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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 141 - Nr. 150 (21. Juni - 2. Juli)
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^Ezuzsprei,: Monatlich einschltetzl.
Mgerlohn MI. 8700.-. Anzeigen-
. arifx. Dtx etnspalt. Petitzetle oder
L"n Raum (SS mm breit) MI. M),
m: Auswärtige MI. MO. Reklame-
Leigen (71 mm breit) Mk. lOM, für
Auswärtige Mk.lSM. Bei Wieder-
holungen Nachlaß nach Tarif.


iWr-Mmi W «e MMWe iSeoMemi der WlMeM Melder,. Me-W. öMew, WUe», KE ME Me«, MMei«. Buder,. rmberbWsMelw o. MeMet»

Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 23. Juni 1923

Nr. 143

Ein Jahrestag.
xr. Heidelberg, 23. Juni.

ter Tageblatt" rief: „Hemnter Ml ihm! Hin-
dus mit allen jüdischen Ministern!" Eine Reihe
Flugblätter wärmte das Märchen von dem „t n -
ternationalen Weltbund" der geheimen

südlichen Weltregierung auf; die „Dreihundert"
kehrten in zahllosen Angriffen auf Ralhenau wieder.
Wie steht es tatsächlich damit? Rathenau hat in
seinem Weihnachtsaufsatz 1S10 in der „Neuen Freien

Presse" bei der volkswirtschaftlichen Untersuchung
der Gütererzeugung und des Welthandels den Satz
geschrieben: „Dreihundert Männer, von denen jeder
jeden kennt, leiten die wirtschaftlichen Geschicke des
Kontinents und suchen sich Nachfolger aus der Um-
gebung." Kein Wort von Juden. Von -en
groben Industriekapitänen ist die Rede.
Sind die Stmnes, Thyssen, Hantel, Krupp, Henckel-
Donnersmarck, Stumm, Kirdorf, Dulsberg und wie
sie alle heißen, Juden? Und trotzdem wird nur den
„Geheimnissen der Weifen von Zion" auch heute noch
krebsen gegangen. Damit jedoch nicht genug! Ter
„Miesbacher Anzeiger" nennt Rathenau am
3. Februar 1922 den „jüdischen Herrscher der Di Ni-
schen." Die „D eu t s ch e Z e i tu n g" bezeichnet ihn
als einen „lächerlichen jüdischen- Phantasten", einen
„Undeutschcn". Am 22. Juni 1922 veröffentlicht die
„Deutsche Zeitung" des Pastor Max Mau -
renbrecherin Form eines „Morgen- und Abcnd-
göbet eines Deutschen" ein Hetzgebet blasphemisch
antisemitischen Inhalts. Am folgenden Lag
hielt bex deutschnationale Abg. Dr. Helffcr! ch
— der Freund und Berater des jemgen R.ichskanz-
lers Cuno —, der vor Genua gedroht hatte, ein Or-
kan werde eine weiter nachgiebige ErfüllungSrcgie-
rung hinwegftgcn, eine mit Drachenfaat zettinchte
Hetzrede gegen die Regierung. Und nach abermals
noch nicht 24 Stunden ward am 24. Juni 1922, vor-
mittags 11 Uhr Walter Rathenau meuch-
lings erschossen.
Es War erreicht! Wir wollen heute nicht rechten
darüber, daß der Sturm, der damals gegen die
mordbrennerische deutsche Reaktion
entbrannte, ausging wie das Hornberger Schießen.
Wir wollen nur kühlen Verstandes das Fazit dar-
stellen, das ein Jahr nach der Ermordung Rathenaus
eine sowohl streng arische wie sozialisten -
reine „nationale Regierung" erreicht hat. In der
äußerenPolittkdte Ruhrbesetzung, die zu ver-
hindern Waller Rathenau gelungen war, indem er
gleichzeitig in Genua bereits wieder erreicht hatte,
die — heute wieder in Ausnahme begriffene — Dik-
tat-Politik der Entente durch eine Aussprache von
Mund zu Mund zu ersetzen; in der i nne r e n P o -
litt! eine Zersetzung, die täglich gefahrdrohender
für Reich und Bevölkerung wird, so das; die Gefahr
des Bürgerkrieges sich immer drohender aufbäumt,
während die Negierung Wirth—Rathenau durch kla-
res republikanisches Bekenntnis die scharfe Einheits-
linie des Reiches wies; in der Wirtschafts-
politik einen Zusammenbruch und eine Verelen-
dung weitester Volkskreise, die fast verzweifeln läßt,
während vor einem Jahre die Koalitionsregierung
vor allem dank dem damaligen sozialdemokratischen
Einfluß trotz mancher Bitternisse Woge nach auf-
wärts erkennen ließ.
Der Preis des Dollars haste am 24. Juni 1922
au der Newyorker Börse noch einen Wert von 3 57
Mark (fast kann man es nicht glauben),, jetzt, ein
Jahr danach, nachdem die „Erfüllungspolttiker"
durch die „nationalen" Männer des passiven Wider-
standes ersetzt sind, werden füv den Dollar nicht Viöl
unter 150000Mark gezahlt. Die knappen Zah-
len sprechen mehr als zahlreiche Worte; sie liefern
aber auch gleichzeitig das Werturteil über die Frie-
denspolitik Wirth—Rathenau—Schmidt und die
Widerstandspolitik Cuno—Becker—v. Rosenberg.
„Erschlagt den Walter Rathenau, die gottver-
fluchte Judensau!" — also schallte es um die Zett
der Konferenz von Genua aus den deutschvölkischen
Flugblättern, die damals wie heute dazu bestimmt
waren, das Elend des deutschen Volkes -durch Saat
von Gift, Hatz und Volksverdummung nur noch
Wetter zu vergrößern. So wurde er denn erschlagen:
ein Edelopfer des deutschen Volkes an den
Moloch der voMsverchetzenden, verblendeten und un-
fähigen deutschen Reaktion.
Der Leidensweg des deutschen Volkes hat
sich jedoch ins Unendliche verschlimmert. Furchtbar
hat es das deutsche Volk zahlen müssen, datz ihm
deutschvöllische Mörderhände den fähigsten deutsch«»
Staatsmann, der der Bismarck des Wiederaufbaus
hätte werden können, entriß. Klar erkennbar treten
Ursache und Wirkung vor Augen. Di«
deutschvölkisch - n a t i on a ls o z ia l i st i-
schenGeheimbündler scheuen sich jedoch nicht,
trotz der schweren Verantwortung am Unheil unse-
res Vaterlandes als Leichenfledderer auch weiterhin
die Pest ins deutsche Volk zu tragen und politisch«
Kretins mit akademischen Graden bilden Parade
dabei.
Will das deutsche Volk als Staat und Glied der
großen Menschheitsfamtlie, jn der es auch heute noch
infolge des nationalistischen Wahnsinnstreibens iso-
liert ist, zugrunde gehen und zerschlagen und
zerrissen als Wcltaussatz dahinvegctieren, so mag
es sich auch weiterhin das Treiben der deutschvölkt-
schcn und nationalsozialistischen und ähnlichen Agen-
turen dynastisch—militaristisch—imperialistischer H-in-
termännev gefallen lassen. Will das deutsche Volk
ledoch als geschlossener Staat sein Dasein
reiten und wenn auch unendlich langsam (anders
als langsam ist es undenkbar) den Weg nach
aufwärts wandeln, dann mutz es unter rück-
sichtsloser Betseileschiebung der unausgegorenen und
bösartigen politischen Karl Mai-Romantik nationa-
listischer Querulanten der deutschen Republik de«
Weg wahrhafter Verständigung mit de«
übrigen Völker« der Welt zu finden suchen

MWWWMMll?

Nuhr-
aufge-
wcgen

Wohin steuert Cuno?
Nach dem Ausweis der RcichsbaNk vom 15.
Juni ist der Noten-Umlaus um 1595,5 Milliarden
Mark aus 10,9 Billionen Mark gestiegen. Der Gold-
bestand hat sich in der Berichtswoche nicht verän-
dert. Der Bestand in diskontierten Reichsschatzan-
wcisungen erhöhte sich um nahezu 2 Billionen auf
rund 10,5 Billionen Mark.
Statt Steuern bei den Besitzenden zu erheben,
vermehrt die Regierung Cuno so stetig den Noten-
umlauf, und die Geldentwertung nimmt weiter
ihren Fortgang. Herr 'Reichsbankpräsident! Ha-
venstein ist in Urlaub gefahren. Um ja nicht
die Möglichkeit auftauchen zu lassen, wir würden
diesen „Verwirtschafter" verlieren, versichert die
„Zeit", er würde nach Ablauf des Urlaubs die Ge-

Lloyd Georges über den
Friedensvertrag.
Interessante Mitteilungen.
Lo nd o n, 22. Juni. Eine interessant« Debatte
fand in der Union Societe in Oxford, Mit. Zur
Abstimmung stand folgender.Antrag:
„Nach der Ansicht der Versammlung entbehrt
der Friedensvertrag der .Grundsätze der Weisheit
und Gerechtigkeit!"
Lloyd George bekämpfte den Antrag und wandte
sich gegen die Auffassung, das; die 14 Punkte Wil-
sons zur Kapitulation Deutschlands geführt hätten.
Di« deutsche Unterwerfung sei auf Gruntz der B«-!sch.äfte wieder Wernehmen.

dtngungen des Waffenstillstandes er-
folgt, in denen kein Wort von den 14 Punkten — sie
Warrn als Absprache vorausgegangen — gestan-
den hätte.
Drei der größten englischen Staatsmänner hätten
erklärt, daß der Waffensttllstandsvertrag die Ein-
richtung von S a nkt io nen srla ub e. Der Frie-
dcnsveutrag habe die größeren Rüstungen inmitten
Europas zerstört, die für den Kreg verantwortlich
seien. Ueber einen Zwischenruf, wie es mit dem
linken Rheinufer stände, ging Lloyd George mit einer
ausweichenden Bemerkung hinweg. Lloyd George
schloß, er schäme sich seines Anteils an diesem Ver-
trage nicht.
Der Gegenredncr, welcher den Antrag verteidigte,
erklärte, die Ruhrbesetzung sei nur möglich, weil der
Friedensvcrtrag Frankreich zur stärksten Militär-
macht in Europa gemacht habe.
Bei der Abstimmung wurde der Antrag abge-
lehnt, so datz Lloyd George eine Mehrheit erhielt.
Aufsehenerregendes Material über
Schlageter.
Der Veclauf der letzten Debatte im Preußischen
Landtag hat vor allem das ein« Gute gezeitigt, daß
er dem Volke vor Augen führte, in welchem Matze
die nationalsozialistischen Geheimorgamsatro nen von
Verrätern und Spitzeln durchsetzt sind, die sich nicht
scheuen, für fremdes Geld ihre angeblichen Ge-
sinnungsfreunde gegnerischen Gerichten auszulieferm.
Schlageter Ist bekanntlich ein Opfer derartiger
Spitzeltätigkeit geworden — aber er selbst war, wie
sich immer" mehr herauSstellt, nicht im geringsten von
besserer Gesinnung, als seine jetzt verhafteten Ver-
räter.
Das beweist insbesondere ein« Zuschrift des
Danziger Korrespondenten des „Soz.
Pavlamenisdienst", die sich auf äußerst zuverlässige
Angaben stützt und in der es u. a. heißt:
Schlageter hat sich vor dem Beginn des
äbenieuers mehrere Monate auch in Danzig
halten, das seines deutschnationalen Senats
von den deutschen Reaktionären neben München als
deutsche „Ordnungszelle" angesehen wird. Schlag-
eter war von den deutschen Geheinrvervänden zu ir-
gend welchen Zwecken nach Danzig entsandt worden.
Hier führt er dasselbe nichtstuerische Leben
wie die Harden-Attentäter, d- h. er trieb sich wochen-
lang täglich in Bars, Dielen und Kaffees,
herum.
Als söine Geldmittel infolge des kostspieligen
Schlemmerilebeus zur Neige gingen, versuchte er bei
amtlichen deutschen Stellen unter Hinweis aus seine
„nationale Betätigung" weitere Geldmittel flüssig zu
machen. Dieses scheint ihm nicht in genügender
Weise gelungen zu sein; denn er trat bald darauf
zu der Polnischen Spitzelagentur in Danzig in nähere
Beziehungen. Als intimer Bekannter des Polnischen
Oberspitzels in Danzig verkehrte ev mit diesem
öffentlich in Danziger Gaststätten. Der Nachweis
ist erbracht, datz Schlageter den Polen deutsche Ge-
heimdokumente verlaust hat. Ob es sich hierbei um
echte Dokumente oder um Fälschungen handelte, ent-
zieht sich unserer! Kenntnis. Gefälschte Dokumente
können unter Umständen für das deutsche Volk aber
noch schlimmere Folgen haben, als echte Ge-
heimdokumente. Die polnische Spionage-Agentnr
war auf jeden Fall mit der Tätigkeit Schlagcters
höchst zufrieden. Abgesehen von den potittschon
schweren Folgen, die dem deutschen Volk aus dieser
Tätigkeit Schlagetens erwachsen sind, ist auch dieser
Fall füv die Charakterlosigkeit der deutschvölkischen
Helden, denen Feindesgeld über Vaterlandsinteresse
geht, kennzeichnend. Diese Feststellungen werden
unsere „nationalen Kreise" selbstverständlich nicht
davon abhalten, weiterhin für „Schlageter-Straßen"
bezw. Denkmäler Propaganda zu machen und den
Spion Schlageter als Nationarheld zu -empfehlen.
Melletcht bauen sie bald auch Herrn Dego ritte
noch ein Denkmal!

Berlin, 22. Juni (Letztes Telcgr )
Dey sozialdemokratische Parlamentsdienst telle-
gvaphiert uns:
Aus zuverlässiger Quelle haben wir Mitteilun-
gen erhalten, die sich mit der gegenwärtig von Frank-
reich beabsichtigten Milderung des Besatzungszu-
standes, wie er zur Zeit noch im Ruhrgebiet herrscht,
befassen Unter der Voraussetzung, datz Deutschlaich
sich bereit erklärt, auf den passiven Widerstand zu
verzichten, will Frankreich seine Truppen im neu-
besetzten Gebiet auf 15 000 Mann reduzieren, die
ausschließlich zur Bewachung der Jngenieurkommis-
sion dienen sollen. Ferner ist an die Entlassung der
Verhafteten und die Zurückführung der Ausgewiese-
nen in die Heimat gedacht. Außerdem soll eine Son-
derkasse geschaffen werden, die auf das Konto
Deutschlands Kohlensteuemr «in,zieht. Die Einnah-
men will Frankreich als Abschlagszahlung für die
ihm zustehenden Reparationszahlungen zugunsten
Deutschlands verrechnen. Darüber hinaus ist ein
militärisches Schutzbündnis zwischen Frankreich und
Belgien beabsichtigt, das die Sicherheit der Be-
satzungsbehöuden gewährleisten soll. Die endgültige
Räumung will man erst „nach Maßgabe" der deut-
schen Erfüllung vornehmen.
Dieses Programm ist unvollkommen; es läßt viele
Fragen unberührt, so z. B. die Sachlieferungen und
die Etsenbahnregie; aber es gibt dennoch zu er-
kennen, worauf die Absichten Frankreichs hinaus-
laufen. Die französische Regierung ist bereit, Zuge-
ständnisse zu machen, -aber sie versucht anderseits
auch, den Zustand aufrecht zu erhalten, den sie am
11. Januar schaffen wollte. Ob ihr das gelingt, wird
im Wesentlichen von England abhängen.
Es ist begrüßenswert, wenn in Frankreich endlich
die Einsicht insofern zu siegen beginnt, daß man an-
erkennt, nur auf dem Wege gegenseitiger Zugeständ-
nisse zu einer Lösung des Ruhrkonfltktes zu gelan-
gen. Man hat sich in der RuhrbevSlkerung damit
abgefunden, daß auch nach der Einstellung des pas-
siven Widerstandes ein Teil der französischen Trup-
pen noch im Ruhrgebiet verbleibt. Mit gutem Recht
Wird von der Arbeiterschaft vor Verzicht auf den
passiven Widerstand die Wiederherstellung der Ho-
heitsrechte des Deutschen Reiches im Ruhrgebiet ge-
fordert und die endgültige Räumung der widerrecht-
lich besetzten Gebiete, sobald die Verhandlungen über
di« Reparalionssrage abgeschlossen sind. Einem
Frankreich, das ernsthaft zur Verständigung bereit
ist, dürfte es schon in Anbetracht seiner Machtstellung,
di« «S zur Zeit in Europa besitzt, nicht schwer fallen,
dieses Zugeständnis gegenüber einem wirtschaftlich
zusamtmengebrochrnen Gegner zu machen.
Die deutsche Spekulation im Lichte
Frankreichs.
Paris, 22. Juni. Der „Tenrps" betont in einem
Artikel, daß die Fmge dep Einstellung des passiven
Widerstandes und des künftigen Charakters der
Ruhraktton im Grunde nebensächlich seien. Für den
Augenblick komm« alles darauf an, ob Deutschland
eine Regierung habe, die gewillt und fähig sei, der
Spekulation mit der Mark ein Ende zu machen. Der
„Temps" spricht von einer deutschen Ugolinopolittk,
durch die Deutschland ruiniert werde, damit ihm das
Kabinett Cuno erhalten bleibe, wie Ugolino
einst im Hungerturm die eigenen Kinder verspeist
habe, um ihnen den Vater zu erhalten. Das Blatt
versucht nachzuweisen, daß eine kleineM inder-
heil von Bevorzugten in Deutschland möglichst
große Schulden in Papiermark mache, um mit
dem so erlangten Geld Devisen oder sonstige
Goldwerte zu erwerben und nach dem dadurch her-
beigeführten Marksturz die geliehene Papiermark
zu einem Bruchteil des ursprünglichen Wertes zu-
rückzuzahlen. Der Geldgeber ist nach der Darstellung
des „Temps" in den meisten Fällen die Reichsbank
oder der Staat.
Paris, 22. Juni. Der „Temps"- regt einen
Meinungsaustausch über den Verfall der deutschen
Währung an und schlägt vor, man möge die Repa-
rationskommission mit den vorbereitenden Studien
dazu betrauen.

Anr morgigen 24. Juni vor einem
Jahre Wurde Walter Rathenau
von deutschvölkischen Mörderhänden er-
mordet. Wir kosten letzt das Glend
durch, das aus dieser fluchwürdigen Tat
entsproß. Möge der Jahrestag des
Todes dieses großen Staatsmannes
ein Tag der Besinnung ans eine ver-
nünftige Politik werdenl
Nach dem vorvertmgswidrigeu, diktatorischen und
gewalttätigen Frieden von Versailles bestanden nur
»Wei Möglichkeiten für deutsches Staats-führertum,
Me vem rumre vegreMlcy zu macyen, Ppucyt ver
Vertreter der öffentlichen Meinung gewesen wäre:
Entweder mtter Opferung des nationalen Ein-
heitswillens den Wünschen des allmächtigen Frank-
reich «ntgegengukommsn, um dafür einzeln« mate-
rielle Vergünstigungen erkauft« zu können, oder
Mtter eiserner innerer Festigung der Reichseinhett
die materiellen Verbindlichkeiten geldlicher und mi-
litärischer Art des Versailler Vertrags so weit als
irgend rnSglich zu erfüllen, um danach dem von Ver-
sailles unbefriedigten Frankreich Vorwände für wei-
tere Härten wegzunchmen. Deutschland unterließ es
ledoch, einen dieser beiden Wege konsequent zu gehen.
^!it erfreulicher Selbstverständlichkeit wurde die
Möglichkeit des völkischen Zerfalls abgelehnt, den
Mut zum konsequenten Begehen des Weges der
inneren nationalen Festigung unter weitgehender
Vertragserfüllung hatte Man jedoch auch nicht. So-
ioohl nach der innenpolitischen wie nach der außen-
politischen Sette nicht. Weder konnte man sich nach
d«n Vorschlägen von Hugo Preutz und der Ini-
tiative von Matthias Erzberger entschließen,
bei Belassung rein kulturpolitischer Zentren und
Territorien zum bewußten Einheitsstaat, der
sehr rasch das noch fehlende einheitliche National-
bewutztsein geschaffen hätte, auszubauen, noch war
an weitsichtig genug, die hochginstge Bedeutung
eines Zukunftswechsels zu erkennen, der unter be-
reitwilliger schneller Mittelbeschasfung zum Aufbau
der zerstörten Gebiete und unter Preisgabe alther-
gebrachter Wöhrmachtsgedanken der Welt die Ent-
stehung eines neuen Deutschland manifestiert
hätte. Man tat viel, sehr viel im Vergleich zu lieb-
gewordenen Traditiorren. Aber was man tat, tat
Man nur halb und widerwillig gleich dem Kinde,,
'as nur angesichts der drohenden Rute gehorcht.
Viel schlimmer und verhängnisvoller für die
lcutsche Politik war jedoch die mbt Giftsaat ge-
tränkt« öffentliche Meinung. Von -en wenig zahl-
reichen Vertretern der öffentlichen Meinung abge-
sehen, Welche frohen Sinnes und klarer Erkenntnis
die demokratisch« und friedliebende deutsche Republik
Predigten und einer Reihe mehr oder weniger phleg-
matischer Nachbeter und Mitläufer, blieben weit«
Lührerschichieu kalt und teilnahmslos, noch weitere
iedoch ablehnend, ja feindlich bis zur Negation ge-
venüber den neuen Aufgabe des freiheitlichen
Deutschland, das gleichzeitig Rettung hätte sein tön-
ten. Mit einem geradezu infernalischen Hatz wur-
den Giftbomben gegen all jene Männer ge-
schleudert, die es auf sich nahmen, aus der Konkurs-
masse des hohenzollernfchen Deutschland zu retten,
Mas zu retten war, wobei sich die ehemaligen DY-
Illasten samt Trotz, Jndustrtemagnateu und auslän-
dische SPtonagebureaus mit einander stritten, Mit-
tel und Munition zu liefern. Wer immer in Deutsch-
land über das nicht allzuhohe staatsmännische Durch-
schnittsmatz hinausragte, stand unter akuter Be-
drohung. Erzberger, Scheidemann, Rathenau, Wirth
»iw. usw. waren die Zielpunkte der Geschosse. Und
sie trafen teilweise. Im Spätsommer 1921 fiel beim
siniebis Erzberger der Mordhetze zum Opfer,
lener deutsche Politiker, der, wie immer man zu ihm
-artetpolitisch oder menschlich stehen mag, mehr für
die deutsche Reichseinhett geleistet hatte, als
die „nationalen" Parreten zusammen in zwei Jahr-
zehnten.
Kaum war Erzberger tot, wurde den Pfeil für
ei« anderes Ziel gespitzt. Noch hatte ja die deutsche
Republik einen anderen Staatsmann überragender
Art.- W a l t e r N a t Y en a u, den Philosophen und
Aftntschaftspolitiker, den Kulturträger und Autzen-
kälttiter europäischen Maßes. Er mußte weg:
'chon weil er der „Republik" diente, trotzdem heute
^bch nicht geklärt ist, ob er mehr als „Vernunst-
"vubltkaner" war; schon weil er der „Verständi-
gung" dient/ trotzdem er im Kriege die „Rohstoff-
T^rsorgung" organisierte, im November 1918 die da-
mals allerdings unsinnig gewordene „nationale Er-
hebung" wünschte und bis zum letzten Atemzug an
br Wiederaufrichtung Deutschlands arbeitete; schon
^eil «r „Jude" war, trotzdem er all das abgestreift
'aift, was man als „jüdischer Handelsgcist" ab-
, "kend findet und gerade hierin aus seinen „ari-
Berufskollegen in der Industrie durch ein
'-wchstmatz von sozialem Verständnis empormgte.
Man verstand den Hatz wider Rathenau
^erzeugen, wie man es auch heute noch versteht,
Republik und positiven Ausbau zu Hetzen. Der
tm^ " " i, chc Beobachter" schrieb: „Wie lange
haben einen Walter I. aus den Dynastie
layanp-^oseph—Rathenatl."^. Das „Statzsur - !
 
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