Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

DOI Kapitel:
Nr. 141 - Nr. 150 (21. Juni - 2. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48727#0245
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

ZEzu^prcis: Monatlich cinschliehl.
^'agerlvhtt Mk.SM.-. Anzeigen-
!^ifc - Die einspalt. Petitzetle oder
°?ren Raum (86 mm breit) Mk. IM>,
Mr Auswärtige Mk. lSM. Reklame-
»nzcigen (74 mm breit) Mk. 3000, für
Auswärtige Mk. 400». Bei Wieder-
holungen Nachlaß nach Tarif.

wekchSftsstundenS—»Uhr. Sprech-
stunden der Redaktion: 11—ILNHr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr.L2S77
Tel.-Adr: Dolkszeitung Heidelberg,
Druck u. Verlag der Unterbadische»
Berlagsanstalt G. m. b. H., Heidel-
berg. Geschäftsstelle: Schrödcrstr.89.
Tel.: ExpeditionSS7» ». Rcdak.M7S.

olkszettuni
lDk-Mmg m die wttklWe MSIlnm« der Amisdezltte Melder«, NlerW, SmOem. KpMei, lKMO, Misdch. Ach«, MekhelN, »orderi, lMderdWoWeN o. «erlW«



5. Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 30. Jnni 1923

Nr. 149



Ikl WMA öml Ni> öik WMIlk

Die Rechtfertigungsrede Poincarä

das Ruhrgebiet besetzen
Reichskanzler Wirth
Ruhrgebiet gerettet dank
gehalten worden seien,
die Reparationskonimis-

siud
wir
auf
dem

kein
den

Seit dem Einbruch der Franzosen in das Ruhrgebiet
und in das badische Land. Der Arbeiterschaft ist
das bekannt, die Erregung wächst zu-
seh e n d s.
Welchen Grad die Erbitterung bereits augenom-
men hat, mag die badische Regierung aus
der Tatsache ersehen, daß in den Karlsruher
Großbetrieben, wie auch in solchen Mittelba-
tnchs, allen Ernstes die Bildung proletari-
scher Hundertschaften erörtert wird. Die
Kommunisten sind Wohl schon zur Bildung sol-
cher Hundertschaften geschritten.
Es ist nicht erstaunlich, daß in den Betrie-
ben solche Erörterungen gepflogen werden. Einmal
bestehen in vielen deutschen Städten proletarische
Hundertschaften als Saal- und Selbstschutz-
organisationen, zum anderen ist der Arbei-
terschaft bekannt, daß die Nationalisten ihre
Gehetmorganisationen in militärischer Glie-
derung aufziehen. Auch hier in Karlsruhe,
wie man aus gelegentlich erwischten Notizbü-
chern ganz lehrreich ersehen kann, an den darin
namentlich aufgeführte» nationalistischen
H un dertfchafis-und Gruppenführern.
Die Bildung straffster proletarischer Abwehr-
organisationen ist z. B. in Bayern, in Pommern, in
mancher: schlesischen und anderen Bezirken durchaus
geboten. Aber die militärische Spielerei
dabei ist nicht nur nutzlos, sondern sogar von
Uevel. Wir inBaden werden und müssen jede
solche militärisch« Spielerei entschieden ablehnen.
Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß wir So-
zialdemokraten nicht auch umfassendeVorbe-

rcitungen zu treffen haben, um gegen Putsche,
mögen sie wo immer Herkommen, gerüstet zu sein.
Die sozialistische Arbeiterschaft muß aber auch
die Bildung gemeinsamer Abwehrorganisatio-
ncn mit den Kommunisten ablehnen. Aus
folgenden Gründen:
Jeder nationalistische Putsch, wie die ge-
samte agitatorische Tätigkeit der Deutschnationalisteit,
richtet sich gegen die Republik und gegen di«
Demokratie. Me Kommunisten sind gleichfalls
erbitterte Feinde der heutigen, auf demo-
kratischer Grundlage aufgebauten Republik; sie
wollen russische Verhältnisse haben. Die Kommu-
nisten können daher gar nicht ehrliche und zuverläs-
sige Verteidiger der Republik sein, die sie täglich als
Stpatsform m Wort und Schrift genau so her-
unterzureißen trachten, wie es die Deutschnationa-
listen ebenfalls tun.
Auch wir Sozialdemokraten rüsten uns
zur erfolgreichen Abwehr nationalistischer Unter-
nehmungen. Im Reiche wie in Baden. Und
weder der Reichspräsident, noch der Reichs-
kanzler noch der Reichswehr m in ist er sind
über den vollen Ernst der Situation im Unklare»
gelassen worden.
Die Verteidigung der Staatsform gegen Putschi-
sten ist in erster Linie Aufgabe und Pflicht der R e -
gterung, der Behörden und der Sxckuttvorgane
Kes Staates. Freilich mutz sich dabei die Regierung
unter de» gegebenen Verhältnissen absolut aufdie
republikanische Bevölkerung stützen
und verlassen können, umgekehrt natürlich auch die
Republikaner auf die Zuverlässigkeit der Regierung
An der republikanischen Zuverlässigkeit der ha-
dtschen Staats-regieruug sind Zweifel nützt erlaubt.
Das beweisen die Erfahrungen. Auch die Ver-
waltungsbehörden werden im allgemeine»
zuverlässig sein, wenn es auch in vielen Amtsstube»
verdammt laue „Republikaner" geben mag. Das
trifft leider auf nicht unerhebliche Richlerkreiie unh
Lehrkräfte an Hoch- und Mittelschulen zu. Un-
da können wir es nicht unterdrücken, ganz ofseir zu
sagen, datz wir seit Jahr und Tag sowohl im I u <
st i z - wie im Kultusministerium jenes Motz
von gebotener Energie vermissen, das unbedmgt er-
forderlich ist, falls die Republik auch im Gerichts-
kaal und an den Schulen wirksam geschützt werden
so«.
Die vorhandenen Machtmittel der badischen Re-
gierung reichen, richtig, energisch und Planmäßig
angewendet, durcbaus aus, um zunächst einens
Putschistischen ueberfall erfolgreich zu begegnen,
Und in wenigen Stunden wäre in einem solchen
Falle die organisierte Arbeiterschaft zur
Stelle. Die Kraft der organisierten Arbeiterschaft
Im Falle eines Pursches ruht aber nicht in erster
Linie in. m i l i t är t s ch e n S P t e l e r e i e n, son-
dern im ureigensten Element der Arbeiterschaft.
Darum müssen wir alle Vorbereitungen
zur Abwehr eines Putsches zum Ziel und leitenden
Gedanken haben, datz die zur Verteidigung der Re-
publik entschlossen« Arbeiterschaft der republikani-
schen Regierung rasch und sicher zur Ver-
fügung steht. Regierung und Staatsgewalt im
Zusammenarbeiten mit der organisierten
Arbeiterschaft, werden schließlich über jeden
PutschHerr werden. Die Möglichkeit, daß schnell
dnrctzgefiihrte Handstreiche Putschisten vorübergehend
in den Besitz selbst wichtiger Punkte bringen, ist für
den Ausgang nicht ausschlaggebend. Es
geht da wie im Kriege: man kann viele Schlachten
und Gefechte gewinnen und trotzdem den Krieg ver-
lieren. Und auf das Letztere kommt es an..
Eine entschlossene Regierung, die sich ihrer
Ausgaben und Pflichten auch in schweren Zeiten
innerer Unruhen bewußt ist, wird besonders in
einem LandewieBaden, gestützt auf ihre eige-
nen Machtmittel und auf die absolut sichere Ge-
folgschaft der Masse n der organisierten Arbeiter-
schaft über putschtsttsctze Unternehmungen den Steg
davoutragen.

bracht zu haben meinte, nun auch Politisch auszu-
beuten. Es ist dem General Ludendorff, der in seiner
Münchener Villa sitzt, Vorbehalten geblieben, wieder
einmal jenen gehässigen, verwüstenden Ton anzu-
schlagen, der seit bald fünf Jahren die Atmosphäre
in Deutschland vergiftet und dasdeutscheVolk
zerreißt, indem er in einer an die deutschen Of-
siziersverbände von ihm ergangenen Aufforderung
zur Errichtung eines Denkmals für Schlag-
eier dieses Denkmal als Mahnzeichen dafür gesetzt
wissen will, „wie tief wir durch Ehr- und Wehrlosig-
keit gesungen seien". Man weiß zur Genüge, was
und wer damit gemeint ist. Der Republik, dem heu-
tigen Staat, Schwierigkeiten zu bereiten, dazu sind
den Politisch Skrupellosen, wie der Münchener
Prozeßmit erschreckender Deutlichkeit gezeigt hat,
alle Mittel recht. Man durchbricht jetzt skrupellos
die nationale Front, indem man als das Wahre und
wirklich Patriotische den aktiven Widerstand,
cven die Sabotage, hinstellt, sie verherrlicht und nach
Kräften dazu aufruft. Die Vermutung liegt nahe,
datz man damit zugleich die Absicht verfolgt, bei
Verwicklungen, die dadurch entstehen könnten, für
seine tnnerpolitischen Zwecke Kapital zu
schlagen. Sluck aus dieser Hinsicht wird die Sabo-
tage zu einer Gefah r, die von der Reichsresierung
mit aller Energie bekämpft werden müßte.
*
Im Zusammenhang damit sind folgende Darle-
gngen des Karlsruher „V o lks fr e und" über:
„Die nationalistische Gefahr — Proletarische Hun-
dertschaften" beachtlich:
Die komerrevolut ,aären Nationalisten entfalten
auch hier in Bad^n eine intensive Tätigkeit.

Die Lage im Reich.
Niemand hat Freude an der
Devisenpolitik.
Köln, 29. Juni. Im Anschluß an den rheini-
ichen Provinziallandtag hielten sich der Reichskanz-
ler und der Reichswirtschaftsminister Dr. Becket
bei Mitgliedern des Eisen- und Stahlwerk-Jndu-
stricllsnbundes auf, der gerade seine Tagung int
Elberfeld hatte. Dr. Becker hie.t eine Rede, in der
er u. a. sagte:
Infolge der neuerlichen Erhöhung des Dollar-
kurses mutz eine Neuregelung der Ausfuhrabgabe
in Aussicht genommen werden. Die entscheidende
Sitzung hierüber findet nächste Woche im Retchs-
wirtschaftsministerium statt. Es ist an eine Er-
höhung der Ausfuhrabgab.- und Beseitigung der
Freilisten gedacht. Eine Entscheidung hierüber fällt
aber erst in der nächsten Wcche. An Zwangsmaß-
nahmen in der Devisenpolitik hat niemand in der
Negierung Freude; aber wenn die Mark so stark
fällt und wenn alle Schichten der Bevölkerung, dar-
unter auch der Mittelstand, dadurch beunruhigt wer-
den, dann wäre es ein Verbrechen am Bolle ge-
wesen, wenn diese Maßnahmen nickt getroffen wor-
den wären. Jetzt hat nran den Versuch gemacht, den
schlimmsten Auswüchsen enigegenzutreten. Naluge-

Annahme der Kredite.
Warum habe man das Ruhrgebiet und nicht
eine andere deutsche Gegend besetzt?
Wenn man politische oder feindliche Absichten gehabt
hätte, würde man das Maintal besetzt haben, um
LeEhlaud in zwei Stücke zu zerreiße». Aber nran
habe nur cinen wirtschaftlichen Druck aus-
üben wollen, und deshalb sei man in das Ruhr-
gebiet ei'ngedrangen, in die Schlagader Deutsch-
lands, wir sich Bouar Law ausgedrückt habe, in
den Kassenschrank des widerspenstigen Schuldners.
Poincarö ging dann auf den Kampf Deutschlands
ein, das den passiven Widerstand organisiert habe.
In Wirklichkeit sei dieser Widerstand aktw, verbre-
cherisch und hiknrerlistig. Der Gedanke dazu gehe
von den Großindustriellen und von der deutschen
Regierung aus. Das sehe man im Ausland, na-
mentlich beim Heiligen Stuhl, der auch Irr-
tümer begehen könne, nicht immer ein. Wir
darin fortgefahren, und trotz alledem werden
fortfahren. Die siegreiche Nation will nicht
ihren Sieg verzichten, sie wird ihren Willen
Besiegten aufzwingen, der seine Niederlage nicht aiv-
erkennen will. Das Einvernohmen zwischen Gene-
ral Degoutte und Tirard sei vollkommen. Aus die-
sem Grunde habe man alle Zwangsmaßnahmen
gegen die preußischen Beamten ergreifen können, und
sie seien in der Zahl von 16 (XX) ausgewiesen wor-
den. Die Aktion Frankreichs mache sich derart be-
merkbar, datz die deutsche Regierung den Widerstand
nur durch Geldverteilung au die Beamten, Arbeiter
und Industriellen fortsetze» könne. Dadurch erschwere
sie von Tag zu Tag ihre finanzielle Lage.
Deutschland warte auf ei,» Wunder,
aber die Wunder kämen nicht oft. Es vergehe
Tag, an dem nicht ein deutscher Industrieller
Versuch mache, mit französischen Industriellen oder
Politikern zu verhandeln. Das einzige Mittel, um
Deutschland zur Zahlung zu zwingen, sei, in
Deutschland den Wunsch zu erwecken, wieder das
Ruhrgebiet zurückzubckommen. Frankreich habe
keine A n ne r i o ns g e d an k e n.
Die letzten deutschen Vorschläge sind nicht seriös;
sie verdienen keine Beantwortung.
Wenn Deutschland das nicht versteht, umso schlim-
mer für Deutschland! Unsere Soldaten verteidigen
nicht nur den unterzeichneten Vertrag, sondern die
dc utsche Republik selbst gegen ihre Verirrungen.
Senator Jenouvrieri stimmte de» Erklär»»,
gcn Poincarss zu.
Senator Francois Albert jedoch ging auf den
päpstltchen Brief ein, der ganz den deutschen
Vorschlag annehme. Er würde dieses Dokument als
einen frommen Einfall, als eine Art Bergpredigt
auffassen, wenn es nicht die stets befolgte Politik
des Vatikans bestätigen würde. Senator Albert
fragt Poincare: Er Hobe die Gefahr der sozialisti-
schen Internationale gckennzetchnet; welche Haltung
werde er gegenüber der katholischen Weißen Inter-
nationale einnehmen? Poincare antwortete: „Ich
kenne nur Frankreich und die Republik!"
Nach einer wetteren unwesentlichen Debatte er-
klärte der Vorsitzende des Ausschusses für Auswär-
tige Angelcgenheften. de Selbes, Frankreich und
das Ausland müßten wissen, daß der Senat die
heutige Erklärung des Ministerpräsidenten billige.
Darauf wurden die Ruhrkredite einstimmig von den
298 anwesenden Senatoren bewilligt.

Parts, 29. Juul. Der Senat hat heute nach-
mittag die Beratung der von der Kammer ange-
nommenen Kredite für die Ruhrbefehung begonnen.
Der Berichterstatter, Senator Verenger, führte
zur Begründung folgendes aus: Im Monat Dezem-
ber hat Frankreich seine UnzufriedenhN"mlt"^er
geringe» Rührigkeit der Reparattonskommtsston trotz
der wiederholte» Verfehlungen Deutschlands gegen-
über den Verpflichtungen, die ihm der Friedens-
vertrag auferlegt hat, kundgegeben. ES war also
notwendig, zu handeln. Die Kammer und der Se-
nat haben das Vorgehen des M nisterprästventen
gebilligt. Di« Begründung der Ausgaben stad im
Finanzausschuß des Senats und im Kammeraus-
schuß für auswärtige Angelegenheften vom Minister-
präsidenten gegeben worden. Da Deutschland sich
entgegen dem Friedensvertrag von Versailles auf-
lehnte, mußten die Eisenbahnen in Regte genommen
werden. Daraus ergaben sich die übrigens ncht
übertriebenen Ausgaben. Augenblicklich, so fuhr
der Berichterstatter fort, übersteige t die tatsächlichen
Ausgaben sür das Ruhrgebiet ILO Millionen. Ein-
nahmen haben wir aus Zöllen, Anssuhrbewill'gun-
gen und durch Beschlagnahme von Geldern 67 Mil-
lionen. Dle Summe aus ser Beschlagnahme der
Kohlen und Farbstoffe beläuft sich auf 296 M Ilio-
ncn, die durch die Ruhrbelstzung erworbenen Wcrte
übersteigen also wesentlich die Ausgaben. Di« Kob-
len- und Kokslager des Ruhrgebiets sichern uns für
acht Moua:c die Zufuhr. Wir fördern täglich 24 000
Tonnen Brennmaterial ab. Die Ruhrioperatton wird,
Wie wir hoffen, eines Tages eine interalliierte Ope-
ration Werden, ausgeführt zum gemeinsamen Nutzen
aller Alliierten. Die deutsche Propaganda
ist bis zum Vatikan vorg-drungen, der heut«
wünscht, datz die Taten, die Deutschland begangen
hat, in Vergessenheit geraten. Das läßt uns an die
Wirksamkeit unserer diplornalftchen Vertretung beim
Vatikan zweifeln.
Der Senat tritt alsdann in die Beratung des
Gesetzentwurfes ein.
Ministerpräsident Poiucart
erklärte, er wolle wieder einmal für das Ausland,
sür die weltlichen und geistigen Mächte, die Maß-
nahmen rechtfertigen, die Frankreich ergriffen
habe und, wenn es notwendig sei, gegen einen wider-
spenstigen Schuldner weiter ergreifen werde. Die
Reparationskommlsston habe den Betrag der von
Deutschland noch zu bezahlenden Schuld festgesetzt.
Nach einem Eingehen auf die Konferenzen von San
Nemo bis zur Londoner Konferenz im
Mat 1921 erklärte Poincare, die Reparatiouskommis-
sicn habe gemäß der Bestimmungen des Vertrags
seinerzeit die deutschen Sachverständigen gehört und
die Reparatiousschuld auf 132 Millionen
Goldmark festgesetzt. Das habe Deutschland am
12. Mai 1921 unter der Bedrohung, daß man im
gegenteiligen Falle sofort
werde, angenommen,
habe für Deutschland das
Versprühungen, die nicht
Nachdem nun im Januar
ston nach soviel bewilligten Fristen die allge-
meine Verfehlung Deutschlands festge-
stcllt hatte, habe mau das Recht erlangt, Sanktionen
zu nehmen. Deshalb habe Frankreich am 11. Ja-
Nnar 1923 das Ruhrgebiet besetzt.

Nie MlWWlMA
MltiilWiM
Deo „Neuen Züricher Zei-
1 u n g" geht folgende beachtliche Schil-
derung ihres süddeutschen Mitarbeiters
zu:
Wer sich in deutschen bürgerlichen Kreisen um-
steht, wird eine st ark «Aktivität derNatio-
naltslen bemerken. Das ist nicht unbegreiflich.
Di« lange Dauer der Ruhrattion, die immer schär-
fer werdenden Methoden des französischen Druckes
n»d dazu die rapid wachsende Verelendung infolge
der ungeheuer vorgeschrittenen Geldentwertung und
Teuerung erzeugen die Atmosphäre, in
der die nationalistischen Tendenzen gedeihen und
einen nur zu einpsRiglichen Boden finden. In Süd-
deutfchland ist die national-sozialistische Agitation
längst von Bayern »ach Württemberg und
Bade n übergesprungen. Ihre Organtsatio-
n c n sind in Württemberg und Baden verboten,
aber die Sache besteht auch ohne äußere veroins-
Mätztgc Form weiter und vielleicht wird gerade das
Verbot zu einem Anreiz für sie. Mit Fanatismus
Wird sür die Bewegung geworben, nicht in der Oef-
fintttchkeft, aber unter der Hand, am WirtS-
tifch, von Person zu Person.
In dieser Atmosphäre wächst die jetzt mehr sich
häufende Sabotage gegen die Franzosen,
die sich hauptsächlich an den von ihnen besetzten
Bahnkörpern, Bahnhöfen, den unter ihrer Regie
stehende» Eisenbahnzügen betätigt. Es vergeht jetzt
saft kein Tag, datz nicht aus der Ruhr oder dem
Rheinland oder der Pfalz ein Sabotageakt gemeldet
wird. Die Demütigung Deutschlands unter der Ge-
walt des Siegers, der jetzt schon über fünf Monate
mitten im Frieden deutsches Land unier seiner Faust
hält, die Leiden der Bevölkerung der besetzten Ge-
biete, der ganze Zustand Deutschlands, das sich das
alles wehrlos gefallen lassen mutz, machen erklär-
lich, das; cs schließlich auch zu solchen Erscheinun-
gen kommt. Daß die Franzosen sie mit schärfsten
Maßnahmen beantworten, scheint uns »icht so un-
verständlich zu sein, wt« es jetzt tu Deutschland ge-
wöhnlich brurtettt wird. Wen« die Sicherheit und
öas Leben ihrer Truvven gefährdet wird, wie jetzt
- B. wieder bet »er Sprengung unter dem Zug
Varis—Wiesbaden, w» ein französischer Soldat ge-
ö.et und eine Anzahl Reifende verletzt wurden, ist
im Interesse ihrer Sekbsterhaltung kaum Milde
mögltch. Im Krieg wurde mit derartigen Sabo-
uurcn kurzer Prozetz gemacht. Was aber die Aran-
wfcu bei ihren Todesurteile» ins Unrecht fetzt, ist
die von ihnen aufrechtgehalten« Fiktion, daß, was
sic an der Ruhr tum ein friedlicher Akt und eine le-
gale Folge des Vertrages von Versailles sei. In
Wiulichkeit aber ist es Krieg.
Je mehr dies« Talen sich häuf«», umsomehr wird
es aber unseres Erachtens bohe Zeit, mit aller
Deutlichkeit gegen die Sabotage und
mich gegen ihre Verherrlichung Stellung zu nehmen
m»d zwar gerade aus den deutschenJntercs-
i e n heraus. Die Sabotage ist ein schwerer
Fehler, ja ein Unglück und ihre Verherrli-
chung zum mindeste» eine grotze Gedankenlosigkeit.
Sie nützt nichts. Im Gegenteil, die Sabotage
schadet der Bevölkerung des besetzten Gebietes,
die, wie man hört, gar nicht erbaut ist davon. Die
Folge ist sür sie immer die Verhängung sofortiger
Sanktionen, die für sie einen schweren Schaden
u» Geld und Gut, an Bewegungsfreiheit, Verhaf-
tung ihrer Behörden ufw. bedeuten. Statt die Lei-
de» der Bevölkerung zu erleichtern, bewirft die Sa-
botage, datz sie vermehrt werden.
Die badische Regierung hat ans de» Sa-
botageakt bei Offenburg hin das Richtige getan, in-
dem sie sofort Verhaftungen verdächtiger Personen
Und strafrechtliche Untersuchung vornehmen lt<ß.
Sie wird darum von einem Berliner deutschnaiio-
dalen Blatt scharf angegriffen. Schon früher bat
die Kretsregierung der Pfalz, allo eine
bayerische, darum national gewiß nnvcrdäch-
tigc Behörde, eine Bekanntmachung erlassen, in der
heitzt:
„Die Regierung der Pfalz steht sich veranlaßt,
aufs neue vor Anschlägen auf die Eifeubahu-
anlagen zu warnen. Wenn die Täter derartigsr
Handlungen vom vaterländischen Gesichtspunkt
»us zu handeln vermeinen, so zeugt das von einer
verderblichen Kurzsichtigkeit und ent-
schuldigt nicht den v e r b re ch e r r s ch e n L c! ch t-
stun. Mit jenen Handlungen wird dar nichts
^reicht, was dem Vaterland nützen könnte."
, Man vermißt heute ein cbenso deutliches und
'dtschjedenes Wort von feite» orr Rctchsregie -
,b»g, das um so nötiger wäre, als von französi-
scher Seite di« Regierung immer wieder der Mit-
' sscrschaft der Unterstützung beschuldigt wird.
Noch aus einem andern Grund wäre es Zelt, daß
S«n die Sabotage mit aller Entschiedenheit Front
einacht würde. Die Kreise, ans denen sie stammt
«er die sie jetzt vom sichern Port aus verherrlichen,
"«d zugleich die Kreise, die alles Unglück Dnitsch-
»ds aus der republikanischen Staalsform tzerlel-
Mindestens so groß wie ihr Haßgegen die
! ' a n zc - « m ihr Has; g e g c >r d t e RePn -
-Z i Mau scheut sich jetzt nicht, des Opfer, das
hlggeter in gutem Glaube» SM Vaterland xe«
 
Annotationen