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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Die Handschrift des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0257

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B Kunstblbllothek
Staatliche Museen

Hermann Herter. Brunnen am Bullingerplatz, Zürich

Die Handschrift des Künstlers

Es ist eigentlich selbstverständlich, daß der Pinsel-
strich eines Malers in ähnlicher Weise das Wesen
seiner Kunst ebenso verrät, wie die Schriftzüge eines
jeden Menschen ganz bestimmte Rückschlüsse auf
den Charakter des betreffenden Individuums ge-
statten. Ebenso natürlich ist es, daß erst in dem
Zeitpunkt, da eine stärkere Individuierung des
Künstlers einsetzt, zunächst in dem Lineament die
Handschrift in ihrem Wesen deutlicher erkennbar
wird, vor allem aber seitdem eine Malerei aufkommt,
die nicht wie bisher den Pinselstrich möglichst ver-
hüllt, die Farben vertreibt, sondern im Gegenteil mehr
und mehr den unverschmolzenen Strich zur Gel-
tung bringt. Damit ist gesagt, daß wir eigentlich
erst von Giorgione und Tizian an die Malerhand-
schrift richtig verfolgen können. Aber gewisser-
maßen als Vorläufer verrät uns die Zeichnung auf
den Bildern eines Botticelli nicht minder viel, und
wie diese persönliche Handschrift des Malers ihn
deutlich von seinen Schülern, Nachahmern und
Kopisten unterscheidet, die fast nie sich in diesen
individuellsten, eingeborenen Ausdruck des Meisters
einfühlen können, so sehen wir auch deutlich den
Unterschied zwischen dieser einmaligen, lebendigen
Liniendynamik Botticellis und dem egalisierten,
monotonen Linienwerk der Gehilfen und Nach-
beter.

Die ganze Empfindsamkeit Botticellis verrät sich in
diesen auf- und abschwellenden Linien, in der Art wie
der Strich verklingt, wo ihn die Schüler eintönig
weiterführen. Selbstverständlich läßt die Strichfüh-
rung der Handzeichnungen aller Künstler ebenso

weitgehende Schlüsse auf das tiefste Wesen der
beireffenden Meister zu, bestätigt und ergänzt in
wesentlicher Weise, was die Pinselgebarung der
Betreffenden verät.

Die Zeichnung ist besonders da von größtem Wert,
wo die Malerei mit Absicht vertrieben ist, wie
bei dem jüngeren Holbein. Diese malerische Un-
durchdringlichkeit, die Kühle dieses objektivsten
Menschenbildners tritt uns noch stärker in den
Zeichnungen entgegen. Es ist derselbe destillierende
Geist, den wir bei Degas wiederfinden, diese No-
blesse, die bei Ingres monumentaler wirken will,
aber doch nicht die gleiche innere Spannweite
erreicht.

Raffael, dem man vielfach die Qualitäten als Tafel-
maler im Sinn eines malerisch fesselnden Meisters
abgesprochen hat, weiß in seinem Castiglionepor-
trät überraschend auch das rein Malerische so zu
meistern, daß man seine vornehme Gesinnung deut-
lich aus jedem Pinselstrich spürt. Vielfach ist
Raffaels Technik in seinen Staffeleibildern aufs
stärkste von der Freskomalerei beeinflußt. Er ist aber
auch in der Zeichnung — man beachte besonders
die Hände, die Nägel — weit weniger akademisch als
seine gestrengen Kritiker vielfach meinen. Fast
möchte man sagen, die Größe der Gesinnung des
Urbinaten verrät sich bis in die Gestaltung des
Fingernagels.

Das Faustische, ewig Probierende, ständig sich ver-
bessern Wollende im W esen Dürers verrät auch seine
dauernd wechselnde Technik als Maler. Nicht als
ob dies charakterlos wäre! Dieses künstlerische

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