und Rom erfolgt zu sein. Nach
ßen, „Temps" soll es sich dabei lediglich darum ge-
bandelt haben, die englische und italienische Regie-
rung offiziell davon zu informieren, daß mau in
,>mris und Brüsiel nicht in der Lage sei, die
Deutschen Vorschläge tn Erwägung zu ziehen, da sie
die Frage der Einstellung des passiven Widerstandes
>Ntj Stillschweigen übergehen.

Die englische Regierung hält sich vorerst bezüg-
Uch des deutschen Angebots in völligem Stillschwet-
°en. Me Anzeichen lassen jedoch erkennen, daß die
ätsche Note einen günstigen Eindruck gemacht hat.
T°r allem ist es die endlich gewordene Erklärung
?ber pjx Garantien, die günstig wirkte. Obwohl
^'Ust pte diplomatische Lage, soweit London in
^tracht kommt, recht günstig ist, so erscheint die in-
nationale Lage doch noch sehr düster, da zu be-
!. Achten ist, -atz auch diesmal wieder Frankreich, das
°r allem Aushören des Passiven Widerstandes ver-
kik^' entscheidende Wort spricht. Von den eng-
r>chen Blättern nennen die „Daily News" den Ton
r deutschen Note eine grotze Besserung, der ge-
. erksüiafiliehe „Daily Hcrald" befürchtet, daß auch
esmal wieder Frankreich den Vorschlag ablehnt,
e „Pall Mall Gazette" würdigt das Memoran-
>n als ein auf jeden Fall vernünftiges Scheina und
"7-vening Standard" stellt fest, das; die Regierung
uno die Forderung Curzons, in dem nächsten An-
ot eine grobe Genauigkeit zu beachten, in schärf-
yS Weise befolgt hat. Ablehnend ist die „Daily
va^ d'e erklärt, das deutsche Angebot sei nur pro-
«gandisttsch, und vor allem die „Evening News",
«fautzeri: „Was Berlin vorschlägt, ist in der Tat
fon die Sieger des Weltkrieges mehr bezahlen
uen, als seine Urheber und Verlierer.
,ßev Schweiz findet das deutsche Angebot
Ze,/ ^ige Aufnahme. Die Basler „National-
a ""E zum ersten Male werde, wenn auch
yw zögernd, der Grundsatz der Sachbesteuerung als
h»,, "tionspfand anerkannt, und grötzere Sicher-
en würde,; angeboren. Auch die „Neue Züricher
s<t^ix"a. betont, das neue deutsche Angebot unter-
de sich wesentlich von dem letzten Angebot im
Selbst das frankophile „Jouranle de Geneve"
flamet das Angebot als einen klaren Fortschritt.
Italienischen Kommentare, die sich im
Uirw ßinen starker Zurückhaltung befleißigen, sind
die ki". Mch. Don Sturzos „Popow" anerkennt
ricr/7, e der angebotenen Garantien. Der „Cor-
»e>cl>n» ^ ^^a" stellt fest, trotz mancher Tücken be-
Tor«^>Note einen entschiedenen sachlichen
ex s« d. - ^er „Messagevo" lehnt die Note ab, die
erklär; m"m'^°"^iischen Schachzug hält, indem er
Uich; E spreche zwar von Garantien, aber
lasse die Aufgabe des Ruhr-
Nge vermissen. Bedeutungsvoll ist die gest-
r i n r^im „Ministerpräsidenten Musso -
Niedliche ?ösun^^^ ""buische Regierung wolle die
Se», wobei europäischen Krise beschleuni-
gende set- i -^„„-.^^Eiche Stellungnahme sol-
ublen der Unn und muß den Betrag
lein schein. Et im allgemeinen aufgestellt zu
den i ^nd der von den mehr als igü Milltar-
.7 "L
^Estland vi.l». Sterlet Hegemonie aus dem
Hiederaufp^^ galten will sein Opfer am
> Frage p^r emovätttt Neparationsfrage un»
ßehen ch engem interalliierten Schulden
Ruhrgebiets "nd die Besetzung
^°Nchärs^ Reparationskrise wesentlich

InBelgi e n vermitzt man vor allem das Feh-
len einer Erklärung über die Ausgabe des passiven
Widerstandes. Auch das aus der ersten Note be-
reits hervorgehende Moratoriumsgesuch wird als
unannehmbar betrachtet.
Die französischen Prrssekomlnentare sind
auf einen Ton gestimmt, daß die neue deutsche Note
nicht minder unannehmbar sei als die
erste, und daß Herr Poincare sich strikte an den ge-
meinsam mit der belgischen Regierung aufgestellten
Gmundsatz halten werde: Keine Verhandlun-
gen, so lange Deutschland nicht den passiven
Widerstand aufgegeben habe. Das „Petit
Journal" hält es für wahrscheinlich, daß die vier
Kabinette (Frankreich, Belgien, England, Italien)
gemeinsam in Berlin die Frage stellen würden, ob
Deutschland bereit set, den passiven Widerstand auf-
zugeben.
Der „Mattn" faßt sein Urteil dahin zusam-
men: Die deutsche Note zeichne sich durch eine
völltgeVerkennungder politischen Sttuaiion
aus. Frankreich habe den Grundsatz aufgestellt:
Keine Räumung der Ruhr ohne vorherige Zahlun-
gen! und Herr Cuno verlange ein vierjähriges
Moratorium. Frankreich erkläre, keine Verhandlun-
gen, so lange der passive Widerstand nicht aufhör«,
Herr Cuno verlange den sofortigen Zusam-
mentritt einer Konferenz. Da man unmöglich
an ein so gründliches Mißverstehen der tatsächlichen
Lage glauben könne, müsse man daraus schließen,
daß die deutsche Regierung die Fortsetzung des
gegenwärtigen Zustandes wünsche. Das könne sie
haben. Frankreich und Belgien hätten nunmehr die
Gewißheit, daß die Zeit für sie arbeite. Sie könne
warte», bis die deutsche Regierung, gezwungen
durch die weitere Entwicklung, eine Sprache führte,
die weniger ihren eigenen Wünschen als den Um-
ständen angemessen set.
Auch das „Echo de Paris" ist de» Meinung,
daß der Bruch mit dem Versailler Vertrag dies-
mal noch schärfer set als früher.
Das „Petit Journal" erkennt, im Gegen-
satz zu den vorstehend zitterten Aeutzerungen an,
daß die neue deutsche Note einen bemerkens-
werten Fortschritt darstelle: Sie sei nicht
nur in einer viel vorsichtigeren Sprache abgewßt als
die vorausgegangene Note, sondern biete auch als
erste eins Reihe von bestimmten Garantien
an, deren genauer Wert durch die Sachverständigen
festgestellt wert en müsse. Zu b edauern set, daß nicht
gleichzeitig eine Ends i, m m e genannt werde und
das; auch das neue Angebot Bedingungen und Vor-
schläge enthalte, die für Frankreich unannehm-
bar seien. Deut'chland habe offenbar noch immer
die Hoffnung nicht aufgegeben, die Alliierten spal-
ten zu können. Seine Absicht sei, durch ein« De-
monstration seines guten Willens den baldigen Zu-

Berlin, 8. Juni.
Auf der Tagesordnung der gestrigen Reichstags-
sitzung stand als einziger Punkt die sozialdemo-
krattsche Teuerungsinterpellation.
Die Begründung gibt
Abg. Aufhäuser (Soz.):
Die Interpellation wurde eingcbracht, nicht,
um einem Agitationsbedürfnis der Sozialdenwkratie
zu genügen, sondern um eine Entspannung
der außerordentlich schwierigen Lage herbetzusüh-
ren. Gewiß tragen die Franzosen schwere
Schuld an unserer wirtschaftlichen Not, aber dar-
über dürfen nicht diejenigen vergessen werden, die
in Deutschland selbst ein lebhaftes Interesse
am der Markeutwertung haben und die Wirtschaft
zum Tummelplatz ihrer unbegrenzten Profitsncht
machen. Es sind nicht nur Einzelpersonen, sondern
bestimmte Teile des deutschen Besitzes, die die Not-
lage ausuutzen. Mit diesen Feinden, die im Lande
stehen und das deutsche Volk zur Verzweiflung
treiben, mutz
endlich und gründlich abgerechnet
Werden. (Lebhafter Beifall links.) Die deutsche
Arbeiterschaft ist zu Sesonnen, als datz sie daran
glauben könnte, die jetzige Krise durch Putsche zu lö-
sen. Die Arbeiter und Angestellten haben das Ge-
fü^ keinenBodenmehr unter den Füßen zu
habr'. (Sehr richtig! links.) Das ist das Schlimmste
an der heutigen Lage! Diejenigen, die die Entwer-
tung der Mark für ihre Privatzwecke ausnut-
zen, haben seit dem Kriege keine Produktionspolitik
getrieben, sondern lediglich Prtvatinteressen verfolgt.
Die Großindustrie knüpfte bereits an ihr erstes
Angebot vom Jahre 1921 eine Reihe von Bedingun-
gen, und glaubt auch jetzt ihren „Opserftnn" in der-
selben Weise bekunden zu müssen. Man sagt, es
müsse mehr gearbeitet werde«. (Stürmische
Zustimmung rechts.) Alle diejenigen, di« nach Mehr
Arbeit rufen, sollten doch einmal zusehen, wieviel
tatsächlich mehr gearbeitet wird. W«nn
wir trotz der gesteigerten Ausfuhr — die Vas beste
Zeichen für di« gesteigerte Produktivität ist — ein
Sticken der Mark erlebten, so liegt das daran, daß
der Ertrag der Mehrarbeit im Ausland geblieben
ist. !

sammentrttt einer internationalen Konferenz herbei-
zuführen, um dort, ähnlich wie die Russen in Genua
und die Türken in Lausanne im Trüben fischen zu
können
Waffenstillstand auf Gegenseitigkeit.
Berlin, 9. Juni.
Der Sozialdemokratische Parlamentsdienst tele-
graphiert uns:
Ein Vergleich zwischen den Kommentaren der
ausländische« Presse zu dem letzten Angebot der
Reichsregierung und ihrem neuen Ergänzungsvor-
schlag lassen erkennen, datz wir heute in der Lösung
deS Ruhrkonslitts vielleicht weiter wären, Wenn daS
Kabinett schon vor fünf Wochen mit positiven Er-
klärungen an die Ententemächte herangetreten wäre.
Die allgemeine Wirtschaftslage in Frankreich,
Belgien und Deutschland ist heute so, datz ein Waf-
fenstillstand auf Gegenseitigkeit im Ruhrgebiet wirk-
lich angebracht wäre. Der Verzicht auf den passiven
Widerstand hat aber nur dann einen Sinn, wenn
die Arbeit in vollem Umfange wieder ausgenommen,
wenn die Möglichkeit geschaffen wird, zu produzie-
ren. Soll das geschehen, dann mutz sich die franzö-
sische Regierung mit dem Zugeständnis abfinden,
datz zunächst die leitenden Männer der Arbeit im
RNHrgebiet, die in ihrer groben Mehrheit ausgewie-
sen sind oder hinter Gefängnismauern sitzen, zurück-
gelassen bzw. auf freien Fuß gesetzt werden. Aus-
uwd Einfuhr müssen wieder gestattet werden. Nur
wenn das Wirtschaftsleben in jeder Beziehung wie-
der in geregelte Bahnen gelenkt wird, sind produk-
tive Leistungen und damit die Sachlteferungen mög-
lich.
Ein Waffenstillstand auf Gegenseitigkeit, der eine
Wiederaufnahme der Sachlieferungen möglich ma-
chen kann, erfordert aber auch eine Herabsetzung des
vorhandenen französisch-belgischen Truppenkontin-
gents. Deutschem- verlangt nicht, datz die Truppen
sofort das Ruhrgebiet räumen, ohne datz die Ver-
handlungen zum Abschluß gelangt sind. AVer cs
nmtz im Interesse der Produktion und ans sozialen
Rücksichten auf seine Bevölkerung die Forderung
auf Verminderung der Truppen erheben, die an sich
überflüssig erscheinet;, wenn deutsche Arbeiter sich
bereit erklären, im wesentlichen zugunsten des Rei-
ches auf den Passiven Widerstand zu verzichten und
so dem endgültigen Frieder; die Bahn zu brechen.

In auSländtischcn Banken
sind die Devisen der deutschen Kapitalisten aufge-
häust. (Widerspruch rechts.) Beweise für diese Be-
hauptung können Sie in allen amerikanischen
und englischen Banken finden. Die einzigen,
die bet uns in Deutschland enteignet sind, stich die
Lohn-und Gehaltsempfänger, während
die Besitzenden in einer ganz unverständlichen Art
geschont werden. Die Stützungsaktion hat
nur den Großindustriellen die Vorteile ge-
bracht und der Reichsbmck einen guten Teil ihres
Goldbestandes gekostet. Das ist die Folge der Tat-
sache, daß man die Stützungsaktion unternahm,
ohne zugleich ernsthaft an die Sanierung der Reichs-
finanzen zu gehen. Der Verlust der Retchsvauk an
Goch hat zur Folge, daß der Dollar heute wieder
auf 80 000 geklettert ist. Der R etchsb a nkp r ä -
sident hat selbst anerkennen nMssen, datz Quer-
treibereien mit Devisen in den besitzender; Kreisen
vorgekommen sind. Wenn man aber der Meinung
ist, daß einzeln« Leute zum Schaden der Allgemein-
heit mit Devisen spekuliert Haven, -am; muß man
auch denMuthaben, sie
an den Pranger
zu stelle«. Wir sind der Meinung, datz ein Mann
wie Havenstetw wirklich nicht der geeignete
Tr 8 gerder Stützungsaktion für die Mark ist. Es
gibt heute im Reiche nur noch drei Stellen,
die nach Papiermark rechnen: -le Steuerbe-
hörden, die Lohn- und Gehaltsemp-
fänge r und die Reichsbank. Durch diese Pa-
pi-evmarkLorechuung der Reichsbank auch bei der Kre-
ditgewährung ist cs möglich, datz bei der Spekulation
mit Dollar in kürzester Zeit M illiar.denge -
Winne gemacht werden, (Widerspruch rechts.)
Die Auskünfte, die von der Reichsbank über alle
bisse Dinge im Untersuchungsausschuß gegeben
werden, sind völlig ungenügend. Dringend not-
wendig scheint uns eine
Kontrolle der Stinnes'schen Anlage«
!M Auslande, z. B. der „Hugo-Stinnes-Linie" in
der Seeschiffahrt und alle die industriellen Beteili-
gungen van Sti-nnes in fast allen Industriezweigen,
zlrber Wsere Steuerpolitik, die wir jetzt zur

Zeit der Ruhrbesetzung betreiben; ist zu sagen, daß
sie Dieselbe ist, die Herr Helfserich im Kriege
gemach; hat. Der Gesetzentwurf über die Anpassung
der Steuern an die Geldentwertung ist in
Verbindung mit den Bewertungsvorschristen gera-
dezu eine Prämie auf die Steuerdrückebcrgerei deS
Besitzes. (Sehr richtig! Links.) Man kann auch
nicht behaupten. Daß auf Grund dieses Gesetzes die
Steuern schneller eingegangen sind. Das Garan-
tie-Angebot der Industrie ist an eine Reihe
schwerer Bedingungen und Voraussetzungen ge-
knüpft. Der Wegfall der Ausfuhrabgabe würde für
die Industrie «inen Gewinn bedeuten, der größer ist
als Di« angebotene Gavantiesumine. Dasselbe gilt
von der so vielgerühmien OPferbereitschaft der
Landwirtschaft. Wir fordern, datz das Reich
automatisch an den Jndustriegewinnen beteiligt
wird. Ferner ist «ine Beseitigung der Vielgestaltig-
keit der Steuerbehörden und eine Aenderung
deS Lohnsteuergesetzes zu verlangen. Die
Löhne, Gehälter, Reiften und Unterstützungen müs-
sen der Geldentwertung a »gepatzt wer-
den. Als seinerzeit der Dollar durch die Interven-
tion der Reichsbank auf 20 000 gehalten wurde, war
der Reichswirtschaftsmtnister gleich mit
einem Rundschreiben zur Hand, in dem daraus hin-
gewiesen wurde, datz durch Lohnerhöhungen die
Stützungsaktion, die Stabilisierung der Mark, ge-
fährdet werden würde. Jetzt, da der Dollar so
enorm in die Höh« geklettert ist, warte; man ver-
geb l i ch auf eine Mahnung des Reichswirtschasts-
Ministers, nun auch die Löhne der Geldentwertung
anzupassen. Der Arbeitgeber-Verband verhandelt
seit Wochen mit allen Gewerkschaften, kommt aber
zu keiner Einigung, well er sie nicht will, und
lrotzdem bring; die schwerindustrtelle Presse es fer-
tig, von der Gefahr der Lohntreiberei und von Mer-
triebenen Forderungen der Stratze zu reden. Wir
verlangen, daß die Reichsregierung uns sagt, mit
welchen Maßnahmen sie die Löhn« an die
Teuerung anpafsen will. Die Arbeiterschaft wird
sich nicht durch unlautere Elemente zu unbesonne-
ne»« Handlungen verleiten lassen, die Negierung
aber muß dafür sorgen, daß die Hungergrenze
nicht überschritten wird. Es mutz hier im
Parlament für das notleidende Volk gesorgt wer-
den, ehe die Mobilisation der Arbeiterschaft außer-
halb Les Parlaments weitere Fortschritte macht.
Das Gebot der Stunde ist gemeinschaftliches Den-
ken und sozialistisches Handel«. (Lebh, Beifall bet
den Sozialdemokraten.)
Ms erster Regiernngsvertretcr beantwortet der
Retchsarbeitsminister Dr. Brauns die Interpel-
lation. Die Regierung hat schon eine der Teuerung
angepaßte Erhöhung der Sozial- und Kleinrentner,
der Kriegsbeschädigten und -Hinterbliebenen, der
Wochenhilfe und der Unfallrenten vorbereitet. Di«
Erwerbslosenunterstittzung soll unverzüglich der
Preisentwicklung angepatz; werden. Die Erhöhung
soll rückwirkende Kraft bis zum 4. Juni
Haven. BesoMere Aufmerksamkeit widmen wir
einer an,gemessenen Entschädigung für die Kurz-
arbeiter. Der Gold lohn bietet keinen Schutz
gegen die weitere Vemninderung des ReallohneS.
Im EinverständutiS ;nit dem Wirtschastsmiuisterium
bemühen wir uns, eine« Maßstab zu finden, der die
Verminderung der Kaufkraft möglichst schnell und
richtig erfaßt und den wir bet künftigen Lohnver-
hanldlungen zugrunde legen können. Im laufenden
Monat werden wir angesichts der sprunghaften
Preisentwicklung über den Reichsindex hinaus-
gehen, dessen Mängel uns bekannt sind.
Reichssuianzmi nister Dr. Hermes: Die von
de« Regierung schon bet der Verabschiedung des
Stcueranpassungsgesetzes gegen einzelne Reichstags-
beschlüsse erhobenen Bedenken haben sich als richtig
erwiesen. Wir können aber im Lairs« dieses Jahres
die Vorschriften nicht ändenr, weck sonst das schon
führ verzögerte Veranlagungsgeschäft ganz in Un-
ordnung konimen würde. Wir arbeiten daran, die
Besttzsteuern möglichst der Geldentwertung anzu-
passen. Wir werden auch um eine beträchtliche
Steigerung der Verbrauchssteuern
nicht herumkonnnsn.
Retchswirtschaftsmimster Dr. Becker: Die
Hauptunsache Mr die Verelendung Deutschlands ist
das Versailler Friedensdiktat und nicht
die Devisenspekulation (Unnche und Zurufe bei den
Soz.) Es ist richtig, datz die Löhne nicht den Prei-
sen im gleichen Tempo folgen. Selbst wenn durch
die Verschiebung von Geldern ins Ausland dem
deutschen Steuersiskus Mittel verloren gehen, dann
schätzx ich den der deutschen Wirtschaft daraus ent-
stehenden Verdienst viel höher ein. (Lebhafte Unruhe
und Rufe bet den Soz.: „Sie reizen ja zum Schie-
ben an!" — „Schieberministerl") Der Vorschlag
einer völligen Zentralisierung des Devisenhandels
bei der Reichsbank svürde in Deutschland nicht durch-
führbar sein Erst wenn Wir frei von Reparations-
lasten unsere Produkte auf dem Weltmarkt abfetzeü
können, ist eine Gesundung unserer Währung mög-
lich.
Auf Antrag des Mg. Müller- Franken (Soz.)
wird die Besprechung der Interpellation beschlossen.
Fi; der am heutige;; Tage folgenden Aussprache
über die sozialdemokratische Teuerungsinterpcllation
erklärte Abg. Schlack (Ztr.), die Neigung einzel-
ner Kreise der Wirtschaft, aus dieser Notlage Vor-
teile zu ziehen, müsse mit aller Entschiedeuhett be-

Teuerungsdebatte im Reichstag.
Die Sozialdemokratie klagt an.
 
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