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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 191 - Nr. 200 (19. August - 30. August)
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Volkszeitung

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5. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 22. August 1923

Nr. 193

Zum Nachdenken.
8r. Heidelberg, 22. Aug.
Langsam zerrinnen die Tage im Sand. Eben-
so wie dem im Elend dahinweilenden Einzelmen-
schen die Sekunde zur Stunde und die Stunde zur
Woche wird, ebenso wird dem krankheitsdurchfurch-
ten Deutschen Volk jeder einzelne Tag zur langen
Epoche. Nur schwer wird es daher verständlich zu
machen sein, daß die Regierung Stresemann
eine gewisse Wartezeit braucht, um nach Mög-
lichkeit — ganz ist es unmöglich — den Maschiuen-
uch wieder einzurenken, den die Regierung Cuno
em deutschen Staatswagen beibrachte. Das dar-
bende, hungrige deutsche Volk möchte
rasch eine Wendung sehen, mutz sie rasch
sehen, da sonst die ärztliche Kunst der neuen Regie-
rung zu spät kommt. Die außen- und innenpoli-
iische Situation des deutschen Volkes erträgt keine
Vertagung des heilenden Eingriffs. So knapp
als möglich mutz die Wartezeit bemessen sein. Je-
de r T a g der Zögerung verringert die Möglichkeit
des durch die ungeheuren Fehler des letzten „Kabi-
lctts der Fachmänner ohnehin fragbaren Erfolges.
Soll jedoch überhaupt ein Erfolg der Regierung
Stresemann möglich sein, so mutz schnellstens
das Steuerruder des Reiches aus jene Kurve ein-
gestellt werden, die Wirth - Rathenau mit zwar
sehr langsamem, jedoch klar erkennbarem Erfolg be-
schritten. Es hat keinen Sinn mehr, zu verschleiern,
datz das deutsche Reich durch den offiziellen und
sttmmungsmätzigen Etnflutz der Deut schna Ilo-
na len und Deutschvölktschen in eine
Richtung gedrängt wurde, die seinen völligen Zu-
sammenbruch dicht vor uns erscheinen läßt. Die
Hetze gegen die Republik und gegen die Ver-
ständigung hat bittere, ja todbringende Früchte
"zeugt. Die Propagandaabtetlung des französischen
Auswärtigen Amtes kann sich bequem ins Fäustchen
"iben. Die in die deutschvölkische und national-
iozialistische Bewegung gesteckten Franken haben in
dollem Ausmatze ihre Schuldigkeit getan: Das deut-
>ehe Reich und das deutsche Volk befindet sich in
cmer Lage, wie sie schlimmer sein ärgster Feind sie
ihm nicht wünschen kaum.
Nicht von ungefähr ist dieser Zustand gekoin-
meu, den wir Sozialdemokraten schon lange
kommen sahen und vor dem wir durch Befürwor-
t'wg einer Friedenspolitik der deutschen Republik
mglich warnten. Nachdem Ludendorsf den Krieg
ocrloren Hatte, war es für die Sozialdemokratie klar,
«atz die Einheit des Reiches und der Wie-
deraufstieg nur dadurch ermöglicht werden
konnte, datz das deutsche Reich eine konsequent re-
vublikanische Politik der Friedens-
Erfüllung führte. Die Sozialdemokratie unter-
Uutzte daher mit allen verfügbaren Kräften Die Er -
sullungspolitik des Kabinetts Wirsth-
tathenau als allein mögliche Steuerart des
deutschen Reiches. Nur durch eine Erfüllungspolitik
war es möglich, die Franzosen davon abzuhalten,
u>rcn über den Vertrag von Versailles
"ausgehenden Plänen uachzugehen; nur durch
"ne Ersüllimgspolttik war es möglich, der Welt zu
Zeigen, das; die deutsche Republik Willens War, wte-
er g u t zu machen, was die Hohenzollern ver-
kochen; nur durch eine Erfüllungspolitik konnte man
> der Welt Freunde gewinnen, die bereit
aren, Deutschland zu unterstützen, wenn es die
asteu des Vertrags von Versailles auf das erträg-
«che Matz zuriickgeführt haben wollte, nur die aus
r Erfüllungspolitik entströmende äußere Ruhe
s dieUnterlagefüreineinnereKon-
'vlidierung geben.
w solche Erfüllungspolitik erforderte jedoch
st geh ende Opfer. Zunächst war Ge-
. " i " "ötig. Denn nicht von heute auf morgen konn-
n sich die Früchte dieser Politik zeigen, nicht von
d s morgen konnte auf den Trümmerhaufen
rs Krieges ein Paradies gezaubert werden, nicht
n heute aus morgen konnten unsere Gegner, die
" größten Teil der ganzen Welt bildeten, in
eunde und Helfer Deutschlands umgeschaltet wer-
s/. Dann aber war zur Erfüllungspolitik gei-
°Se Einsicht nötig. Das deutsche Volk mußte
ennen, daß die S t a a ts m a n n s ku n st eines
N.'Ngien und zertretenen Deutschland andere
^el erforderten, als die des als Jupiter an
A r,, egesiafel thronenden Bismarck. Die deutsche
galt bersch ast mutzte erkennen, datz es jetzt
der-' sich geschlossen hinter die die Aufbaupolitik
dem Sozialdemokratische Partei zu stellen in
dnnu Gedanken, datz für weitergehende Pläne erst
diene * Moment gekommen, wenn die Funda-
t us - wieder gesichert. Das deutsche Bürger-
se l r, u "e den Fortschritt einsehen müssen, den es
don d ^utacht batte, indem sich das deutsche Reich
sch e Feudalmonarchie zur Parlamentär!-
ilafie Br> " b l i k durchrang, die ihm erst waür-
ichgelhal/aerrechtc gab, nachdem es zuvor Steig-
beutsch? ^8 Junkertums gewesen war. Der
hätte / i und das deutsche Offizierkorps
sich um »„'/eu 'nüssen, daß weder Zeit vorhanden,
Ar eindm-» ^rne Vorrechte zu unterhalten, noch
den, den " > '^rndes Volk Möglichkeiten bcstan-
'wein d'honneur"-Standpunkt gegenüber
uueren Feind zu ivahren, der aus den
'en, Ware» , uur Honig sauz-n wnule. Vor
Oas deut n - m och materielle Opfer uöfig.
Volk mußte sich restlos klar darüber

sein, daß eine Erfüllungspolitik Geld Und wje-
de r G e l d kostete; datz nur durch völligenVer-
zichi auf äußeren Luxus Deutschland die
Summen aufbringen konnte, die Voraussetzung
für eine Erfüllungspolitik war.
Zu dieser Opferbereitschaft bestand jedoch keine
Bereitschaft. Statt mit Geduld bessere Zeiten
abzuwarten, glaubten zahlreiche Kreise die Regie-
rung Wirth-Rathenau verantwortlich machen zu
müssen, weil sie nicht plötzlich die Hoheuzollernschc
Konkursmasse in ein blühendes Aehrenfeld verwan-
deln konnte. Statt die Regierung Wirth-Rathenau
zu unterstützen, zerfleischte sich die Arbeiter-
schaft, schimpfte das Bürgertum auf die „Partei-
und Gewerkschaftsgrötzen", ergingen sich
Viele der ehemals Privilegierten in Anzettelun-
gen gegen die Republik, die jede Sanierung
unmöglich machten. Statt materielle Opfer zur Er-
füllung des Friedensvertrags zu bringen, verschrieb
sich das deutsche Bürgertum der sinnlosen na-
tiv na li st i sch e n Hetze, die den Deutschnatio-
nalen ein gefundenes Fressen war, Herrn Poincars
jedoch nur ein Mittel war, erst recht gegen ein wehr-
loses Volk zu wüten.
So wurde die Hetze bis zur Ermordung Rathe -
naus getrieben, nachdem Erzberger vorange-
gangen, so wurden dem Kabinett Wirth die Nägel
zu seinem Sarge geschmiedet, so wurden unter Cuno
Poineare die Möglichkeiten zum Ruhreinmarsch
in die Hände gegeben, so wurde der Ruhrkon-
fltkt auf eine Höhe gebracht, datz heute Deutsch-
land keinerlei Initiative mehr besitzt.
Wenn daher das deutsche Volk bessere Zu-
stände wünscht, so bleibt ihm in diesen Tagen des
Wartens — die jedoch, wie wir nochmals betonen,
engbefristet sind — als oberste Aufgabe darüber
nachzudenken, wie es gekommen. Hat das
deutsche Volk denn erkannt, datz es wiederum
seine eigene Schuld ist, datz es so gekommen,
daß es durch seine Unterwühlung der Re-
publik und durch seine Bekämpfung der
Erfüllungspolitik all das vernichtete, was
die republikanischen Parteien in einigen Jahren
aufgebaut, so wird — sofern die Konsequenzen ge-
radlinig gezogen werden — der Weg des deutschen
Volkes, wenn auch über steinigem Boden, wieder
in die Höhe gehen.
Die französische Note
an England.
* Heidelberg, 22. August.
Die französische Antwortnote an England ist ge-
stern vormittag in London überreicht worden. Wenn
auch ihr offizieller Text noch nicht vorliegt, so geben
doch die Mitteilungen des „Temps" gewisse Auf-
schlüsse. Danach verlangt Frankreich, wie schon
früher, klare Sicherheiten und Pfänder für seine
Forderungen, die es in Verbindung bringt mit sei-
nen Schulden an seine Ententefreunde. Wenn auch
zahlreiche kritische Bedenken gegenüber dem franzö-
sischen Forderungen bestehen, so halten Wir es doch
für unsere Pflicht, die Regierung auf die Notwen-
digkeit einer Aktivität gegenüber dieser neuesten
Kundgebung hinzuweisen. Wir hätten sicherlich vie-
les billiger und bequemer haben können. Die be-
sitzenden Kreise des deutschen Volkes glaubten jedoch,
ebenso wie sie ihre Pflicht gegenüber dem eigenen
deutschen Volke vernachlässigen, sich auch gegenüber
dem Ausland von Verpflichtungen drücken zu kön-
nen. Dein Ausland gegenüber habm sie jedoch, wie
uns die Ruhrbesetzung zeigte, nicht den gleichen Er-
folg wie bei ihrer Sabotage gegenüber der Deutschen
Republik. Je mehr Deutschland seine Zahlungs-
unfählgkeit darzulegen suchte, umso schärfer forderte
Frankreich Sicherheiten und Pfänder für die Er-
füllung der deutschen Zahlungsverpflichtungen.
Wenn wir auch der Ansicht sind, daß es der Ver-
mittelung Englands gelingen wird, die französischen
Forderungen etwas herabzuschrauben, so glauben
wir doch kaum, datz es gelingen wird, Frankreich im
Prinzip von seinen Pfänderwünschen abzubringen.
Es ist dies sowohl aus wirtschaftlichen Wie aus ho-
heitsrechtlichcn Gründen sehr zu bedauern, weshalb
wir wünschen, daß es der Reichsregierung gelingt,
hier noch eine Mäßigung dnrchzusetzen. Allzuwei-
gehende Hoffnungen haben wir jedoch nicht, nachdem
das deutsche Unternehmertum durch seine Steuer-
sabotage Deutschland in die jetzige Lage brachte.
Sache der Reichsrcgierung muß es auf alle Fälle
sein, unter Wahrung der deutschen Hoheitsrechte ge-
genüber gegnerischen Forderungen schnellstens aktiv
Vorzugehen. Denn lange Frist ist uns nicht gegeben.
Die Generalsekretäre bei Poineare.
Paris, 21. Aug. Die 28 G e n era lrii te, die
gestern zusammengetreten sind, haben sich sämt-
l t ch für die Außenpolitik Poincares, besonders für
die Ruhrpolitik ausgesprochen.

Deutschlands Verpflichtungen.
Paris, 21. Aug. Dem „Temps" zufolge wird
inderfranzösischenNoteanEnglandder
französische Anspruch auf Reparationen
nunmehr definitiv auf 26 Milliarden Gold-
mark festgesetzt. Darüber Hinaus behalte Frank-
reich sich vor, diejenigen Beträge von Deutschland
zu fordern, die es selb st an seine Gläubiger Eng-
land und die Vereinigten Staaten zu zahlen haben
werde. Eins neue Nachprüfung der deutschen Zah-
lungsfähigkeit sei überflüssig geworden, nachdem
nunmehr die Mindestforderungen der hauptsächlich-
sten Gläubiger Deutschlands bekannt seien. Da
Frankreich nicht unter 26 Milliarden, Belgien nicht
unter 5 und England nicht unter 14,2 Milliarden
herabzugehen entschlossen seien, werde sich die Ge-
samtverpflichtung Deutschlands, vor-
behaltlich der amerikanischen Ansprüche, notwendi-
gerweise um 50 Milliarden herum bewegen
müssen, eine Ziffer, die nach der Meinung der mei-
sten alliierten Sachverständigen das deutsche Lei-
stungsvermögen nicht übersteige.
Berlin, 21. Aug. Die neue französische Note
nimmt vielfach Bezug auf die friihere Instruk-
tion an St. A u l a tr e. Diese lautet:
Die französische Regierung gibt sich davon Re-
chenschaft, datz Deutschland, um regelmäßige und
bedeutende Zahlungen leisten zu können, und um
seinen Kredit, den es absichtlich ruiniert hat, wieder-
herzustellen, eine gewisse Frist braucht, um sein
Budget ins Gleichgewicht zu bringen. Sobald dies
geschehen ist, wird es leicht sein, die verschiedenen

Einnahmequellen zu Prüfen, die zur Ver-
fügung der Alliierten gestellt werden müssen, sei es
zur Sicherstellung der Annuitäten oder aber als
Garantie für aufzulegende Anleihen. In erster Linie
kamen dafür die Eisenbahnen, Monopole
usw. in Bettacht. Bis dahin aber mutz Deutschland,
das nichts von seinem wirklichen Reichtum eingebüßt
hat, den Alliierten eine gewisse Anzahl sofort reali-
sierbarer Einnahmequellen zur Verfügung stellen,
auf Grund deren diese in der Lage sind, entweder
gewisse Beträge laufend einzukassteren, oder aber sie
als Unterlage für Anleihen zu venutzen. unter
diesen Einnahmequellen, die den Vorteil
haben, daß sie nicht erst in fremde Währung umge-
wandelt werden müssen, sollen sich die folgenden be-
finden:
1. Die EisenbahnendesltnkenRhein-
ufers, die bereits von einer interalliierten Regte
verwaltet werden, sollen an eine Gesellschaft
übertragen werden, an der Frankreich, England, Bel-
gien und das Rheinland beteiligt Werden sollen. ES
ist wohl nicht nötig, aus den Wert dieses Pfandes
ders hinzuweisen.
2. Eine Anzahl Kohlenzechen des Ruhr-
reviers sollen vom Reiche enteignet und an eine
Gesellschaft übertragen werden.
3. Die Naturallieferungen sind in einem
noch zu präzisierenden Umfange wieder aufzunehmen.
4. Die deutschen Zölle sind in Gold oder
Goldwert zu erheben und den Alliierten auszu-
liefern.
5. Gemäß den» in Deutschland selbst angewandten
Shstern soll ein gewisser Prozentsatz der aus dem
Erlös gewisser Exportartikel der Großindustrie re-
sultierenden Devtsen an die Alliierten abgeliefert
werden.

MMW M«« klWM

* Heidelberg, 22. Ang.
Die den sozialdemokratischen Ministerien nun-
mehr gewordene Einsicht in den Augiasstall, den
Cuno hinterlassen, zeigt, daß die M t ß w trt fch ast
noch viel größer ist, als man ursprünglich
dachte. Diese Tatsache veranlaßt den „Sozialdemo-
kratischen Parlamentsdtcnst" diktatorische Matz-
nahmen zu Verlagen, die allerdings u. E. durch eine
gleichzeitige Beilegung des Ruhrkonfltkts erzeugt
werden müssen. Als nationale Notwendigkeiten
fordert der „SPD." schärfste Maßnahmen, indem er
schreibt:
Deutschlands wirtschaftliche Lage ist bitter
ernst. Die wirkliche Größe der zu überwindenden
Schwierigkeiten hat sich erst ergeben, nachdem die
neuen Minister Gelegenheit gehabt haben, einen
Ueberblick über den Gang der bisherigen Ge-
schäfte zu gewinnen und insbesondere die trüge-
rischen Schlußfolgerungen der Geschäftsführung des
Finansminister Hermes klarzustellen. Es hat keinen
Sinn, die Verhältnisse rosiger oder katastrophaler
zu malen, als sie tatsächlich sind. Aber das eine ist
sicher: Die letzten vom Reichstag beschlossenen steuer-
politischen Maßnahmen erscheinen heute gegenüber
den finanziellen Bedürfnissen des Reiches geradezu
als Palltativmittelchen.
Wenn es noch eine Möglichkeit gibt, den Ver-
rat derer am Volke zu bannen, die aus Geschäfts-
gründen sonst zu den eifrigsten Durchhaltepolitikern
gehören, dann sind es diktatorische Matz-
nahmen der Reichsregierung. Mit allen Mitteln
muß die neue Regierung versuchen, den Kampf des
Staates gegen das SPekulantentuM, der jetzt in
voller Größe eingesetzt hat, zu einem aussichtsreichen
Ende zu führen. Gelingt das nicht, dann ist der
Zusammenbruch des Reiches unvermeidlich.
Was ist zu tun? Nichts darf unversucht bleiben,
um wenigstens als Voraussetzung zur Gesundung
unserer allgemeinen Lage stabile Währungs-
verhältnisse zu schaffen und so die Inflations-
gewinnler zu erledigen. Das ist jedoch nur möglich,
wenn dem Staat vorerst ein Jnterventions-
sonds zur Verfügung stobt, mit dem er der kata-
strophalen Lage auf dem Geldmarkt entgegenarbei-
ten kann. Man darf sich jedoch nicht weiterhin der
Täuschung hingöben, daß ein großer Teil der deut-
schen Wirtschaft, der am Ruin der Mark interessiert
ist, sich gleichzeitig freiwillig bereit zeigen würde,
einen Fonds schaffen zu helfen, der seiner Interessen-
wirtschaft ein Ende bereiten soll. So dumm sind
unsere „nationalen Kreise" nicht, wenn es an ihren
Geldbeutel geht. Duinncheft zu eigenen Gunsten
zeichnet sie nur aus bei der Zahlung von Steuern
und bei der Auslegung der Paragraphen unserer
Steuergesetze. Zur Schaffung eines Interventions-
fonds sehen wir deshalb vorläufig keine andere
Möglichkeit, als die Beschlagnahme der in
Deutschland befindlichen Devisenbestände. Ge-
wiß ist auch eine derartige Matznahme mit Schwie-
rigkeiten verbunden, die aber zu dem Ergebnis nicht
in Vergleich zu stellen sind und deshalb durchaus
erträglich scheinen. Bevor jedoch ein solcher Schritt
durchgeführt wird, müssen die notwendigen Bor-
de r e i t u n g e n bis ins kleinste getroffen sein. Mit
der Ankündigung allein ist es nicht getanI Vor
allem ist dafür Sorge zu tragen, datz einer Ver-
schleierung der Devisenbestände «ach Möglich-

keit vorgebeugt wird. Ein gutes Mittel hierzu ist
die eidesstattliche Verpflichtung des
vermutlichen Devtsenbesttzers und der Banken. Jede»
Meineid aber mutz außer den üblichen Strafen
mit der konfiskatorischen Enteignung
sämtlicher Guthaben, die der Betroffene auf deut-
schem Boden in irgend einer Form besitzt, unter
Einschluß des Besitzes seiner Familienmitglieder be-
straft werden.
Voraussetzung zu dem Gelingen dieser Aktion
ist das Verschwinden Havensteins. Stresemann ist
eifrig aus der Suche nach einem Nachfolger für
Herrn Havenstein. Leider aber ist das nicht so ein-
fach. Die Männer, die bereit gewesen sind, die Erb-
schaft Cunos anzutreten, waren um ihren M«t wirk-
lich zu beneiden, noch mehr aber gilt das von dem
kommenden Reichsbankpräsidenten, der mit der
Ueberzeugnng ans Werk gehen mutz, dank seiner
Tatkraft mit eisernem Bosen trotz aller Schwierig-
keiten nachholen zu können, was Havenftefir umer-
lassen hat.
Die Durchführung der vorstehenden Forderun-
gen ist aus außenpolitischen Gründen ebenfalls von
großer Bedeutung. Wir haben gerade jetzt allen
Anlatz, uns für die bevorstehe,rden Reparations-
verhandlungen durch eine Stabilisierung der Ver-
hältnisse im Innern vorzubereiten und zu stärken.
Besprechungen im Kabinett.
Berlin, 22. Ang. Das R e ichs k ab tnett
ist gestern um 8 Uhr abends unter dem Vorsitz des
Reichspräsidenten zu einer Sitzung znsammengrtre-
ten, die in später Nachtstunde noch fortdauerte. Zur
Beratung stehen die gesamte Wirtschaftslage
und die zu ihrer Besserung notwendigen Maßnah-
men. Cs lätzt sich nicht schwer erraten, datz dabei
die Frage der neuen Preismelle, namentlich auf denk
Kohlcnmarkt, die Schaffung eines Devi-
senfonds und die Reichsbankwirtschast — Fall
Havenstein — ihre besondere Rolle spielen
werlen.
Heute mittag wird »er Reichskanzler Ge-
legenheit haben, Vertreter der sozialdemokra-
tischen ReichstagSsraktion über die gefaßten Be-
schlüsse näher zu unterrichten. Mit besonderem
Interesse wird seine Auskunft über die Regelung
des Falles Havenstein erwartet.
Der H a u p t a u s s chu tz des Reichstages tritt
am Donnerstag um 10 Uhr vormittags zu einer
Sitzung zusammen, die wahrscheinlich mit einer Er-
klärung des Reichskanzlers beginnen Wird.
Vor entscheidenden Maßnahmen.
Berlin, 22. Aug. Der „Franks. Zig." wird
aus Berlin telegraphiert: Das sprunghafte Eni-
porschnellen der ausländischen Devisenkurse
in den letzten Tagen droht die Panik, die anfangs
der vorigen Woche glücklich überwunden war, aufs
Neue zu beleben und unser ganzes Wirtschafts-
leben vollends zu zerrütten.
Die Absichten der Reichsregiemiiig geben nun
dahin, durch die Schaffung eines Stützungs-
fonds für einen längeren Zeitraum die Mittel
dafür zu erhalte», um den Kurs der Mark zu Hal-
ten. Da bisher alle Versuche, die Devisenbesttzek
zur freiwilligen Abgabe ihrer Bestände zu veran-
 
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