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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 121 - Nr. 130 (28. Mai - 8. Juni)
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TeschäitsstunLen 8—6Uhr. Sprech,
stunden der Redaktion: 11—ISUHr.
PostfcheeH>>,to Karlsruhe Nr.LW77.
Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen
Vcrlagsanstait W. m. b. H., Heidel-
berg. Geschäftsstelle: Schräderstr.M.
Lei.: Expedition L67Z u. Redak.gS7S.

rkges-Zettvng für die VktttWe Bevölkerung der Ainlsbezitte Seidelberg. Wiesloch. Sinsheim. Wimen. Mrbach. Morbach. Buchen. Adelsheim. Bürberg. lauberbWosrheim u. Wertheim

6. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 6. Juni 1923

Nr. 128

Die herrtigeLage
Von Arbeitsminister Dr. Engler.
Am Samstag und Sonntag hat der
ArbeiisnÄnister Dr- Engler in Mos-
bach und Adelsheim in öfssnit-
li-chen Versammlungen folgende bemer-
kenswerte Darlegungen über die Poli-
tische und wirtschaftliche Lage Deutsch-
lands gemacht:
Im Vordergründe des politischen und wirischast-
l'chen Interesses steht der Kampf, den Deutschland
k.egsnwÄrtfg gegen Frankreich und Belgien führt.
Der Ausgang des Kampfes ist nicht nur für Deutsch-
land, sondern für die Menschheit von Bedeutung.
Alle Menschen, die den Wunsch haben, daß in Zu-
kunft die militärischen Machtmittel für die Ansein-
andetisetznngen der Völler nicht mehr das Entscheid
dcnd.e sind, müssen wünschen, daß Deutschland nicht
unterliegt, sondern seine moralische und politische
Gleichberechtigung erlaugt.
Weite Kreise des deutschen Volles müssen die
Besetzung ertragen, und ertragen alle diese Leiden
"uch jetzt noch, um für das ganze deutsche Volk er-
lräMche wirtschaftliche Existenzbedingungen sowie
naatliche Selbständigkeit zu erkämpfen. Wirtschaft-
lich leidet das ganze deutsche Volk unter diesem
uampf, was aber außerhalb des besetzten Gebietes
uch auswirtt, kann gar nicht in Vergleich gestellt
werden mit den L'ciden unserer Volksgenossen im
^letzjen Gebiet, mit den Drangsalen derjenigen, die
bt>n Heim und Herd Vertrieben werden.
Manche, die am Anfang recht kräftige Töne
tedeten, stellen jetzt schon sorgenvoll die Trage, ob
we Sache noch nicht bald zu Ende sei; sie fragen
^Uch, ob der Kamps nicht hätte vermieden wcr-
^u können. Auf diese Frage ist nicht einfach zu
antworten. Hätten wir noch mehr Kohlen und Holz
^liefert, so Härten wir noch mehr entbehren imd
'tvch mehr vom Ausland beziehen müssen. Weite
"'reise des Volkes verlangten von der Regierung
einen energischen Widerstand. Ein weiteres Nach
Keben der Regierung hätte vielleicht zu inneren Un-
Achen geführt. Versuchten doch nationalistische
"reife, dem Volke einzureden, daß es nur einer
energischen Geste bedürfe, um die Franzosen
"bznfchrecken. Sie taten cs, als hätten sie die
Machtmittel in der Hand, um Deutschland Von
allem Druck zu befreien. Ganz überschwengliche
Hoffnungen knüpften sich an die sozialisten-
feine Regierung Cuno. Genau wie im
nrchg wusste dem Volke vorgcredet, daß es sich bei
dem Kampfe nur um ein kurzes l si cht e s Spiel
handle, statt das Volk auf einen schweren
Kampf vorzubeneiten. Es ist jetzt nickst der Zeit-
bnnkt, in eine umfassende Kritik der Leistungen der
Obigen Regierung einzutreten, eines darf man aber
wgen, daß diese Regierung weder in der inneren
""ch in der äußeren Politik Stänke erwiesen hat,
^'dgends hat sie die Führung; sie wurde getrie -
en von einflußreichen Kreisen. Sie hat im
Achstag aus den Reihen der eigenMchsn Regie-
, "ugsMrteien außer für die den Besitzenden angr-
lehnre Steuergcsetze, noch für keine wichtige Vor-
alle sine Mehrheit erhalten. Was sie geschaffen
^ät, konnte sie immer nur mit Unterstützung der So-
AAtdernoknaten durchsetzen. Selbst die Parteimini-
wurden von ihren eigenen Parteien im Stiche
Massen. Diese Tatsachen sind ein schlechtes
Zeugnis für die Parteien und die Regierung,
hatten die Sozialdemokraten nach Art der Deutsch
Aetionalen Opposition getrieben, und hätten
te Arbeiten: ebenso wie die nationalistischen Kreise
" früheren Regierung auch im Lande alle mög-
ühen Schwierigkeiten bereitet, so wäre die Regie-
lung Cimo schon längst erledigt. Die Lohn-
"nd Gehausemhsänger, die von den Kriegsfotgen
wd den Folgen des jetzigen Kampfes am schwersten
^rossen sind, hasten bewiesen, daß ihnen das
ohl de r Gesamtheit am höchsten steht.'
Dagegen beweist die Geschichte des deutschen
Zolles seit Karl dem Großen bis auf den heutigen
auf jedem Blast, daß gerade die Kreise, die
rch die nationalistische Bewegung wieder in den
Zattel kommen wollen — Fürsten und Adel — das
olk immer wieder in das Unglück stürzten. Durch
, § Gänzen Jahrhunderte sehen wir, wie die ein-
< Fürsten nur darauf stedackst waren,
cm? Interessen zu vertreten. Nie wollten sie ein
slst-^s OEUlschoz Reich. Um ihre Hansmacht zu
üt -haben deutsche Fürsten sich immer Wieder
, Frankreich oder anderen Staaten gegen
ln» > , verbunden. So war es alle die Jähr-
st am r bE w Napoleon, so war es bis 1870. Auch
immer zuerst der eigene Staat,
hi'?? unglückselige Kleinstaaterei ver-
län> dü ausgewanderten Deutschen im Aus-
' Deutschtum erhalten blieben, sie hat vcr-
daß sich ein richtig ausgebWeles Natio-
ivcn^ N l entwickeln konnte. Auch heute noch
Wit .kleb der bayerische Throuiauwärter be-
»ur / den Franzosen zu Verbünden, wenn er
Ücb Thron wieder erhalten könnte; er würde
hste i» ab sind en, wenn die Franzosen genau
ein "früheren Jahrhunderten zum Dank dafür
We? bück deutscher Erde nehmen würden,
h gV, >e Herren heute von solchen Haudlungcn ab-
4leir-s' die Gesinnung des Überwiegenden
"es des deutsche» Volles, nicht ihre eigene Ge-

sinnung. Separationsbostrebungen, wie
sie in den einzelnen Köpfen in der Pfalz und im
Rheinland spucken, sind nur auf die durch die
Kleinstaatere i h ervortgerusene p ar 1 i kuk a ri st i -
sche Gesinnung zurückzuführem. Die Zugehö-
rigkeit zu einem Kleinstaat kann eben nicht deutsche
Gesinnung fördern. Die Kleinstaaterei hat vor dem
Krtiog eine gesunde Steuerpolitik verhindert und
trägt die Hauptschuld an umsevem jetzigen Finanz-
elend.
In den Meinstaaten hat man, um seine Haus-
macht zu festigen, immer im Volke den Preußen-
haß geschärt. Die Unstimmigkeiten der Fürsten
wurden aus die einzelnen Volksstämme übertragen,
das ist im Ausland bekannt. Diese künstlich ge-'
schaffenen Gegensätze werden im Ausland, vor allem
in Frankreich, überschätzt. Während so in
Deulschland jahrhundertelang Zerrissenheit
herrschte, verfolgte Frankreich mit Zähigkeit immer
das eine Ziel, den Rhein als Grenze zu erhalten
und dazu noch rechtsrheinische Brückenköpfe. Dieses
Ziel verfolgten die Könige, ob sie weltliche oder
kirchliche Berater hatten, dieses Ziel verfolgte nach
der girvtzen Revolution zuerst die Republik,
dann Napoleon und nach ihm alle Regierungen, und
dieses Ziel verfolgt auch Poinears. Deshalb wären
die Franzosen auch marschiert, und wenn wir alles
erfüllt hätten. Deshalb ist es notwendig, durch dm
jetzt zu führeirdcn Kampf auch zu beweisen, daß man
auch von Deutschland kein Gebiet mehr ab-
trennen kann, ohne auf den schärfsten Wider-
stand in allen BevölkernntgSSlassen zu stoßen. Wer
diese französische Zielsetzung kennt, wird auch glau-
bten, daß eine Auseinandersetzung mit Frankreich,
so wie wir sie jetzt haben, nicht zu ve> rmei
den war. Damit sind auch die Ziele, die
Deutschland in diesem Kampfe sich setzen mutz, vor-
gezeichnet.
Wirtschaftlich wollen wir erreichen, daß
die Lasten der Kriegsentschädigung auf ein erträg-
liches Maß endgültig festgesetzt werden, damit wir
unsere Wirtschaft darauf eiinstelleu können. Poli-

tisch Wollen Win der Welt zeigen, daß kein Teil
des besetzten Gebietes durch Unterdrückung und
Ausbeutung von Deutschland losgewennt werden
kamst aus der Art der Kampfesführung muß die
Wett sehen, daß ss kennen LandeMeil und keine Be-
völkeruugsschicht gibt, die nicht fefthält am einigen
deutschen Reich. Es geht nicht nur um die wirt-
schaftliche, sondern auch um die staatliche Exi-
stenz und Einheit. Alle Kampscmschlossen-
heit darf uns aber nicht abhalten, alles zn tun, um
den Kamps möglichst bald zu einem guten Ab-
schluß zu bringen. Weite Kreise sind der Meinung,
daß manches versäumt würde, um in der Welt für
uns eine günstige Stimmung zu schassen. Seien wir
uns klar darüber, die Welt ist sich einig, daß wist be-
zahlen sollen, und ww können nicht Krieg führen
oder passiven Widerstand leisten gegen die ganze
Wett.
Das von der Regierung gemachte Angebot
litt an Unklarheit. Es wurde in derWelt beurteilt
wie seinerzeit das Kaiserliche Friedensangebot. Es
zeugt nicht von Stärke einer Regierung, wenn sie
aus Rücksicht aus den mangelnden Opfermut der
Schwerindustrie und der Hochfinanz nicht das tut,
was sie für richtig hält und notwendig ist. Es
wird in der letzten Zeit so viel gesprochen von O P -
seymut, um den Kampf zu führen. Es ist jetzt
aber der Zeitpunkt gekoimuen, auch davon zu spre-
cheist daß wir Opfer bringen müssen, um das Va-
terland zu erhalten. Großindustrie, Hoch-
finanz und Grundbesitz haben bis jetzt die
gering st «n Opfer gebracht, uitd sie können nicht
erwarten, daß sich die anderen verbluten, um sie vor
zukünftigen Lasten zu bcwährem Sie dürfen auch
nicht Bedingungen stellen, die ihre Leistungen
zu einem guten Geschäft machen. Vor allem haben
wir dafüv zu sorgen, daß der Kampf nicht so endet,
daß Deutschland auseinandeegerissen wird. Wir
haben auch die Pflicht, alles zu tun, was nur er-
träglich ist, um unsere Volksgenossen an der Ruhr
und am Rhein, in Preußen, Hessen, Pfalz und Ba-
den vom Joelle der Fremdherrschaft zu befreien.



kl ZMMMM Skl MM.

Berlin, 6. Jnni. (Letztes Telegr.)
Als es dem Kabinett Cuno nachdem unter feinem
Regime der Dollarkurs von MOV auf 20 000 hinauf-
gegangen war, gelungen war, den Kurs auf 20 000
für einige Zett zu stabilisieren, du wurde Herr Cuno
an allen schwarz ioeitz-roten Biertischen und bei
jedem gleichgerichteten Kaffeeklatsch als Retter r>.
sowohl in politischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht
dem Not gepriesen. Zwischenzeittich hat man wohl
erkannt, wie wenig Herr Cuno zum Retter m o"
Not geeignet ist. Die Mark ist ins Endlose gefallen,
das Reichsvankgold, das all die Jahre hindurch aufs
Sorgfältigste gehütet wurde, ist stark zerronnen. Die
gestern stattgefundene Untersuchung des Parlamen-
tarischen Ausschusses über den Zusammenbruch der
Stützungsaktion zeigt, wie in geradezu fahrlässiger
Weise mit dem Gold der Reichsbank gewirtschaftet
wurde, ohne daß ein dauernder Erfolg zu erwarten
war.
Wenn auch der Vorsitzende des Untersuchungs-
ausschusses, Abg. Lange-Hegemann (Ztr.)
meinst daß in der Sache nichts das Licht der Oef-
fenMchlett zu scheuen habe, so ist damit noch Mr
nichts gesagt. Selbst der technische Berater der
Reichsbank, Herr Bankier Löb, muß zugeben, was
die Sozia,v.'mokrastc von Anfang an sagte, daß der
Augenblick des Rnhveinbruches ungünstig für die
Aktion gewählt tvar. Dazu kam der Mißerfolg der
Dollaranleihe, womit das Vertrauen zu wanken be-
gann. Der Sturz der Mark war daher nach Auf-
fassung des Sachverständigen nur eine natürliche
Reaktion.
Auch Staatssekretär Bergmann betont, daß er
die Ereignisse vom 18. April (Marksturz) einer na-
türlichen Entwicklung zuschreibe.
Geheimrat Lippert schiebt die Schuld auf die
französische Regierung. (Ist es Aufgabe der franzö-
sischen Regierung oder der deutschen Regierung, die
Mark zu halten?), die durch ihre Stellungnahme
gegen die Dollarschatzauleihe und der ungünstigen
Aufnahme der Rede v. Rosenbergs das Vertrauen
in die Mark wesentlich geschwächt habe.
Daß im Verlauf der Sitzung sich eine vielsagende
UebereinMmmung zwischen Helfferich und dem
Neichsbankpräsidenten ergibt, ist nicht zu verwun-
dern. Herr Helfferich war es ja, der in seiner seiner-
zeitigen Reichstagsrede riet, das Reichsbankgold der
Ruhraktion zu opfern. Den Erfolg des Rates Von
Helfferich sehen wir ja.

Reichstag.
Berlin, 5. Ju ni.
Der Reichstag nahm heute seine Tätigkeit wieder
aus, nachdem Präsident Löbe in der Eröffnungs-
rede den Ernst der Situation betont hatte.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärte die
sozialdemokratische Fraktion durch Müller- Fran-
kem daß die große Notlage eine sofortige Aussprache
erfordere. Es dürfe nicht gewartet werden. Müller
verlas die nachfolgende iozialdeuwkratische Irrt er-

ste lla > «on Mer den Marksturz, die Vis Mittwoch be-
antwcricl werden müsse.
Die Regierung tollte mit, daß sie die Interpel-
lation am Donnerstag beantworten werde, da sie
den morgigen Tag brauche, um dazu Stellung zu
nehmen.
In erster Lesung wurde der Gesetzentwurf über
die Arbeitslosenversicherung erledigt.
AirbeitSMinMer Dr. Brauns wies ans die Män-
gel -er bistzsmgen Arbettslosensürsovge hin. Vor
allem fehle die Selbstleistung der Beteiligten. Der
Gesetzentwurf sehe vor, daß je ein Drittel der not-
wendigen Saunmen von -en Arbeitnehmern und den
Arbeitgebern, imd das restliche Drittel gemeinsam
von Reich, Ländern und Gemeinden aufgebracht
werden. Das Gesetz solle den Arbeitslosen und den
Kurzarbeitern Unterstützung und außerdem dem Ar-
beitslosen Krarckemfürsorge bringen. Der Kreis der
Beteiligten sei mr wesentlichen derjenige der Kran-
kenversicherung.
Abg. Aufhäuser (Doz.) bringt Bedenken ge-
gen den Gesetzentwurf vor. Es scheint zweifelhaft,
ob die Zeit der jetzigen Krise für die Verabschiedung
eines so weittragenden Gefetzos geeignet ist. Es ist
auch zweifelhaft, ob die Verfassung bei der Arbeits-
losonfürsorge an eine Versicherung gedacht hat. Un-
disku tadel ist für uns eine Einschränkung des Koa-
litdontzrechtes. Die Sozialdemokratie wird am Ge-
setz positiv Mitarbeiten.
Der Entwurf geht an den Ausschuß.
Ein sozialdemokratischer Antrag.
Berlin, 5. Juni. Die von der sozialdeinokm-
tischen Fraktion eingebmchle Jitterpellatton hat fol-
genden Wortlaut: „Der Zusammenbruch der
SÄtzuiNgsaWon für die Mark und die damit verbun-
denen geivaltigen PveissteigMingen, hinter denen
Renten, Löhne und Gehälter außerordentlich Zurück-
bleiben, beschwören die Gefahr einer wirtschaftlichen
und politischen Katastrophe heraus. Wir fragen
deshalb:
1. Gedenkt die Reichsregierung sofort die notwen-
digen Maßnahmen zu treffen, um die Anpassung der
Renten, der Unterstützungen, insbesondere sür die
Erwerbslosen, der Löhne und Gehälter an die ge-
stiegenen Preise zu bewirken ? Wie gederM sie Löhne
und Gehälter vor einer weiteren Entwertung zu
schützen, die eine große Gefahr für die Arbeitsfähig-
keit und Arbeitsleistung darstellt?
2. Ist sie bereit, die drohende völlige Entw er-
t u ng der B e s ich st e u e r durch sofort zu treffende
Wendelungen der Steuergesetze hinwnzuhalben?
3. Welche Maßnahmen gedenkt die Reichsregie-
rung zu treffen, um währungspolitisch den weiteren
Sturz der Mark aufzubalten und den Auswüchsen
der Devifenspekulation zu begegnen? Will sie sich
endlich entschließen, die Zentralisierung und Kon-
trolle des Devisenverkehrs bupchZuMpen?

Wenn wir uns nicht zu den größten Opfern bereit
finden, so wird wirtschaftliche Not und außenpoliti-
scher Druck Deutschland auseinanderreißen. Noch
nie war die Gefahr ds« Auseinanderreißung
Deutschlands größer als jetzt, und diejenigen, die
ans Feigheit und Eigennutz der Lösung der Ausgabe
cntgegeinstehen, laden eine schwere Verantwortung
aus sich.
Jeder Tag, um den der Kampf verlängert
wird, erhöht die große Gefahr, deshalb sollte die
Regierung nicht zögern und esm Angebot
machen, das V erha ndlungsmöglichleiten schafft. Es
ist gewissenlos,, wenn nationalistische Kreise
gegen ein Verhandlungsangebot kämpfen. Die mei-
sten diesem Leute tun cs sogar gegen ihre in-
nere Ueberzeugung. Der Kampf kann doch
nur durch Verhandlungen beendigt wer-
den. Diese gewissenlosen Agitatoren wollen nach-
her wieder anderen die Schuld geben, wenn
sich die phantastischen Hoffnungen, an die sic selber
nicht glaubten, aber bei anderen weckten, nicht erfül-
len. Schon Wird die Dolchstoßlegende wie-
der vorbereitet. Der Kampf war für Deutschland
ein V erte id i gungs kamp f und kann nach
Sage der Verhältnisse nichts artderes sein. Der
VMauf des Kampfes zeigt jedem denkenden Men-
schen immer deutlicher, daß die sogenannte Erfül-
lungsPolitik die richtige Politik war, ohne
diese Politik wären wir nie in den Stand gesetzt
worden, diesen Kampf zu sichren. Wir haben den
Krieg verloren und müssen die Folgen davon tra-
gen; das sollten doch gerade diejenigen einsehen,
die, wenn sie den Krieg gewonnen Hätten, den an-
dern Völkern sicher nicht geringer« Lasten auferklegt
und sicher keine geringeren Demütungeu zngesügt
hätten. Zahlungen in einem gewissen Umfang kön-
nen und müssen wir leisten.
Wenn der Kampf beendet und unsere Verpflich-
tungen festgesetzt sind, dann heißt cs, eine richtige
Innenpolitik zu betreiben. An die Spitze unserer
Forderungen Müssen wir setzen: eine richtige
Steuer-und Finanzpolitik. — eine dau-
ernde Stabilisierung unserer Währung
ist erst möglich, wenn unsere Verpflichtungen gegen
das Ausland durch Wanenaussuhr beglichen und
unsere Staatsausgaben durch Stem-reinnahmcn ge-
deckt sind. DieSanierung unseres Staatshaus-
haltes ist möglich, wenn wir nur den richtigen
Weg gehen. Ich gebe zu, daß di« Steuergesetz -
gebung bei so stark schwankender Währung, und
solange wir keine Festsetzung der Kriegsentschädi-
gung haben, sehr schwer ist, was aber die bür-
gerlichen Parteien und die Regierung Cuno auf
diesem Gebiet geleistet haben, ist ein Vergehen
am deutschen Volk. Ohne eine Sanierung
der Staatssinanzsn ist auch keine durchgreifende
Sozialpolitik möglich. Die ganze Sozial-
vcrsichernng und Fürsorge leidet schwer unter dem
stets sinkenden Geldkurs. Besonders schwer leiden
Kriegsbeschädigte, Kleinrentner und Sozialrentner.
Auf dem Gebiete des Wohnungswesens
ist in den nächsten Jahren eine ungeheuer schivere
Aufgabe zu erfüllen, die von jedem finanzielle Opfer
erfordert. Eine rationelle Siedlungspolitik
müssen wir betreiben, uut unsere landwirtschaMche
Produktion zu steigern und unsere Volkskraft wie-
der auf die Höhe, zu bringen und dort zu halten.
Hier gilt es, noch den Widerstand der Großgrund-
besitzer zu brechen. Steigerung der landwirtschaft-
liichm und industriellen Produktion- stitd die Vor-
aussetzungen für Gesundung der wirtschaftlichen
Verhältnisse des Einzelnen und der Gesamtheit.
Der genossenschaftlichen Organisation der Konsu-
menten und der Produzenten fällt die Aufgabe zu,
alle unproduktiven und nutzlosen Elemente beson-
ders aus dem Handel auszuschalten, um immer
mehr Kräfte für die Produktion frei zn erhallen.
Nur wenn wir alle Kräfte nutzbringend gestattens
kann es wieder aufwärts geben.

Internationale Lage.
Das neue Angebot.
Die deutsche Note wird, Wie die Telunion zuver-
lässig erfährt, am Donnerstag übergeben und am
Freitag früh veröffentlicht werden.
Die Brüsseler Konferenz.
Berlin, 5. Juni. Ne morgen beginnende
Brüsseler Konferenz dient in der Hauptsache dem
Zweck, die belgisch-smnzösischen Meimungsvclschie-
denih-öiiem zu beseitigen und eine neue Einheitsfront
mit England und Italien herzustellen.
Eine Rede Dißmann.
London, 5. Ju ni. Ans der Intcrna < to-
nalen M e tallarb e it e rko ns e r en z in Lon-
don führte der „Daily Mail" zufolge Gen. Ditz"
mann u. a. aus: datz man in Deutschland es als
nwrattsche Pflicht ansehe, die verwüsteten Gebiete
Frankreichs nnd Belgiens wieder aufzuvauen-
Er erinnerte an die großen Beträge, die bei der
Ruhrbesetzung drausgegangen seien und die marl
besser sür den Wiederaufbau der zerstörten Gebiets
hätte verwenden können. Ntzfnann schloß seine
Rede mit der Aufforderung an die englischen Ar-
beiter, alles zu tum, was in ihren Kräften stehe, >.mt
die englffche Regierung soweit zu bringen, daß st»
Frankreich zu Verhandlungen bewege, sobald
Deutschland ein Weitepes Angebot mache.
 
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