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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Briner, Eduard: Paul Bodmers Wandbilder im Fraumünster-Kreuzgang in Zürich
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Wolf, Georg Jacob: Zu Zeichnungen Alfred Kubins
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0356

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Legende von der Gründung des Fraumünsters Doch spricht eine innere Größe der Auffassung

willkommen sein mußte. Das Motiv der beiden aus diesen Y\ andbildern, die einem feinen male-

Königstöchter, denen ein Hirsch den Weg weist, rischen Realismus die Freskotechnik dienstbar

wurde in frommen Varianten abgewandelt: das machen. Auch bei den späteren Bildfeldern („Die

Gegenstück bilden die einprägsamen Zusammen- Taufe im Walde", „Das Martyrium der Zürcher

Ordnungen von Klosterfrauen und Engeln. Es fehlt Stadtheiligen") blieb trotz szenischer Bewegung

die monumentale Geste, der dekorative Linienzug. der stille Klang des Geschehens gewahrt.

Zu Zeichnungen Alfred Kubins. Von Georg Jacob Wolf

Es sind mehr als dreißig Jahre vergangen, daß mir stand, gehört nach seinem Bekenntnis zu den
Alfred Kubin zum menschlichen und künstlerischen reichsten seines Lebens. „Wenn später meine Be-
Erlebnis wurde. Die Begegnungen von Person zu Per- kanntschaft mit Klingers Frühwerk meinen äußeren
son sind selten geworden, seitdem Kubin zielbewußt Weg entschied, indem sie mich der Graphik zuwies,
die Einsamkeit erwählte und in seinem oberöster- war hier das Erlebnis ein ganz anderes: Es war
reichischen Schlößchen Zwickledt bei Wernstein etwas ganz eigenartig Vertrautes, TollesundHeiliges,
am Inn ganz sich selbst und seiner Arbeit lebt, tief Erregendes, was mir aber doch wieder so un-
fern der Großstadt, fern dem sogenannten „Kunst- endlich bekannt war und jede Saite meines Innern
Zentrum". Trotzdem ist mir Kubin als Mensch und ins Zittern brachte, wie niemals sonst der Anblick
Künstler wie ein Phänomen gefolgt, fern und doch eines Kunstwerkes früher oder später. Es ist nicht
innig vertraut, mir zur Seite durch Paradies und etwa nur das Gegenständliche, was mich bei diesem
Wüste, durch Strömungen, Richtungen und Moden Meister so anspricht, sondern vor allem das Ele-
der Kunst, durch geistige Wirrnisse, über kultu- mentar-Visionäre seiner Kunst, das aus dem Un-
relle Höhen und Täler hinweg, immer er selbst bewußten auftaucht und mit beinahe nüchtern
und doch in der Entfaltung über drei Jahrzehnte einfachen Handwerkermitteln die Flut der Gestal-
hin stets ein Neuer. ten wunderbar bändigt."

Blieb so auch der Grundton der Persönlichkeit der Mit diesen Worten charakterisiert Kubin sein eige-

gleiche, muß auch Kubins Ingenium als etwas nes künstlerisches Wesen, er umschreibt Sinn und

Naturgewolltes oder Gottgegebenes von Anbeginn Gehalt seines Schaffens.

her feststehend gelten, so gebrach es dem Künstler Ich rufe mir einige seiner Jugendwerke in die Er-
doch nicht an Entwicklung. Es ist ein weiter Weg innerung zurück. „Das Grausen" heißt eine dieser
von jener ersten Mappe, die Hans von Weber heraus- Zeichnungen: Vor dem Wrack eines Segelschiffes,
gab und die uns Kubins Schaffen um 1900 zeigt, das eine Welle turmhoch emporwirft, taucht der
bis zu Kubins rein graphischen Arbeiten, die Tod auf, ein Skelett, das nur bis zu den Schultern
der Sechsundfünfzigjährige heute noch mit dem den Wogen entsteigt und aus dessen einer Augen-
gleichen Temperament, wenn auch gereift in Welt- höhle, gleich einem anatomischen Präparat, ein
anschauung und in technischem Ausdruck und fest Auge herausquillt. Die „Todesstunde" trägt den
und sicher geworden in seinen Mitteln, vor uns gleichen visionären Charakter, nicht minder „Der
ausbreitet. Man verspürt an ihnen den Zuwachs Rebell", unter dem Nietzsche verstanden ist, „Der
an geistigem Gut und Gedankenfracht, man fühlt, Affe", „Fruchtbarkeit", und so auch das Blatt, das
wie die Stimmung allgemach beruhigter wurde wohl das bekannteste aus Kubins Frühzeit ist: „Der
und wie heute der Hauch um die Dinge, ihre Aura, Krieg". Dies ist ein Gesicht von gigantischer Wucht,
mehr als ihre Stofflichkeit ihn bewegen, wie er an dem der seinerzeit zur europäischen Sensation
Endgültiges, Abschließendes sagt, wo früher die gewordene „Krieg" Franz Stucks nicht gemessen
problematische Behauptung, die auch einmal den werden kann; erst die wild-krudelen Erlebnisse des
Beweis schuldig blieb und als Frühleistung schuldig Weltkriegs, etwa die Hölle von Verdun, haben die
bleiben durfte, stand. Heute würde man auch nicht Zeitgenossen Kubins diese grandiose Darstellung
mehr, wie es wohl vor dreißig Jahren geschah, des rücksichtslosen, unbarmherzigen, alles nieder-
Kubin in Beziehung bringen zu Rops und Beardsley; trampelnden Zerstörers und Vernichters verstehen
dagegen wird man jetzt klar erkennen-, was freilich gelehrt.

auch damals schon bestand, daß er in Bosch, Die Jahre gingen hin. der Krieg kam, Deutschlands

Breughel .und Goya erlauchte Ahnherren besitzt. Stern sank, die Jahre der Bedrückung und der Not

Was für Kubin übrigens gerade Breughel bedeutet, zogen ein. Da erkannte man, daß es um die Visio-

hat er in seinen offenherzig geschriebenen, ergrei- nen Kubins, denen er in seiner Kunst Ausdruck

fenden Lebenserinnerungen „Die andere Seite" er- gab, etwas Prophetisches gewesen war. Kubin war

zählt. Der Tag, an dem er im damaligen Wiener von sensibelster Reagenz auf die Außenwelt; er war

Hofmuseum vor den Gemälden des alten Breughel und ist im Grunde seines Wesens melancholisch ;

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