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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 121 - Nr. 130 (28. Mai - 8. Juni)
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a. Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 2. Juni 1923

Nr. 125

Monatlich elnschliekl.
^xrlohn Mk.S7M.-. Anzciarn.
Die einspalt. Pctftzeite oder
tz"n Raun, (W mm breit» Mk. 8»,
,7,Auswärtige Mk. »M. Reklame-
(71 mm breit) Mk. 80V, für
Auswärtige Mk.wNV. Bei Wieder-
»ige» Nachlab "ach Tarif.

V »
WM »kfchäft,ftu„den8-k!lbr. Sprech.
LÄ WA Mr HM WM MM HLg MM stunden der Redaktion: Il-lLllhr.
WM VW MD DW RWi D^A PoMcheckkonto Karlsruhe Nr.«S77.
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WM K^N MMsMM DM MM W»M»EW Lcrlaaranstalt G. m. b. H., Heidel.
MM U WM HWM WM WM MM WM berg. Geschäftsstelle: Schröderstr.ij».
'V «HF U WW Tel.: Expedition LS7Su.Redak.SS7S.
^in-zelim w die mMMMNttW »klAEMekckklliers.WleM, kMew. WW«, MrW. ME. BO«, Mel,del». »oÄ«rg,UOMMM s Uettdew


WiklWGssIWe MMIII.
Unser ivirtschastspölitischer Mitarbeiter schreibt
»>ds:
Es kann keinem Ztveisel unterlegen, daß die mit
den, Ruhreinfall der Franzosen verbundenen Kri-
sle r schein» n gen jetzt ihren Höhepunkt
Reicht haben. Der Dollar ist Wer 70 00V hinaus-
beschossen; Unruhen, van Wirrköpsen und bezahlten
Agenten an gestiftet, van der entsetzlichen Teue-
rung aber und dansit von der Erbitterung breite-
ster Massen genährt, dnrchMtern das van fremder
AnnexianswiüWr bedrohte Land, die Unfrucht-
barkeit des BesetznngsmanöverS Mrd
Gleichzeitig feine Schaden für Deutschlands Wirt-
schaft und Zahlungskraft treten »Uit einer Eindring-
lichkeit zutage, daß der Zeitpunkt nicht mehr fern
lein kann, wo die internationale Finanz- und Wirt-
lchaftspMtik aus eine Lösung des Konfliktes mit
^scheidender Macht hindrängt. Wieder ist es die
"eue zu einer Internationale zusammengsschlossenr
Doziatdemokratie aller Länder, die als erste es in
Hamburg wagte, auszusprechen, ivas ist, und'in-
Nlitten des allgemeinen Wirrwarrs ihre Stimme
bei Mahnung und des Protestes im Namen der Un-
terdrückten an die Machthaber richtete. Noch ist die
Hoffnung schwach weil der Einfluß zur Durch
Atzung des als richtig erkannten Zieles nicht eul-
krrnt ausreicht und selbst in GrosKritannien die
Arbeiterpartei vorerst nur noch die Rolle einer star-
ke» Opposition spielt. Aber diesseits und jenseits
b<l Grenzpfähle wächst die Einsicht, daß es s o nicht
lreitergehl, und oft Wird sich jedenfalls Herr Poin-
tars den Scherz einer improvisierten Kabinettskrise
dich mehr leisten können, ohne ernsthaft zu
nrauchclu.
Man hätte unter diesen Umständen erwarten
können, daß diejenigen deutschen Kreise, die An-
lvruch auf Führertum in Wirtschaft und Politik

als Beamte, oder als Arbeiter und Angestellte von
Pro-dUMvibetrieben tätig. Es ist ein Unsinn, zu be-
haupten, daß bloß durch die Einführung kaufmänni-
scher Grundsätze in den Netchsbtrieben der Ertrag
dieser auf die drei- bis fünffache Höhe des Uebcr-
fchusses einer viel größeren Zahl gleichartiger Be-
triebe gebracht werden kann, die obendrein bereits
nach streng kauftnännischen Grundsätzen arbeiten!
Der Einwand, daß das Reich im Eisenbahn-
wesen ein ertragfähiges, aus anderen Gebieten, wie
Branntwein weniger ertragfähige Monopole besitzen
und durch sie einen Teil der Ueberschüsfe erzielen
Kann, ist nicht stichhaltig. Verteuerung der Tarife
bedeutet Verteuerung der Lebenshaltung, eine
Uebertenerung der. Verkehrsmittel ist nichts anderes
als eine indirekte Steuer auf den Verbrauch
der breiten Massen. SLuch der Hinweis auf die Ein-
nahmequellen, die die Länder und manche Gemein-
den in ihrem Forstbesitz haben, ist irreführend, so-
lange man diesen nicht gleichwertige andere Ein-
nahmequellen verschafft. Das Steuerprogramm der
Industrie aber will einen Abbau aller auf dem
Besitz lastenden Steuern unter dem Vorwand der
Schonung des Betriebskapitals und der Förderung
des Spürsinns. Man will sogar den Abbau der
Gewerbesteuer, der zahlreichen Gemeinden den siche-
ren Ruin bedeuten würde.
Was an dem Vorschlag der Industrie am meisten
befremdet, läßt sich in folgende Frage kleiden: Will
der Reichsverband die Zahlungsfähigkeit des Rei-
ches tm Mlsland als größer hiustellen als sie tat-
sächlich ist, oder will er aus egoistischen Interessen
seine eigene steuerliche Leistungsfähigkeit Wiel
niedriger veranschlagen, als obige Gegenüberstellung
ergibt. Es ist doch ein starkes Stück, so geringe

Zugeständnisse um einen Preis zu erlangen, von
dem er Weitz, daß er von der Slrbeiterschast nicht ge-
zahlt Werden kann. Wir reden hier nicht von der
planmäßigen Unterwühlung des modernen Arbeits-
rechtes, von der geforderten Durchlöcherung des
Achtstundentages, die zu bekämpfen Angelegenheit
der Gewerkschaften sein muß, sondern von den
wirtschaftspolitischenAuswirknngen-
Der Abbau der Außenhandelskontrolle, der verlangt
wird, bedeutet Verewigung der Valutagewin -
n«r, solange die Mark nicht stabiilisiert ist. Der Svb-
bau der Mietszwangswirtschaft ist gleichbedeutend
mit der Wied eraufrtchtung des Boden-
monopols im städtischen Grundbesitz. Und was
soll schließlich die Forderung, daß der Staat sich von
Eingriffen in die Güterproduktion und -Verteilung
fernhalten, wenn nicht den glatten Verzicht aus
alle regelnden Eingriffe; der Gemeinschaft in die
gänzlich verfahrene Privatwirtschaft, den glatten
Verzicht aus Spezialisierung auch in «der gelindesten
Formt? Wer solche Forderungen stellt, müßte zum
mindesten nach den vielgepriesenen kaufmännischen
Grundsätzen einen anständigen Preis bieten.
Das tut die Industrie nicht. Ist das Ruhrgebiet ihr
keinen anständigen Preis wert?
Während die Verhandlung!n über die Vorschläge
der Industrie fortgehen, steigt der Dollar. Der
Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der
gegen die Mark gerichteten Treibereien hat
seine Tätigkeit ausgenommen. Das Referat des
Reichsbankprästdanten Haven st ein, das in Hilf-
losigkeit geradezu erstarrte, läßt wenig Hoff-
nung, daß an eine Aendcriung der Währungs-
PoNtik jemals gedacht werden kann, ehe in der
Reichsbank neue Männer sitzen.

M MMW IW lik MUMM.

* Heidelberg, 2. Juni.
Das skandalöse Angebot des Reichsverbandes
der Industrie an die mehr als schlafmützige Reichs-
regierung macht immer weitere Volkskreise mobil.
Soioohl im besetzten Gebiet wie in dem in gleicher
Weise am Hungertuch nagenden übrigen Deutsch-
land wird es als skandalös empfunden, daß die
Nutznießer der Inflation der Mark, welche sich im-
merfort mit ihrem Patriotismus brüsten, es wagen,
der Reichsregierung ein Angebot zu machen, welches
der Industrie mehr Gewinne zuführen soll, als sie
dem Vaterlande sechst zu geben bereit ist.
Mit Recht haben daher die Gewerkschaften die
nachfolgend veröffentlichte» Erklärungen das An-
gebot der Industrie zurückgcwiesen und die Reichs-
regierung aufgefordert, durch gesetzgeberische Maß-
nahmen eine wirklicher Repavationspolttik — die
einzige Lösung aus der Krise — die Wege zu ebnen.
Wenn nicht weiteste Kreise zur furchtbarsten Ver-
elendung verdammt werden sollen, fo muß sehr
schnell ein Auslveg aus der jetzigen Situation ge-
funden werden. Die Steigerung der ausländischen
Zahlungsmittel betrug im hetzten Monat mehr als
das Dreifache. In diesem Maße sind auch die
Prelse fast aller Erzeugnisse gestiegen. Die Lohn-
eutw icklung, die auf Geheiß der Regierung Cuno
unter starkem Druck stand, beruht vielfach noch auf
dem Satze, der einem Dollarstand von 25—30 000
entsprach. Die gewaltigen Preissteigerungen Huben
deshalb M einer ungeheuren Erregung geführt, weil
die Lohn- und Gehaltsempfänger nicht einmal mehr
die allernotwendigsten Nahrungsmittel kaufen kön-
nen. Es ist bei dieser Sachlage nicht verwunderlich,
daß die Kommunisteü gegenwärtig alles aufbieten,
um die Arbeiter zu sich hinüber zu ziehen. Für
Donnerstag haben sie deshalb Delegationen nach
dem Reichstag beordert, um die Lage darzukegen.
SLuch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei
waren vertreten. Die Sozialdemokratische
Reichstagsfraktion wird alles tun, um die
durch den gewaltigen Sturz der Mark heraufbe-
schworenen Gefahren für die Arbeiterklasse zu ver-
hindern. Ebenso sind die Gewerkschaften be-
strebt, ihre ganze Macht einzusetzen, um die Löhne
den gestiegenen Preisen anzupassen. Von der Re-
gierung aber »mß gefordert werden, daß st- einen
Druck auf das Unternehmertum ausübt, damit die
Löhne der Preisteuerung angepatzt werden.

Theben, alles daran setzen würden, um die Keime
einer Entspannungder internationalen Lage
öu fördern. Die Hoffnung trog. Nach dem Rcpa-
tadionsangebot des Fachmlnisterkabinetts Cuno kam
ei» Bürgcrschaftsangebot der Industrie, das so rural
llt'd sachlich die schwerste nm denkbare Enttäu -
icklung ist. Die politische Seite der Sache steht
vier nicht zur Kritik. Die wirtschaftliche hingegen
bedarf trotz der ausgiebigen Würdigung, die das
Schreiben des ReichsverbmnldeS der deutschen Indu-
strie in der gesamten Presse der Partei erfahren hat,
üoch eines Kommentars, um so mehr, als keine
Gelegenheit vorübergehen darf, zu versuchen, die
Meinungen zu klären und deshalb die Angrifss-
ssuchen, die der Gegner bietet, schonungslos aufzu-
decken — im Interesse nicht des Streites, sondern
»keiner Befestigung.
20Y Millionen Gotdmark jährlich bietet die Jn-
dltstrie unter Voraussetzungen, deren Erfüllung ein
vielfaches dieses Opfers ihr einbringen und auf
überlasteten Schulten, der breiten Massen ab-
^älzen würde. Aber bleiben wir bei diesen 200
^Mionen Goldnmrk. Ihnen steht die Forderung
gegenüber, daß das Reich den Ueberschus; seiner
fsuternehinungsn und deren seiner Länder auf 600
Millionen vorläufig und — bei zukünftiger Ent-
nickelung der allgnneinen Wirtschaftslage sogar auf
^lle Goldmilliarde jährlich steigern und der Entente
""bieten svll. Das Reich und dis Länder, die in
Miller nach Menschenaltern zählenden Entwickelung
"er kapitalistischen Wirtschaft den besten Teil
^er wertvollsten Bodenschätze und Produktionsmittel
den, Privat kapital überließ, sollen nach wei-
ten io Jahren grenzenlosen Raubbaues und
iiaats,wirtschaftlicher Stagnation auf einmal in der
^äge sein, mindestens das Dreifache von dem an
Überschüssen zu erzielen, was die Besitzer der Gru-
Hütten, Fabriken, Maschinenparks, Uebersee-
^rkehrsmittel usw. erzielen zu können behaupten?
7" Der Reichsverband der Deutschen Industrie hat
gesprochen; er hat damit seiner Volkswirt schaff-
ten Erkenntnis ein vernichtendes Zeug-
ausgestellt und bewiesen, das; inan sehr gut
"^»tralverein für die Interessen derSachwevtbesttzer
wd miserabler Beurteiler der wirtschaftlichen Lage
"tez Volkes sein kam,. Denn soviel steht doch fest:
, "s Reich umd die Länder haben im Kriege und
dem FriedcnSvcrtrag viel geopfert, das
Mtelbar der Privatindustrie "zugute kam. Der
^.ivatindustrielle, dessen Eigentum im Ausland lt-
^"diert wurde, hatte Anspruch auf Entschädi-
^"üg vom Reich Die ungeheuren Schaden-
iatzbcträge, die damals bezahlt worden sind, haben
wnttwiharen Anlaß zu einer Reihe von indnstriel-
bac Zusammenschlüssen, zum Erwerb großer Aktien-
durch Privatbesitzer gegeben. Was aber
hielt das Reich von den Besitzern der Sach-
, ?rte? — 9 Billionen Mark schwebende Schulden
' 'gen davon, wie das Reich von den Besitzern der
oduktionsmittel tm Stich gelassen wurde. Hal
rel!?^ Arbeiterschaft ihre steuerliche Pflicht in itber-
dNaße getan. Die Industrie hat jetzt fast
E Mark der deutschen Wirtschaft, den
l^i c gezehrt und will trotzdem in ihrer
fleich?^" weniger leistungsfähig sein als das
brauchte zudem nur die Summe der Pro-
nousstätten zu addieren und die Zahl vertu
" beschäftigt c n Arbeit e r: überall das
m E'gcbniS! Nur ein kleiner Teil der gesamt

Die Erklärung der Gewerkschaften.
Berlin, 1. Juni. Der Allgemeine Deutsche
Gewerkschaftsbund, der Afabund, der Allgemeine
Deutsche B-eamtenbund und der Gewerkschaftsring
Deutscher Arbeiter-, Angestelltem und Beamtender-
bäitde (Hirsch-Duncker) haben auf Grund von ge-
meinsamen Beratungen dem Reichskanzler ein
Schreiben übersandt, worin sie ihre ablehnende Hal-
'^cnr ein „Liner Teil der gesam-! tumg gegenüber dem Garantievorschlag des Reichs-
-"evolkernua ist in staatlichen Stellungen, sei es ^Verbandes der Deutschen Industrie dartun.

Eingangs wird dargelegt, daß die grundsätzliche
Zustimmung zirm Gedanken der Sachwerterfassung
nahezu wirkungslos wird durch die außen-
politischen und innenpolitischen Voraussetzungen, die
die Industrie daran knüpft. Die Industrie verflicht
mit dem Staat als unabhängige Macht zu verhan-
deln und stellt Forderungen auf, wo es sich darum
handelt, die BitrgerPflichten gegen den Staat
zu erfüllen. Die Staatsautorität müßte unerträg-
lich geschwächt werden, wenn Vie Reichsregierung sich
auf die Bedingungen des Reichsverbandes einließe.
Die Sachvarterfasfung kann nur durch gesetzliche Re-
gelung verwirklicht werden. Die grundsätzliche Fern-
haltung des Stau es von der privaten Gtitererzeu-
gung und -Verteilung würde Zustände wiederbrin-
gen, wie sie vor achtzig Fahren in der Wirtschaft
herrschten, d. h., es würde lediglich Profitstreben der
Angwiffsmotor der Wirtschaft sein und gemcinwirt-
schaftliches Denken vollständig ertötet Werden. Es
ist Mr uns unnröglich, über die Preisgabe des A ch t-
stund en 1 a g c s, Aufhebung aller Eutlassungs-
beschränkungen und anderer in dieser Richtung er-
hobener Forderungen des Reichsvcrbandes zu ver-
handeln. Die Privatisierung der Reichs- und
Staatsbetriebe ist für uns ausgeschlossen. Mit der
Usberschätznug der Leistungsfähigkeit der Reichs-
und Staatsbetriebe geht seitens der Industrie eine
auffallende Unterschätzung der Leistungsfähigkeit
der gesandten privaten deutschen Wirtschaft parallel.
Das Schreiben der Industrie läßt erkennen, daß sie
den Blick vornehmlich auf die Schonung der Privat-
Wirtschast und des Privatvermögens richtet, und daß
sie unberücksichtigt lätzt, daß die Erhaltung dieses
Besitzes von der Erhaltung des Staates und seiner
Wirtschaft abhängt. Eine Herausforderung
ist das Verlangen, daß „Regierung und Volk" sich
zu derartigen Grundsätzen sowie zu deren soforti-
ger Verwirklichung" bekennen sollen. Wir vermissen
in dem Schreiben des Reichsverbandes den Willen
zu ausreichender Steuerleistung. W:r emp-
finden es als unerträglich, daß die Industrie
ihre wirtschaftliche Macht durch Stellung von Be-
dingungen bei Erfüllung von Staatsnotwendigkei-
len auszunützen sucht. Die hinter den Spitzeiwer-
bänden stehenden Volks kreise erklären mit aller Deut-
lichkeit, daß sie von Regerung und Reichstag eine
Varteilung der Reparationsleistungen erwarten, die
vor allem die großen fundierten und unflmdicrtcn
Vermögen zur Deckung der Reparationen heranzieht.
Berlin, 1. Juni. In einer Anlage zum
Schreiben der Gewerkschaften wird zu Einzelheiten
des Jndustrievorschlages Stellung genommen. Da-
bei wird vor allem betont, daß jede Berechnung
fehlt, den Privatbesitz nur in vorübergehender Ver-
pfändung und nur insoweit verpflichtet sein zu
lassen, als er in u n b e w e g l i ch e n Vermögen ver-
körpert ist; Aas gesamte bewegliche Vermögen
jedoch von der Inanspruchnahme ausgeschlossen sein
zu lassen. Die Rücksichtnahme der Industrie auf
ih r e Interessen lätzt die Interessen der Gesamt-
heit viel zu kmz kommen Es fällt auf, daß nach
Meinung des Reichsverbandes aus den staat-
lichen Pfandobjekten, sofern sie nach Privatwirt-
schaMchon Grundsätzen ertragsMig werden, in
absehbarer Zeit jährlich etwa 600 Goldmillionen,
vielleicht eine Milliarde und mehr herauSgewirt-
schastet werden können, während die gesamte deutsche
Wirtschaft unter Anspannung aller Kräfte neben den
sonstigen schweren Lasten nur eine Höchstsumnic vis
zu 500 Goldmillionen ausbringen könne. Als Staats-
betriebe kommen in erster Linie Eisenbahn, Post,

Forsten und Bergwerke in Betracht. Aus den
Staatforsten wird nur ein kleiner Teil der geschätz-
ten 600 Goldmilftoncn auszubringen sein. Das
Gleiche gilt für den Staatsbergbau. Wenn Eisen-
bahn und Post m der Hauptsache den angegebenen
Betrag erzielen 'ollen, ist es geradezu nnverltänd-
lich datz die L.'istungsfäh'gft'il der ganzen deutsche»
Wirtschaft auf höchstens 500 GolduMwnen geschätzt
wird. Nach den Schätzungen des Volksvermögens
vor dem Kriege war das Verhältnis des staatlichen
zum privaten Vermögen etwa 1 zu 7. Denuoch
mutet der Reichsverbaud de» Staatsbetrieben die
Ausbringung eines doppelt so hohen Betrages als
dem weit gröberen Privatvermögen zu! Es ist
irreführend, wenn der Reichsverband den Ka-
pitalwert der von der deutschen Privatwirtschaft zu
garantierenden Jahresleistung auf mehr als die
Hälfte des gegenivärtigen Verkaufswertes schätzt.
Danach würde der Wert der gesamten deutschen
Wirtschaft nur auf rund 20 Goldmilliarden anzu-
nehmen sein. Diele Schätzung ist unzulänglich.
Die grundsätzliche Fcrnhaltung des Staates von
der privaten Gntereizeugung und -Verteilung ist
uimtöglich und widerspricht der eigene» Forderung
des Reichs-Verbandes die Staatsbetriebe m erster
Linie für die Haftung des Reiches heranzuzühen.
Die Forderung einer Beschränkung dar Staatsge-
walt auf das Gchüdsrichteramt verrät einen be-
dauerlichen Mangel an sozialer Einsicht. Die ,osta-
len Verordnungen über Erwerbslosenfürsorge, Ar-
bciiszeitvegelung, Tarifverträge Schlichtungswesen
usw. beruhen auf dem Demobilmachungsrecht. Ab-
lösungen sind nur durch Gesetz möglich. Sofortige
Aufhebung ist unmöglich. Mit dem Versuch der
Durchführung solcher Forderungen müssen unabseh-
bare s o z i a l e u nd w i r t s ch a ft l ich eK ä m p f e
entbrennen. Dis Gewerkschaften können eine solche
Entrechtung der Arbeitnehmer niemals dulden. Auch
das Ausland wird sich ein solches deutsches Dum-
ping auf die Dauer nicht gefallen lassen. Die deut-
schen Arbeiter müssen wieder zu einer Lebenshaltung
gelangen, die mindestens dem durchschnittlichen
Stand in den Industrieländern Europas entspricht.
Für die Steuerreform verlangen wir: 1.
Organische Zusammenlegung und Vereinfachung
des Steuerverwaliungsapparates und der derzeiti-
gcn Steuern; 2. Anpassung der Steuern an den sich
ändernden Markwert und Automatisierung des
Steuereinganges; 3. Schaffung einer wirklichen all-
gemeinen Quellenbestcuerung im Sinne einer Er-
fassung der Sachwerte, die alleim die Inflation er-
folgreich bekämpfen kann.
Zusammenfassend erklären wir, datz in dem
Schreiben des Reichsverba »des die Grundlage für
die Lösung des Gesamtproblcms der Reparationen
nicht gegeben ist. Wir sind bereit, an einer ge-
sunden Lösung mitzuarbeiten.
Widerstand der Bergarbeiter.
Essen, 1. Juni. In einer Revierkonferenz des
Alien Bergarbeiterverbandes nahm dieser gegen das
Angebot des Reichsverbandes der Deutschen Indu-
strie eine ablehnende Stellung ein, indem er fol-
gende Erklärung erließ: Die Konferenz nimmt mit
Staunen und Entrüstung Kenntnis von den Forde-
rungen, welche der Ncichsverband der Deutsche» Jrv-
Austrie als Bedingungen für seine in erstaunlich ge-
ringem Umfange angcbotenen Garantien für die
deutschen Reparationsleistungen stellt. Die Forde-
rungen bedeuten eine starke Bedrohung dessen, was
die Arbeiterschaft auf wirtschaftlichem und sozialem
Gebiet errungen und sind deshalb eine große Gefahr.
Der Verband der Bergarbeiter erklärt deshalb, datz
er sich der Verwirklichung dieser Pläne mit allen
Mitteln widersetzen wird.
„Stegerwald".
Berlin, 2. Juni. (Priv.-Tel.) Es ist ein merk-
würdiger Vorgang, daß sich die christlichen Gewerk-
schaften den obigen Erklärungen der übrigen Arbeft-
nehmerm'gastisatiomu nickst angcsch'losscn haben.
Das Wirken des Herrn S'egerwald macht sich wie-
der in einem für dis Arbeiterschaft sehr nachteilige»
Matze bemerkbar. Umso erfreulicher ist es, trotzdem
Herr Siegerwald der Grossindustrie sekundiert, sich
auch in Kreisen der christlichen Gewerkschaften di«
Opposition gegen die Ueberhebfichkeit der Großindu-
strie regt. So wird z B. in der „Rheinischen Volks-
wacht" das Angebot der Industrie als „Mangel ar
sozialer und humaner Gesinnung" bezeichnet. Wem
trotz dieser Empörung in christlichen Gewerlschafts
kreisen das Organ des Herrn Stegerwald, „Des
Deutsche", sich immer noch als Verteidiger der In-
dustrie ausspielt, dann handelt es gegen die Uebci-
zeugnng eines wesentlichen Teiles der christlichen
Arbeiterschaft.

Kurze Meldungen.
Die Wohwodschaft von Posen hat neuerdings > i
Deutsche ausgewiesen.
In der französischen Kammer wurde der loimim-
nistifche Anfrage bezüglich der Festhaltung des deut-
schen Mgeördneten Hölletn iu Paris gegen die
Stimmen der Kommunisten und Sozialisten vertagt.
Ebenso wurde ein kommunistischer Antrag zur Am-
nestiefrage sowie ein anderer Antrag zum Fall Mar-
ty abgelekmt. Zwischen den nationalistischen und
linksstehenden Elemente-n kam es in Verbindung
mit einem Uebersall aus einige radikale Abgeordnete
zu lebhaften Szenen.
 
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