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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 48.1932-1933

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Osborn, Max: Das " Astronomische Schachspiel" von Max Esser: ein Meisterstück deutschen Kunsthandwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.16480#0235

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Zwei mächtige Etuis aus bronzemontiertem schwar-
zem Leder bergen und schützen das Spiel. Wir
öffnen das eine und erblicken das Prunkstück des
Schachbretts, in schmiegsames graues Wildleder ge-
bettet. Die eigentliche Spielplatte, 50 cm im Qua-
drat, ist in zartester Zellenschmelzarbeit hergestellt,
die weißen Felder hellblaugrün, die schwarzen dun-
kelbraun-grau, alle durch leichte Schattierungen be-
lebt, von feuervergoldeten Metallstäben getrennt,
überstreut von goldblinkenden Sternbildern. Die
Ausführung dieser Emailarbeit durch Frida Bastanier
ist eine mustergültige Leistung für sich. Aber dies
Brett ist noch umzogen und gehalten durch Bronze-
wolken in mehreren Lagen, die in weichen Um-
rissen und in verschiedenen Tönungen von blas-
sem Violettgrau bis zu dunklem Schwarzgrau auf-
steigen. Mit wunderbarer technischer Präzision ist
die große Platte hergerichtet, die nun mit dem
Wolkenrand auf dunkelblauem Emailgrund und der
breiten vergoldeten Einfassung eine Fläche von 66
zu 66 cm bildet.

Im zweiten Etui ruhen die Figuren. In ihnen sind
gleichsam die Hauptrepräsentanten des Sternenhim-
mels, der sich über uns wölbt, in Reih' und Glied
aufmarschiert. Aus nobelstem Stoff sind sie gefertigt,
die „schwarzen"" in oxydiertem Silber auf kleinen
Ebenholzsockeln, die „weißen" in feuervergoldetem
Silber, mit schimmernden Reflexen, auf Elfenbein-
untersätzen. Nichts wiederholt sich, jedes der 52
Exemplare stellt eine einmalige plastische Arbeit
dar, in Wachsausschmelzung gegossen und mit der
Hand eingehend durchziseliert. Nur König und Kö-
nigin sind auf beiden Seiten gleicherweise durch
Sonne und Erde vertreten, aber auch sie hüben und
drüben völlig verschieden. Der schwarze König zeigt
auf dem zackig-weich aufsteigenden Wolkensäul-
chen, das sämtlichen Himmelskörper-Figuren Essers
Halt gibt — und durch das sie schachfigurenartige
Form gewinnen —, einen Sonnenball, während an
dem untersten Wolkengebilde der Adler (als Son-
nenvogel wie als Wappentier Deutschlands und zu-
gleich der Vereinigten Staaten) sitzt; dreht man die
Figur mit der Hand, so wird auf der anderen Seite
der Blitz als geheimnisvolle Himmelskraft sichtbar,
mit ihm das symbolisch-astronomische Zeichen der
Sonne: der Kreis mit dem Punkt. Die Sonne des
weißen Königs dagegen hat als Trabanten den Löwen,
der zu ihr gehört (und überdies das Wappentier der
bayerischen Heimat des Auftraggebers ist); auf der
Rückseite des YVolkenpostaments verbindet sich hier
das eben genannte Sonnenzeichen mit einem Bün-
del Kornähren, als dem Symbol der auf Erden wir-
kenden Kraft des großen Gestirns. Ähnlich stehen
die beiden Königinnen für sich: der Erdglobus, den
sie gemeinsam haben, ist hier und dort durch Va-
rianten abgehoben: bei der schwarzen, silbernen Par-

tei ist ihm die Eule als Verkörperung der Weisheit,
bei der weißen, goldenen Partei ein kleiner Aufbau
von Früchten als Sinnbild des Erfolgs von Wissen
und Arbeit beigegeben.

Man erkennt schon aus diesen Beispielen, was alles
Esser im einzelnen ringsum hineingeheimnißt, wie
er aus erstaunlicher Kenntnis des ungewöhnlichen
Stoffgebiets eine Fülle sinnreicherBeziehungen über
das Ganze verstreut hat. So geht es auch den Läu-
fern, deren Rolle die Kometen übernehmen, an den
Kurvenlinien der Schweife bequem erkennbar. So
den Springern und Türmen, die die Planeten unter
sich verteilen. Die Springer, deren Wolkenstütze im
Zickzack nach oben geht, um die Schachbrettbewe-
gung dieser Offiziere anzudeuten und das Auge so-
gleich zu orientieren, treten als Uranus mit der Anti-
lope und als Saturn mit dem sich niederlassenden
Kamel, auf der weißen Seite als Neptun mit dem
Tintenfisch und als Mars mit der Flamme auf. Die
Türme, in entsprechender Weise ausgestattet, als
Jupiter und Venus, als Merkur und Pluto ; bei ihnen
ist die Form runder, gedrungener zusammengefaßt.
Für den gewiegten astronomischen Kenner redet das
jedesmal angefügte winzige Beiwerk in geläufiger
Zeichensprache; Sachverständige versichern mir, es
stimme sehr genau. Die anderen Betrachter, die sich
in erheblicher Mehrheit befinden werden, brauchen
von diesem ganzen Symbolwerk schließlich nichts
zu verstehen und haben doch ihre Freude an der
frei und breit behandelten, mit immer neuen Er-
findungen spielenden Kleinbildnerei.
Die Bauern endlich sind in den vier Eckfiguren dem
Erdbegleiter, dem Monde, gewidmet, dessen vier
Phasen abgewandelt werden. Das übrige Fußvolk,
sechs auf jeder Seite, repräsentiert die zwölf Tier-
kreiszeichen, Widder, Stier, Steinbock, Krebs, Skor-
pion usw.; sie beziehen aus dem Universum kleine
Sterne, die als Schmuck jeweils auf dem Kopf der
Figürchen schweben, wodurch sie wieder als Gleich-
gestellte im Spiel gekennzeichnet werden.
So ist ein Werk entstanden, das man unendlich
lange betrachten kann, um immer neue Reize der
plastischen Formbildung, der hingebungsvollen,
materialgerechten Durcharbeitung zu entdecken.
Durch sie wird das eigenartige, zuerst vielleicht wun-
derlich anmutende Luxusstück zum hohen Range
einer ernsten Kunstleistung von bleibender Geltung
erhoben. Auf dem Boden des Schachbrettetuis hat
Max Esser in eingravierter Schrift auf dunkel ge-
brannter Metallplatte von seiner Arbeit kurzgefaß-
ten Bericht gegeben, der mit berechtigtem Stolz in
die Worte ausklingt: „Mögen sehende Augen sich
an diesem Werk erfreuen. ' Gern wird man seinen
Wunsch teilen. Was er geschaffen, wird, dessen sind
wir gewiß, in fernem Land von der ungebeugten
Kraft deutscher Kunstfertigkeit erzählen.

Max Osbori]

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