Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

DOI Kapitel:
Nr. 141 - Nr. 150 (21. Juni - 2. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48727#0209
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberg, Freitag, den 22. Juni 1923

5. Jahrgang

TeschLft,ftundknS-SUHr. Sprech
stunden dervredaktton: N—ISNH»
Wostlcheckkonto Karlsruhe Nr.LLS7H
Tel.-Adr.: Bolk»,eitung Heidelberg
Druck u. Verlag der unterbadtschet
Werlaaranstalt <S. m. b. H., Heidel
berg. Selchäftrftelle: SchrvderstrM
Tel.: Erpedition LS7S u. Redak.LS7»

Aczugrprei« Monatlich einschlihtzl.
TragerlohnMk.S70«.—. Anzeigsn-
Mife: Die einspalt. Petitzeile oder
Men Raum (38 mm breit) Mk. 4ÜÜ,
Mr Auswärtige Mk. 800. Reklame-
Nieigen (74 mm breit) Mk. Iliüü, für
Auswärtige Mk.lS<». Bei Wi-der-
bolungc» Nachlaß nach Tarif.

Volkszeitung
rages-Zelnrng für Sie wktttWe Möllerung der AMsbezlüe Seldelbers. Wiesloch. 6Meim. Spvinge». KervaH. Mords-. Buchen. Melrbelm. Norberg. LMerbWossbei« u. Werthelnr
»SWSS—M
Nr. 142
« : »M

ZKI SküWk MrWGWS.
xr. Heidelberg, 22. Juni.
EiMicb "Fachmänner" am Rüderl, so jubelten
oeim Antritt der Reiterung Cun o—B ecke r—v o n
Rosenberg jene Kreise, die sich bsmuschend toll-
ten, als am übermorgigen 24. Juni vor einem Jahre
unter dem Einfluß der Mordpropaganda Deutsch-
lands fähigster Staatsmann, Walter Rathe-
Nau, van beutschvölkischrr Mörderhand fiel. Das
deutsche Reich und das deutsche Volt hat — leider
ohne daß es viel daraus gelernt hat — die feige
Bubentat teuer bezahlen müssen. Außenpolitisch
und innenpolitisch, kulturell und wirtschaftspolitisch
sind wir seit jenem düsteren Tage in einer Welse
»urückgeworfen wordsn, Wie man es in den Früh-
sommertagen 1922, wo Deutschlands Stern dank der
diplomatischen Geschicklichkeit Ratheuaus und der
Zähigkeit Wirths unter Assistenz des festen Willens
der Arbeiterschaft zum Wiederaufbau wieder auszu-
gehen schien, nicht für möglich gehalten hätte. Dem
'außenpolitischen Wirrwarr steht das innenpolitische
Durcheinander kaum nach. Kulturell sinkt dar Stan-
dard täglich und wirtschaftspolitisch gar nagen wir
iftnHungertuch gleich den Bewohnern einer vom
Feind eingeschlossenen Festung.
Die Preiskurve springt stündlich höher.
Immer unerschwinglicher wird eine auch nur halb-
wegs auskömmliche Lebensführung. Der Unterneh-
mer versucht, wenn auch, wie wir zugeben, ost sehr
«uschwert, die Substanz seiner Betriebsmittel aufrecht
ru erhalten — der Arbeiter, Angestellte und
Beamte ist autzerstande, -die Subftanz fei-
üer Arbeitsfähigkeit, d. i. seine Gesundheit und
seine Familie durch auskömmliche Nahrung und
wichtigste Lebensbedürfnisse zu retten und erst die
Kleinrentner, Sozialrentner sowie die
Sahlretchen sinkenden Mitielständlerl Grauen-
hafteste Verwüftung der deutschen Volksgesund-
heit, furchtbarer Zerfall turnt sich vor uns aus.
Der deutsche Arbeiter und Angestellte sinkt inimer
hteür in die Lage exotischer Arbeitssklaven, die nur
Noch dürftig auf primitivste Weise ihr Leben fristen
können. Ein im März angestcllter — heute also
längst überholtes — Vergleich der Kaufkraft eng-
lischer und deutscher Angestelltenge-
hälter in der .Westminster Gazette" spricht eine
deutliche Sprache:

ein englischer
Angestellter
20 Minuten
10 Minuten
20 Minuten
1,16 Stunden
12 Minuten

Es arbeiten, nm zu bekommen:
ein deutscher
Angestellter
f Pfund Margarine . 5 Stunden
1 Er.30 Minuten
i Pfund Feinzucker . 1 Stunde
1 Pfund Rindfleisch . 4,20 Stunden
1 Stück Seife ... 45 Minuten
Ergänzend seien hierzu Mitteilungen gemacht, die
im .Wiederaufbau" Dr. Guggenheimer, ein führen-
der Mann aus dem Lager der Unternehmer, als
Beispiel für die Rolle der Löhne und Gehälter bei
der Beurteilung der Frage der Exportfähigleit gibt,
»Wem er eine Gegenüberstellung der Selbstkosten
eines Dieselmotors im Jahre 1914 und zu
-lnfaug dieses Jahres vovstimmt. Im Jahre 1914
lam für Material in Betracht 30 Prozent, für Ar-
beitslohns Prozent, Unko-stenzuschlag 50 Proz.;
l923 für Material 60 Prozent, für Arb e i tS lo h n
d Prozent und Unkostenzuschlag 31 Prozent. Auf
b'e gesteigerten Matertalkosten ist also die angebliche
Notwendigkeit der Senkung der Löhne nicht zu
'Hieben, sondern in erster Linie auf dieAbschrei -
b>«ugen und Uebergewtnne. Gerade dort,
H Zeigt sich hier wie sonst, wo einheimisches
Material verarbeitet wird, sind nämlich die Mate-
'AKkosten noch unendlich größer, weil der Produ-
Elltenwucher twch brutaler ist, so in dar Holzindu-
^ie, wo der Materialpreis in Goldmark etwa das
vielfache des Friedenspreises beträgt.
So verarmt und verelendet unter dem Druck
Wrz bmnalen Unternehmertums die Arbeiterschaft
'wner mehr, wird immer stärker der Verzweif-
.^äg tn die Hände gctneben. Die neuesten
Großhandelspreise werden in ihrer Rück-
Arkung auf die Kleinhandelspreise das
^'rtschaftschaos twch klarer hervortuet en lassen,
wch den Berechnungen des Statistischen Reichs-
tes hat sich das Niveau der Großhandelspreise
12 393fachen des Vorkriegsstandes am 5. Juni
/' dgZ 17 496fache oder um 41,2 v. H. am 15. Juni
; hoben. Von den Hauptgvuppen stiegen
v' Neichen Zeitraum die Lebensmittel von
h W 8806fachen auf das 12 789sache oder um 45,2
das ' Jnd ustri estoffe vom 19 lOOsachen aus
w 26 2ggfache oder um 37,7 v. H., Jnlands-
wn vorn 10989sachen aus das 14 769fache oder
faw und Einfuhrwaren Vom 19 417-
auf das 31131fache oder nm 60,3 V. H.
2 wo bleibt angesichts solcher chaosarü-
Zu stände die Reichsregierung der
ez?WNtSnner", die der Welt dartun wollten, daß sie
°Esser machen könnten als die Regierung Wirth?
1,," bleiben di« Verspriechungen der Rechts Par-
Ny. En, daß eine rechtsgerichtete Negierung „natto-
dabe» wie wir sie jetzt in Deutschland
Ko "whr zustande bringen werde als die frühere
halb? Die Sozialdemokmtie ist feit über einem
tchtz ^ahr aus den Regierung ausgeschifft. Offene
> » onarch«sten führen das Steuer-
z i . 'ücichrs. Und das Ergebnis? Chaos
üsu ms

Internationale Lage.
Die Auffassung des „Temps".
Aus Berlin schreibt uns unser OMitarbelten
Die Verständigung der Völker zu er-
streben, war von jeher ein Grundsatz der Sozial-
demokratie, den sie immer und immer wieder, selbst
nach den uns zugefügten endlosen Demütigungen
der Entente vertreten hat. Auch heute noch sind wir
zu einer derartigen Politik bereit, da eine Sicherung
des Friedens nur über den Weg der Verständigung
möglich ist. Deshalb auch unsere fortgesetzten Ver-
suche, über die Möglichkeiten der Verständigung offen
und aufrichtig, insbesondere in der französischen
Presse eine Diskussion hervorzurufen.
In dieser Hinsicht ist eine Aeußenmg des
.Temps" beachtlich, der schreibt, daß die Frage
.Kapitulieren oder nicht" falsch sei, weil
von einem Deutschland, dessen Zusammenbruch end-
gültig ist, reine Goldmark und keine Reparationen
zu erhalten sind, während derZweck der französischen
Politik darauf htnauslaufe, in den Besitz von Kohlen
und Reparationen zu gelangen. Da nach dem
.Temps" die französische Politik ernsthaft den Zweck
haben soll, Reparationen zu erhalten, mutz Frank-
reich zunächst auf die Politik der Gewalt verzichten.
Die Fnage bleibt also vorläufig, ob die Feststelluw-
gen des offiziösen Pariser Organs von der Auf-
richtigkeit getragen sind, die cs selbst von der deut-
schen Politik verlangt.
Ist Frankreich, wie der .Temps" behauptet, tat-
sächlich davon durchdrungen, daß eine Kapitulation
Deutschlands nicht in seinem Interesse lisgt, dann
könnte ihm doch nichts angenehmer sein, als in eine
sachliche und aufrichtig? Erörterung eines Waffen-
stillstandes auf Gegenseitigkeit einzutreten. Der
,.Temps" als maßgebendes Organ der französischen
Oessentlichkeit könnte sich insofern ein Verdienst UM
den Frieden in Europa erwerben, wenn er auf un-
sere Formulierungen über den Waffenstillstand klipp
und Aar antwortet und damit tnderTat den Be-
weis liefert, daß Frankreich die Verständigung will.
Eine Verständigung kann nicht über den Weg eines
Diktats erfolgen, sondern ergibt sich nur durch A b -
machungen aus Gegenseitigkeit, die er-
träglich sind und dann auch innegehalten werden.
Soweit die Frage des passiven Widerstandes in Be-
tracht kommt, haben wir die Möglichkeit der Lösung
tn klaren Formulierungen gehalten, die sowohl der
einen wie der anderen Seite Zugeständnisse bringt
und damst im wahren Sinne des Wortes auf eine
Verständigung hinauslaufen.
Der Entwurf der Antwort
Poinearss.
London, 21. Juni. Die .Westminster Ga-
zette" veröffentlicht die Nachricht, daß der Entwurf
der französischen Antwort vor einigen Tagen nicht
>mr der belgischen Regiernng, sondern auch dem
französischen Botschafter in London ^übermittelt
worden sei, mit dem Ersuchen, Vorschläge und Be-
merkungen zum Text zu machen. Die „Westminster
Gazette" behauptet, daß der aus Paris übermittelte
Entwurf folgende Gesichtspunkte enthält:
1. Frankreich ist der Ansicht, daß die Garantien
der deutschen Denkschrift ungenügend sind.
Eine gewisse Aufstch t über die deutschen
Zölle, die Eisenbahnen und die In-
dustrie sei notwendig, insbesondere sei ein in-
teralliiertes Regime der Rhein- und Ruhrbahnen
notwendig.
2. Frankreich sei bereit, die Besetzung des
Rlchrgevietes in eine „friedliche technische Auf-
sicht" zur Ueberwachung von Sachlteferungen
umzuwandeln, wenn die deutsche Regierung ihre
Verordnungen, die den passiven Widerstand im
Ruhrgebiet versteift haben, zurückziehe und keine
Subvention mehr an die Streikenden zahle. Die
technische Aufsicht soll nur von einem ganz schwa-
chen Truppcnkvrper begleitet sein.
3. Frankreich ist ferner bereit, eine Amnestie zu ge-
währen und alle Gefangenen freizulassen,
wenn es die Gewähr dafür hat, daß diese Per-
sönlichkeiten und die Ausgcwtesenen nichts wet-
rer unternehmen würden, um der Wirksamkeit
der technischen Kommission bet der Durchführung
ihrer Aufgabe Hindernisse tn den Weg zu legen,
wenn es sie wieder in das Ruhrgebiet hinein-
ließe.
4. Frankreich ist bereit, Deutschland ein Mora-
torium zu gewähren.

Der amerikanische Präsident Harding befürwor-
tete in einer Rede in St. Louis den Eintritt Ame-
rikas in den Internationalen Gerichtshof, indem er
als dessen Zweck bezeichnete, durch ein internatio-
nales wahrhaft starkes unabhängiges Schiedsgericht
den internationalen Streitigkeiten vorzubeugen und
den Krieg zu unterdrücken.
In Brüssel ist eine Ergänzungsnote der engli-
schen Regierung Mer Fragen bezüglich des Ruhr-
gebiets eingelausen.
Die Internationale Etsenbahnkonferenz «rat in
Prag zu Verhandlungen über die Währuugsstage
zusammen. An den Verhandlungen nahmen teil die
Eisenbahnstellen in Deutschland, Frankreich, Bel-
gien, England, Italien, Holland, Oesterreich- Nor-
wegen, Rumänien, Lettland und Polen. Auch ein
Vertreter Rußlands ist angekündigt.

Vom besetzten Gebiet.
Görges endgültig verurteilt.
Düsseldorf, 21. Juni. Da» französische
Oberkriegsgericht hat heute die Revision gegen
da» vom Mainzer Kriegsgericht gefällte Todesurteil
gegen den Landwirtschaftslehrer Görges verwor-
fen und das Tode surteil bestätigt.
Düsseldorf, 22. Juni. Vor der Verkündung
des UrteilsspMchs erklärte Rechtsanwalt Dr. Grimm-
Essen, der Verteidiger Görges, daß er glaube, im
Namen der Mehrzahl des deutschen Volkes zu spre-
chen, wenn er alle Sabotageakte verurteile, und
»war deswegen, weil sie zweck- und sinnlos sind und
den passiven Abwehrkampf des deutschen Volkes
kompromittierten. Er habe jedoch Verständnis da-
für, daß ehrenvoll« Männer angesichts der Notlage
ihres Vaterlandes sich zu solchen Tatm hinretßen
ließen. Der Vertrete, der Anklage bedauerte, daß
ein Mann wie Görges, der ein tüchtiger Soldat ge-
wesen sei, sich zu solchen Tat«, habe hinretßen las-
sen, aber maßgab end bleibe, daß es sich um ein Ver-
brechen handle.
Wie uns soeben telegraphisch mttgeteilt wird, be-
absichtigt Regierungspräsident Gen. GriHncr bei
der englischen Regierung eine Begnadigungsaktion
für den Verurteilten zu unternehmen.
Vergebliche Revision.
Düsseldorf, 22. Juni. Vor dem Kriegsge-
richt wurde houte die Revision des Betriebsrates
Müller von den Kruppschen Werken gegen das
Urteil von 9 Monaten Gefängnis verworfen.
Zwei belgische Wachtposten
erschossen
Gelsenkirchen, 2l. Juni. An der Lippe-
Brücke bet Marl, uördftch von Recklinghauserr, die
im Norden des Einbruchsgebietes den Neber-gang
zum unbesetzten Deutschland bildet, sind heute vor-
mittag von unbekannten Tätern zwei belgische
Wachtposten erschossen und ein weinrer
schwer verletzt worden. Die Besatzungstruppm ha-
ben darauf die Umgebung der Brücke scharf obge-
spevrt und unterwerfen Vie Straßenbahnen einer
strängen Kontrolle.
Vermutlich benutzen di- Bc'atzungStruppm die-
sen Vorgang für neue Sanltionon. So wird der
Konflikt immer schärf-r.
M« Zusammenftoh in Mannheim.
Mannheim, 21. Juni. Die Poltzeidirektion
teilt mit:
Mm Morgen des 21. Juni 1923 zwischen 1 und
2 Uhr hielten sich französische Soldaten in den
Hirusernischen bei H. 7, 30, also im unbesetzten Ge-
biet, auf und überfielen unter Vorhalten ihrer Re-
volver Mt dem Ruf: „Hände hoch!" die Worüber-
gehenden und durchsuchten sie. Soweit bis jetzt
festgestellt werden konnte, wurde hierbei einer
Frauensperson unter die Röcke gegriffen und ihr
sowie einem jungen Kaufmann, das Geld avge-
nounnen. Einem Zivilisten wurde der Kragen und
die Krawatte herunter gerissen. Dem patrouillie-
renden Poltzeibeamten wurde von der überfalle-
nen Frauensperson Anzeige erstattet, wobei sich
ein« Polizeistreife nach dem Tatort begab.
Die Franzosen hatten sich in der Zwischenzeit
nach dem Luisenring verzogen, hielten sich jedoch
noch im unbesetzten Gebiet auf. Die Poltzeibeam-
ten verwiesen einen Franzosen ins besetzte Gebiet.
Dieser zog sofort seinen Revolver und bedrohte den
ihn zur Rede stellenden Beamten. Ein zweiter
Franzose gab auf der Flucht einen Schuft auf die
Poltzeibeamten ab. Daraufhin schätz auch der erste
Franzose im Zurückgehcn. Als die Polizeiüeam-
ten, nachdem die Franzosen sich ins besetzte Gebiet
zurückgezogen halten, nach der Wache zurückgehcn
wollten, eröffneten die Franzosen ein regelrechtes
Tchützenseuer auf die deutschen Beamten. Das
Feuer wurde von diesen erwidert. Ein Polizei-
beamter wurde durch einen Querschläger getroffen.
Nach dem Vorfall patrouillierten die Franzosen
bis an die Quadrate D, E, F und G 6, also weit
ins unbesetzte Gebiet.
Die Untersuchung des Vorfalls ist im Gang.

Ludwigshafen, 21. Juni. Im Hinblick auf die
neueste Verfügung des Oberkomma-nd-ier-enden dar
Rheinarmee, wonach zur Durchfühung der Wieder-
herstellungslieferungen Industrie- und Handelsa-n-
lagen des besetzten Gebietes von den Besatzungs-
mächten in eigene Regie genommen werden können,
ist es von Interesse, daß die Franzosen gegen die
verhafteten Leiter der Badischen Anilin- und Soda-
fabrik in Ludwigshafen, insgesamt sieben Herren,
die zumteil ursprünglich noch als Geiseln feftgehalten
worden waren, Anklage erheben. Von französischer
Seit« wirb ihr Verschulden darin gesehen, daß sie
bei der Beschlagnahme der Farbstoffe ans den Wer-
ken der Badischen Anilin- und Sodafabrik nicht
mitgewirkt haben, sodaß den Franzosen, die
mit den Werkseinrichtungen nicht vertraut waren,
Schwierigkeiten bei der Fortschaffung der beschlag-
nahmten Erzeugnisse entstanden sind. Die gleiche Be-
schuldigung Wie gegen die Leiter der Badischen Ani-
lin- und Sodasabrik erheben die Franzosen gegen die
Direktoren der Abteilung Duisburg der Deutschen

Werke A.-G. In diesem Falle ist aber noch besom
ders bemerkenswert, daß die Franzosen in der Ab-
teilung Duisburg, in der früher die deutsche Geschützt
fabrtk betrieben wurde, eine staatliche Einrichtung
erblicken und die verhafteten Letter gewissermaßen
als Rctchsbeamte anfehen, die nach dem Rheins
landabkommcn -in besonderen Weise den Befehlen
der Interalliierten RheinlanDkornmission unterstellt
sind.

Die Lage im Reich.
Volksbetrug.
Die „Telegraphenunion" verbreitet fol-
gende Meldung:
Berlin, 21. Juni. Die sozialistische Mo-
natsschrift „Der Firn" veröffentlicht unter der
Uoberschrift: „Republik, senke Deine Fahne oder
laß sie siegen!" einen Aussatz, Dein wir solgeude-
entnehmen:
Es geht um heiligstes Gut eines, nein zweier
großer Völker. Die Zeit wird reif, das Reich wird
uns, treten wir an, zum letzten Gang. Ruß-
land steigt mit uns empor, oder es geht ohn«
uns unter, wie wir vielleicht ohne Rußland. Di«
deutsche Republik aber, deren ausschließ-
liche Betätigung seit 5 Jahren tn der Unter-
zeichnung de» demütigendsten Kapitulationen
lag, sie muß sich jetzt behaupten oder sterben. Sir
mutz ihre Fahne hissen und das deutsche Protei
tariat aufdicS ch-a nzen rufen. Ehe Deutschs
tands Republik nicht ihre Fahne ins Blut
der Peiniger und Bedrücker gesenkt hat,
hat sie keinen Anspruch auf Ehre und Leben. Und
wenn ihr die deutsche Jugend fragt, dann werden
Millionen aufatmender, Brüst« freudig den
letzte» Stotz gegen unsere Ehre und Freiheit
auffangen.
Es liegt hier das Beispiel eines VolksbetrugeS
vog wie er feiten rrach vorgekommen ist. „Der
Firn" hat nämlich mit Sozialismus soviel zu tun
als die „T.U." mit einer ehrlichen Berichterstattung.
„Der Firn" wird nämlich von Herrn Sünne?
ausgehalten, wozu er ein paar ehemalige sozialisti-
sche Ueberläufer gegen gute Bezahlung gewon-
nen hat. Die Meldung beruht also aus Betrug.
Aber abgesehen davon bedeutet die Meldung Dis
Aufforderung zum nationalen Selbstmord.
Wie lauge läßt sich das deutsche Volk solche Provo-
kationen noch gefallen?
Auflösung des Staates.
Ganz nn Sinne des Garantievorschlages der In-
dustrie bemüht sich die Steuerstelle des Reichsverban-
dcs der deutschen Industrie weiter, dicStcuechohett
des Reiches zu durchlöchern. In einer Eingabe an
den Steuerousschutz des Reichstages wird gefor-
dert:
„Die Festsetzung des Vielfachen erfolgt für die
einzelnen Berufszweige für den Bezirk eines je-
den Laudesfinangamts durch das Landesftnnnz-
amt nach Anhörung der zuständigen Berufs-
vertretung."
Am Schlüsse heißt -es:
„Der Steuerpflichtige kau» eine Herab-
setzung der Vervielfachung seiner Vorauszahlung
beantragen, wenn er glaubhaft macht, daß
sein voraussichtliches Einkommen der erhöhten
Vorauszahlung nicht entspricht. Als Glaubhaft-
nrachung genügt ein« Bescheinigung der zustän-
digen Berufsvertretung."
Wir schlagen vor: Die Stcucrstelle des Rcichs-
verbandcs der deutschen Industrie übernimmt das
Reichsfinanz-minifterium, die Syndici Der Berufs-
vertretungen die Landessttranzämler. Das ist doch
ein Viel einfacherer Weg, -als der, Das Finanz-
ministerium nur als Kulisse zu benützen.
Die Deutsche Volkspartei hinter
Seoering
Der preußische Landtag setzte am Mittwoch -die
Beratung des Staatshaushalts fort. Im Verlaufe
der Debatte ließ die Deutsche Volkspartei
folgende Erklärung ahgeben:
„Nach Verlauf der Aussprache, insbesondere
nach den Aufklärungen, die sie gebracht hat, stehen
meine politischen Freund« und, wie ich hinzusetzen
darf, auch Die anderen Koalitionsparteien auf dem
Standpunkt, daß trotz mancher Kritik im einzel-
nen, die die Maßnahmen dieses oder jenes Mini-
sters je nach dem Partetstandpunkt gc-ftmden haben,
Die große Koalition, wie wir sie geschaffen haben,
auch für die Zukunft die Grundlage der RsgieruM
in Preußen bleiben mutz. Die Koalitions-
parteien stehen deshalb hinter dteser Regierung.«
Ministerpräsident Gen. Braun deckte Die Matz-
nahmen des preußischen Innenministers im Namen
der Regierung und begrüßte die Erklärung der
Deutschen Volkspartei. Den Besitz ermahnte de«
Ministerpräsident, im Namen der Toten des Welt-
 
Annotationen