Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

DOI Artikel:
Renner, Paul: Moderne Photographie: Theaterreportage von Trudy Fuld
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0028

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nstbiblioihek
tätliche Museen

Moderne Photographie

3. Theaterreportage von Trudy Fuld

Das Schlagwort Reportage spielt in der Diskussion
über moderne Kunst eine eigenartige Rolle. Ihm
liegt ein ganzer Haufen von schiefen und verbogenen
Meinungen zugrunde. Und es hat, was uns hier
besonders angeht, zu dem Glauben verleitet, daß
durch ein photomechanisch erzeugtes Bild die Wirk-
lichkeit treuer, objektiver dargestellt werde als durch
den Zeichner und Maler. Deren manuelle Verfahren
seien durch die Photographie übertroffen und somit
entbehrlich geworden.

Der Begriff der Reportage stammt aus der Literatur
und zwar aus dem Journalismus. Je unverschämter
von allen Parteien gelogen wird, um so verständ-
licher ist der Wunsch nach einer Zeitung, die nur
von Tatsachen berichtet. Aber so verständlich dieses
Verlangen nach objektiver Berichterstattung ist, so
darf man doch nicht meinen, daß sich die Wirklich-
keit selbst darstellen könnte, oder daß Reportage ein
neuerfundener Trick sei, mit dessen Hilfe man der
Schilderung die persönliche Farbe nehmen könne,
so wie man eine gefärbte Sonnen-Schutzbrille ab-
legen kann. Das materialistische Dogma, das im
Seelischen eine Art von blauem Dunst sieht, und
im Geistigen einen wenig reellen und ziemlich
windigen „ideologischen Überbau" über der eigent-
lich allein realen Materie, fordert eine mechanische
Technik der Wiedergabe, die es erlaubt, die Dinge
unmittelbar so zu sehen, wie sie sind, statt durch
das Medium individueller Auffassung und persön-
lichen Temperamentes. Vielleicht war es die Photo-
graphie selbst, die diesen naiven Wunsch eingegeben
hat. Denn auf den ersten Blick scheint es ja wirklich
so, als ob man im Lichtbild ein Verfahren entdeckt
hätte, durch das der unmittelbare Einblick in die
Wirklichkeit ermöglicht wäre. Man weiß, wie ge-
heimnisvoll, ja wie unheimlich die ersten Lichtbilder
auf den Menschen gewirkt haben. Einer unpersön-
lichen Kraft, dem Licht der Sonne, waren auf einmal
Bilder gelungen, die auch den größten zeitgenössi-
schen Malern Bewunderung abnötigten. Noch hat
niemand die Wirkung dieser Erfindung auf die Ent-
wicklung der Malerei in den letzten hundert Jahren
genauer untersucht. Sie ist größer, als man glaubt.
Schon Delacroix schreibt, er hätte ganz anders gemalt,
wenn dieErfindung der Photographie in seine Jugend
gefallen wäre. Die geistigeStruktur, die das allgemein-
gültige Weltbild — das Wort im eigentlichen Sinne
als das Anschaulich-Wahrnehmbare oder -Vorstell-
bare verstanden — vor dieser Erfindung hatte, ist
heute kaum noch zu rekonstruieren. Sie ist durch
die Photographie von Grund auf verändert, und die
bildende Kunst hat sich davon noch immer nicht
erholt. Aber gerade die Photographie selbst beweist
ja, daß es mit dem mechanischen Automatismus

einer Selbstdarstellung der Wirklichkeit nicht weit
her ist. DasTechnisch-Mechanische der Photographie
ist, wenn es gestalten soll, fast so hilflos wie die Hand
eines Blinden. Und das Subjektive, die persönliche
Färbung, macht sich ebenso geltend wie in der
Handzeichnun g. Obj ektivität ist eine geistige Leistung
und keine mechanische. Objektive Reportage über
einen Boxkampf oder ein Fußballspiel, etwa im
Rundfunk, objektive Berichterstattung über poli-
tische Ereignisse, Wahlkämpfe oder internationale
Verhandlungen, kommt nicht durch den Verzicht
auf das Persönliche zustande, sondern dadurch, daß
man die Berichterstattung der richtigen Persönlich-
keit anvertraut; einer Persönlichkeit, die größte per-
sönliche Erfahrung, Sach- und Fachkenntnis besitzt
und deshalb imstande ist, die chaotische Fülle der
Vorgänge zu überblicken und zu durchschauen und
das Bedeutsame und Entscheidende aus dem Un-
wesentlichen herauszugreifen. Denn die Wirklich-
keit ist ein dichtes Gefüge, in dem jede einzelne
Handlung, jede erkennbare Form, jede wahrnehm-
bare Gestalt mehr ist, als was sie unmittelbar an
und für sich ist; sie bekommt ihren Sinn erst durch
das, was sie bedeutet, was sie repräsentiert. Was
ohne jede Bedeutung ist, wirkt unverständlich und
sinnlos.

Darum könnte ein Nachrichtenblatt, das für völlig
objektiv, für politisch ganz unvoreingenommen und
unbefangen gelten wollte (wenn so etwas überhaupt
möglich wäre), niemals von einem politisch Neutralen
oder politisch Naiven redigiert werden, sondern nur
von einem sehr erfahrenen und weisen Politiker, der
jeden politischen Schwindel durchschaut. Und des-
halb wirkt auf der Bühne nicht der Laie wie ein
natürlicher Mensch, sondern im Gegenteil nur der
beste und begabteste Schauspieler. Die ahrheit ,
die „Natürlichkeit" ist bei jeder Art von Darstellung
das Ergebnis nicht der geringsten, sondern der
größten Kunst.

Die photographische Reportage hat in einer Zeit, in
der sich die Zeichner und Maler noch immer durch
ein Übermaß von Subjektivität ihr Daseinsrecht be-
weisen zu müssen glauben, eine große Bedeutung
und Verbreitung gefunden. Aber natürlich bildet
sich auch in der photomechanischen Reportage die
Welt nicht von selbst ab, wie sich ein Siegel ins
Wachs prägt, sondern die Objektivität der Reportage
ist um so überzeugender, je geistvoller der Reporter
ist. Das Problem kompliziert sich bei der photo-
praphischen Theaterreportage. Denn hier wird
künstlerisch schon Gestaltetes noch einmal zum
Gegenstand künstlerischer Gestaltung. Man hat be-
hauptet, so etwas sei grundsätzlich unmöglich, und
im allgemeinen wird ja auch der Maler als Gegen-

21
 
Annotationen