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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 131 - Nr. 140 (9. Juni - 20. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48727#0183
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Teschäst»ftunden8—8Uhr. Sprech«
stunden der Redaktion: ll—lLUHr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr,L2577.
Tel,-Adr,: Volkszeitung Heidelberg.
Druck u, Verlag der Unterbadischelt
Verlagsanstalt G, m. b. H., Heidel-
berg. Geschäftsstelle: Schröberstr.W,
Test: Expedition 2073 u. Redak,L87».

5. Jahrgang


Heidelberg, Samstag, den 16. Juni 1923
SSSWMWSSsMSSSSSSSSSSSSWWSWSSSM

Nr. 137

M MM ll« Ükl Wk.
« Heidelberg, 16. Juni.
„Wenn ich glaube, datz das Vatev-
lauv mit seiner Politik in Gefahr ist
und vor einem Sumpf steht, der besser
vermieden wird, nnd ich keime den
Sumpf und die anderen irren sich Mer
die Beschaffenheit des Terrains, so ist
es fast Verrat, wenn ich schweige!"
(Bismar ck.)
Schärfer noch als Bismarck hat vor kurzem ein
Euittrumsblatt ausgesprochen, daß die Schlappheit,
Zerrissenheit »nd Planlosigkeit der von der Regie-
rung Cuno betriebenen Abwehrpropaganda, die
'Eier mehr nnd mehr in die Hände der Nationa-
lsten und Industriellen überging, als „hochver-
räterische Untätigkeit" bezeichnet werden
Esse. Die blutigen Vorgänge in Dortmund sind
"Nr ein Glied in einer Kette von Ereignissen, die
Een völlige) Umschlag in dem Abwehrkampf dar-
stellen. Die n ä t i o n a l i st i s ch e n Attentate
"ns Eisenbahnen, die Sprengungen von Brücken und
Kanälen und vor allem die schweren Lohnkämpfe
Nnd Streiks, die das abgeschnittene Wtrtschaftsge-
^et durchzittcrn, zeigen uns mit furchtbarer Deut-
sch,kett, das; die nun seit fünf Monaten währende
Abwehraklion ihren ursprünglichen Sinn ver-
loren bat.
Wie stolj war man ursprünglich darauf, daß die
"on deir Franzosen in Betrieb genommenen Ver-
lehrsltnttn, obgleich sie ein lächerlich geringes Fahr-
ksld verlangten von dem deutschen Publikum ge-
mieden wurden. Die Pendelzüge fuhren wochen-
Eg fast leer. Dann kommen Faszisten, Haken-
kreuzler und sogenannte Patrioten, sprengen die
stchie deutsche Verkehrsmöglichkeit in die Luft und
. r Strom der Passanten ergießt sich auf die im
Euzöstschcir Betrieb stehende Eisenbahnlinie. Kann
""s wahnsinnige Treiben der nationalistischen Ban-
"on schärfer charakterisiert werden?
Die französische Hetzpresse zeigt einen
,Em unterdrückten Jubel über die Er-
gießung der beiden Offiziersaspiranten in Dort-
mund. So arbeiten sich die Gegenspieler hüben und
"rüben in die Hände. Jedesmal, wenn der fran-
^stsche Imperialismus durch den Druck anderer
Staaten 'n Gefahr gerät, einen Schritt zurückgehen
m müssen, sind es die Verbrecher aus dem
eutschnattonalen Lager, die ihm wieder
"s der Patsche Helsen. Unverantwortlich war es
on der Reichsrcgterung, das; sie nicht bet dem ersten
. "flammen der nationalistischen Propaganda mit
' ster Hand die Zügel ergriff uind durch öffentliche
" Undgebungen von diesem frivolen Treiben ab-
uckte. Würde die Reichsregicrung mit der gleichen
E'Sie gegen die faszistischeu Banden losgebeu,
,. dies die preußische Regierung und, nachd-m
^lahr tm Verzüge, auch diebadtsche Regierung
Mil'/o ^ii^de dem deutschen Volke und vor allem
füeren Brüdern im besetzten Gebiete manche bittere
unde erspart. Aber die vottsparteilichc Regtc-
M des Herrn Cuno will ja lieb Kind bei den
uonalistischen Organisationen sein.
W d n st r i e l l e S ch a r fm a ch e r, die trotz der
, "' dtsich getr,ährten Milliardcn-Kredtte in gcrade-
h ""dorantwortlicher Weise Lohnkämpfe vomZaune
. ehe»; L k b e ns m i t te lw u ch er e r, die aus
Ewch-.kampf ein proletarisches Geschäft ma-
2v'' " k e n k r e u z le r, die mit Bomben- und
tengstafs,„ deutsches Staatseigentum vernichten
'c sind sch „ f h daran, das; fetzt die Massen im
M .."stobiet und im Rheinland unter einer erbit-
Stimmung stehen, die bis weit in die
H M'^des Bürgertums hinein Platz gegriffen hat.
kl« ^^eiben eines demokratischen Vor-
o'" en ans einer linksrheinischen Stadt, das
ist ' "Mm Reichskanzler übermittelt worden
- legt^ in erschütternder Weise davon Zeugnis ab:
„och möchte Sie heute aus einige Wahrneh-
ungen mifmerksam machen, die für die politische
^age von großer Bedcumng sind. Zunächst ist ein
arkes Zunchmeu von Anschlägen auf
e Eisenbahnen zu verzeichnen. An der Strecke
Koblenz wurden in den letzten Tagen allein
n mindestens drei verschiedenen! Stellen Spreng-
i'orgenommen. Die Folge war natürlich
-e Verhängung des B e l a g e r u n g s z u st a n -
s tibxr die betr. Ortfchaftan, Verhaftung von
vüik " Belegung mit Truppen. Da die Ve-
üb diesen Attentaten ablehnend gege-n-
A 'st "ur anzunehmcn, daß sie durch
"folgen, die vom unbesetzten
ltewi/° ? kommen oder znmindest von dort her
sgst--?l ^"^'-den. Iw brauche ihnen wohl nicht zu
grsif/^ welche Folgen ein weiteres Umstch-
ru^I " Zustände für die friedliche Bevölke-
r-'ng nach st«, mutz.
Sie dn . ^""en deshalb sehr verbunden, wenn
a i r -« » "" "'m matzgebcnden Stellen
bi„^,'" leien würden, um eine Unter-
die dn^, weiterer S P r e n gv e r s u ch e,
liche deutsches Eigentum zerstören, sried-
Laae in größte Gefahr bringen, und die
Saaeu^" '»ehr verschlimmern, Herbetzuführen,
sofort H'"cn ruhig, daß, wenn nicht
bötterun» - 2* ^boten wird, die rheinische Be-
Selb st u i ^schieden abwenden ivird und zur
^esatzu'naAa.mutz, d. b. sich mit der
b-lehoide ins Einvernehmen setzen

mutz. Uebechaupt ist es angebracht, wenn aus
die Regierung ein erhöhter Truck ausgeübt wird,
datz diese so rasch als nur irgend mög-
lich eine Beendigung des RuhrkonfltktS hcrbei-
sührt. Die Stimmung der Bevölkerung verträgt
kein längeres Andauern der jetzigen Zu-
stände. Von Tag zu Tag verschlechtert sich alles.
War anfangs die Rheinische Republik
sozusagen erledigt, so gewinnt heute der Gedanke
immer mehr Raum, selbst bei durchaus ernsthaften
Leuten, die zuvor Gegiter waren. Die Gefahr
ist also enorm. Leider scheint die Regierung
dies nicht zu begreifen und die Situation mit der
üblichen geheimrätlichen Besserwisserei zu über-
schätzen.
Da der Reichskanzler, Wie mir zuverlässig von
Abgeordneten bekannt ist, fast ganz unter dem
Einfluß des Herrn Helsferich steht, ist
allerdings nichts anderes von ihr zu erwarten.
Leider verträgt die Lage des Rheinlandes kei-
nen Aufschub mehr. Es mutz unbedingt g e-
handelt werden, sonst ist alles verloren. Die
Benutzung des Zugverkehrs der Franzosen nimmt
sehr stark zu, da die Bevölkerung keine andere
Wahl mehr hat. Auch sind auf dem Hunsrück
bereits viele Arbeiter in die Dienste
der französischen Forst Verwaltung
einge tretet;, da die Leute eben nicht anders
können. Dazu trägt auch der Umstand bei, datz
den Ausgewiesenen kaum die volle Entschädigung
ihres Hausrats usw. werden dürfte, denn man
sagt sich, woher soll der bankerotte Staat es neh-
men.
Ich bitte Sie also nochmals dringend, helfen
Sie, was in Ihren Kräften steht, um auf die Re-
gierung einen Druck auszuüben, damit endlich das
Rheinland wieder zur Ruhe kommen kann.
In ähnlichem Sinne habe ich bereits an die
Parteileitung der Demokratischen Partei berichtet
und gleiches verlangt." gez. Unterschrift.
*
Wie hätte dieser Kampf geführt werden müssen!?
Im Kriege hat man 5 Millionen Männer in die
Front gestellt und bat im Hinterland unter An-
spanmuug des ganzen Volkes die Waffen schmieden
lassen. Aber genau wie im Krieg verteilte man die
La st en einseitig, und während Frauen und
Kinder in den Munitionsfabriken standen, wurde
dasselbe Volk von Kapitalisten und Schiebern in ge-
wissenloser Weise aus gebeut et. Und genau
so wiedamals, als man im Frühjahr 1918 die
„gesunkene Moral" der Truppen durch-- vater-
ländischen Unterricht heben wollte, so ließ man auch
jetzt patriotische Gesangvereine im Lande herumzie-
hen, während zwischen dem ersten und dritten Vers
des Deutschlandliedes die lebenswichtigsten Güter
verschachert wurden und die Not der breiten Mas-
sen in entsetzlichem Matze stieg.
Statt die Staatsautorität gegen den tm Zeichen
der freien Wirtschaft sich auf-blähenden Wucher cin-
zusetzen, begünstig! nm» diese Entwicklung und
schafft sowohl an der Ruhr wie tm gan-
zen Reich eine Athmosphäre der Verzweif-
lung. Wir erheben in letzter Stünde unsere
Stimme und warnens

Internationale Lage.
Langwierige Besprechungen.
London, Ist. Juni. Die diplomatische Situa-
tion zeigt äußerlich wenig Neues. Es ist, so
schreibt R. K. in der „Franks. Zig." in der diplo-
matischen Lage keinerlei Fortschritt zu ver-
zeichnen. Die französische Antwort auf die engli-
schen Fragen vom Mittwoch wird erst in einigen
Tagen erwartet. Englische Regierungskreife teilen
den von französischer Seite vielfach geäutzerten Op-
timismus nicht, tragen jedoch äußerlich aus diplo-
matischer Manier eine gewisse Zuversicht zur Schau.
Die acht Fragen des Londoner Memorandums
an Frankreich betrafen laut „Daily Telegraph" fol-
gende Punkte: Was wird in Paris unter Unchören
des passiven Wider st ands verstanden; was
würde die französische Gegenleistung sein;
was bedeutet die Formel: unsichtbare Be-
setzung: was bedenket schrittweise Räu-
mung; was stellt sich Frankreich unter wirt-
schaftlicher Ausbeutung der Pfänder
vor; welche Stellung nimmt Frankreich gegenüber
der Frage eines Moratoriums für Deutschland
ein; wie verhält es sich in der Frage des Eisen-
bahnregimes im Rheinland sowie hinsichtlich
der Zollschranke zwischen dem besetzten und
unbesetzten Gebiet? Endlich werde auch ausge-
sprochen, das; England den französischen Januarplan
nicht als Minimalprogramm annehmen
könne.
Französische Kammerdebatte.
Eine Rede Poincares.
Paris, 16. Juni. (Letztes Telegrr.) In der in-
nerpolittschen Kammerdebatte erklärte Poincarö,
datz ein gewisses Unbehagen im Lande herrsche
und daß das Bestreben vorhanden sei, eine poli-
tische Umgruppierung zu vollziehen. Er
habe allerdings gedacht, datz die „Union Saeree",
die während des Krieges alle Führer vor dem
Feinde vereinigt hatte, auch im Frieden andauern
könnte. Es sei an der Kammer, die Grenzen der

Mehrheit zu bestimmen. Ihr Entschluß müsse aber
schnell gefaßt werden. Wenn das Kabinett heute
abeltd wegen seiner Innenpolitik gestürzt würde,
würde in Deutschland die Freude nur von
kurzer Dauer sein. Selbst die Regierung, die
n-achfolgen würde, wäre unter allen Umständen ge-
zwungen, Reparationen zu fordern.
Weiterhin erklärte der französische Ministerprä-
sident: Von dem alten Lied der Brüderlichkeit der
Völker dürfe man sich nicht einlullen lassen. Man
müsse der Lage, in der sich Frankreich angesichts des
schlcchtenWillensDeutschlands befinde,
Rechnung tragen. Was die Sicherheit des Landes
anbctreffe, habe er als Vorsitzender der Botschafter-
Konferenz Deutschland notifiziert, daß die Kon-
trollkommissionen wieder funktionieren
müßten: das sei namentlich hinsichtlich der Luft-
schiffahrt notwendig. Deutschlaich müsse über-
wacht werden. Die deutsche Regierung ermutige
die Mord- und Sabotageakte und fordere
Frankreich durch lächerliche Vorschläge heraus. Des-
halb sei man gezwungen, den Druckzuverstär-
k e n und zu verlängern.
Die äußere Politik werde also noch eine Zeit-
lang die Fragen der inneren Politik beherrschen.
Vor allem müsse alles, was die nationale Verteidi-
gung angehe, die Regierung nnd die Kammermehr-
heit beschäftigen. Frankreich müsse alsdann an die
Reorganisierung feiner Finanzen denken und
leine Produktion verstärkt n. Augenblicklich sei
zwar der Friede unterzcichnci, aber die Friedens-
bedingungen Wien noch nicht geregelt. So seien
Frankreich dieFahnenvomJahre1871 noch
nicht zurückerstattet worden. Frankreich habe also
sein Werk der Gerechtigkeit r'vch nicht vollendet.
Bei der Kammerabstimmung wird Poincarö ver-
mutlich eine starke Mehrheit erhalten.
Poineare antwortet England.
Paris, Ist Juni. Poiucars hat nach den Mor-
genblättern bereits einen Entwurf für die An 1 -
Wort auf Lord Curzons Fragebogen
fertig-gestellt und diese Antwort zunächst nach Brüs-
sel gesandt, damit die brlgtt.he Regierung ihre Ant-
wort aus den gleichen Linien abfassen könne.
Englische Fragen an Deutschland.
London, 15. Juni. In unterrichteten politi-
schen Kreisen verlautete gestern abend, daß die eng-
lische Regierung in weniger offizieller Form als
auf dem Wege des »ach Paris gefäudten Frage-
bogens versuchen werde, von der Regierung
einige ergänzende Angaben zur deutschen Denk-
schrift zu erhalten, um festzustellen, welche Kon-
zessionen die deutsche Regierung für die Preis-
gabe des Passiven Widerstandes, soweit er aus amt-
lichen Maßnahmen beruhe, glaubt fordern zu Essen.
Eine deutsche Note.
Berlin, 15. Juni. Die deutschen Botschaften
in London, Madrid, Nom, Washington
und Moskau und die deutschen Gesandtschaften
imHaag sowie in Bern, Kopenhagen, Kri-
stiania, Stockholm, Riga und Warschau
wurden beauftragt, den dortigen Regierungen fol-
gende Note mit Anlage zu überreichen:
Die deutsche Regierung sich; sich neuerlich ge-
zwungen, die Aufmerksamkeit der nicht an der
Ruhr-Aktion beteiligten fremden Regierungen
auf die unheilvollen Gewaltakte zu lenken, mit
denen die französisch-belgischen Besatzuugstruppen
gegen die Bevölkerung des al;- und neubcsetzten
Gebietes vorgehen. Die Schritte, welche die deutsche
Regierung im Geiste aufrichtiger Verhand
lungsbereitschaft mit Ihrem Angebot vorn
2. Mai und dein Memorandum vom 7. Juni getan
hat, um die gegenwärtige Situation zubeende n,
haben die französische Regierung nicht gehindert,
ihrerseits den Terror gegen die Bevölkerung in
den schärfsten Formen sortzu setzen. In
dieser Hinsicht braucht nur aus folgende Tatsachen
hingewiesen zu werden: Am 26. d. wurde der Kauf-
mann Sch läge ter wegen angeblicher Sabotage-
akte auf Grund eines Urteils des französischen
Kriegsgerichts erschossen, obwohl bet der fran-
zösische» Regierung dringende Vorstellun-
gen erhoben woiden waren, die Lage nicht durch
Vollstreckung des Urteils weiter zu verschärfen. Am
10. Juni abends wurden in Dortmund anläß-
lich der unaufgeklärten Tötung zweier französischer
Mtlitärpersonen sechs Deutsche von einer fran-
zösischen Patrouille auf der Straße aufgegrif-
fen, schwer mißhandelt und ohne jedes Verfahren
niedergeschossen; wie sich aus den anliegen-
den zeugeneidlichen Aussagen ergibt, stand von
vornherein außer Zweifel, datz diese Deutschen mit
der Erschießung der Franzos-m nicht das Geringste
zu tun hatten. Am 11. wurde in Recklinghau-
sen der 19jährige Karl Möller von französischen
Soldaten erschossen. Am 13. Mai verur-
teilte ein französisches Kriegsgericht in Mainz
den landwirtschaftlichen Lehrer Görke wegen an-
geblicher Sabotageakte zum Tode.
Das französische Vorgehen macht alle Bemühung
gen der deutschen Regierung, beruhigend auf
die Bevölkerung einzuwirken, illusorisch. Es
stärkt nicht nur in der Bevölkerung das Gefühl der
Notwendigkeit, -gegenüber dem fremden Militaris-

mus den passiven Widerstand aufrechlzuer-
hallen, sondern beschwört darüber hinaus immer
ernster die Gefahr herauf, daß sich die in ihrem
tttnersten Empfinden getroffene Bevölkerung zu
verzweifelten Unbesonnenheiten hin-
reißen läßt, die in ihren Auswirkungen weit über
das besetzte Gebiet hinausgehen.
Die deutsche Regierung hat bei den unaufge-
klärten Zwischensällen wiederholt vorgeschlagen, den
Sachverhalt durch i n t e r n a t i o n a l e K o m m i s -
stonen untersuchen zu lassen Die französisch«
Regierung ließ alle derartigen Anträge bisher u n -
beantwortet. Die deutsche Negierung legt hier-
gegen und gegen die fortgesetzte französische Gewalt-
politik Verwahrung ein und stellt öffentlich fest,
daß die Verantwortung für deren Folgen
allein auf die französische Regierung fällt.

Rom, 15. Juni. Die italienische Regierung
hat als erste ihre selbständige Antwort auf das
deutsche Memorandum sertiggestellt und zunächst
uach Paris -und Loudon zur Kenntnisnahme über-
mittelt.

Vom besetzten Gebiet.
Erweiterte Blockade.
Parts, 15. Juni. Eine Verfügung des Gg
uevals Degoutte verhängt mit sofortiger Wirt
kimg die Blockade Mer Rohprodukte, Halbsabrtt
kate und chemische Erzeugnisse derjenigen Firmelt
und Gesellschaften, die im besetzten Gebiet Kohlen«
grüben haben und mit der Bezahlung der Kohlen«
steuer tm Rückstand sind. Die bezeichneten Produkt«
dürfen die Fabrik nur >ntt einem besonderen Er*
lcmbnisschein der interalliierten Jndustriekontroll-
kommission verlassen. ,
Weitere Ausweisungen.
Gelsenkirchen, 15. Juni. Die Franzosen,
stich im Laufe des gestr. DageS dazu übergegangeid
die an der neuen militarisierten Strecke Wanne«
Borbeck augestellten Eisenbah n b eamtenl
auszuweisen. Allein im Laufe des heutigen
Tages sielen dem Ausweisungsbefehl in Wanne 45,
in Gelsenkirchen über 100 und in Katernberg 68 zum
Opfer. In Altenesscn wurden alle Eisenbahn-
beamte ausgewiesen; die Familien müssen- innerhalb
4 Tagen ihre bisherigen Wohnsitze verlassen haben.
Essen, 15. Juni. Im Stadtteil Altenessen
sind heute allein 50 Eisenbahner mit ihren Fault-
lien ausgewiesen worden.
Freiburg, 15. Juni. Von gut unterrichteter
Seite wird uns mttgetcikt, daß Direktor Jos. H i nl-
melsbach von der Finna Gevrüder Himmels-
bach A.-G., Freiburg in Bingen, der am 17.
Mai von den französischen Besatzungsbehörden
verhaftet worden war, am 12. Juni bis zur
milttävg-erichttichen Spruchsitzung, die in 3—4 Wo-
chen- sta-ttftnden soll, in Frei hett gesetzt wurde;
er darf das besetzte.Gebiet aber nicht verlass
s e u.
Neue Bahnhofsbesetzungen.
Schwerte, 15. Juni. Heute früh sind die
Bahnhöfe Dortmund, Dortmund-Süd, Bochum-
Hauptbahnhof, Bochum-Nord, Präsident und Ha-
chenau besetzt worden. In Hörde stich die Eisen-
bahner in den Wartesaal eingesperrt worden mit
der Begründung, daß sie nach der bekannten -Ver-
ordnung des Generals Degoutte innerhalb 48 Stun-
den den Dienst wieder ansnehmen müßten, andern-
falls hätten sie mit der Ausweisung zu rech-
nen. Um 10 Uhr vormittags sind 50 Eisenbahner
in Hörse mit der Eisenbahn etngetry^sen.
Ein neues Bombenattentat.
Frankfurt a. M„ 15. Juni. Donnerstag
avenv ist bei Budenheim am Rhein auf den
D-Zug Paris-Wiesbaden, der um 9.15 Bingerbrück
in der Richtung Mainz verläßt, ein Bomben-
attentat begangen worden. Die Bombe explo-
dierte unter dem dritten Wagen. Ein Soldat soll
tot sein. Eine Reihe von Passagieren erhielten
mehr oder weniger schwere Verwundungen.
Ein Mitfahre-nder hatte zwei Beinbrüche, ein an.
derer einen schweren Nervenchock. Die Verwunde-
ten wurden in Budenheim untergebracht. Der Zug
setzte Mch etwa Stnnden seine Fahrt fort.
Skandalöse Zustände.
Elberfeld, 15. Juni. (Eig. Bericht.) Dii
Wtlden SPrengungen, denen zufolge neuer-
dings wieder viele Eisenbahner ausgewiesen wur-
den, haben viel böses Blut unter der Arbei-
terschaft gemacht. . Die Empöruug ist groß.
Man will nicht die Suppe ausessen, die andere ein- -
gebrockt haben. Aus Eisenbahnerkreisen wird unÄ
berichtet, datz z. B. das Los der in Mainz etnge-
korkerten Eisenbahner bis vor kurzer Zeit ziemlich
erträglich war. Sie verbrachten den Tag gemein-
sam in einen; großen Saal und konnten so Besuche
nnd Liebesgaben empfangen. Seitdem die Sabo-
tageakte sich mevren, ist die Haft ungemein
verschärft worden. Die verurteilten Eisenbah-
 
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