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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 3.1902-1905

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Heft 3
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Seidlitz, Woldemar von: Die Entwickelung des japanischen Stichblatts
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https://doi.org/10.11588/diglit.37714#0079

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3. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

63

gen und auszubreiten beginnt, dass auf das rasche
Erklimmen eines künstlerischen Höhepunktes ge-
wöhnlich ein durch Jahrhunderte sich hinziehender,
allmählicher, durch einzelne technische Vervoll-
kommnungen nur scheinbar aufgehaltener Verfall
folgt: ist dem japanischen Kunstfreunde diese von
aller Kunst geltende Anschauung durchaus geläu-
fig. Dass sie auch auf die Stichblätter zutrifft,
beweist der Ausspruch eines Kenners des 18. Jahr-
hunderts, Inaba Tsuriu: je älter ein Stichblatt sei,
um so schöner sei es. Die früheren Arbeiter, fährt
er fort, seien aufrichtiger gewesen; die späteren
hätten mehr auf die Entwickelung der Geschicklich-
keit geachtet. Hayashi erläutert das dahin näher,
dass les gardes primitives ont, sous un aspect
grossier et näi'f, une delicatesse extreme; les gardes
modernes sont plus fines d’execution, mais perdent
cet aspect robuste et largement dessine des oeuvres
anciennes.
Auf die hohe Kunstblüte des 9. Jahrhunderts,
die durch den Namen des Malers Kanaoka gekenn-
zeichnet ist, folgte die lange Periode der Kämpfe
der Minämoto und Tatra, welche gegen
Ende des 12. Jahrhunderts mit dem Sieg der Minä-
moto endigte. Dieser Zeit des Verfalls und der
Verrohung werden die wenigen Stücke zugeschrie-
ben, welche nur mit einigen, unregelmässig ver-
teilten Durchbrechungen von einfacher Gestalt ver-
sehen sind. Hayashi bildet davon in dem Katalog
der Louvresammlung drei unter den Nummern
1—4 ab, eines mit Sonne, Mond und Sternen, ein
zweites mit Schlüssellöchern, ein drittes mit Münzen,
Gewichten und Schmuckstücken, das letzte mit zwei
Theevasen. Zwei weitere sind in dem Katalog der
Versteigerung Hayashi unter den Nummern 1 und 2
abgebildet.
Hier sei gleich ein für allemal die Bemerkung
gemacht, dass alle Stichblätter bis ins 17. Jahr-
hundert hinein mit ganz geringen Ausnahmen in
Eisen geschnitten sind und meist kreisrunde Form
von ziemlich gleicher Grösse haben. Auch in der
Folgezeit blieb Eisen der dabei bevorzugte Stoff.
•— Wenn von den Stücken als Erzeugnissen bestimm-
ter Zeiten gesprochen wird, so ist damit ihr Stil
gemeint, während es Sache eingehender, auf aus-
gedehnter Erfahrung beruhender Untersuchung
ist, festzustellen, ob das betreffende Stück auch
wirklich zu der angegebenen Zeit entstanden oder
erst späterhin in Nachahmung früherer Erzeugnisse
angefertigt worden ist. Die Merkmale für die Unter-
scheidung solcher Arbeiten können nur durch die
Vergleichung einer Reihe äusserlich ähnlicher, der
Auffassung und Ausführung nach aber doch von-
einander abweichender Stücke gewonnen werden.
In das Ende des 12. Jahrhunderts fällt die
Blütezeit für die Verzierung der Stichblätter, die
Kamakura-Zeit, von 1181 bis 1200, so be-
nannt nach der Stadt, wo die Shoguns, vor allem
Yoritomo (1186—1200), fortan ihre Residenz auf-

schlugen. Diese schönsten der japanischen Stich-
blätter sind verhältnismässig dünn und zeigen,
neben Durchbrechungen, die gewöhnlich von einem
schmalen erhabenen Rande umgeben sind, vorzüg-
lich gezeichnete Verzierungen in flachem, gleich-
massig hohem Relief, welche die ganze Fläche,
jedoch ohne Symmetrie, überziehen. Im Louvre-
katalog bildet Hayashi davon zwei unter den Nrn.
5 und 6 ab, das eine mit berühmten Ansichten von
Nara: dem Tori-i von Kässuga, der Pagode von
Todaidshi, den drei Schatzkammern u. s. w. (dieses
durch einige gravierte Linien belebt), das andere
mit zwei Rädern; das erste ohne Rand, das zweite
mit dünnem erhabenen Rande. Zwei andere im
Auktionskatalog unter Nr. 3 und 4. Ein solches
Stück ist hier abgebildet4):
I, 3. Pflanzen, darüber Mond vor Wolken, in flachem
Relief die innere Zeichnung durch eingravierte, von gleich-
massiger Plöhe, Linien gegeben; rechts ausgeschnitten zwei
Flaschen von Kürbisform, mit erhabenem Rand; um das Ganze
schmaler erhabener Rand. — Rückseite: Baumast mit Blättern;
darüber rechts Tempelschatzhäuser.
Mit dem Jahre 1200, als Hodsho Tokimassa,
der Schwiegervater Yoritomos, die Regentschaft
für dessen minderjährigen Sohn übernahm, beginnt
die lange Epoche der Hodsho, der erblichen Haus-
meier der Minameto- (oder Kamakura-) Shogune, die
bis zu dem Sturz der Hodsho wie dieser Shogune
im Jahre 1333 reicht. Doch handelt es sich dabei
um zwei gesonderte Abschnitte, deren erster, bis
zur Invasion der Mongolen im Jahre 1274 reichende,
als die erste Periode der Hodsho bezeich-
net werden kann. Die Stichblätter dieser Zeit schei-
nen durchweg durchbrochen gewesen zu sein und
zwar so, dass sie wesentlich symmetrisch verteilte
heraldische Blumen zeigen, die entweder einzeln
in die Fläche geschlagen sind oder wenigstens
durch breite Stege gebildet werden. So im Louvre-
katalog das achteckige mit acht Wappenblumen
(Nr. 7) und dasjenige, dessen Rand durch zwölf
aneinander gereihte runde Wappen gebildet wird
(Nr. 8, auch im Versteigerungskatalog als Nr. 6),
alle ohne erhabenen Rand. Ob das mit den ge-
spaltenen und dann gekreuzten Bambusstäben, wel-
ches bereits naturalistisch reliefmässige Gestaltung
der Flächen zeigt (Louvre Nr. 9), und den ziemlich
roh behandelten reliefiertcn Fischen (Versteige-
rung Nr. 5) schon dieser Zeit und nicht erst dem
4) Alle Abbildungen sind der historischen Stichblattsamm-
lung entnommen, welche das königl. Zeughaus in Berlin seit
dem Beginn des Jahres 1902 besitzt. — Die Zeichnung auf
den Stichblättern ist stets so angebracht, dass die Spitze des
Schlitzes nach oben zeigt, wie dies dem Anblick des in den
Gürtel gesteckten Schwertes entspricht. Die Vorderseite ist
gewöhnlich daran zu erkennen, dass der Rand des Schlitzes
rauh gemacht ist. Sind daneben zwei kleinere Öffnungen an-
gebracht (für Kogai und Kösuka), so befindet sich die drei-
passförmige gewöhnlich rechts auf der Vorderseite. Brinck-
mann hat schon in seinem «Führer» darauf hingewiesen, dass
bei der Verzierung der Vorderseite, soweit dazu Veranlassung
besteht, die rechte Seite, bei der Rückseite die linke bevor-
zugt zu werden pflegt.
 
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