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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Birkenbihl, Michael: Plastische Arbeiten von Mauritius Pfeiffer
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Riedrich, Otto: Nationale und internationale Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0164

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schnitztechnisch interessante weibliche Figur im
Eibseehotel ist. Diese allgemeinen Erörterungen
waren nötig, um in den Charakter der Arbeiten ein-
zuführen, die heute zur Besprechung stehen.
Da ist zunächst die glückliche Lösung zu erwähnen,
die er für die Staatliche Majolika-Manufaktur Karls-
ruhe in einer Serie von 10 Tischfiguren fand. Die
Vase als Dekorations- und Zweckstil tritt uns hier
in sehr origineller Form entgegen. Pfeiffer wählte
die Vertreter und Vertreterinnen der fünf Erdteile
als reizende Blumenträger. Das schöne warme Braun
des Scherbens verbindet sich mit einer diskreten,
aber frischen Bemalung zu effektvoller Harmonie.
Neben dem Bewegungsproblem war es besonders
das Rasseelement, wras den Künstler bei diesen Ma-
joliken interessiert hat. Als eine lebendige drei-
dimensionale Plastik erscheint der Mohr, der als
Piccolo Kaffee serviert. Sehr hübsch kontrastiert die
gelb und grün gestreifte Jacke mit der mattgrauen
glänzenden Glasur des Beinkleides. Das Leben, das
Pfeiffer gerade den unteren Extremitäten zu geben
weiß, kennt man ja schon aus seinen durchaus mo-
dern empfundenen Porzellanplastiken (Oktoberheft
1920 dieser Zeitschrift). Wie man eine Großplastik
kunstgerecht in eine Kleinplastik übersetzt, zeigt
das Bübchen mit Pferd, dessen Leitmotiv die Darstel-
lung des Naiv-Jugendlichen, seelisch Verbundenen
in Mensch und Tier ist. Aus seiner Verbundenheit
mit dem bayerischen Stammescharakter heraus ent-
springt bei Pfeiffer die Vorliebe für Madonnenfigu-
ren. Während bei der neuen Keramik der obere Teil
der Figur die alte bayerische Linie der Madonnen-
plastik fortsetzt, ist der untere Teil durch die aparte
Behandlung des Faltenwurfs durchaus neuartig. Die

Idee der Figur war, das Liebliche in der Mutterschaft
besonders herauszuheben. Eine andere Madonna im
gleichen Material ist ergreifend durch die Schlh ht-
heit des Vergeistigten einer einfachen Frau aus dem
Volke. Straffer in der Haltung zeigt diese Figur die
neueste, herber gewordene Auffassung Pfeiffers. Der
schalkhafte Humor und die Kraft, die Physiogno-
mie, den rundlichen oder schlankeren Typus, sowie
das Kostüm zu einer einheitlichen überzeugenden
Charakteristik zusammenzufassen, tritt an zwei
Glockenspielen zutage. Ein Kabinettstück intimer
Kleinkunst ist die Familienkrippe, die Pfeiffer ge-
schnitzt hat. Jedes Stück ist mit besonderer Liebe
geschaffen, vereinigt die wirkungsvolle Kompositinn
doch um das liebliche Gotteskind diejenigen, die
dem Herzen des Künstlers am nächsten stehen : seine
Gattin und seine zwei prächtigen Kinder. Von wun-
derbarer Zartheit und Anmut ist die Madonna, die
sich in verehrender Kontemplation über das Kind
neigt. Wieviel seelischer Ausdruck liegt allein in
den feinen, vergeistigten Händen! Und wie reizvoll
in ihrer echten Kindlichkeit sind die zwei kleinen
Hirten! Eine ausgesprochen individuelle Note er-
hält das Werk durch die feierlichen langen Linien
der Draperien, die in der groß behandelten Gewan-
dung immer wiederkehren: am edelsten ist ihre
Schönheit in dem Kleide der Mutter. Ein effekt-
voller Kontrast wird in den anmutigen Figuren-
kreis getragen durch die herbe, um nicht zu sagen,
derbe Physiognomie Josephs, der einzigen mensch-
lichen Figur der Krippe, die kein Familienporti ät
enthält. Die warme Tönung des Birnbaumholzes
verstärkt noch den intimen Reiz der harmonischen

Gesamtwirkung. Prof. Dr. Michael BirkenbiM

Nationale und internationale Kunst

(Fortsetzung von Seite 136)

Diese Entwirkung wird deutlich durch den Stil-
charakter eines Zeitabschnittes. Jede Stilart derVer-
gangenheit hat wohl Grundformen, die dem all-
gemeinen Wesen des Zeitabschnittes gemäß sind.
Wenn diese Formen aber bei den einzelnen Völkern
untersucht werden, lassen sich Verschiedenheiten
in der Gestaltung erkennen, die die Eigenart jedes
Volkes, ja, im Volke selbst wieder die Eigenart jedes
Stammes kennzeichnen.

Die Grundlagen des Seelischen sind also bei allen
Völkern gleich, wie ja auch die seelische Entwir-
kung in den Grundlagen des Körpers bei allen
Menschen gleich ist. Aber wie mannigfaltig ist doch
die letzte Formung des Menschen in seiner feineren
Oberflächen-und Gesichtsbildung. Rassenmerkmale,
\ ölkermerkmale und Stammesmerkmale werden
deutlich im Stamme erkennbar, Familieneigentüm-
lichkeiten und in der Familie das Wesen der Einzel-
persönlichkeit. Uberall ist für den, der zu lesen und
zu fühlen versteht, das tiefste, geheimnisvollste
Walten in uns erkennbar.

Die Formen, in denen eine Zeit ihren erhabensten

Ausdruck findet, sind also vom Charakter eines
Volkes abhängig, der in engster Beziehung zu seiner
Umwelt steht.

Aus dem hier Mitgeteilten wird deutlich, daß die
Begriffe national und international in der Kultur,
ausgedrückt in der Kunst, nichts zu tun haben. Wo
sie bewußt Geltung haben sollen, entsteht einerseits
eine Tendenzkunst, andererseits das aus der Zahl
hervorgegangene technische Gefüge. W enn ein
Mensch Künstler, d. h. Schöpfer, sein will, dann kann
er es nur sein, wenn er aus dem Tiefsten seines
Wesens schafft und seine Eigenart zu möglichster
Klarheit und Vollkommenheit zu bringen sucht. Das
Werk wird Maß und Bedeutung im Sinne der Werke
aller bedeutenden Völker haben und vollendeter Aus-
druck seiner Zeit und seines Volkes sein.
Aus großen kosmischen Beziehungen, die im Seeli-
schen des Menschen ihren Ursprung haben, wachsen
die großen Kunstwerke, sie entwirken sich in der
Welt des Sichtbaren, die unendliche Mannigfaltig-
keit aufweist.

Otto Riedrich

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