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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Kubin, Alfred: Dämmerungswelten
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0362

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Alfred Kubin. Haus im Moor

Dämmerungswelten. Von Alfred Kubin

Das W esentliche über die bildende Kunst läßt sich
niemals in Worten ausdrücken. Ich habe über
technische Fragen an anderer Stelle geschrieben,
einmal auch über verschiedene merkwürdige Fälle
der Entstehung eines Bildes einiges mitgeteilt. Hier
möchte ich Allgemeines abgrenzen und über eine
Kunstübung berichten, die ich nun über ein klas-
sisches Menschenalter hinaus mit ausschließlicher
Leidenschaftlichkeit pflege. Also, nicht so sehr um
das Was der Darstellung noch um das Wie dersel-
ben handelt es sich hier, sondern um das Wer der
Persönlichkeit, in welcher diese Kunst verankert
ist.

Seit je fühlte ich mich bei meinem Schaffen trieb-
mäßig geführt, und bemerkenswerte Bewußtheit
darf dabei selten vorausgesetzt werden. Freilich
sammelte sich im Laufe der Jahre ein großer Er-
fahrungsschatz von Kniffen und Griffen an. der
mir zuvor oft mühsame Umwege ersparte und mil-
den reineren Ausdruck des Schwierigen, das ich
zeigen wollte, allmählich erleichterte. Indem ich
mich mit bedingungsloser Hingabe um die Dar-
stellung von tief Empfundenem oft quälte, gab ich
nur einer unerbittlich diktierenden Kraft nach,
gegen die mein bewußtes Ich sich oft eigensinnig
wehrte. Erst in den letzten Jahren erkenne ich ein
wenig klarer, daß es ein seelisches Zwischenreich

ist, eine Region der Dämmerwelt. was in mir nach
gültiger Gestaltung ringt. Meine Gebilde tragen
alle das Stigma dieses zwittrigen Dämmerbereiches,
doch ich kann nicht sagen, wie tief sie ihre Wur-
zeln in das allgemeine Leben senken. In besonde-
ren, klarer schwingenden Augenblicken überkam
mich wohl auch eine Ahnung, als ströme unter-
irdisch irgendein geheimnisvolles Fluid, das alles
Leben miteinander verbindet. Ähnliche Gedanken
finden sich sowohl in der östlichen als auch in der
westlichen Mystik, an gewissen Stellen auch bei
Nietzsche und bei Gottfried Keller ganz unzwei-
deutig. Auch einer der feinsten Denker, Jules de
Gaultier, vertritt eine Lebensanschauung, wonach
die seelische Veranstaltung, die das Schauspiel der
Welt geschaffen hat, sich gleichsam den Schwur
leistete, nie unter den Masken, die sie angenom-
men, sich selbst zu erkennen, um den Genuß des
endlosen Spiels des Unvorhergesehenen nicht ein-
zubüßen. Ich selbst habe in meinem schon 1908
geschriebenen illustrierten Roman ..Die andere
Seite'' (Verlag A. Langen & G. Müller, München)
auf bedeutsame, in dieses Gebiet gehörige Bezie-
hungen hingewiesen. Ja, man kann eigentlich
dieses Buch als eine Art Baedeker für jene, nur
halb vertrauten Länder benutzen. Jedenfalls war es
ein Zwang, der mir gebot, die vielen Blätter zu

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