Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

DOI Kapitel:
Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 18. August)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48727#0441
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bezugspreis einschlietzl.Triiaerlohn
vom I5.-S1. Aug. Mk. 4NNM. An.
ieigentarife: Die einspalt.Petitzeile
vd der.Raum (86mm br.) Mk. Ivoom,
I. Auswärtige Mk. >20 UUO. Reklame-
on zeigen (74mm br.) Mk. für
AuswärtigeMk. V0V06. BciWieder-
Holungen Nachlaß nach Tarif.

Volkszeitung

lLeschäftrstundenS—S Uhr. Sprech-
kunden der Redaktion: 11—IS Uhr.
PoftscheckkontoKarlsruheNr.S2S77.
Tel.-Adr.: Volks,eitungHeidelberg.
Druck u. Verlag der Nnterbadiscpe»
Derlagsanltalt G. m.b. H., Heidel-
berg. GeschäftrsteIIc:Schröderstr.39.
Tel.: LrpedttionLS7S u.Redak.SS7»

rms-Zeltllng M die «MWe Möllerung der AmlsbeMe Seidelberg. Wiesloch. KMeiru. kovinges. Lderdach. Mosbach. Buchen. Adelsbel«. Norberg. LanberbWossbew o. WeMel«

6. Jahrgang

SkSikll dkl WMliA«
WWllWldNU
Trotz der Lohnerhöhungen, die ja
Mit den Preissteigerungen nicht im «ntserntesten
Schritt halten, Weitz eine Proletarische Familien-
mutter nicht mehr, woher sie für Mann und Kinder
die Nahrungsmittel und Kleidungsstücke hernehmen
loll. Wie mutz es ihr da zumute sein, wenn sie durch
hie Stratzen geht, um ihre kärglichen Einkünfte zu
machen, und steht dort die Lüden voller Luxus-
Segen stände und feiner Delikatessen, sowie
die Restaurants und Bars, die mit herrlich geklei-
delen Danien und Herren gestillt sind? Welche Er-
bitterung mutz in ihr aufsteigen, wenn sie in ihr
Heim zurückkehtt, wo die Sorge aus allen Ecken und
EStnkeln grinst!
Der wirtschaftliche Gegensatz zwilchen
drm und reich, »wischen Besitzenden und Besitzlosen,
ber fett Jahrtausenden besteht, ist wohl nochnie -
Mals so schroff in die Erscheinung getreten,
ivie kn der heutigen Zelt. Einzig und allein im
"^"ergebenden römischen Weltreich hat ein ähnlicher
Abgrund geklafft zwischen den Unter- und Ober-
^btchten, aber die alte Kulturwelt ist in diesen Mb-
ürund gestürzt und elendiglich zugrunde gegangen,
ein« geschichtliche Tatsache, die uns zu denken geben
wllte. Doch daran denkt die faule Bande der Lebe-
männer und Lebewetber nicht. Sie tanzen wie
Schmetterlinge Wer dem Abgrund und denken:
»Mag nach uns die Sintflut kommen!" Sie zehren
wie Schmeißfliegen an einem verwesenden Leichnam
Und verwandeln den Sumpf des Elends für sich in
"ne Goldgrube.

Diese menschlichen Schmeißfliegen und Schma-
rotzer begehen durch ihre wahnsinnigen Orgien «in
Dreifaches Verbrechen an unserem Volk«,
.''"'rächst Mren sie eine Umstellung unseres
?uirtschaftltchen Lebens herbei, indem sie
Ae Herstellung von Warrn, die dem Luxus dienen,
wrdem und dadurch die Herstellung der notwendig-
Bedarfsgegenstände einschränken. Man braucht
uur durch die Stratzen einer Stadt zu gehen und in
o>e Läden zu blicken, so findet nian dort Schmuck-
.ächen, Pelzmäntel, kostbare Gläser und Porzellan-
i°chen, herrliche Möbel und alle solche Dinge, die
" Proletarier nie kaufen kann. Dagegen beobachtet
man überall einen Mangel an dem, was die Prole--
anerfamAie am nötigsten hat. Die einfachen Dinge,
o>e Arbeitskleidung, gewöhnlicher Hausrat usw.,
werden immer knapper, während der Markt täglich
wehr mit Luxusgegenständen überschwemmt wird.
Dieser verbrecherische Unsinn erklärt sich aus der u n -
'l«ntgen kapitalistischen Wirtschafts-
weise, die eine Profttwirtschaft, aber ketneBe -
warfsdeckungswirtschaft ist.
Ein Kapitalist stellt nicht deshalb Waren her, um
en Bedarf seiner Mitmenschen in vernünftiger
,7-Ee zu decken, sondern er verfolgt den Zweck, mög-
cht viel Geld herauszuwirtschaften. Der Bedarf
"ost kümmert ihn nicht, das Geldverdtenen ist die
Hauptsache.

Auf geistig-kulturellem Gebiete sowie
wl Gebiete der öffentlichen Sittlichkeit wirkt das
^chlemmergestivdel geradezu verheerend. Es findet
e>ne Freude und Befriedigung im rohesten Stnnen-
"nd den ödesten Vergnügungen, cs kennt
i Höheres als das rein Materielle. Für Kunst
''ö Kultur, für Wissenschaft und Bildung hat es
„ wt. die geringste Teilnahme, sein ganzes Sinnen
Schöpft sich darin, auf unredliche Weise, durch
Schiebungen ""d Ausräuberung der Massen, viel
eid zu verdienen. Was soll man dazu sagen, daß
'"der heutigen Zeit größter Not viel mehr fran-
.osische Weine und Liköre getrunken wer-
Na «E Vor dem Kriege? Die schlemmenden Ba-
drücken auch die Kulturhöhe des deutschen
du wZ herab. Sie finden keinen Geschmack mehr
echter Kunst, sondern bevorzugen diejenigen
d- Zuspiele und Bücher, die die Sinne kitzeln und
k°S'nnlichkeit aufstacheln. Welcher Proletarier
" heute noch ein Theater besuchen oder ein gutes
Kur? laufen, um seinen Geist zu bilden und sein
siln» ^diftfnis Zu befriedigen? In den Theatern
di "die neuen Reichen und geben dort den Ton an,
karr Eerleiter sind gezwungen, wenn sie bestehen
Pan dem Geschmack ihrer Kundschaft anzu-
klie» ""d auf die niedere Sinneslust der Schmcitz-
ichmr? Riicksicht zu nehmen, was naturgemäß einen
ü'ttiVu " Niedergang unserer künstlerischen und wis-
Tg^itlichen Verhältnisse zur Folge haben mutz.
r«b, i beobachten wir eine sittliche Ver-
Sie? -.S sondergleichen: Habsucht und Erwerbs-
hat in^ten den Gemeinsinn, der keine Stelle mehr
"chtu den Herzen der Volksausbeutcr, die mit Ver-
"bblidie ehrlich arbeitende Bevölkerung hcr-
U n t . / Und was das Schlimmste ist, auch in die
dinab '^Hten sickert das Gift der Genußsucht
^Uqeni?"?m^seucht besonders die Heranwachsende
^esens^ - wäre es auch anders möglich in einer
digt? wft, die dem krassesten Materialismus hul-
a»te S-7"^„Sdrichwort: „Böse Beispiele verderben
iosi '"u bleibt ewig wahr, und so beobachten
Schlew»'wieder, wie das böse Beispiel des
^"ina auf wette Schichten der Bevöl-
Mnu "'d ivtrkt.
bittere Tränen vergießen, wenn man
w er, welchen kulturellem und sittlichen Tieft

Heidelberg, Samstag, de« 18. August 1923

Nr. 190

In höchster Not.

* Heidelberg, 18. August.
Reich und Volk befinde« sich i« furchtbarster
Krise. Der durch die wahnwitzige Ueberhebung deS
preußischen Militarismus verlorene Krieg be-
ginnt sich verstärkt durch die brutal«! Gewaltpolitik
PoincarSS und unterstützt durch die staatSzer-
rüttende Unfähigkeit der politischen Aera Tuns in
vollstem Matze auSzuwtrken. Der Staat ist am
Zerspringen, die VolkSmaffen find am Ver-
zweifeln, der Einzelne steht den Hungertod vor
sich: der „Jüngste Tag" scheint M vor uns aus-
zutürmen.
In dieser Situation will es di« Sozialde-
mokratie nochmals unternehmen, sich al» Schutz-
wall vor de« gewaltigen Abgrund z« stelle«: eine
gigantische Ausgabe, deren Erfolg heute noch nicht
mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, di« je-
doch nur dann gelingen kaum wen« keine der Im-
ponderabilien versagen, die mit der Lösung dieser
Kragen Zusammenhängen.
In vorderster Reihe der VorauSsetzunSen für das
Gelingen des in letzter Stunde unter Selbstaufopfe-
rung unternommenen Wagnisse» steht jedoch die
Mitarbeit der sozialdemokratischen
Presse. Dies« Mitarbeit der sozialdemokratischen
Presse ist nötig sowohl um die Regierung zuTatrn
anzuspornen, wie um das mahnende Gewts -
s en für unsere Genossen in der Regierung zu sein,
ihr den Rücken steif zu machen gegen di« Renitenz
der Bürgerlichen, damit sie ihren Austritt aus der
Regierung erklären, falls die sozialdemokratischen
Forderungen nicht erfüllt werden. Die Mitarbeit
der sozialdemokratischen Presse ist aber
auch nötig, um den ZettungSleser aufzuklären
Wer den Ernst der Stunde, damit er nichi abermals
durch die irreführende bürgerliche Presse sich Illu-
sionen über die Lage hingibt, die raschesten
Abbruch des Ruhrkrteges und dringendste
wirtschaftspolitische Sante rungSmatzn ah-
me n verlangt. Wir erinnern daran, datz die
„Volkszeitung" eines der wenigm Blätter im
ganzen Reiche war, die dem Kabinett Cun» von
Anfang an mit Mißtrauen begegnete und auf die
verhängnisvollen Folgen eines solchen „Kabinetts
dcr Fachmänner" hinwies. Wir haben — leider —
nur zu recht behalten, ebenso wie wir mit unserer
skeptischen Einstellung zum Ruhrkowfltkt ebenfalls
leider recht hatten. Erst recht ist daher in diesen
Tagen der höchsten Krise von Staat und
Volk ein mahnender und gewissenhafter Mentor
nötig, wie sie die sozialdemokratische Presse darstellt.
Umso bedenklicher ist, datz gerade m diesem Mo-
ment die gesamte deutsche Presse und da-
mit auch die sozialdemokratische Presse vor
dem Untergang steht. Während die Preise für

Lebensmittel und Bedarfsgegenstände sich täglich
der Entwertung anpassen konnten, ist die» den Zei-
tungen infolge des Monatsabonnement» nicht mög-
lich gewesen. Die letzte» Erhöhungen dcr Preise
für Papier, Rohmaterial, Farbe, Nachrichtenbe-
schasfung und di« in dm letzten 14 Tagen eingetre-
tewen Sohnerhöhungen, dl« jedoch das Buchdrucker-
personal immer noch wett hinter den anderen Ar-
beiterkategorien rangiere» lassen, mutzte stch selbst-
verständlich in einer Erhöhung des BrrugspretseS
der Zeitungen auSwirkcn, wie stch jeder Leser denken
kann.
Wir waren daher gezwungen, für di« zweite
Augusthälst« dm Bezugspreis von der lächerlich ge-
ringen Summe von 70 00ü Mark, der drM Preis
von ei« paar Zigaretten entspricht, auf 4 s 0 0 0 V
Markzu erhöhen, was angesichts der jetzigen Geld-
entwertung immer noch als sehr gertng bezeich-
net werde« mutz. Jeder verständige Leser und jede
verständige Leserin wird im Vergleich mit andere«
Artikeln diesen Preis al» sehr bescheiden s-n-
dm und ihn angesichts der furchtbaren Not-
lage der Presse sofort den Austrägerinnen
beim erstmaligen Borzelgen der Quittung zahlen.
Wie nahe die deutsche Presse dem Ruin ist,
geht daraus hervor, datz zahlreich« ZeitungSbetnev«
ihre« Personal bereits gesündigt haben, da da»
Weitererschetnen der Zeitungen ihnen zu grobe Opfer
erfordert. So habe» — es ist dies ein Warnungs-
signal an Volk und Staat! — die Ze'tungSverlage
von ganz Mitteldeutschland beMossen,
allen BuchdruSeraehilfen zu kündigen und die
Betriebe zu schließen. Unabhängig von diesen: Vor-
gehe« der Zeitungsverleger in Mitteldeutschland ha-
ben auch die sächsischen Zeftungsverleger etnen
ähnlichen Beschluß gefaßt. Auch aus Baden liegen
ähnliche Nachrichten vor. Was dieser Untergang
der deutschen Presse bedeutet, ist leicht zu
errechnen. Die Regierung steht schutzlos jeder
inneren und äußeren Panik gegenüber, das Volk
ist jedoch sinnlosesten Gerüchten preiSge-
gcben. Beiden liegt daher die Pflicht ob, rasch zu
helfen. Die Regierung hat die Pflicht, durch unver-
zügliches Einschreiten gegen den Pa pier-
wucher den Zeitungen die Weiterexistenz, die
gleichzeitig die Fortdauer einer Staatsautorttät
überhaupt bedeutet, zu ermöglichen. Die Zei-
tungslefer haben jedoch die Pflicht, durch so-
fortige Bezahlung des Bezugspreises dcr
Zeitung deren Fortbestehen, von dem auch das
Fortbestehen jeder inneren und äußeren Ordnung
abhängt, zu gewährleisten. Denn wer den Aufbau
eines modernen Staates kennt, der weiß, datz mit
dem Tod der Zeitungen die Stunde des Un-
terganges eines geordneten Volks-
lebens gekommen ist.

stand das deutsche Volk erreicht hat. Daran ist nicht
erwa, wie häufig behauptet wird, die Revolution
schuld, das ist lediglich die Folge des unseli-
gen Weltkrieges und seiner Begleiterscheinun-
gen. Der Krieg hat die Menschheit aus dem wirt-
schaftlichen und seelischen Gleichgewicht gebracht und
ungeheureVerheerungen angerichtet. Eine
Gesundung wird stch keinesfalls erreichen lassen
durch Moralpredigten und religiöse Zaubertränke,
lediglich eine Veränderung unseres Wirtschafts-
lebens in der Richtung zum Sozialismus wird im-
stande sein, Wandel zu schaffen.
Endlich drittens begehen die menschlichen
Schmeißfliegen ein großes Verbrechen am deutschen
Volke, indem sie uns dem Ausland« gegen-
über in ein falsches Licht stellen. Im
Auslände ist weit die Meinung vertreten, daß wir
in Deutschland ein herrliches, üppiges Leben führen
und daß wir ein reiches, wohlhabendes Volk seien.
Wir seien sehr Wohl imstande, unseren Verpflichtun-
gen, die uns der Versailler ZwangKfrieden aüferlegt
hat, in vollem Umfange nachzukommen, wenn Wir
nur wollten. Wir seien eben böswillige Schuldner,
die Wohl zahlen könnten, aber nicht wollten,
die also, mit allen Mitteln zum Zahlen gezwungen
werden müßten. Diese durchaus falsche Meinung
Wer unsere Lage und unsere Zahlungsfähigkeit er-
klärt sich daraus, daß die Ausländer, die nach
Deutschland kommen, nur die glänzende
Außenseite kennen lernen und von dem wirk-
lichen Leben der Arbeiterbevölkerung nichts zu sehen
kriegen. Wenn sie durch die Straßen der Städte
gehen und die Luxuswaren in den Läden betrachten,
wenn sie die Restaurants, Kaffeehäuser und Bars,
die Theater und andere Vergnügungslokale besuchen,
so müssen sie unbedingt den Eindruck gewtmMl, als

ob das deutsche Volk bis über die Ohren in der
Wohlhabenheit stecke. In die Arb ei terv ter 1 e l,
wo Not und Elend und Sorge haust, führt sie ihr
Weg nicht, die wirtschaftliche Lage der Arbefterums-
sen bleibt ihrem Auge verborgen. Sie urteilen des-
halb nach dem falschen Augenschein, und das ver-
danken wir dem Protzentum, das unserm Leben
einen Glanz verleiht, der gar nicht vorhanden ist.
Zweifellos steigt die Empörung Wer das unver-
antwortliche Gebaren des Schlenunergestndels von
Tag zu Tag. Aus der Betrachtung der Schieber
und Wucherer, die in Saus und Braus leben und
dos Mark des Volkes verprassen, erwächst die Erbit-
terung, und es erscheint durchaus nicht ausgeschlos-
sen, -atz sie der Unwille der Massen eines Tages in
gewaltsamen Aufständen Luft macht. Leider ver-
Ichlteßen die Volksausbeuter und Volksverderber
ihre Augen und Ohren und setzen ihr Luxnsleben
fort.
Kurze Meldungen.
London, 17. Aug. Aus Washington wird ge-
meldet, daß die Ratifikationsurkunden
im Washingtoner Abrastungsabkom-
men nunmehr in Washington ausgeteilt worden
sind. Das Abkommen tritt damit unverzüglich in
Kraft.
Prag, 17. Aug. Auf dem Karlsbader
Zionistenkongreh legte Präsident Welz-
in ann sein künftiges Arbettsprogramm dar. Er
führte aus, daß man sich zu dm Arabern in ein
stkundfchaftlich-verwandischaftliches Verhältnis stel-
len müsse.
Paris, 17. Aug. Botschaftsrat v. Hösch ist
zur Berichterstattung nach Berlin berufen worden,
Wh er inorgen eintreffen wiw.

Die Lage im Reich.
Eine notwendige Forderung.
Fort mit tzavenstein!
Berlin, 18. Aug. (Letztes Telegr.) Der „Vor-
wärts" erhebt heute in einem Leitartikel von neuem
außerordentlich scharfe Angriffe gegen die unzu-
längltche Geldpoltttk der Reichsvank
und wirft Herrn Haven st etn vor, datz er sein«
gefetzlich fundierte Unabhängigkeit nicht zur Hem-
mung, sondern zur Vermehrung der Notenflut be-
nutzt habe» indem er alle Sanierungsmaßnahme»
bekämpft und trotz allen Abmahnungen Milliarden-
kredite in Markwährung gewährt habe. Hieran
knüpft der „Vorwärts" folgende Forderung:
„Wir hatte« es deshalb für unerträglich,
Vatz in der Leitung der Retchsbank Methoden und
Personen, denen längst da» allgemeine Mißtrauen
der weitesten Kreisen des deutschen Volkes und nahe-
zu des ganzen Reichstags dokumentiert ist, stch ge-
gen diesen Willen aus Grund rein formeller Bestim-
mungen im Am» «chatten. Wir erklären deshalb:
Reichen Havmstetn und Glasenapp ihr Abschieds-
gesuch nicht binnen drei Tagen ein, so wich
die sozialdemokratische Fraktion die sofortige Ein-
berufung des Reichstags mit dem etnztgen
Zweck der Beseitigung de» entsprechenden Para-
graphen deS Autonomiegesetzes der Reichsbank ver-
langen. Die Sozialdemokratie kann und will Deutsch-
land» Schicksal auch nicht eine Woche länger in
dm Händm derer lassen, denen sie in voller
Ueberetnstirmmmg mit allen Regierungsparteien
eine Fähigkeit zur Lenkung dieser Geschick- in solcher
schweren Zett nicht zutraue. Höher als die Rücksicht
auf Exzellenzen steht uns das Schicksal des deutschen
Volkes."
Mordhetze gegen Htlfferding?
München, 17. August.
Der „Völkische Beobachter" hat nichts eiligere»
zu tun, als neue Hetzartikel gegen einzelne
Männer der Regierung Stresemann loszulassen. Die
neue Regierung hat noch nicht richtig ihr Amt an-
getreten, da wird sie schon vom Münchener Haken-
krmz-Organ mißkredittert und durch den Dreck g*.
zogen. Weil Stresemann mit einer jüdischen
Frau verheiratet ist, nennt das Blätt den neuen
Reichskanzler nur noch Stresemann-Kleefeld. Stre-
semcrnns Aemter werden aufgezählt und überall
dabei dazugefügt, daß die Vorsitzenden der Aufsichts-
lifte Juden sind und Stresemann daher in geisti-
ger Abhängigkeit von Juden stehe.
Ganz besonders aber ist es der neue Finanz-
minister Dr. Hilferding, der nach dem Mün-
chener Radaublatt dem Kabinett Stresemann den
eigentlichen Stempel gibt. In einem eigenen Leit-
artikel Wird nmr gegen Htlfferding Stimmung ge-
macht und von ihm bezugnehmend aus eine Rede
auf dein französischen sozialistischen Parteitag in
Lille erklärt:
Mit diesen Worten ist das Schicksal des deut-
schm Volkes, das jetzt in die Hände deS neuen
jüdischen Finanzministers gelegt ist, deutlich um-
schrieben; denn das Versprechen der „Reparatio-
nen" und das Versprechen der „Garantien" aus
einem Munde wie Htlfferding, dessen Partei
kein Vaterland kennt, das Deutschland beißt, be-
deutet die vollkonimme Auslieferung der gesamten
deutschen Wirtschaft und Industrie, die Aus-
Pressung bis aufs Blut, die Duldung
der Bespitzelung aller unserer technischen Einrich-
tungen, die Anerkennung einer vollständigen Fi-
nanzkontrolle — nach ägyptischem Must>r, wie es
England fordert —, mit einem Worte die vollstän-
dige Versklavung des deutschen Volkes.
Am Schluß des Artikels des „Völkischen Beob-
achter" heißt es dann:
Für uns gibt es nm ein einziges Motto, nnd
das ist: Rücksichtslose Bekämpfung des
neuen Ersüllungskavinetts, und in dieser Bekänch-
fung hoffen wir, datz auch manchem noch denkenden
Wähler allmählich die Augen übergehen vor dem
großen Theater, das noch kommen wird, und daß
viele sich entschließen werden, die Bewegung zu
unterstützen, welche nicht mehr Kämpfer für deut-
sche Freiheit hinter Schloß und Riegel letzt, son-
dern den Bedrücker hinter eiserne Gardinen.
Das ist der Ta g, für den wir arbeiten, und der
einst kommen wird und kommen m u ß.
Wer da weiß, wie in den Hitlerblättern vor der
Ermordung Erzbcrgers und Rathenaus gehetzt
Wurde, wer da weiß, wie in dem Prozeß gegen
Rathenaus Mördern von einzelnen Angeklagten er-
klärt wurde, sie seien durch die Lektüre aus
rechts bolschewistisch en Blättern zu der
Annahme gekommen, Rathenau sei ein Verder-
ber Deutschlands, der kann ermessen, wie dieser
Artikel gegen Htlsferding auf unreife sana-
ftsch veranlagte junge Leute stch auswirkt.
Die bayerische Regierung, die eine Notverord-
nung erlassen hat, um der Verwilderung des Politi-
schen Kampfes enigegenzuwirken, wird diesen M-
likel wohl auch gelekekt haben. Schwelgt -e dazu,
oder will sie nicht dafür sorgen, datz München end-
 
Annotationen