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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Ottmann, Franz: Thematische Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0316

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Thematische Ausstellungen

War es so. wie man's wünschen möchte: daß in
jeder Kunststadt eine ansehnliche Gemeinde von
Kunstfreunden das W irken der näheren und nächsten
Maler, Bildhauer. Architekten mit leidenschaft-
lichem Interesse verfolgt, jede neue Ausstellung mit
Spannung erwartet, weil man diese Künstler als
gültige Künder eigenen dunklen Fühlens empfindet
(der eine mehr diesen, der andere jenen) —, dann
brauchte man nicht von einer Ausstellungs-, einer
Kunstkrise zu sprechen. (Auch Ankäufe ergäben
sich dann von selbst.) Wäre es gar denkbar, daß
weite Volksmassen in solcher Weise am Kunstleben
teilnehmen, so wäre wohl schon ein idealer Zustand
erreicht. Y\ie es ist, müssen die Vereinigungen an
besondere „Attraktionen"' denken, durch die sie das
schleichende Interesse aufrütteln, Fühlung in mög-
lichst breiter Fläche gewinnen und so verfallen sie
immer wieder einmal darauf, durch ein gemein-
sames Thema dem allgemeinen Verständnis ent-
gegenzukommen. Solche Themen bieten sich ganz
ungezwungen dar: „ ReligiöseKunst", „DasPorträt",
„Die Romantik unserer Zeit'', „Das Kunstwerk
im Räume" (Dresden 1951), „Malende Dichter
und dichtende Muler" (Heidelberg. Osnabrück,
Wien 1931), „Der Bayerische Wald im Bild" (Nürn-
berg 1932), „Geheimnisse der Inspiration" (Mün-
chen 1932). In Wien in letzter Zeit: „Das Wiener
Kind", .-.■Die schöne Wienerin", „Der Tanz", „Das
Tier in der Kunst", „Die schöne Wand". Da lohnt
es wohl, einmal die Vor- und Nachteile solchen
Verfahrens gegeneinander zu stellen.
Der große Vorteil ist natürlich die Einheit des Ob-
jektes, von dem Strahlen nach verschiedenen Rich-
tungen auseinanderlaufen, ohne daß das Ganze aus-
einanderfällt. Im besten Falle verdichtet sich das
Gemeinsame, nach vielen Seiten gedreht und
mannigfaltig abgewandelt, zu einem durchdringen-
den Gesamteindruck, der auf eine wesentliche Kon-
stante im Künstler wie Beschauer, also im allge-
mein Menschlichen zurückführt. Jedenfalls wird
der lange vernachlässigten Bedeutung des Themas
an sich wieder Rechnung getragen.
Von dem vielen, was sich dagegen sagen läßt, wurde
manches an dieser Stelle gelegentlich der Ausstel-
lung „Die Ostsee im Bilde" (Lübeck 1931, Jahrg. 47,
S. 26 und 59) berührt. Auch Vorteile: „daß man
erneut die Frage stellen kann, wie weit etwa ein
Landschaftsthema durch die Behandlung von ver-
schiedensten Künstler - Individualitäten seinem
Wesen nach erschlossen zu werden vermag und
umgekehrt: wie weit ein Landschaftserlebnis stil-
bildende Kräfte in ganz bestimmter Richtung wach-
zurufen versteht". „Daß die künstlerische Hand-
schrift mancher jüngerer Maler von der Wahl ihrer
Motivemitbestimmtist" sprichtgleichfalls für solche
Zusammenstellung, umsomehr als heute „die Künst-
ler selbst aufmerksames Interesse für das Gegen-
ständliche ihrer Bilder fordern." Der allgemeine
Einwand geht vor allem dahin, daß es in aller Kunst
nur auf das Wie, nicht auf das Was ankommt und

daß durch solche thematische Gruppierung mehr
die Wißbegierde und andere außerkünstlerische,
z. B. kulturhistorische, literarische Interessen ange-
regt und genähit werden.

Natürlich hängt hier das meiste vom Thema, das
andere von der Durchführung ab. Es ist immer
schwer, ein solches zu finden, das nicht zu weit und
nicht zu eng ist — beides auch in Hinsicht auf die
vorhandenen Mittel und Kräfte. Ist es zu weit, so
zerfließt das Ganze. Erstreckt es sich gar über meh-
rere Jahrhunderte, so wird der Beschauer von Stil
zu Stil geworfen, kann sich nicht so rasch umstellen,
wird bald abgestumpft und es bleibt höchstens Neu-
gierde übrig. Obendrein stellt sich die Versuchung
ein, Ölbild und Graphik zu vermischen, was wohl
immer zu verwerfen ist. Und die andere: auf Niveau
zu verzichten um des kulturhistorisch Bedeutsamen
willen.

Je weiter das Thema gewählt wurde, desto wichtiger
ist eine geschickte Unterteilung, die das Ausein-
anderfliehende zusammenhält — nach Nationen
oder Epochen oder wie es sich sonst ergeben mag.
Am besten sind solche psychologische Einteilungs-
gründe, die spüren lassen, daß die Veranstalter ihr
Thema zu einer bestimmten These durchdacht
haben, daß sie etwas Bestimmtes damit sagen wollen.
So war es in der Wiener Ausstellung „Die Kunst
unserer Zeit" (1930, ähnlich einige Jahre vorher
„Das Antlitz der Zeit"), wo die Kunst als soziolo-
gisches Problem gefaßt war. Da sollte geradezu ge-
zeigt werden, daß „in der Kunst neben den. einem
breiten Publikum schwer zugänglichen rein künst-
lerischen Werten oder Unwerten auch noch andere
geistige Werte allgemeiner Natur enthalten sind
und enthalten sein müssen".

So aufgebaut stellt eine solche Ausstellung die Kunst
in ein viel dichteres Netz von Beziehungen hinein
— und da müssen wir das im Anfang Gesagte ver-
bessern: auch wenn die Kunst regster Teilnahme
sicher ist, sind solche Ausstellungen wünschenswert.
Neue Vorteile eröffnen sich: die einfache, markt-
mäßige Darbietung des Geleisteten wird wohltuend
durchbrochen, die Kunst in die Entwicklung ein-
gestellt, der Beschauer angeregt, ja gezwungen, sich
über vielerlei Erlebnisse Rechenschaft abzulegen,
wie es die Veranstalter getan haben. Die Teile einer
solchen Ausstellung stehen in einem innigen Zu-
sammenhange, den man geistig-organisch nennen
mag — und hier springt ein neuer Gedanke auf,
ein neues Problem : die Ausstellung als Ganzes wird
selbst zum Kunstwerke, sie folgt dessen Gesetzen
von Steigerung. Höhepunkt und Xiedergleiten, es
gibt spannende dramatische Momente, es gibt eine
Peripetie. Ein leider flüchtiges Kunstwerk, bestimmt
zu einer Selbstbesinnung und Gewissensprüfung,
einer Kunstbeichte, wo irrende Versuche freimütig
eingestanden werden: zu einer Sammlung der gei-
stigen Kräfte, woraus für Künstler und Beschauer
die fruchtbarsten Anregungen zu erwarten sind.

Dr. Franz Ottmaim

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