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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Van Gogh - Anekdoten, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0140

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Bedeutsame Neuerwerbung einer Antike durch das Neuyorker Museum

Dem Metropolitan Museum of Art in Neuyork ist
kürzlich eine der namhaftesten Bereicherungen des
amerikanischen Kunstbesitzes gelungen durch den
Ankauf, freilich gegen einen sehr hohen Preis, eines
hochbedeutenden Werkes aus der Frühperiode der
griechischen Skulptur. Diese Statue vom Apollon-
typ (s. Abb. S. 127) stammt aus der Zeit um 600
v. Chr., sie weist alle die Merkmale des archaischen
Stils auf, die wir vom berühmten archaischen
Apollo von Tenea der Münchner Glyptothek, den
beiden Apollonstatuen von Melos und Sunion in
der Athenischen Sammlung her kennen: die auf-

rechte Haltung und Frontalität, die wohl auf ägyp-
tische Kunsteinflüsse zurückgeht, die weit geöffneten
Augen, den vorgestellten linken Fuß, die an die
Seiten gepreßten Arme usw. Überraschend ist die
konventionelle Ausführung der Haare. Der ur-
sprüngliche Fundort — die Statue gelangte aus
einer Privatsammlung in das Museum — ist un-
bekannt, doch darf attischer Ursprung angenommen
werden auf Grund von Detailähnlichkeiten mit
Werken, von denen wir wissen, daß sie in Athen
entstanden sind. Geringe Spuren der ursprünglichen
Übermalung haben sich erhalten.

Van Gogh-Anekdoten

{Fortsetzung von Seite 113)

diese Armen können ihn nicht unterstützen und
Vincent sinkt in Elend und Krankheit. Bis ihn sein
Vater halb tot findet und ihn abholt. Aber hier in
der Borinage hatte Vincent seinen Gott verloren, denn
er schrieb darüber an seinen Bruder Theo: „Wenn
es Gott will, daß solche Schurken mich vertreiben,
die die Lehre beschmutzen und entheiligen, dann
will ich von dieser Religion nichts mehr wissen."

*

Alle spießbürgerlichen Hemmungen wollte Vincent
in Amsterdam beiseite werfen. Er gerät in die Ge-
sellschaft des leichtsinnigen Malers Mauve. Eines
Nachts befreit Vincent eine Dirne von einem Roh-
ling und nimmt die durch und durch kranke Frau
und ihre fünf Kinder bei sich, in einer armseligen
Bretterbude, auf. Die Dirne und Säuferin wird seine
Geliebte, sie steht ihm mit ihrem häßlichen Körper
Modell, sie hängt an ihm wie eine zahmeTaube und er
sorgt rührend für sie und die Kinder. In ihr malt
er das personifizierte Elend, die Schande, das Leid.
Sein Bruder Theo macht diesem skandalösen Ver-
hältnis ein Ende.

„Ich konnte nicht anders, ich tat, was meine Pflicht
ist' , sagt er zur entrüsteten Familie. Mit Tränen
scheidet er von der Frau. Später will er sie wieder
zu sich holen, nennt sie seine Mater dolorosa. Er
hatte ihr geschrieben: „Du bleibst in meinen Augen
immer gut'".

Nach den ersten epileptischen Anfällen und dem
Rasiermesser-Attentat auf Gauguin fand Vincent
wieder bei seinem Freund, dem Briefträger Roulin,
Buhe und Frieden. Frau Roulin sorgte für ihn,
Dr. Bey, der Arzt, betreute ihn und van Gogh malte
Sonnenblumen, jene wundervollen kreisenden Son-
nen wie große Fackeln. Er war glücklich und ge-
sundete an Körper und Geist.

Da traten die Nachbarn zusammen, sammelten Un-

terschriften in Arles und richteten ein Gesuch an
den Bürgermeister, in dem der verrückte Maler als
gemeingefährlich bezeichnet wurde. Der Kommissar
von Arles setzte Vincent hinter Schloß und Biegel,
versiegelte sein Haus und erst auf Betreiben von
Signac, Bruder Theo und dem Pastor wurde er aus
dem Kerker befreit und in die Irrenanstalt von St.
Remy gebracht. Vincent lächelte und sagte zu seinen
Freunden: „Nun gut, wenn ich hier Ruhe habe, dann
will ich gerne verrückt sein!'"

-*-

In Auvers sur Oise, nicht weit von Paris, lebte Vin-
cent unter der treuen Obhut von Dr. Gachet und
es schien, als sollte sich sein bedenklicher Zustand
zum Besseren wenden. Gachet war ein leidenschaft-
licher Sammler moderner Kunst, ein eigener, oft
närrischer Kauz, den Vincent für einen Irren ansah.
Einmal bringt Gachet seine neunzehnjährigeTochter
aus Paris mit. Van Gogh ist sofort verliebt in sie
und quält Dr. Gachet, sie malen zu dürfen. Der Arzt
gibt nach und Mademoiselle Gachet sitzt Vincent
Stunde um Stunde. Er läuft vor seiner Staffelei hin
und her, auf und ab, klext und klext mit Pinsel und
Spachtel, schwatzt vor sich hin und lacht das Mäd-
chen an:

„Ihr Auge ist eine große Weltensonne, rot sind die
Brauen, wie Wälder und die Augenlider blau wie
die Bäume . . . O diese große Sonne! '
Dem Mädchen wird unheimlich zumute. Es tritt
auf die Staffelei zu und sieht ein wirres Farben-
Bachanal. Sie will fliehen, aber Vincent hat Pinsel
und Palette weggeworfen, hält sie fest, küßt sie und
will sie zu Boden zwingen. Da betritt Dr. Gachet
das Zimmer; die Staffelei fliegt zu Boden und Vin-
cent entflieht.

Draußen, im Angesicht der Sonne, zwischem wo-
gendem Korn, das er gerne malte, schoß er sich ins
Herz, Otto R. Gervais

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