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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Friedrich, Paul: Musikalische Griffelkunst: zu Max Klingers "Brahms-Phantasie"
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0282

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Musikalische Griffelkunst. Zu Max Klingers „Brahms-Phantasie

1766 erschien Lessings Laokoon. Lessings dialek-
tischer Verstand schuf für das ausgehende 18. Jahr-
hundert eine rationale scharfe Trennung zwischen
der bildenden Kunst und der Poesie. Etwa 100
Jahre später schuf Richard Wagner sein „Gesamt-
kunstwerk der Zukunft'", das Poesie, Musik, Schau-
spielkunst, Architektur zu einer Einheit zusammen-
schließen sollte. Lessing kämpfte besonders gegen
den Grundsatz des Schweizers Breitinger, „daß die
Poesie eine redende Malerei, die Malerei eine
stumme Poesie sei". Die nachfolgende Zeit hat sich
diesen befehdeten Anschauungen wieder im stärk-
sten Maße angenähert. Ich brauche nur an die
„Programmusik" vom Ausgang des vorigen Jahr-
hunderts zu erinnern. Mit besonderer Bewunderung
wurde das Hammelblöken in Richard Strauß' sin-
fonischer Dichtung „Don Quichote" zitiert.
Die Musik hat sich im 19. Jahrhundert ausschließ-
lich, ich möchte behaupten, den ersten Platz unter
den Künsten erobert. Man braucht nur an die rau-
schenden Triumphe Richard Wagners zu erinnern
oder Kalbecks Brahms-Biographie zu lesen, deren
viele Seiten mit immer neuen Konzerterfolgen und
Applausstürmen angefüllt sind.

Die Dichtung konnte, nachdem sie sich von dem
Joche der Vernunft freigemacht hatte, einer mehr
oder weniger starken Plastik nicht entraten, um so
mehr, je wirklichkeitsnäher sie wurde. Die Lebens-
echtheit und Rundheit Hauptmannscher Figuren
aus seinen früheren Werken wird auch von denen
gerühmt, die für die spätere Entwicklung dieses
Dichters nicht viel übrig haben. Am Ende des
19. Jahrhunderts war das große Wort der Poesie
,,Stimmung". Damit wurde in die Lyrik eine aus-
gesprochene, betonte Musikalität hineingetragen.
Wie verhielt es sich mit der bildenden Kunst?
Durch die deutsche Romantik um 1800 bekam sie
eine seelische Verinnerlichung, die man als fromme
Einfalt und Sehnsucht bezeichnen kann. Friedrichs
große Monumentallandschaften sind Klopstocksche
Oden in Farben. Moritz von Schwind ist in seinen
Märchen-Darstellungen so lyrisch wie Eichendorff
und stark musikalisch. Mit dem Ende der roman-
tischen Periode erstarrte die bildende Kunst im
Rein wirklichen, bis durch die französischen Im-
pressionisten die Starrheit der Raumformen auf-
gelockert und in luminöse Licht- und Schatten-
wirkungen aufgelöst wurde. Obgleich die bildende
Kunst dadurch atmosphärisch-transparent wurde,
war sie doch in keiner Weise musikalisch. Erst der
gewaltige Spätromantiker Böcklin beseelte wieder
das Stoffliche und die Luft und in seinen Gemälden

Die .,Brahms-Phantasie" gehört zu den großen Seltenheiten des gra-
phischen Kunstmarktes. Es sind jedoch beim Verlag der großen
Radierfolge der Firma Amsler & Ruthardt, Berlin Behrenstraße,
fünf der bildlichen Darstellungen, nämlich ..Titanenkampf", „Evoka-
tion", „Der befreite Prometheus", -Entführung des Prometheus-',
„Akkorde", in großen Handkupferdrucken zum Preis von 7.20 RM.
pro Stück erschienen.

sieht man die Harfe schlagen, die Geige spielen und
Tritonen auf der Meermuschel blasen. Aber er malt
mehr die Musik als Motiv, als daß seine Malerei
selbst stark musikalisch wäre. Menzel war als einer
der größten Musik-Enthusiasten bekannt. In seinen
Kunstwerken merkt man von dieser Musikalität,
wenn man von dem äußerlichen Motiv des „Flöten-
konzerts" absieht, so gut wie nichts. Für ihn waren
echt lessingisch die beiden Künste in ihren Aus-
wirkungen völlig verschieden.

Max Klinger ist der erste Maler und Graphiker, der
das Musikalische in der bildenden Kunst zu einem
der Hauptinhalte neben dem denkerisch Philoso-
phischen gemacht hat. Seine musikalische Bega-
bung als Mensch geleitete sein ganzes Leben von
einer großen Erscheinung zur andern. Mit den über-
mütigen „Davidsbündern" von Robert Schumann
begann seine Liebe; ohne Bruch und Sprung über-
trug sie sich auf Schumanns größten Schüler, Jo-
hannes Brahms, dessen nordische, schönheitsselige
Schwermut Klingers Ernst und Tiefsinn lag. Später
wurde Max Reger Klingers Freund. Wenn auch
Beethoven für Klinger der Gipfel der neueren Musik
blieb und der Schöpfer der Neunten Symphonie
für seine Bildhauerphantasie nur in der Form eines
thronenden Jupiters eine seiner würdige Gestaltung
finden konnte, so blieb das Schwingende, Melancho-
lisch-Unerlöste, manchmal Vergrübelte, dann wieder
Aufjauchzende der Brahmsschen Melodik für ihn
eine unergründliche Fundgrube seiner zeichneri-
schen Phantasie. Bei keinem anderen Komponisten
konnte diese Dichterdenkernatur so träumen und
komponieren. Darum waren es keineswegs äußere
Gründe, die Klinger zur Schöpfung seines Haupt-
radierwerkes, der grandiosen „Brahms-Phantasie"
führten, sondern es war der musikalische LTgeist
in ihm, der Johannes Brahms in seiner Ausdrucks-
form das wiedergab, was der Wiener Meister ihm
unerschöpflich reich geschenkt hatte.
Die unendliche, einmalig geformte Menschlichkeits-
lyrik in Hölderlins „Schicksalslied", die vor Brahms
niemals einen Vertoner fand, war auch für Klinger
das Grundmotiv seines ganzen Schaffens. Man könnte
sagen: an diesem Punkte mußten die beiden wesens-
verwandten Vertreter der beiden Künste zusammen-
stoßen. Brahms' Biograph Max Kalbeck berichtet
in seinem Werke, daß den großen Komponisten
gerade die Ausdeutung des Schicksalsliedes durch
Klinger am tiefsten ergriff und daneben noch dieses
und jenes Blatt aus der ersten Hälfte der Brahms-
Phantasie, das die Not des armen, vom Schicksal tief-
gebeugten Menschen besonders unterstrich. Aber
auch das vordem von der bildenden Kunst niemals
in der Illusion erreichte Verschwebende und Ah-
nungsvolle der Stimmungen in zahlreichen Vignet-
ten und Randleisten des Radierwerkes, alles das, was
sich kaum noch erkennbar in die tiefe Gemüts-
dämmerung der inneren Gesichte verliert, löste in

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