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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Plesch, J.: Über Slevogt, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0224

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Jean Dunand. Büffel

Lack in grauen Tönungen

Über Slevogt

Gedanken und Taten des produktiven Menschen,
besonders aber die des schaffenden Künstlers, sind
nur dann von tiefster seelischer Wirkung, können
nur dann Ewigkeitsgeltung erlangen, wenn sie aus
reinem Herzen kommen. Einer der größten Ge-
hirnanatomen aller Zeiten, Griesinger, hatte den
Wahlspruch: ,.Große Gedanken kommen vom Her-
zen." Dieses Wort gibt uns den Schlüssel zum Erfolg
Slevogts. Was er dachte und was er malte, seine
kunstgebundene Phantasie und seine phantasiege-
bundene Kunst, beides entsprang seiner absoluten
Reinheit. Er hatte nie Hintergedanken, verfolgte
nie „Zwecke"; er sah in allem nur das Schöne. Er
kannte keinen Verdacht, kein Mißtrauen : und wenn
ihn etwas im Innersten kränkte, so war es die Ent-
täuschung, im Menschen oder Künstler etwas an-
deres erkennen zu müssen, als was er selbst war.
Daß er es überhaupt einmal erkannte, war selten
genug, so weit gingen seine kindliche Einstellung
gegenüber den Menschen und Dingen und seine
Weltfremdheit. Er kannte keine konventionellen
Werte: er sah immer nur das Ganze, den histori-
schen oder den Ewigkeitswert. Uber das Detail flog er
hinweg; ihm war das komplexe Denken und Schaf-
fen gegeben und was ist das anderes als künstle-
rische Intuition. Und so wenig Verständnis er für
das Alltägliche und Kleinliche hatte, so sicher war
sein Urteil im großen Geschehen. Aus Ludwigs-
hafen beim Malen seines letzten großen Werkes
schrieb er mir einen dringenden Brief: ich solle ihn
aus meinen anatomischen Kenntnissen darüber auf-
klären, wo der Lanzenstoß des Longinus den Heiland
getroffen haben könnte. Da auf den ersten Christus-
bildern diese Wunde fehlt und der Lanzenstich in
den späteren Abbildungen an verschiedenen Stellen
zu sehen ist, schöpfte Slevogt den Verdacht, daß die

Longinus-Legende erst später entstanden sei. Die
Kirche benötigte für die Auferstehung die unbe-
dingte Sicherheit des Todes. So ist bei dem Fehlen
jeglicher authentischer Angaben über den Lanzen-
stich Slevogts Zweifel durchaus verständlich. Auf
keinen Fall aber konnte die Verwundung sich da
befinden, wo die meisten Künstler die Wunde ge-
zeichnet haben. Denn wenn schon Longinus das
Herz nicht einfach von links durchbohrt hat. so
hätte er, um das Herz zu treffen, die Lanze beim
Stoß von rechts so tief unter den Rippen ansetzen
müssen, daß die Haut sich nicht mit der inneren
Rippenwunde decken konnte; zudem wäre diese
durch das Zusammensinken des Körpers am Kreuz
in den dabei unweigerlich sich bildenden Hautfalten
unsichtbar geworden. Die Wunde des Heilands ist
also in vorderer Ansicht nur andeutungsweise dar-
zustellen: und so geschah es, daß Slevogt den Gna-
denstoß überhaupt nicht dargestellt hat.
Es ließe sich noch vieles dafür anführen, daß dieser
gütige, kindlich reine, im Leben so leicht beeinfluß-
bare Mensch, wenn es ihm die Kunst galt, bis in das
Äußerste starr und hartköpfig blieb, ohne auch nur
die geringste Konzession zu machen. Seine völlige
geistige Unabhängigkeit und sein persönlicher Be-
kenntnismut zeigte sich einmal sehr schön in einem
Gespräch mit Lunatscharski. Ich hatte anläßlich des
Besuches des russischen Volkskommissars in Berlin
eine Beihe von Künstlern und Wissenschaftlern ein-
geladen, darunter auch Slevogt. Wir saßen in eifri-
gem Gespräch, das sich bald um die russischen Ver-
hältnisse drehte. Plötzlich wurde die Frage an Luna-
tscharski gerichtet, was denn eigentlich das Thema
der modernen russischen Kunst sei. Ohne zu zögern,
antwortete er: „Natürlich die Verherrlichung der
Sowjet!" Da richtete sich Slevogt, der bis dahin

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