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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Wilm, Hubert: Neue Arbeiten von Ferdinand Liebermann
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Linde, Franz: Wilhelm Kohlhoff
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0203

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und das scheint mir das Bewundernswerteste, viel
mehr als alle anderen Gestalten des Künstlers der
irdischen Schwere entrückt, sind körperlich ge-
wichtlos geworden und daher ein reiner, geläuterter
Ausdruck geistigen Wollens.

Ist es nicht so, daß wir Deutsche immer und überall
unter der verhängnisvollen Schwere unseres Blutes
leiden, daß — rein geistig genommen — unser all-
zugroßes spezifisches Gewicht den emporstrebenden
E lugschöpferischer Tätigkeit oft allzusehr mit Hem-
mungen belastet? Der Bildner, der mit seinen Hän-
den die plastische Gestalt formt, hat unter dem ver-
hängnisvollen Zwiespalt, zu dem sorglose Schaffens-
lust und quälendes, grübelndes Denken sich einen,
am meisten zu leiden.

Liebermanns Schaffen ist schlechthin typisch für den
ewigen Kampf um die Uberwindung dieses Zwie-
spalts. Vor seinen Gestalten ahnt man zuweilen
blitzartig, daß alles heiße Bemühen des Künstlers
nicht allein der Gestaltung der Form gelten muß,
sondern dieser anderen, viel mühevolleren, auf-
reibenderen Anstrengung, die unerbittlich fordert:
die menschliche Form ihrer Erdenschwere zu ent-
kleiden, ihr die Schlacken der Materie zu nehmen,
sie zum Instrument, zum Träger einer Idee zu
machen.

Die Bronzefigur der Städtischen Lenbachgalerie in
München, die vom Künstler den Xamen „Intuition"'
erhielt, ist reiner Ausdruck dieses geistigen Wollens:
in gotischer S-Linie zaghaft gebogen, rankt sich der
Mädchenkörper empor; der Oberkörper flieht seit-

lich zurück, so daß dem Beschauer von dem Kopf
nichts als die traumhaft verlorene Linie des Profils
sichtbar bleibt. Der schlanke Körper, von einem
hauchartig dünnen Gewand überweht, bietet sich
frontal dar. Es ist, wie so oft bei Liebermanns
Mädchengestalten, ein knabenhafter Körper mit
schmalen Hüften und breiteren Schultern, dessen
entscheidender Ausdruck in der Gebärde der Arme
liegt.

Als Motiv naturalistischer, in der Ausführung aber
weit darüber hinaus ins Typische gesteigert, ist die
weibliche Figur, die den Namen „Abwehr" trägt.
Wieder dieser hektisch schlanke Körper mit den un-
wahrscheinlich schmalen Hüften, den breiten Schul-
tern, dem zierlich kleinen Kopf; wieder die entschei-
dende Bewegung in der Gestaltung der Arme.
Ganz anders, blutvoller und glutvoller und doch
Ausdruck einer bestimmten geistigen Zuständlich-
keit ist dann der edle weibliche Bronzekopf, Bildnis
der Frau Oberbürgermeister Dr. Buhl in Hof. Die
charakteristischen Formen dieses Kopfes sind ganz
wie mühelos, mit rascher, eilender Hand zu einem
großen und klaren Bild zusammengefaßt; prachtvoll
die großen Augen, die klare Kurve der Brauen, der
edle Schwung des halbgeöffneten Mundes, der die-
sem Kopf eine unbeschreiblich lebendige, atmende
Körperhaftigkeit verleiht. Von der fliehenden Stirne
sinken in schweren Locken die reich bewegten
Haare hernieder, kostbarer Bahmen für dieses Ge-
sicht mit dem ins Seherische gesteigerten Ausdruck,
der mir unvergeßlich erscheint. «Hubert wflm

Wilhelm Kohlhoff

Während des Krieges hat Wilhelm Kohlhoff begon-
nen zu malen, Landschaften und Figürliches. 1917
hat er das erstemal in der von Liebermann gelei-
teten Secession ausgestellt und starken Erfolg gehabt.
Wir haben alle die Bilder aus der Zeit unmittelbar
nach dem Kriege in Erinnerung, diese ausdrucks-
starken, leidenschaftlichen Visionen eines von der
Zeit und allem Geschehen aufgewühlten Menschen.
Die Titel wie „Verzückung'", „Verführung'" besagen
schon die geistige und seelische Haltung des Malers,
der sich charakteristischerweise damals für Dosto-
jewski begeistert hat. Aber welche Wandlung hat
sich seitdem vollzogen! Die unerhört starke Wand-
lung des Expressionisten zum Maler des Lichts, der
Freude!

So hat sich auch seine Palette gewandelt. Sie ist
immer heller und leuchtender und strahlender ge-
worden. Das Seelische ist untergetaucht in der
Freude am Dasein, am Leben, an den Erscheinun-
gen. Aber hat diese Lebensdarstellung das Visionäre

verloren? Ist Kohlhoffs Welt nur die des äußeren
Scheins, die Freude an den Erscheinungen bekundet,
an Licht und Sonne, an Landschaften und Straßen.
Hafen und Plätzen? Gewiß, bald sehen wir den
Berliner Dom, das Schloß, die Börse, Ansichten von
Paris, von Südfrankreich, Bilder aus Spanien. Aber
sind diese Landschaften, die alle vor der Natur ge-
malt sind, wie er selbst sagte,nicht doch noch visionär
geschaut? Ist seine Malerei nur erweiterter Impres-
sionismus? Die Natur lebt ganz gewiß sehr stark in
seinen Bildern. Aber zugleich blüht das Naturhafte
auf in den Visionen des Künstlers. Er beweist es
uns, daß es nicht nur den Expressionismus des Leids,
der Verzückung, der Klage und Verzweiflung gibt,
sondern auch den der Freude, des Glücksgefühls,
im Dasein zu sein, zu leben.

Seine Malerei ist interessant. Sie erheitert und er-
freut. Vor allem ist es Malerei. Die feste, herbe
Linie ist diesem sprühenden Temperament unsym-
pathisch. Will er graphisch arbeiten, wählt er

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