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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Mai - August)

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Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 18. August)
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Tel.: Erpi-dilion2873 u. Rcdak.287».

5« Jahrgang

Heidelberg, Montag, de« 13. August 1923

Nr. 185

AorlaufigerBezuarpreis etnsch ließt.
Tragerlohn Ms. 78888.-. Anzeigcn-
wr>,e : Die einfpalt. Petitzcile oder
°°ren Rau», <38 mm brciOMk. 18880,
N>r Au-.wär,ige Mk. 20888. Rcklame-
°nzcigen(7lmm drei», Mk. 48008, für
Aurwäilige Mk. 88688. Bei Wieder-
holungen Nachlaß nach Tarif.

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MM MM MM «MsS Postscheckkonto Karlsruhe Nr.22S77.
MZU' IWI UW MW MM MÄU Tel.-Adr.: Vottszcttung Heidelberg
M M MHt HMR MM WM UrWM Druck u.Berlag der Untcrbadische«
MpZN WUWW 8'M DWg^ MiZM Verlaaranstalt G.M.H.H., Heidel»
M WM -^88- W.ÄM berg. Weschästsstcllc: TchrSdcrftr.R.
L Tel.: Erpedition2873 u.Rcdak.2S7S.
r-sez-zelimli M die mttiWe «e«»W «er WMMe Melder,. Sie,!»», «elm, WU«. ikberM, M,»O. AW, Mekdew. »okber«. IMerMMel»». MeMel»


Unsere Forderungen.
- * Berlin, den 9. August.
Als der Reichskanzler Cuno am Mittwoch se>ne
^on keinem staarsmäunischen Geschick zeugende Rede
'^gelesen hatte, miachte sich im Reichstag in allen
Harteilagern eine starke Mißstimmung gegen ihn gel-
tend. Allgemein herrschte die Auffassung, daß die
jetzige Regierung in dem Daseinskampf, den das
deutsche Volk seit Monaten führt, nicht Führerin ist
'"w ihr all« Eigenschaften dazu auch für die Zu-
kunft fehlen werden. Aber die Beantwortung der
fragen: was wird werden, wenn wir Euno jetzt
Zützen, und ist es zweckmäßig, in diesem Augenblick
io vorzugehen, hat die mit Recht entsetzten Gemüter
bald wieder beruhigt. Als am Donnerstag nach-
uiittag der Reichstag zu der grossen Politischen De-
batte zusammentrat, dachte insbesondere schon des-
halb niemand mehr an die Möglichkeit einer Krise,
iveil Euno auf eine positive Vertiauensformel in-
zwischen verzichtet hatte. Die plötzliche, aber ver-
iiändliche Aendornng in der Auffassung der einzelnen
Neichstagssraktionen ist jedoch nur als vorübcr-
üehond zu betrachten — die Krise ist nur verschoben.
Cuno ist nicht der Mann, der im gegebenen Falle
wit der Entente verhandeln könnte und infolgedessen
sind seine Tage gezählt. Er soll die Möglichkeit
baben, sein im wesentlichen von der Soziaidemokra-
ie übernommenes Finanzprogramm durchzuführen,
untere Front von innen nach außen Hilt zu stärken
Und dann dürfte seine Stunde -geschlagen staben!
Die große Politische Debatte wurde riugeleitel
durch eine von viel Verständnis für die Not der
Massen getragene Rede unseres Genossen Hermann
M ülle r. Schars rechnete er mit den Gegnern des
Staates von heute ab, die wir nicht nur in den Mit-
gliedern der Geheimorganisationen sehen, sondern
guch tu den Parteien, die an der traurigen Entwtck-
ung unserer Verhältnisse durch ihre Steuerscheu ein
gebührendes Matz Schuld tragen. Auch Herr H a -
e .n si e i n und mit ihm alle diejenigen, die heute
, einen Fechcmbach wider Rocht und Gerechtigkeit
unter Schloß und Riegel sitzen lassen, gehören in die-
-W Klub der Volksgegner. Der Neicksbankpräsindent
au bis heute noch nicht erkannt, was die Not der
^mude geschlagen hat. Gegen ihn Muß deshalb
. uch -jue Aeaderung des Autonomiegesetzes vor-
« baug-n werden und diejenigen, die weiterhin nach
m> '"'b Gerechtigkeit schreien, sollten sich nicht
undern, wenn ihre Worte jenseits der Grenze wir-
nngsios verhallen, solange sie in ihrem eigenen
^?aat nicht das tun, was sie von anderen verlangen.
diesem Zusammenhang war die von Müller
lotgte Erwähnung der bayerischen Mißverhältnisse,
>>e so wett gediehen sind, daß heute ein verfassungs-
euer deutscher Bürger kaum mehr ins Ruhrgebiet
- gehen braucht, um erschossen zu werden, und die
s,?wlf«rligmlg des Verhaltens der sächsischen und
mr.ngischeu Regierung gegenüber dem Reich voll-
. btwsn berechtigt. Die unerquicklichen Auseinander«
^bmigen, die wir tn den letzten Tagen zwischen dem
^etch ,,nd den einzelnen Ländern erleben mutzten,
von der Wilhelmstraße provoziert und wir
wehten den Verantwortlichen Politiker eines dcut-
k»»" dlaeistaates sehen, der sich die Behandlung ge-
llen ließe, wie sie sich der Reichskanzler in den
Vten Tagen gegenüber Sachsen aus Mangel an
vr>,^" politische Notwendigkeiten erlaubt hat.
«'"b die Forderung nach Kampf gegen die Saboteure
> ^Kven Abwehr war mehr als angebracht. Erst
im Tag.nt hat die Ruhrbevölkerung sich erst
'E den Folgewirkungeu eines sinnlosen
tentats, das französischen So.baten galt, gleich-
Ug aber auch deutsche Bürger als Opfer forderte,
linden müssen. Die Besatzungsmächte haben erneut
a!>^ b'üMgebiet aus acht Tage Von jedem Verkehr
gesperrt und dadurch den passiven Widerstand
deniu Stoß versetzt. Die Sozialdemokratie
twn daran, irgend einen Anlaß zur Kapitula-
,i * geben, weil sie sich der Folgen eines derar-
r<w" Schrittes volttonunen bewußt ist. Aber ge-
ge/ beshalb fordert sie entschiedene Maßnahmen
iu?k."c Saboteure durch die amtlichen Instanzen,
der ^bbbcre aber die leicht mögliche Unterbindung
die ^bnamiizufuhr an diese Scheinpatriotcn durch
gls '«^ch'wehr. Herr Getzler hat sich zwar ausgrrcgl,
West ^"ber aus die Verbindungen zwischen Reichs«
!Ȋt< Gehcimorganisationen zu sprechen kam, er
->ustr> getan, ganz zu schweigen. Dieser
Wir s d ^ttn zweifellos nnlerbnnden werden und
"Uich>,^"' bak den Geheimorganisationen endlich
-er die scharfe Anziehung der Steuerschraube
' Waft "üsgeht, daß Industrie und Landwirt-
vitcrö?biihrend sie unsere charitativcn Verbände
' icht m <" 'otz'en, durch die jetzigen Maßnahmen
unserer die Lage versetzt ivcrden, den Gegnern
sinach.,, ^publik finanzielle Zuwendungen zu
Heweis solange das geschieht, solange wird der
<Nt,ner geliefert, daß die Steuerschraube
dürfte wr angezogen ist und solange
Besitz j„ zw Soziaidemokratie Anlaß bestehen, den
>U finanzier s^'a^serem Maße, als bisher geplant,
'wranzuzieheu "^"angen gegenüber dem Staat
de^üst^^'" Kritik an dem bisherigen Verhal-
snndrn d,,** ,,, 'en Parteien und den Unterlassungs-
^^henden die die Grundlage der be-
^'iller Aufregung Hilden, setzte
Tr fordert. '-.Forderungen der Aüsttlsc gegenüber.
da,; bereits heute unsere Politik sich auf

die kommenden Verhandlungen mit der Repara-
tionskommission als Beauftragte der Entente ein-
stellt. Zu diesem Zweck begnügt sich dle Sozialdemo-
kratie nicht mit der Durchführung steuerpolitischer

und allgemein wirtschaftlicher Maßnahmen. Wir
verlangen, daß für diese Verhandlungen, die infolge
der katastrophalen Entwicklung der deutschen Ver-
hältnisse nicht In ehr zu umgehen sein werden, die

Cunos Ende.

Der entscheidende Beschluß unserer Fraktion. —
Rücktritt. — Die kommende große Koalition. —
hat die Bildung der Kabinetts übernommen. —
treten das Erbe an?

Der erzwungene
Dr. Stresemann
Welche Männer

SPD. Berlin, 12. Aug. (Etg. Ber.) Lieft
Not macht sich heut tn unserem Volke breit und nur
der sine Gedairke beseelt die arbeitenden Massen:
Wie können Wir unsere Lage verbessern, wie ist es

möglich, endlich einen festen Grund unter den Füßen
zu bekommen? Die sozialdemokratische Reichstags-
srakiion hat sich im Verlauf der letzten Wochen irn-
mcr wieder mit dieser Massenstimmung beschäftigt
und wenn sie sich in der Praxis trotzdem der Auffas-
sung nicht anschloß, daß ein sofortiger Sturz Cunos,
dem im wesentlichen die Schuld an dem bestehenden
Elend betgemessen wurde, erfolgen muß, dann ge-
schah das nicht aus Liebe zu diesem Mann, nicht
aus Vertrauen, sondern aus rein Politischen Grün-
den. Infolge der kaum glaublichen Tatenlosigkeit
der amtlichen Reichsstellen hat sich die Lage in den
letzten Tagen im Innern so zugespitzt, daß auch die
bisher gehegten Bedenken gegen einen soforti-
gen Rücktritt der Regierung vor der NotweiMgketf
Zum schnellen Handeln zurücktreten mußten. Nach
retslicher Neberlegnng und wahrhaftig nicht leichten
Herzens hat deshalb die sozialdemokratische Reichs-
tagsfraktton am Sonnabend einen Beschluß gefaßt,
der in seinem ersten Teile, wo von dem Mißtrauen
gegen die Regierung Cuno gesprochen wird, im
ganzen Lande Beifall Hervorrufen, aber in seinem
zweiten Teile bei einer Anzahl Parteigenossen auf
Widerspruch stoßen dürfte.
Der Beschluß der Fraktion entstand aus dem
Willen, den arbeitendon Massen unter eigenen Op-
fern schnell zu helfen, nachdem die Regierung Cuno
den Beweis geliefert hatte, daß von ihr auch in Zu-
kunft trotz aller guten Ratschläge und Gesetze, die ihr
der Reichstag gab, keine Hilfe zu erwarten ist. Eine
Negierung, die noch nicht einmal Weitz, Rotatious-
maschinen in Gang zu setzen und Cuno-Mark bzw.
Haveustein-Rnbel drucken zu lassen und die so den
Anlaß zu der augenblicklichen gefahrdrohenden inner-
politischen Krise gab, kann nicht länger ihres Amtes
walten. Aber wenn inan dieser Auffassung ist, weim
man der Usberzeugung lebt, daß Cuno Schuld au
unserem Verhängnis hat und deshalb verschwinden
muß, dann hätte es trotzdem keinen Sinn, ihn zu
stürzen, wenn nicht in der Absicht gehandelt würde,
an Stelle des gestürzten Kabinetts eine Nachfolgerin
zu setzen von stärkerer Autorität und dem festen
Willen, die Staatsgewalt zur Versorgung des dar-
benden Vokkes endlich in denk Maße einzusetzcn, wie
cs längst hätte geschehen müssen. Von diesem Ge-
dankengang ist die sozialdemokratische Fraktion aus-
gegangen. Sie war sich der Verantwortung ihres
Schrittes vollkommen bewußt und bat in ihrer über-
großen Mehrheit den Mut besessen, aus ihm die
Kousequcuzen zu ziehen, die gerade eine republika-
nische Partei in der Republik, vor allem aber eine
Partei von der Stärke der Sozialdemokratie ziehen
mußte.
Der Beschluß, an einer starkem Regierung auf
breiter Grundlage mitzuwirken, ist gefaßt. Heute,
wo das Volk nach Brot schreit, hat es deshalb keinen
Zweck, noch weiter über Grundsätze zu streiten.
Schließlich müssen sich auch die Gegner der Koalition
aus breiter Basis sagen, daß unsere Fraktion
die heute insgesamt 173 Abgeordnete zählt, in ihrer
übergroßen Mehrheit nichtverantwortungs-
l o s handelt, sondern ihre Beschlüsse auf Grund
politischer Erfahrungen und der Eindrücke faßt, die
bei den Zentralinstanzen in Berlin an Orr und
Stelle gesammelt wurden. Eine Fraktion von der
Größe und den verantwortlichen Verpflichtungen der
Sozialdemokratie muß ihre Entscheidungen jeweils
nach der polnischen Zweckmäßigkeit fällen. Mit dem
Wohl Deutschlands ist das Wohl der Arbeiterschaft
verbunden, sowohl das eine wie das andere ist aber
in Gefahr. Deshalb hat die Sozialdemokratie das
bekannte Finan'.Programm ausgearbeitet. Sie will
retten, was noch zu retten ist, im Interesse der Re-
publik und der Arbeiterschaft. Ein wesentlicher Teil
unserer Forderungen ist bereits gesetzgeberisch fest-
gelegt. Jetzt heißt es, diese Gesetze in der Verwal-
tung durchznfnhren, vor allen Dingen die Erfassung!
der Sachwerte ebenfalls grundsätzlich und nach Art
der Durchführung sowie der Höhe gesetzlich festzu- j
legen.

zusammen, ohne jedoch einen festen Beschluß zu
fassen. Die Fraktionen der bürgerlichen Parteien
traten erst am Sonntagvorinitiag zusammen, um
die Auswirkung des Beschlusses der sozialdemokrati-
schen Fraktion zu besprechen,
Der Reichskanzler nahm nach Kenntnisnahme
unseres Fraktionsbeschlusses mit den Parteien der
bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft Rücksprache. Wenn
eine sofortige Demission nicht erfolgte, so ist dal
lediglich aus imrerpolitischen Gründen zu erklären
Die Parteien sind allgemein der Auffassung, daß
sobald die Regierung Cuno zurücktritt, Es Grün-
den der Sicherheit und Ordnung tn Deutschland das
neue Kabinett gebildet sein mutz.
Mm Sonntagmachmittag 2 Uhr trat die bürger-
liche Arbeitsgemeinschaft mit den Führern der sozial-
denwkratischen Fraktion zu Besprechungen über die
Auswirkungen des von unserer Fraktion gefaßten
Beschlusses zusammen.
Der Wortlaut des Beschlusses.
Eine von der Sozialdemokratie zu unterstützende
Regierung ist auf folgender Grundlage zu bilden:
Energische Durchführung der beschlossenen Ft-
uanzmaßnahmen.
Durchgreifende Finanzreform auf Grundlage der
Heranziehung der Wirtschaft mit garantierter Be
astung ihrer Sachwerte,
Währungsreform: Schleunige Eindämmung ve-
Inflation, Goldkredite, Vorbereitung der Goldwäh
cung.
Wertbeständige Löhne; wertbeständige hinreichend
eihShtc Sozialrenten und Erwerbslosenunterstützun
gen.
Loslösung der Reichswehr von allen illegalen Or
gantsasionen.
Außenpolitische Aktivität zur Lösung der Repa
rattonsfrage unter voller Wahrung der Einheit de
Nation u. der Souveränität der deutschen Rcpublil
Antrag auf Anmeldung zum Völkerbund
Berlin, 12. Aug. („Frkf. Ztg.") Nachden
tzte Beratungen der Parteiführer die Grundlage
Mr die Bildung einer Regierung der «roßen Koali-
tion unter der Führung von Dr. Stresemann
gesichert hatten und Herr Dr Cuno davon ver-
ständigt war, entschloß sich das Kabnvtt am Abend,
idem Richsvräsidenteu sein R ü cktrit 1 s g:e s u ch
!zu unterbreiten Der Präsident nahm das Gesuch
an nud empfing hirauf einzeln die Führer der
Parteien, uni ihren Rät für dt« Bildung der neuen
Regierung entgegengunieymeir. Sie konnten den
Reichspräsidenten über die im Laufe des Nachmit
tagS vollzogene grundsätzliche Einigung
der vier Parteien unterrlchtn und ihm empfehlen
auf dieser Grundlage seine Wahl zu treffen. Gege>
Xtü Uhr wurde dann aus dem Bureau des Reichs
Präsidenten amtlich mttgeteilt, daß der Reichspräsi
tze-ntS das Demtsfionsgesuch des R-jchs
Kanzlers Cuno und seines Kabinetts angervm
men und den Reichstagsabgeordneten Dr. S refc
mmm mit der Bildung einer neuen Regierung au
der Basis der gvotzcu Koalition betraut habe. Her
Dr. Stresemann hat den Antrag angenommen um
iMte danach im Reichstag noch Besprechungen mi
Vertretern der sozialdemokratischen und der Zen
irumsfE'vn. Die Zusammerffetznug des Kabi
netls und die Besetzung der Ressorts wird morgen
im Laufe des Tages entschieden werden, sodaß am
Abend sich die neue Regierung dem Reichstag vor
stellen kann
Das Rücktrittsgesuch Cunos.
Berlin, 12. Aug. Reichskanzler Dr. Cun»
bat heute nachmittag dein Reichspräsidenten di>
Drmissjondes ReichKkabinetts mit einem Schrei-
ben überreicht.
Kombinationen.
Berlin, 13. Ang. Wie verlautet, wird der
neue Reichskanzler Dr. Stresemann auch das

Regierung alle sachlichen Unterlag.'» schafft, daß sie
insbesondere bereits jetzt von den Garantien der
Wirtschaft in der letzten Note au die Cnlente-
mächte Gebrauch macht und sie im Zusammenhang
mit der Sachwertfaffung gesetzlich festlegt. Nur so
ist eine Beruhigung im Innern zu erre chen, nur so
können wir in der Welt moralilche Eroberungen
machen. Darüber hinaus ist u. a. eine Roggenwert-
steuer notwendig, die von der Landwstftchast zu
tragen ist. Sie ist infolge der Nachkr.egserscheinungen
beute vollkommen entschuldet und besitzt die finan-
zielle Stärke, auch mit einer derartigen Maßnahme
dem Reich unter Zwang zu Hilfe zu eilen. Eine
neue Stützungsaktion, verbunden m l MZmahmen
tost Unterbindung des überflüssigen Imports, sind
außer unseren bekannten tibrigen Forderungen auf
schnellftom Wege zu verwirklichen. Auch Vst Frage
des Eintritts tn den Völkerbund muß kchncll geklärt
werden. Wir sind uns bewußt, daß von dem Völ-
kerbund in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung
nicht besoirdcrs viel zu erwarten ist; aber aus rein
Praktischen Gründen icheint uns der Ein-
tritt notwendig. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es
der englischen Regierung gelingt, einen Teil der
schwebenden Fragen, die mit dem Reparationspro-
blem in Zusammenhang gebracht werden, dem Völ-
kerbund zur Lösung zu überweist, n. In einem der-
artigen Fall iväre es besser, dabei zu sein, als in
Genf vor der Türe zu stehen und dann vergelich um
.Einlaß zu bitten. Noch ist es Zeit. Nach dem Sta-
- tut des Völkerbundes müssen Anträge auf Eintritt
- vier Wochen vor Beginn der Plcltarsitzung gemacht
werden. Erne Suspension von dieser Frist ist je-
doch möglich. Zwar hat sich der Rcichsaußenminister
tu seiner fast inhaltlosen Rede am gestrigen Tage
sehr kühl über den Gedanken des Eintritts ausge-
: sprachen. Das besagt jedoch nichts dafür, daß dieser
f Gedanke nicht berechtigt wäre, sondern spricht eher
, dafür.
Es ist, wenn auch Mit einiger Skepsis, anzuer-
kcunen, daß endlich auch die bürgerlichen Mittel-
Parteien einschen, wo wir tn Deutschland stehen und
baß die drohenden sozialen Unruhen nur durch ent-
schiedene Taten verhindere werden köunen. Herr
Stesemanu hat am Donnerstag anerkennenswerte
. Worte gesunden, und sich erneut vor aller Oessentlich-
stit für die Belastung der Sachwerte ausgesprochen.
Auch sein Bekenntnis zu dem Staat, wie er ist, muß
anerkannt werden. Leider aber haben wir oft gute
Versickerungen aus dein bürgerlichen Lager gehört,
ohne daß aber bischer sowohl das Zentrum, wie auch
eie Demokraten und die Volkspartei sich entsprechend
sich in der Praxis Verhalten hätten. Im gegenwär-
tigen Augenblick nehmen wir gerne an, daß ihnen die
Not des Volkes auf den Nägeln brennt und die dies-
in al auch in der praktischen Durchführung der jetzt
sur Verabschiedung kommenden Gesetze sich stärke»
beteilige,» werden, als es bis jetzt der Fall gewesen
ist. Von ihrem Verhalten wird maiuhes für die
deutsche Zukunst abhängen und dürfte später viel-
ketcht jene Entscheidung der Sozialdemokratie be-
einflußt werden, die in diesen Tagen ohne Grund
so stark erörtert wurde. Vorläufig noch fehlt unS
das Vertrauen zu den bürgerlichen Parteien wie
zur Regierung Cuuol

Reichstag.
Bcrlin, 10. August 1S2Z.
Niemand wird leugnen, daß die Lage in Deutsch»
land zum Zerreißen gespannt tst. Zumal in der
ReichShaltPiftadt befinden sich die Massen ohne Un-
terschied der Parteistellung in einer sieberhaften Er-
regung. Es ist klar, daß diese Stimmung auch im
Reichstag nun Ausdruck kommen muß. Kleinlich
und ans Lächerliche grenzend tst, wie die Kommu-
nisten fick zum Dolmetsch der Masse zu machen verfu-'
chen. Zu Beginn der Neichstagssitznng am Freitag
beschwerte sich Koenen darüber, daß der Retchstags-
präsident die Zahl der Besucher, die jeder Abgcord-
rrcte einführen darf, einstweilen auf drei begrenzt
hat. Notwendig ist, daß so fori große Besttzsteuern
geschaffen werden, damit ist den Massen mehr ge-
Aent, als wem» die Abgeordneten stundenlang von
Deputationen immer wieder dasselbe Vorträgen
müssen. Hermann Müller widersprach der kom-
munistischen Rede. Er wies darauf hin, daß der
Dollar in Newyork aus 1500 000 Mk. herabgedrückt
<sel, in Berlin aber schon wieder aus 4 Millionen
strbe, iveil eben die allgemeine Unruhe uno Streik-
stimmung von der Spekulation c.usgenütz werden.
Fm Augenblick diene man dem Prolcwriit wd allen
redlich schaffenden Schichten am bcst-n vrturch, daß
man die Steuergesetze mit größte: Be'ckG,.nigung
verabschiede. In der Fortsetzung der vom chen De-
batte hielt, der Demokrat Dr. Pcierscn eine kri-
lisch zugespitzte Rede, in der er starke Männer ver-
langte. Dem Kommunisten Frölich ist der passive
Widerstand nicht stark genug gewesen Der Schluß
feiner Rede war eine wilde Kmnpfankündnnng nicht
nur gegen die New'sregicrung, 'ond:rn auch gegen
die jetzige Republik. Passiver W verstaub der Ar-
beiter, Generalstreik und sonstige wirksamen Mittel
würden angewendet werden. Der deutschvöMsche
Redner v. Graefe freute sich natürlich über di-
offene Revoluiionserklämug des konmmnistischen
Sprechers, die er weidlich ausnützte, um die Kom-
munisten als Bahnbrecher des Bürgerkrieges hin-
z,»stellen und die Dcnsschvölkiscken als die guten unS
weichherzigen Retter des Vaterlandes zu empfehle^'

Ministerium des Aeußereu übernehmen. . Er ver-
handelte zunächst mit den Sozialdemokraten im
Reichstag. Fest scheint zur Stunde auch zu stehen,
jdaß der Sozialdemokrat Hilferding Reichs-
Nach Beendigung der sozialdemokratischen Frak-' finanzminister wird. Die sozialdenwkratische Partei
tionssitzung wurde der Beschluß sofort durch die Wat ferner Rabbruch, der unter Wirth Justiz-
Genossen Hermann Müller, WelS und Hilferding Aninister War, wieder für dieses Amt vorgeschlagen,
dem Reichspräsidenten zur Kenntnis gebracht. Spä- i Weiter schlägt sie Sollma » n - Köln oder Dr.
ttr wurden der Reichskanzler und die bürgerliche 1 K ö st e r als Innenminister und Jaeckel als Ar-
ArbcitSgemeiuschafl unterrichiet. Die Arbeitsgemein a bcitSministcr vor. Für diesen Posten käme aber ruck
schäft trat noch am Abend zu einer BesPrechuncRunter Umständen Robert SW,n td t tn Frage.
 
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