Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

DOI Artikel:
Plesch, J.: Über Slevogt, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0225

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
B Kunstbibliothek
Staatliche Museen

schweigend zugehört hatte, ein wenig
auf, sah den russischen Gast kurz aber
durchbohrend an und sagte dabei nur:
„Na, dann sind Sie ja dort, wo wir un-
ter Kaiser Wilhelm II. waren!" —
Die Starrköpfigkeit Slevogts bedeutete
aber nun nicht seine völlige Unzugäng-
lichkeit gegenüber der Kritik. Viel-
mehr war er froh, wenn man ihn auf
Fehler aufmerksam machte. Verstieg
i sich aber die Kritik so weit, etwas an
seiner künstlerischen Art oder Auffas-
sung zu bemängeln, dann ging sie ihm
nicht nahe; da hatte er höchstens ein
mitleidiges Lächeln oder ein tiefes Be-
dauern für den Kritiker und seine Ver-
ständnislosigkeit.

*

Wie es uns allen ergeht, wenn wir an
einem Werk arbeiten, das sich aus vie-
len Teilen zusammensetzt, so hat auch
Slevogt vor gewissen Aufgaben Angst
gehabt. Seine Illustrationen vor allem
sind selten in der Reihenfolge entstan-
den, wie sie uns heute vorliegen, son-
dern wurden von ihm je nach Lust und
Laune, ohne jeden Zusammenhang un-
tereinander, geschaffen. Bei den ver-
schiedenen Blättern zum ..Faust" wollte
er lange Zeit nicht an das Titelblatt
herangehen. Als nun der einzige Sohn
an einer Blinddarmentzündung er-
krankte und plötzlich auf Leben und
Tod operiert werden mußte, überließ
Slevogt dem Arzt alle Anordnungen.
Mit einem kurzen ,.Ja" willigte er in
die Operation ein und, wie es seiner
Natur entsprach, ließ er den, der sein
Vertrauen besaß, schalten und walten.
Er wußte, das Mögliche wird gesche-
hen. Bevor ich den Jungen ins Sanato-
rium brachte, gab ich Slevogt, um ihn
von seinen Sorgen abzulenken, bittend
die Aufgabe, das noch fehlende Titel-
blatt zum Faust zu zeichnen. Er setzte
sich auch wirklich an die Arbeit, und
als ich nach gelungener Operation wie-
der nach ihm sah, da fand ich ihn. mit-
ten in der Nacht, noch zeichnend am
Tisch sitzen, vor sich die Tafel mit der
uns heute allen bekannten fast fertigen
Zeichnung. Es war eine warme Som-
mernacht, die Fenster standen weit
offen, und da lagen verschiedene Blatt
Papier vom Zugwind hinunteigeweht.
auf der Erde; zwischen ihnen auch ein
halbfertiges, das ursprüngliche Titel-
blatt. Ich hob es auf und fragte Slevugt.
weshalb er nicht dieses Blatt verwen-
det habe. Da erzählte er mir, es sei ihm
durch einen Windstoß von der Tafel
gerissen worden, anstatt aber aufzu-

Jean Dunand. Bäume

Lack, Ocker auf goldenem Grund

Kunst f. Alk. Jahrg. 48, Heft 7. April 1983

209
 
Annotationen