Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 36.1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.11737#0109
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Hofmann, Herbert: Wesen der Ornamentik
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INNEN-DEKORATION
91
JOS.VAGO
SCHRANK
IN LEDER-
INTARSIA
WESEN DER ORNAMENTIK
Es ist eine vielumstrittene Frage, welche psychischen
Vorgänge die früheste Ornamentik gebaren. War
es nur das Verlangen nach Schmuck, die Freude an der
Verzierung von Gebrauchs-Gegenständen, also eine
höhere Form von »Spieltrieb«, — oder sind die Ur-An-
regungen tiefer zu suchen, im seelischen Verhalten des
Menschen dem unbegriffenen Kosmos gegenüber? Haben
wir im Ornament nur eine Zierform oder den Ausfluß
eines künstlerischen, dunkle »Gesetze« verfolgenden
Triebes vor uns? Hier stoßen sich nicht nur zwei dia-
metral gegenüberstehende Kunsttheorien, sondern Welt-
anschauungs-Probleme .. Die Ornamentik ist die früheste
Kunst-Äußerung, die wir kennen, sofern wir nicht geneigt
sind, die reinen Formen von Gefäßen, Urnen und ver-
schiedentlichem Werkzeug mit dem Maßstabe der Kunst
zu messen. Sie ist in ihrer Abstraktion (und Abstraktion
war das Primäre) eine reine seelische Befreiung, die
Umwandlung seelischer Auseinandersetzungen mit dem
All in Form. Die nordische Ornamentik der Völker-
wanderungszeit gibt hierfür an Schnallen, Fibeln, Be-
schlägen usw. hervorragende Beispiele. Das Ornament
ist also — wie alle Kunst — formgewordene Ausein-
andersetzung des Menschen mit seiner Umwelt. Die
regelmäßige Wiederkehr der gleichen Formen, d. h. die
»Aneinanderreihung« oder Häufung ein und desselben
Motives oder mehrerer in sich verschiedener, unterein-
ander aber gleicher Motivgruppen, — ein weiteres und
wichtiges Merkmal des Ornamentes, will das Ergebnis
jener Auseinandersetzung verdeutlichen: daß ein eigener,
fester, seelischer Standpunkt gewonnen ist, eine Be-
ruhigung triebhafter innerer Kräfte, die einer Erlösung
und Zähmung bedurften. Es ist also die Erkenntnis von der
Notwendigkeit wirksam zu machender »Gesetze« in prak-
tische Tat umgesetzt worden, eine prinzipielle Begründung
alles Kunstschaffens — daneben die Offenbarung, daß
Kunst unabhängig von den Zufälligkeiten der Natur ist.
Die Geschichte des Ornamentes durch die Jahrhun-
derte hindurch bis zu den neuesten formalen Erschei-
91
JOS.VAGO
SCHRANK
IN LEDER-
INTARSIA
WESEN DER ORNAMENTIK
Es ist eine vielumstrittene Frage, welche psychischen
Vorgänge die früheste Ornamentik gebaren. War
es nur das Verlangen nach Schmuck, die Freude an der
Verzierung von Gebrauchs-Gegenständen, also eine
höhere Form von »Spieltrieb«, — oder sind die Ur-An-
regungen tiefer zu suchen, im seelischen Verhalten des
Menschen dem unbegriffenen Kosmos gegenüber? Haben
wir im Ornament nur eine Zierform oder den Ausfluß
eines künstlerischen, dunkle »Gesetze« verfolgenden
Triebes vor uns? Hier stoßen sich nicht nur zwei dia-
metral gegenüberstehende Kunsttheorien, sondern Welt-
anschauungs-Probleme .. Die Ornamentik ist die früheste
Kunst-Äußerung, die wir kennen, sofern wir nicht geneigt
sind, die reinen Formen von Gefäßen, Urnen und ver-
schiedentlichem Werkzeug mit dem Maßstabe der Kunst
zu messen. Sie ist in ihrer Abstraktion (und Abstraktion
war das Primäre) eine reine seelische Befreiung, die
Umwandlung seelischer Auseinandersetzungen mit dem
All in Form. Die nordische Ornamentik der Völker-
wanderungszeit gibt hierfür an Schnallen, Fibeln, Be-
schlägen usw. hervorragende Beispiele. Das Ornament
ist also — wie alle Kunst — formgewordene Ausein-
andersetzung des Menschen mit seiner Umwelt. Die
regelmäßige Wiederkehr der gleichen Formen, d. h. die
»Aneinanderreihung« oder Häufung ein und desselben
Motives oder mehrerer in sich verschiedener, unterein-
ander aber gleicher Motivgruppen, — ein weiteres und
wichtiges Merkmal des Ornamentes, will das Ergebnis
jener Auseinandersetzung verdeutlichen: daß ein eigener,
fester, seelischer Standpunkt gewonnen ist, eine Be-
ruhigung triebhafter innerer Kräfte, die einer Erlösung
und Zähmung bedurften. Es ist also die Erkenntnis von der
Notwendigkeit wirksam zu machender »Gesetze« in prak-
tische Tat umgesetzt worden, eine prinzipielle Begründung
alles Kunstschaffens — daneben die Offenbarung, daß
Kunst unabhängig von den Zufälligkeiten der Natur ist.
Die Geschichte des Ornamentes durch die Jahrhun-
derte hindurch bis zu den neuesten formalen Erschei-