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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 171 - Nr. 180 (26. Juli - 6. August)
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arjse: Die einspalt. Petitzeile oder
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>ur Auswärtige Mk. 7<M. Reklame-
Mzeigen (71mm breit) Ml. IWM, für
Auswärtige Mk.issm. Bei Wieder-
holungen NaLlak nach Tarif.




szerttm

GeschüftrstundenS—kitthr. sprech»
stunden der Redaktion: N—ISUHr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr.iW77.
Tel.-Adr -Volkszeitung Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadische»
Verlagsanstalt <8. m. b. H., Heidel«
berg. Geschäftsstelle: Schröderftr.M.
Tel.: ErveditionLS7S u. Redat.287».

laier-zeimm Ik »le MMWe «eoMmi der «WdeMe »eldelleri, MM, kMew, UMe«, kderdch, MorM, «ch«. »Mei«, »«»erd, iMerdWMela i. MrAw

8. Jahrgang
ESSSWSSSSSSm

Was mutz geschehen?
Von Paul Hertz.
Im Juli ist der Dollar an der Berliner Börse
'rotz Einhettskurs und künstlichem Druck von
150000 auf 1100 000 gestiegen Das ist die größte
und schnellste Steigerung, die bisher in der Geschichte
des deutsch-:» WährnugSfattes zu verzeichnen ist. Die
Sozialdemokratie hat diese Entwicklung vorausge-
sehen. Seit der Ermordung Rathenaus hat sie
deshalb unablässig darauf gedrängt, daß durch eine
aktive Währnngs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik
der Anreiz und die Mittel zur Spekulation gegen
die Mark genommen werden. Fermer sollte durch
wertbeständige Anlagemöglichkeiten der Flucht in die
Aaren und in die Devisen vorgebeugt werden. Aber
die kapitalistischen Kreise der Wirtschaft, die an der
Geldentwertung stark verdienen, waren zu mächtig
und die Staatsgewalt zu schwach. Jede systemvolle
und energische Politik, die den Markverfall aufhalten
wogte, wurde verhindert. Erst als der Markverfall
bereits eingetreien war, entschloß man sich zur
Durchsiitzrug der einen oder anderen Teilnratznahine.
Es kam die Ruhraktion. Die Ausgaben des
Reiches stiegen gewaltig. Millionei« Menschen, die
bisher Steuerzahler waren, wurden nun Unter«
siützungsempfänger. Nelle Einnahmen des Reiches
wurden notwendig, um alle Anforderungen zu er-
ftilleu. Daher hat die Sozialdemokratie von Beginn
der Ruhraktion an die Schaffung neuer Einnahmen
* erlangt mit dem Ziele, die Ausgaben ohne Inan-
spruchnahme der Notenpresse zu decken. Besonders
ms die Stützungsaktion Anfang Februar simgeleitet
wurde, wies die Sozialdemokratie mit dem denkbar
größten Nachdruck daraus hin, daß die Noten presse
der im Hinterhalt liegende heimtückische und ge-
fährliche Gegner der Stützungsaktion sei. Nur wenn
es gelinge, die Nolenpresse stillzulegen, könne mit
längerer Dauer der Stützungsaktion gerechnet wer-
den.
ReichZrcgierunz und bürgerliche Parteien waren
diesen Erwägungen vollständig unzugänglich. Volks-
wirtschaftlicher Dilettantismus und politische De-
"lagogie vereinten sich zu der Parole „Preisabbau",
s^s blieb aber bei dieser Parole, Wirksamkeit hatte
wud konnte sie nicht haben. Dasür wurden aber die
Eiuuaüm-u des Reiches abgebaut. Das Geldentwer-
wngsgesetz wurde zum Steu'erenMv-eoinnMgesetz.
-ch'tuugssühigc Kreise des Volkes wurden von der
Einkommen- und Körperschaftssteuer so gut wie be-
uetk. Der Abbau der Kohlensteuer wurde zu einem
-'fiesengeschcnk an die Kohleniudustrie und die ver-
arbeitende Industrie. Die Erhöhung der Prefte für
^äs Umlagcgötveide wurde zum ViMouengeschenk
w: die Agrarier. Kurz: man wirtschaftete, als ob
" an schler unerschöpfliche Steuerquellen zur Ver-
eisung hai. Statt dessen hatte man nur die Roten-
w'esse. Fast neun Zehntel aller Ausgaben des Rei-
in den Monaten Jamme bis März 1923 wurden
wtj ihrer Hilfe finanziert. Der Zusammenbruch der
^iütznngsaktion für die Mark am 18. April war das
""ausweichliche Ergebnis.
Aber selbst dieser der ganzen Welt sichtbare
'Nlntrolt einer von Jnteressenwünschen stark beein-
uußlen Politik brachte keine Aendemng. Erneut
"Mernahm die Sozialdemokratie den Versuch, Re-
gelung und Parteien zu aktiver Steuerpolitik zu
"rängen- Vergeblich! Der Wagen rollt unaushalt-
"wr dem Abgrunde zu. Seine Lenker hoffen aus
"as Wunder, das vor dem Zerschellen im Mgrunde
'eilet.

,, Dieses Wunder gibt es nicht. Unsere jetzige
Z"se ist das Ergebnis jener ungeheuren Finanz-
"rriittung, die entstand durch den außenpolitischen
?wick und die innervolttische Unzulänglichkoit. Un-
"e schwebende Schuld vermehrt sich um zwei Billt-
."w" täglich. Unsere Steuereinnahmen decken nur
det bis drei Prozent unserer Ausgaben. Be-
. ''wssene Steuern werden entwertet u. verspätet cut-
'chtet. Das Reich trägt die gesamten Lasten aus der
^"flation. Solange dieser Zustand andauert, ist der
der Währung, der Verfall der Wirtlchaft,
im -^"wachsen der Not und die Verschärfung der
Uerpolittschen Zustände nicht auszuhalteu.
d- Jbir müssen deshalb den, Versuch unternehmen,
ist "^Verhältnisse des Reiches zu bessern. Wie
die zu s Ziel zu erreichen? Bisher sagte mau. daß
lest ^esitzsteuern in Deutschland bis zur Unerträglich-
sten ""gespannt seien und weitere Lastet« nicht crtra-
Werden könnten. Das war falsch und das ist
"ölz D'e Inflation hat alle Besitzsteucrn vnter-
unwiMam gemacht. Jetzt gilt es, sie wert-
"vig zu machen, die volle Last der Geldentwer-
iwr n Steuerpflichtigen aufzuetlegen, das Reich
dixs. " Entwertung der Steuern zu schützen. Da
"whx g "vau des Steuersystems aber Zeit erfordert,
lau ""2 gegenwärtig die steigenden Flu-
dc„ w müssen Notmaßnahmen getroffen weo-
^stffe, wirken und uns damit die Zeit
Reichs-- Vie wir zur endgültigen Sanierung der
^f'nanzen gebrauchen.
die sinän^w" Gedankengänge». ausgehend, «vollen
^sttie "ivstütischeu Forderungen der Sozialdemo-
Tteue'ru m vurch Zuschläge die bereits bestehenden
Nhtzht m Retchseinnahnten in kürzester Frist so
stau., daß aus die Arbeit der Notenpresse
'.'un. y» srößten Umfange verzichtet werden
wlchi- „>>,<,'E, keineswegs verkannt werden, daß
tz.ltichen Zuschläge Ungerechtigkeiten mit-

Heidelberg, Freitag, den 3. August 1S23

sichbringen. Für diejenigen, deren Einkommen nicht
gleichen Schritt Mit der Geldentwertung hält, wird
die Entrichtung dieser Steuern in kurze» Astt wahr-
scheinlich manchmal eine Härte bedeuten. Soll man
ober deshalb auf dies« Maßnahmen !überhaupt ver-
achten? Sicherlich wird das von jenen Gruppen,
dir bisher jede wirksame Besteuerung des Besitzes
;u verhindern wußten, auch diesmal wieder versucht
werden. Demgegenüber sei nur auf zwei Tatsachen
hingewiesen. Ohne drakonische Maßnahmen gibt es
überhaupt keine Rettung. Keine Besteuerung ist so
ungerecht und zerstörend als die Jnslationssteuer.
Tie Sozialdemokratie WA aber nicht nur finanzpoli-
tische Maßnahmen. Sir stellen Mar das Kernstück
der Maßnahmen dar, von denen eine Entspannung
der Lage zu erwarten wäre. Sie müssen aber unter-
stützt werde» durch andere Maßnahmen, die das
Problem von der Wähnmgsseite her ausfasseu. Neben
der Finanzzcrrüttuug hat nichts so sehr zum Wäh-
rungsverfall bcigetragen, wie die Gescheutvolilik der
Rcichsbank. Die Rcichsbank ist die einzige Stelle im
deutschen Reich, für die Mark gleich Mark ist. Ob
mau heute eine Million Mark für einen Dollar geben
muß oder in einer Woche zwei Millionen für den-
selben Dollar, ist Herrn Havenstein ganz gleich-
gültig. Er leiht Mark aus und nimmt denselben
Betrag an Mark zurück. Düse Kreditpolitik der
Netchsbank hat zu der ungeheuerlichsten Bereicherung
der Sachwentbesitzer und Spekulanten geführt. Die
RcWsbank selber hat also die Mittel geliefert, mit
denen auf den Verfall der Mark spekuliert wurde
und die Stützungsaktion zerschellte. Die jetzige
Reichsbaukleitung «nutz deshalb verschwinden. Erst
dann ist die Verwirklichung der Forderung zu er-
warten, daß Kredite nur auf der Goldvasts gegen
Goldzins gegeben werden dürfen.
Neben diesen beiden Maßnahmen aber ist er-
forderlich die Ausgabe einer wertbeständigen Reichs-

anleihe. Tie ist jetzt endlich für die nächsten Tage
zu erwarten. Aber wenn sie «ich« gesichert wird
durch die Sachwerte der Wirtschaft oder das Gold
der RetchSbank, oder auch provisorisch auf eine an-
dere Weise, ost nicht damit zu rechnen, daß sie dte
großen Btträge bringt, die neben den neuen Steuer-
einnahmeu zur Deckung der Reichsausgaben not-
wendig sind. Hand in Hand damit mutz mich eine
neue Stützungsaktion gehen. Ncichsregierung und
Netchsbank haben es ja leider w wett gebracht, daß
das Vertrauen zu wirksamen Eingriffen auf den De-
visenmarkt sehr gering geworden ist. Deswegen, und
weil das Problem von allen Setten her angepackt
werden »ruß, muß man auf die reichen Devisenbe-
stände der Wirtschaft zurüSgMifen und sie für
Sttitznngszwecke der Mark verwenden. Wie das im
einzelnen zu geschehen hat, ist aus leicht begreiflichen
Gründen in den Forderungen der Sozialdemokratie
nicht dargelegt. Das Wort der deutschvotksparte-i-
lichen „Zeit": „Degoutte habe Helfershelfer in
Deutschland" mahnt zur Vorsicht.
Die Absichten der Reichsregierung haben nicht
den Eindruck erweckt, daß durch sie die große befrei-
ende Tat eingeleitet wird, die wir Zur Rettung in
letzter Stunde gebrauchen. Das ist, Von allem an-
derm abgesehen, der schwerste Mangel der Regie-
rungserklärung. Solange nicht bei den Jnflatio-
nisten drr Wirtschaft der Eindruck entsteht, es werden
Wiederum nur halbe Maßnahmen getroffen, die In-
flation geht Weiler, ändert sich ihre Haltung nicht.
Deshalb ist der Grundsatz der sozialdemokratischen
Forderungen: keine halben Maßnahmen, sondern
ganze! Keine Maßnahmen für die Zukunft, son-
dern erst Maßnahmen für den unmittelbaren Augen-
blick! Rücksichtslose Bekämpfung der Finanzzer-
ritttnng, der Inflation, der Geschenkpolitik der
Reichsbank, Tragung der bisher durch die Inflation
entstandenen Lasten durch den Besitz!

M «W WkMMlllMU

London, 2. Ang. Die mit großer Spannung
erwartete Erklärung über die letzten Verhandlungen
zwischen England und den Verbündeten Regierungen
in der Re.'araiions- und Ruhrsrage wurde heute mit-
tag im Parlament abgegeben. Wie bei früheren ähn-
lichen Gelegenheiten gab Baldwi n im Unterhanse
lind Lord Curzon im Oberhause die ähnlicher«
Erklärungen alb. Di? Erklärungen lauteten folgen-
dermaßen: Au« 7. Juli ds. Js sandte die deutsche
Negierung als Antwort auf die von den Alliierten
ans ihre Rore voin 2. Mai eiugenosfeuen Erwiderun-
gen ein weiteres Memorandum an die alliierten Re-
gierungen, in dem sie neue Vorschläge in der Repa-
rations- und Ruhrsrage unterbreiteten. Zwischen
den alliierten Regierungen fand daraufhin ein Mei-
nungsaustausch zur Aufklärung und Feststellung
ihrer Anschauungen ft« dieser Frage statt und ins-
besondere stand dte französische und belgische Regio-
rung in einen« gesonderten Austausch mit der eng-
lischen R.'gismng. Einen Mona« später, am 12.
Juli, wurden im Parlament Erklärungen über die
von der englischen Regierung eingenommenen Hal-
tung abg.geben «ird cs wurde darin
dte dringende Notwendigkeit
betont, eine Aktion zur Beendigung der Ruhraktion
zu unternimm, dte eine Gefahr sowohl des euro-
päischen Friedens wie für alle an diesen Fragen in-
toriessierten Parteien bedeutet. Gewisse Vorschläge
wurden daraufhin von der englischer« Regierung als
Grundlage sür eine derartige Aktion anerkannt und
die Erklärung schloß danttt, daß sofortige Schritte
bei den alliierten Regierungen unternommen werden
würden. Die englische Regierung war der Anschau-
ung, daß die in den« deutschen Memorandum ent-
haltenen Vorschläge einer Prüfung und Erwiderung
würdig sei und daß diese Erwiderung tunlich eine
gemeinschaftliche der Alliierten sein müsse
Ta dte französische und belgische Regierung sich aber
nicht geneigt zeigten, dte Initiative zu einer derarti-
gcn Antwort zu ergreifen, erklärte die englische
Regierung, sie wolle selbst die Verantwortung dafür
übernehmen und einen Antwort-Entwurf den Ver-
bündeten zur Prüfung zu übermitteln. Die englische
Regierung hat nunmehr eilten Entwurf yergestellt,
dcn sie am 20. Juli mit einer Mantelnote den Re-
gierung!« von Frankreich, Belgien, Italien und Ja-
pan übersandte. In diesem Entwurf macht sich die
englisch? Regierung verschiedene der von Deutschkand
in seinen« Memorandum ausgestellten Vorschläge zu
eigen. U. a. bekannte sie sich zur deutschen Auffas-
sung, daß ohne, daß dadurch irgendwie der FriedenH,-
vertrag verletzt werden könne,
die deutsche Zahlungsfähigkeit von einem unpartei-
ischen Sachverstiindigmgremium "
tn Znsammcnarbeit Vcr NWarationskommission fest-
gelegt werden müsse. Was dte Frage der von Deutsch-
land ang.'botenen Garantien anbetrifft, so drückt dte
englische Regierung ihre Meinung dahingehend aus,
daß der ökonomische Wert dieser Garantien von sol-
chen Faktoren abhängig gemacht werden müsse, wie
sie das deutsche Memorandum nicht erwähnt, als da
sind: Stabilisierung der Mark und Ausbalancierung
deS Budget und daß alle Garantien solange wir-
kungslos bleiben müßten, vis die deutsche Finanz-!

t-crwalmng unter irgend einer Form internationaler
Kontrolle gestellt wird. Der englische Antworten«
Wurf gipfelt in dem Rat an die deutsche Regierung.
Wenn st.' die Wiederaufnahme vor« Verhandlungen
wünsche, sofort ihre Befehle und Auoudnuugcu zu-
rückzuziehen, durch die der passive Witderstcmd orga-
nisiert und verdichtet worden sei und unzweideutig
alle Akte t on Heftigkeit und Sabotage zu mißbilligen,
dte diesen Widerstand in verschiedene«« Fällen bi glei-
tet hat und es wurde den« Glauben Ausdruck verlie-
hen, daß eine derartige Aktion von deutscher Seite
die okupiercildc Macht zur Wiederaufnahme der Ver-
handlungen über eine Aendernng ihrer Besatzungs-
method: und ihrer Rückkehr zu einein normalen indu-
striellen Lebe»« in« Ruhrgebiet geneigt machen »rüste.
In den diesen Aniworteniwurs begleitende«« Mantel-
noten gab die englische Regierung noch eingehende
Aufkläruirg über die von ihr allen diesen Fragen ge-
genüber eingenommenen Gesichtspunkte und drang in
ihre Verbündeten, sobald wie möglich die Diskussion
in einer Konferenz oder auf andere Weise zu diesem
Zwecke zu beginnen: einen umfassender« Plan zur
allgemeinen und endgültige!« Lösung auszuarbriten.
Di« Antworten der Alliierter« auf diese Anregung
sind nunmehr cingetrossen. DaS Schriftstück vor«
Italien ist noch nicht eingetrofsen, aber die italienische
Regierung hat bereits ihre volle UebereinstAnmuug
«nit den Ansichten und Vorschläge der englischen
Regierung mitgeteilt. Die französische und belgische
Regierung haben von einander unabhängig Er-
widerung m gesandt. Die englische Regierung hat
diesen Erwiderungen ihre sorgfältigste Aufmerksam-
keit gewidmet und obwohl sie erfreut die srcmrd-
lchaftlichrn Sprachen anerkannte, in dorren sie gefaßt
sind, bedauert sie, in ihnen nichts finden zu können,
Was eine gemeinsame Alliiertenantwort an Deutsch-
land möglich machen könnte, auf die die englische
Regierung außerordentlichen Wert legen würde.
In der Tat wird der Entwurf der englischen Regie-
rung in der französischen und belgischen Antwort
nicht einmal erwähnt. Weiterhin weisen die beiden
Noten keinerlei Vorschläge auf, aus denen man
eine baldige Aendernng j» der Ruhraktton
oder auf den Beginn neuer Reparat-ionsbesprechun-
ge« schließen könnte, zwei Dinge, die die englische
Regierung so sehnlichst erstrebt. Es lieg« auf der
Hand, daß viele Wochen, wenn nicht gar noch län-
gere Zeit Verstreichen würde, bis die verbündeten
Regierungen auf der Grundlage der soeben unter-
breiteten Auffassungen in einen neuen Meinungs-
tausch treten würden und ehe eilt Wirtsamer Sckwitt
zur Beendigung der heutigen Situation unternonb
men werden könnte. Die englische Regierung kann
nicht oft genug wiederholen, daß sich ihre Interessen
«nit denen der NMertcn verbunden fühlt und ebenso,
wie ihre Verbündeten vor jeder Aktion zwrNckschreSI,
die dazu angetan sein könnte, aus eine Uneinigkeit
zwischen dcn Alliierte«« schließen zu lassen, trotzdem
sie die Auffassung beibehalten mutz, datz die Lösung
hes Probleins nicht mehr zu vermeiden ist und daß
die europäische Situation, wen«« jetzt die Alliierten
noch länger ihre Meinungen über diese oder jene
Einzelheit, oder diesen oder jenen Vorschlag auszu-
tauschen beginnen, mitsamt allen ReparationIzah-
lnngsaussichten, an denen alle Betibündeten gleich-
zeitig interessiert find, immer weiter

Nr. 178

dem unvermeidlichen Ruin entgegentreiben müssen.
Unter diesen Umständen hat die englische Regierung
beschloss:««, dem Parlament in nächstniöglichster Zeit
die Schriftstücke vorzulegen, in denen ihre Aufstrs-
fttng niedcrgelegt ist und ihre Alliierten zu bitte»«,
dcr Veröffentlichung des Notenwechsels und aller
Feststellungen, auf die sie sich in diesen Roter» be-
ziehen, zuzustimmen. Die englische Regierung hofft,
daß die Veröffentlichung Vieser Schriftstücke dazu
vcitmgen werde, dte wahren Dimensionen des ern-
sten Problems aufzuzeichnen, dem sich dte Alliierten
gegenüber befinden und die Welt von der heische»»'
den Notwendigkeit überzeugen wird, es durch
.-ine gemeinsame sofortige Aktion
aus der Welt zu schaffen.
Jo« beiden Häusern folgte dieser Erklärung eine
Debatte, die im Augenblick noch im Gange ist.
Starke Enttäuschung.
London, 2. Ang. Die Reglern ngserklänmg
hat in beiden Häusern stark enttäuscht, die ihren
Höhepunkt erreichte, als Baldwin im Unterhaus
am Schluß seiner zweiten Rede bat, ihn «richt zu der
Abgabe einer Erklärung über die wetteren politi-
schen! Maßnahmen der Regierung zu drängen, da er
erst seit 2 Tagen im Besitz der belgischen und fran-
zösischen Note sei, und er keine Zeit gehabt habe,
die nächsten politischen Schritte zu überlegen.
Mosely fragte dcn Premierminister: Hat sich
die Regierung, als sie dm Entwurf ihrer Note an
Deutschkand an die Alliierten übersandte, genau
überlegt, was sie weiter zu tun gedenkt, wenn
Frankreich und Belgien den Text ablchnen?" Ans
diese Frage erfolgte Schweigen von der Regierungs-
bank.
Im Oberhaus fragten Chamberlain u.
Ramsey Macdonald: „Was denn die Regie-
rung zu unternehmen gedenke, um -das von ihr so
gefährlich bezeichnete Chaos von Mitteleuropa ab-
zuwenden? Ramsey Macdonald erklärte, seine
Partei müsse verlang en, daß die Regierung die von
der deutschen Regierung geforderten Kredite sür
Rohstoffe und KohleneiufUhr bewillige. Geben «vir
das gute Beispiel, so wird die Welt uns darin fol-
gen, Deutschland vor dm« Untergang zu bewahren."
Chamberlain erklärte im Namen der
nnion'istischeu Partei, die Kabinette Bonar Low und
Baldwin hätten durch ihre W eigeru u g. sich der
Ruhraktion a n z u s chl t e ß e n und durch die
nicht genügend überlegte Intervention dcr letzten
Monate zwecklos gereizt und Deutschland in einem
zur Selbstauslösung führenden Widerstand gestärkt.
Die neue konservative Politik habe Belgien und
Italien England entfremdet, aber Frankreich nicht
bewegen können, die Mehr nicht zu besetzen: und
habe Deutschland nickst vor dem Chaos vewal-rt.
Die Sonderantrvort Englands
beschlossen.
Berlin, 2. Aug. Nach einer Meldung del
„B. Z." aus London soll das englische Kabinett,
das gestern spät abends eine baldige So überantwort
an Deutschland einstimmig beschlossen hat, der Ab-
ssnduNg einer «Vornote an Frankreich uirter Mts-
forderung, sich England anzuschließen, nicht abge-
neigt sein.
Herr Potncare Herr der Lage.
Wenig Aussichten auf Erfolg. — Deutsche
Unterlassungssünden.
Die Antworten der französischen und belgischen
Regierung auf den letzten dlplomatischn Akt der eng-
lischen Regierung sind in ihrem Wortlaut bisher noch
nicht verösfcntlicht Aber aus den Aeutzeruugen der
ansländtichen Presse über den vermutlichen Inhalt
der genannten Schriftstücke ist zu entnehmen^ datz die
Absicht des englischen Kabinetts, Frankreich auf seine
Seite zu bringen, um dann genreinsam zu einer ver-
nunftgemäßcn Lösung der Reparationsfrage und zur
Erledigung des Nuhrkonsliktes zu schreiten, voll-
kommen gescheitert ist. Baldwin beabsichtigt deshalb
erneut, die Flucht vor das Parlament zu nehmen.
Er will am Donnerstag vor der ganzen Welt shein-
bar einen neuen Beweis der: Intransigenz Frank-
reichs l-efern. Außerdem soll England jetzt d'e Ab-
sicht haben, an Deutschland eine selbständige Ant-
wort auf die Note voin 7. Juni zu pichten.
Es «st nicht anzunehmen, datz selbst die zweite
Aktion der englischen Regierung in der Oeffentlich-
kcit vorläufig einen Vorteil zugunsten Deutschlands
bringt Die bestehenden Machtverhältnisse sprechen
gegen einen baldigen Erfolg der moralischen Aktion
Englands. Wir sind darüber unterrichte«, datz die
englisch? Regierung in letzter Zeit dcn Versuch ge-
macht Hai, mit Hilfe anderer Staaten eine Abwehr
gegerr di: in den letzten Monaten von Frankreich be-
trieben? Politik zu organisieren, insbesondere sich ein
Gegengewicht gegenüber den in Abhängigkeit von
Frankreich lebenden Staaten zu schaffen. Bisher
war auch Liese Taktik nicht von Erfolg begleitet und
nichts spricht dafür, daß sic in Kürze erfolgreich sein
dürfte. Wir müssen uns also vorläufig weiter mit
dcr Tatsache abfinden, daß Frankreich gegenwärtig
die Mach- tn Europa besitzt und es keinen Staat gibt,
der bereit wäre, seine Militärische Macht aufzubieten,
um Paris wieder zur Verminst zu bringen. Eine
Aendernng der jetzigen sranzöstscheu Politik durch
friedliche Mittel scheint aber für die ersten Monate
vollkommen ausgeschlossen. Poineare ist sich seiner
 
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