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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Böttcher, Otto: Unbekannte Werke von Phillip Otto Runge
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Ehrlich, Georg: Über Porträtplastik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0299

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Runges Persönlichkeitsbegriff schwingt stets das
religiöse Moment mit. Der humanistische Persön-
lichkeitsbegriff der italienischen Renaissance mag
hier nachklingen1,1, aber dennoch geht Runge über
ihn hinaus, indem er den scharfen Gegensatz zwi-
schen Natur und Geist nicht kennt: die freie Ent-
scheidung des Menschen über seine Handlung nicht
vom Menschen allein, sondern auch von Gott mit-
bestimmt sein läßt. Der Mensch ist den Romanti-
kern eine belebte Polarität von Freiheit und Un-
sterblichkeit; aber stets mit der Bezogenheit auf
Gott. Ein subjektiv individuelles Porträt ist hier
gemeistert, nie ein objektiv individuelles im Sinne
der Renaissance. Der Renaissancekünstler1) versucht
seine Phantasie über die Erkenntnis der Naturnot-
wendigkeit zu klären, sie zu objektivieren, Runge
gestaltete das Porträt zur Darlegung seiner subjek-
tiven Ansicht über den Menschen. Der Kopf des
Vaters ist die Repräsentation der Zeit, aber nicht
auf Kosten der individuellen Form, des individuellen
Ausdrucks. Totalität und Individualität vereinigen
sich hier.

Runge hat im Porträt stark mit den seelischen Wer-
ten gerechnet, die er durch die kontinuierlich ab-
laufende Innenmodellierung erlangt, aber dennoch

*) E. Cassirer: Individuum und Kosmos, Leipzig 1927,

hat er bei diesem Ideal nie die äußere Form miß-
achtet, ihren ornamentalen Zug verneint. Das
Individuum als solches bleibt mit Vorzügen und
Mängeln gestaltungsberechtigt. Trotzdem liegt eine
Spannweite zwischen der realen Welt und dem
künstlerischen Werk, zwischen dem Porträt und
dem Beschauer. Wir beharren stets in einer inneren
Distanz zum Porträtierten, nie erraten wir dessen
letzte Geheimnisse. Das Wirken der inneren Distanz
erhebt den Porträtierten über das Alltägliche, durch
die Gestaltung sind die Bildnisse aus dem Neben-
einander herausgelöst und zum künstlerischen und
individuellen Ausdruck von erhabener innerer Di-
stanz zum Alltag und damit zum Beschauer
geworden.

Runge versucht ohne Pendanterie das Wesenhafte
des Menschen in schlichter Repräsentation fest-
zuhalten und erlangt hierdurch einen neuen Typus.
Gerade im Porträt ist Runge der Neuschöpfer, hier
greift er über die Zeit hinweg und wird der Weg-
weiser für das Porträt der Biedermeierzeit.
Die Treue und die Überzeugung „von dem unend-
lich fortschreitenden Vermögen des menschlichen
Geistes" und der Glaube, ,,daß Gott über alle Zeit
und unabhängig von der Zeit die Seele berührt, die
ein Einfluß von ihm selbst ist'", beseelt die Dar-
gestellten und den Künstler. Dr. Otto Böttcher

Über Porträtplastik

(Fortsetzung aas dem letzten Heft)

Die intuitiv gefundene Form hat nicht nur der
Künstler mit seiner ganzen Kraft vor sich zu ver-
antworten, er muß sie auch vielfach gegen das Ver-
ständnis der Menschen durchsetzen. Ich habe oft
bemerkt, daß diese Form, da sie Umsetzung in
Plastik ist, also intensivere Formung, als das
menschliche Objekt sie besitzt, bei dem Porträtierten
und seinen Freunden auf W iderstände stieß. Ich
glaube, daß in jeder Porträtplastik der Ewigkeits-
gedanke enthalten sein muß ; daß also dieses Stück
festgehaltenen Lebens einer stärkeren Formumset-
zung, also einer Steigerung (Intensivierung, aber
nicht Verzerrung!) der Naturformen bedarf. In
jedem Porträtierten, gleichgültig welcher geistigen
Einstellung, ist aber der kindliche und schöne
W unsch, ähnlich zu sein. Wenn nun der Künstler
seiner Formgebung nicht vollkommen sicher ist,
schwankt er und findet den naturalistischen Aus-
gleich.

Ich glaube — da ich schon über das Thema „ähn-
lich" gesprochen habe —, daß eine stark synthe-
tische Plastik, die eine selbstverständliche, künst-
lerische Form hat, auch bei fremden Leuten,

d. h. auch bei Leuten, die den Porträtierten nicht
kennen, den Eindruck von Ähnlichkeit erweckt.
Mir geht es wenigstens so, daß ich z. B. bei einem
römischen Porträtkopf, einer Donatello-Porträt-
plastik oder bei einer Rodinbüste den Eindruck
habe, daß sie vollkommen ähnlich gewesen sein
müssen.

Der größte Vorzug einer Porträtplastik liegt aber
darin, daß sie auch abseits von der Ähnlichkeit vor
allem eine gute Plastik, daß die Form groß und
einfach ist, monumental im geistigen Sinne, da sie
den Ewigkeitsgedanken in sich tragen muß.
Die Durchführung muß das Organische (wie Hören,
Riechen, Sehen) zum Ausdruck bringen und die
subtilsten, individuell intimen Schwingungen in
plastischer Form zeigen. Dies mit der großen
Form in Einklang zu bringen, erfordert bei mir
eine große Anzahl von Sitzungen. Glücklich bin
ich erst, wenn möglichst viele dieser intimen Wir-
kungen im Kopf enthalten und durch große Form
in Ruhe gebunden sind. Hier ist ein erstaunliches
Resultat in wechselndem Lichteinfall zu beobach-
ten: die Plastik lebt.

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