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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 121 - Nr. 130 (28. Mai - 8. Juni)
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-8

KrschlftsstundeuS—SUHr. Sprech«
stundsn der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr.22S77.
Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Druck u. Verlag der Nntcrbadischen
Werlagsanftalt G. m. b. H., Heidel-
berg. Weschäftsstelle: Schröderftr.89.
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kszeitrmg
Tages-Zeitung für Sie NkttMige BeMlerung der Amtsbezirke Melbers, WiesloH. kivsheim. Kvvime». Eberbach, Mosbach. Buchen. Melsheim. Norberg. TauberSischosrtzew u. Wertheim


6. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 30. Mai 1923

Nr. 123

Nkl UWWk Ms».
Die „W elltwiptschäftliiche Korre-
'vonden z" schreibt uns:
.Da Hugo Stinues ein bedürfnisloser, nur sei-
^r Arbeit lebender Mensch ist", — schreibt eine
bürgerliche Wirtschastszeituug in einem sehr inter-
essanten Aussatz unter dem Titel: „Devisen-
spetulani Hugo Sünnes", — „so gingen
"ie ihm durch die Inflation in den Schoß gefalle-
nen Schätze nicht verloren, sie wurden nicht ver-
braucht und blieben der Wirtschaft erhal-
ün. Nur jener Kapitalist, der akkumuliert, d. h.
ben Haupt toll seiner Gewinne in Erschließung
Neuer Arbeitsstätten bindet, dient der Entwicklung,
^a Stinues nur durch die Zerstörung der Mark
">e Möglichkeit sah, seinen Mammuttrust ausrecht-
tinevhalten bezw. zu erweitern, so konnte er als
baup(verantwortlicher Schicksalsfiihrer von Huu-
bertbausenden Existenzen nur den von ihm beschrit-
^nen Weg ivandern."
Bei dieser Auffassung gibt der Artikel offen zu,
basi Stinues alles Mögliche getan habe, um die
Ugrkentwertun« Nu jsördern und aus
Hr kiesigen Nutzen zu erzielen. Zu Sünnes fließt
"nasführ ein Drittel der ganzen Notenzirkulation
»es deutschen Reichs und er hat die enormen Mark-
barlshen in Sachwerte mngesctzt, die um so stärker
"" Werte stiegen, je mehr die Notemnasse zur Zeit
ber Rückzahlung entwertet war. Die ungeheure
^vgrötzevuM des Sünnesschen Machtbereichs ist
'"'r «ui? den Infla tion s g ew inn zurückM-
chhren, da sich riesenhafte Nmerwcrbungen durch
bloße Wareugewinne und durch Hinterziehung von
Vermögens- und Lkohtensteuern allein nicht erklä-
lassen. Es Wird des weiteren zugebeben, daß
Stinnes seit Beginn der Jnflationsperiode die
^arr bewußt untergraben habe, und es
"üerlisgt für den Verfasser des Artikels keinem
--Weisel, daß auch bei dem letzten Marksturz Stin-
ues von der Frontveränderung der deutschen
»ieichsbank Wind erhallten und dadurch großen
putzen erzielt habe. Und trotzdem wird von dem
Verfasser der Kautzmann Stinnes auch in seiner
Eigenschaft ms Devisenspekstlant frei gespro-
chen, da diese Machenschaften doch letzten Endes
»er Produktion zugute kamen. So arbeitet der
bedürfnislose Sünnes für die ganze Volkswirt-
lchaft, M das ganze Volk. Er „akkumuliert" und
egt das akkumulierte Kapital in ertragbringenden
""k Arbeitsgelegenheit schaffenden Betrieben an.
Diese in das Gewand volkswirtschaftlicher Erkennt-
gekleidete Beweisführung wollen wir nun ins
^uge fassen und aus ihre Wahrheit prüfen.
Rohmen wir für einen Augenblick an, daß die
^'tnnessche „Akkumulation" tatsächlich neue Werte
'm die Volkswirtschaft geschaffen habe und fragen
„"ch, was für ein Preis dafür gezahlt wurde,
märend Stinnes der Nutznießer der Inflation
müssen wir unser Augenmerk auch auf die
.^bfex derselben lenken. Sehen wir uns Z. B.
^t Arbeiter an, der ohne Inflation nur den
ähnlichen Mehrwert an Stinnes geopfert hätte,
Welchen fein Lohnanteil verkürzt wurde. Jetzt
Mß noch weitere Opfer bringen: die fortschrei-
?'A>e Inflation bewirkt eine dauernde Senkung
,?s Reallohnes; sein Lohnanteil wird zum zwet-
?ütnal gekürzt. Die Bevölkerung als Verbraucher
^chlt aber an Stinues hohe Steuern in Form von
"vh en Warenpreisen, denn in der Zeit der
Inflation steigen die Preise viel rascher als die
s- wkoMuen. Breite Volksschichten sind so unter
Räder gckonunen, außer den Arbeitern die
, üüner, Festbesolde tcn, Gewerbe-
ü^'benden «sw. Und endlich ist der Staat
" st das Opfer der Inflation, dessen Währung
sw zerrüttet wird mit Men verhängnisvollen
' »Men ves Balutaelends, die zu bekannt sind, um
geschildert werden zu müssen. Wenn auch als
"Wgrund für die Inflation der ungeregelte
""b der Rcparationssrage anzuschen ist, so hat
To?, ^estolueniger die Stinnessche Politik ihren
daran. „Deutschland lebte", — schreibt ein
^Mischer Schriftsteller im „Manchester Guardian",
» "w den letzten Jahren von dem Kapital an
lim " ""d Gesundheit seiner Arbeiterschaft." Wahr-
käffou^ Breis für die Stinnessche Akkumu-
größer wird uns dieser Preis erscheinen,
^'r die poli tischen Folgen der Stin-
Machterweiterung ins Auge fassen. SÜn-
?cr Spitze seines Montantrnstcs und im
seiner Riefenpresse — ihm gehören 138 Zci-
welche die öffentliche Meinung Deutsch-
doliti'r^M^^ 'st eine große, ja die größte
denn! e di««» in Deutschland. Was dies be-
'^r gestreift werden, ist aber
Wiel ^ws'dhügen klar. Die Uev erwacht der
«es ^'^"über dein Staat Wird in Stin-
auf d,„ Einfluß seiner Machtposition
der inneren und äußeren Politik
ebeuin ^ ""r mehr ausschlaggebend, und dies ist
^oVra/i?""?^^"" ^ir die deutsche D -
v°lit?e^ Republik, für die sozial-
^'egerisch? im Innern als für eine
was „ T^^dolitik gegen das Ausland. Alles,
dx? " f Grund der Erfahrungen Wer die Rolle
d'e Schwerindustrie in bezug auf
festgI. ", ^ «uv außerhalb des Landes
'^stellt worden ist, trifft aus die Stellung eines

wirtschaftlichen Alleinherrschers vom Schlage Stin-
nes in verstärktem Maße zu. Im Lichte dieser Er-
kenntnis scheint uns die Stinnessche Akkumulation
zu teuer zu kommen.
Ulm aber aus den Kernpunkt zu kommen, auf die
Frage, ob Stinnes, indem er seine riesigen Jnfla-
tionsgewinne zur Erwerbung einer großen Anzahl
von Unternehmungen verwendete, tätsächlich der
Volkswirtschaft große neue Werte schuf, so
können wir dieser Meinung nicht beipflichten. Zu-
nächst einmal liegt hier eine gewaltige Neber-
schätzung der Rolle des Industriekapitäns vor, ein«
Ueberschätzung, die in der bürgerlichen Beurteilung,
gelegentlich auch bei den Wissenschaftlern,
neuerdings nur zu oft vorkommt. Des weiteren
hüt Stinnes, indem er eine große Anzahl von Be-
trieben in Deutschland und anderen Ländern zu-
sammenkanfte, keine neue Produktion ge-
schaffen, sondern nur die vorhandene unter
seine Macht gebracht.
Dadurch förderte er die Konzentration
des Kapitals in hohem Matze, eine Tendenz,
die Marx mit prophetischem Mick vorhersah und
die in unseren Tagen mächtige Fortschritte macht.
Vom Standpunkt des sozialistischen Endziels aus
gesehen, ist diese Tatsache der Konzentration von
der größten Wichtigkeit. Und überhaupt stellt uns

Heidelberg, den 30. Mai.
Der S.P.D. schreibt uns:
Ws die freien Gewerkschaften itm Jahre 1920 nach
dm« Schottern des Kapp-Putsches an die damalige
Regierung bestimmte politische Forderungen stellten
und auch bei anderen Gelegenheiten ähnlich vorgin-
gen, wurden sie von der Rechtspresse fortgesetzt als
„Nübenrogierung" beschimpft. In Wirklichkeit imrr
der Sinn aller Mionen der freigewerkschaftlich or-
ganisierten Arbeiterschaft nicht Selbstzweck, sondern
der, neues Unheil zu vemrsiden, den Bestand der
Republik zu sichern, der Allgemeinheit zu dienen.
Noch nie, unter welcher Regierung es auch sei, ha-
ben die Gewerkschaften ihre Pflicht gegenüber dem
Vaterland verletzt. Stets standen sie hren Mann,
wenn die Not des Volkes es erforderte; noch jeder-
zeit waren sie bereit, im Rahmen der Kraft der ar-
beitenden Bevölkerung Deutschlands für Opfer ein-
zulveten. Niemals aber hat sich die deutsche Wirt-
schaft von gleichen Grundsätzen leiten lassen. Sie
weiß Wohl, daß die Gegenwart mit ihren innen-
uud außenpolitischen Gefahren Opfer erfordert, aber
anstatt diese Opfer freiwillig und gern unter äußer-
ster Kvaflanstrengung zu geben, knüpfen sie an jede
Million Mark, die sie dem Staat in seiner größten
Not zur Verfügung stellen wollen, Bedingungen,
deren Annahme nicht nur zu der Behauptung einer
industriellen „Nevenregierung" berechtigte, sondern
die staatliche Macht restlos den deutschen Wirt-
schaftsgruppon ausliefern und ihnen obendrein
einen angenehmen Verdienst sichern würde. Heute
vernimmt man kein Wort von einer „Nevenregie-
rumg -er Industrie", keinen Ton von dem man-
gelnden Pflichtgefühl dieser Herrschaften. Sie er-
halten im Gegenteil für ihre Pflicht-
verletzung das Lob der bürgerlichen Arbeitsgemein-
schaft und die Anerkennung der ReichsregierUNg.
Es ist erfreulich, daß trotz des Lobes der bür-
gerlichen Reichslagssvaktionen und der Regierung
ein Teil der bürgerlichen Presse sich zur i bah reu
Sachlage bekennt und zugibt, daß die 200 Mil-
lionen Gold mark, die die Industrie dem
Reich jetzt freiwillig anbietet, in keinem Verhältnis
zu den indirekten Gewinnen steht, Nie ihr durch die
Geldentwertung zugefallen sind. Was hier von der
Industrie gesagt wird, trifft auch aus die Landwirt-
schaft zu, die vor dem Kriege vollkommen verschul-
det war, inzwischen aber durch die fortgesetzte Geld-
entwertung in die Lage gekommen ist, ihre HYPo-
thepeu zu ganz billigem Gelbe ab-zustoßen. Von
bürgerlicher Seite wird der Gewinn der Landwirt-
schaft durch die Geldentwertung unter der Voraus-
setzung, daß sie vor dem Kriege zu 60 Proz. hypo-
thekarisch belastet War, auf insgesamt 18 Milliarden
GoWmmk beziffert. Trotzdem aber denken auch di«
Agrarier, ebensowenig wie die Industrie, daran,
von diesem Gewinn dem Reich ohne Bedingungen
auch nur einen kleinen Teil zu überlassen. Aus die-
sem Verhalten ergibt sich die Stellung der Reichs-
regierung bei der Ausarbeitung der neuen Note.
Daß gezahlt sein muß und Garantien zu leisten
sind, erkennt die deutsche Wirtschaft an. Wie und
auf welche Art das zu geschehen hat, müssen Reichs-
regierung und Parlament feststellen, ohne daß sie sich
auch nur im geringsten auf irgend eine Bedingung
einlietzen, die von selten der Wirtschaft gestellt wer-
den. Wo sollte es hinführen, wenn jeder deutsche
Staatsbürger, der vom Reiche in anberacht seiner
Not zu einer finanziellen Leistung verpflichtet wird,
seine Bedingungen stellt? Vor lauter Bedingungen
würden wir schließlich weder aus noch ein wissen,
das Reich könnte darübr zugrunde gehen. — Wenn
die deutsche Wirtschaft nicht anders will, wenn sie
Nicht einsicht, daß die Erhaltung der Volksgemein-
schaft Opfer des Besitzes erfordert, dann mutz ihr
die Patriotische Pflicht durch gesetzliche Zwangs-
maßnahmen klargemacht werden. Je schneller das
geschieht, desto mehr Unheil kann verhindert wer-
den

die Entwicklung der schwerindustriellen Konzentra-
tion zu Ri'esentrusts mit ihren Vorteilen für die
Produktion und den in ihr vorhandenen politischen
und wirtschaftlichen Gefahren vor neue Probleme.
Die privatwirtschaftliche Unternehmung in der
Form des Monopols, ihre Wirkungen aus die
Möumulaüon, die Profitrate, die Regelung der
Produktion, den Jutperialismus usw. müssen sorg-
fältig untersucht werden: wichtige Probleme für die
neue sozialistische Forschung. Niemand kann aber
behaupten, daß für die gegenwärtige Lage sowohl
Deutschlands wie des übrigen Europas und ganz
besonders inbezug aus die Wiederherstellung der
zerrütteten Volkswirtschaften unseres Evdteils der
deutsche Monopolkapitalismus in der Hand von
Stinnes von Vorteil wäre. Der Irrtum Wer den
„bedürfnislosen" Stinnes ist ebon der, daß er bei
weitem nicht bedürfnislos ist, und es ge-
hört eine große Portion von Naivität dazu, die
Bedürfnislosigkeit eines Menschen, wie Stinnes cs
ist, nach dem Mangel persönlicher Ansprüche an Lu-
xus zu beurteilen. Denn der moderne Wirtschafts-
führer ist gleichzeitig auch ein Feudalherr mit
unbeschrnäkten Müchtansprüchen, der nur seine
eigenen Macht i n ter e s s e« kennt, in de-
ren Dienst er das Schicksal Von Millionen
kaltblütig opfern kann.

Jedenfalls spricht die Entwicklung der Verhält-
nisse im Ruhrgebiet und. die Neuorientierung Bel-
giens in der Reparationspovitik für die Notwendig-
keit einer schnellen LkuSarbeitung des neuen deut-
schen Angebots. Wir können uns den Luxus nicht
erlauben, die Passivität -der Reich Lrogieruug täglich
Wit neuen Milliarden zu bezahlen, und ebensowenig
ist ein neues Ultimatum der Gesamtentente erträg-
lich. Es muß deshalb gehandelt und nicht ver-
handelt werden.

Noch nicht weiter gediehen.
Berlin, 29. Mai. Die inierneu Beratungen
der Regierung über die Reparntiorvssrage sind feit
letzten Freitag nicht wesentlich Wetter gediehen, da
die Informationen, die man in einigen Alliierten-
Lästdern einzuholen für notwendig vielt, noch nicht
ein-get-roffen sind. Es wird aber angenommen, daß
morgen oder übermorgen die gewünschten Auskünfte
vorliegen werden, so daß dann allmählich an die
Fertigstellung einer deutschen Antwort gegangen
werden kaum.
Die Pause in den Beratuivgeu der Regierung ist
durch Besprechungen mit Vertretern der Wir"chafts-
gruppen und vor allem mit den Führern der Reichs-
tagspartoien au-gefüllt worden. Es ist immer noch
ungewiß, ob der Kanzler und der Minister des Aus-
wärtigen den Ratschlägen, die ihnen gestern aufs
neue von -den Parteiführern gegeben wurden, sich
anschließen zu können glauben. Dagegen ist Wohl
jetzt erreicht, daß, anders als bei der Noie vom
2. Mai, die Parteiführer des Reichstags rechtzeitig
Von den Entschlüssen der Regierung Kenntnis er-
halten, und so eine gewisse Garantie geschaffen, daß
die Regierung keine Schritte ohne die ausdrückliche
Zustimmung der Fraktionen unternimmt.
Im Zusammenhang mit der ungeklärten Situa-
tion steht ohne Zweifel auch eine Sitzung des Aus-
wärtigen Ausschusses des Reichsrates, die auf An-
trag Preußens für morgen nachmittag in die Reichs-
kanzlei eistberufest worden ist. Die Vertreter der
Länder dürsten in ihrer übergroßen Mehrheit mit
den Auffassungen, die der Regierung in den letzten
Tagen wiederholt von den Parteien der Reichstags-
mehrheit vorgetragen wunden, übereinstimmen, mi-
ste werden sicherlich auch morgen die Gelegenheit er-
greifen, in diesem Sinne mit dem Kanzler zu
sprechen.
Die Haltung der Wirtschafts-
gruppen.
Berlin, 29. Mai. Der Vorstand und der
HMptmKschsttz des Reich s v er b a n d e s der
deutschen Industrie hielten heute eine
Sitzung ab, Um zu dem bekannten Schreiben des
Präsidiums an den Reichskanzler über die Garantie-
frage Stellung zu nehmen. Die Versammlung, die
zahlreich besucht war, billigte mit großer Mehr-
heit den Schritt des Präsidiums.
Die Reichsregierung hat es für geraten
gehalten, sich in ihrer durch das offiziöse Bureau
verbreiteten Stellungnahme zu dem Vorschlag der
Industrie die Hände sreizuhalten und ziemlich deut-
lich auszusprechen, daß die Regelung der Garantie
der Wirtschaft eine politische Frage ist, die durch die
gesetzgebenden Faktoren zu entscheiden ist. Den
Herren des Reichsverbandes wird aus dem Echo,
das ihr Brief in der OeffentliclMt gefunden hat,
inzwischen selbst zum Bewußtsein gekommen sein,
daß sie zum mindesten bei der Inszenierung ihres
Angebotes nicht gut beraten waren.

M WMW MWMk.
Die Beratung über die Ruhrkredite
in der französischen Kammer.
Aufschlußreiche Verhandlungen.
Paris, 29. Mai. Die Kammer diskutierte in
ihrer heutigen Sitzung an -erster Stelle Wer den
Gesetzentwurf, durch den die Regierung ermächtigt
wird, der rumänischen Regierung Vorschüsse bis zum
Betrage von 100 Millionen Francs zu gewähren.
Namens der Kommunisten und der Sozialisten
wurde Protestiert. Die Sozialisten ließen erklären,
sie würden gegen den Gesetzentwurf stimmen, weil
die Finanzlage Frankreichs solche Ausgaben nicht
gestatte und Weil diese 100 Millionen dazu bestimmt
seien, neue Rüstungen zu schaffen.
Der Gesetzentwurf wurde mit 420 gegen 110
Stimmen angenommen.
Die Kammer ging alsdann zur Beratung der
Buidgetzwölftel für den Monat Juni über.
Im Verlaufe der Debatte über die Budgetzwölftel
erhob der Abg. Brouss-e Protest gegen den Senat
und nannte die Art, wie dieser das Budget bisher
beraten habe, eine systematische Obstruktion. Der
Vizepräsident der Kammer, Arago, rügte die be-
leidigenden Worte. Ein Mitglied der Rechten,
Josse, setzte trotzdem die Angriffe gegen den Senat
fort und es entstand ein ungeheurer Lärm, den der
Vizepräsident beschwichtigen konnte. Ministerpräsi-
dent Poincare selber versuchte zu sprechen, aber
seine Worte gingen im Lärm unter.
Schließlich legt sich dier Sturm, Und die beiden
Budget zwölftel werden mit sämtlichen Stimmen
der Sozialist» und vor Kommunisten bewilligt.
Hiorauf setzt -die stammer die Beratung über dtz
Ruhr-Kredite
fort. Erster Redner ist der Abgeordnete Flandin.
Eir tritt für die Bewilligung der Kredite ein und
billigt die Stuhr-Politik der Regierung. Die Re-
bellion des Deutschen Reiches und seine Weigerung,
den Vertrag von Versailles auszuführen, grüßten
zum Anlaß genommen werden, die Aktion zu ver-
stärken. Könnte man nicht das Pfand, das mau in
Händen habe, realisieren? Die Skodaiverke feien
an eine französische Gruppe verkauft worden. Könnte
man nicht . . . (Zwischenruf links: „. . . die Ruhr
verkaufen?") Flandin: „Jawohl!" Der Sozialist
Uhry fragt: „Warum? Würden Sie sie kaufen?",
worauf Fland in antwortet: „Ich habe nicht die
Mittel dazu" Sein Standpunkt sei, daß das Pri-
vatvermögen einen Teil des Pfandes ausmache.
Der radikale Führer Abgeordneter Herr iot er-
klärt: Wir verlangest, daß man bei Deutschland mv-
terfcheidet stoischen denen, die keine Reparationen
bezahlen wollen, und jenen, die, von der Notwen-
digkeit, die Schäden zu reparieren, überzeugt, die
Beschlagnahme realer Werte sowie die Annahme
eines Gesetzes Verlangen, durch das das Privatvcr-
mögen im Reiche zu RePamtions-zaMmgeu zur Ver-
fügung gestellt werdest soll.
Dor radikale Abgeordnete Gheusi erklärt, daß
eine Operation hinsichtlich der Verwertung des
RNHrgebietes, wie sie Fland in empfehle, nicht
durchMihar wäre.
Hierauf ergreift Tardi en das Wort, um zu
erklären, er werde die Kredite für die Ruhr-Aktion
bewilligen, doch müsse er im Namen seiner Freunde
einige Bemerkungen machen. Im Gegensatz zu Lou-
cheur, der die Ruhr-Aktion zuerst mißbilligt habe,
sei er von Anbeginn an für sie eingetretsn. Das
Ruhrgebiet sei das Verdun des Frie-
dens. Die Besetzung sei vollkommen berechtigt, sie
müsse aber einen doppelten Zweck erfüllen: Herr
des Willens des Reiches und Herr des
Ruhrbeckens zu werden! Poincare habe
unrecht gehabt, auf eine Zusammenarbeit mit don
Deutschem und auf deren guten Willen zu zählen.
Die deutsche Regierung habe unrecht gahatöt zu glaus
den, daß, wenn ein französischer Soldat in Essest
einmarschiere, gewisse ausländische Mächte sofort
einen Druck auf die französische Regierung ausübest
würden. Dardieu setzt feine Kritik fort und wirft
der Regierung insbesondere vor, daß sie nicht voist
Beginn der Besetzung an zur AmNösutung des Ruhitt
gcdiet.es geschritten sei. Auf die Bemerkung, daß
Vielleicht die Saboteure nicht streng genug bestraft
würden, erwidert Poinoare: „Das sagen Sie
am Tage nach der Hinrichtung Schla»
geters?!" Schließlich bespricht Dardieu die Be»
fchlagiraihme der Kohlen- und KokSvorräte, von de-
nen er bshMpfet, sie sei nicht sni genug vorbereitet
worden. Die Autorität im Ruhrgebiet habe kciitt
Grundlage. Schließlich spricht der Redner von det
Kapitulation Deutschlands. Die französische Regie-
rung habe jetzt Wohl ein politisches Pfand, aber kent
produktives Pfand in Händen. G<ege>lüber den Atz
liierten befinde man sich also in der gleichen Lag-
Wie vor der Ruhrbesetzuug. Alan müsse also innnc»
wieder zu Zahlungspläuen seine Zuflucht nehmen
Unangenehm fei es aber, daß während der Besetziwr»
nichts gezahlt werde. An Deutschland müsse eie
neues Regime für das Ruhrgebiet, nämlich dal
Regime des Belagerungszustandes un,t
des Standrechtes notifiziert werden.
Ministerpräsident Poincare erWrist das Wort
unr Lardieu in Widerspruch zu seinen früheren Re-
den und ZcituugsarNkeln zu setzen. Er sagt, Lar-
Vien habe erklärt, man hätte im Ruhrgebiet im Mat

Rettung durch Zwang.
 
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