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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 9
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Szecsi, Ladislas: Marc Chagall
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0340

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„Aber das Leben ist auch traurig!", sagt er.

In seiner Seele, die sich ihre Frische erhalten hat, sind Tiefen, die denen
seiner Lieblingsmaler verwandt sind: Rembrandt, Goya, Greco usw... .
„Selbstkritik ist nicht meine Stärke. Ich weiß nicht, was ich mache, und
trotzdem herrscht ein gewisses Prinzip in meinen Sachen. Vielleicht ist
es der Geschmack, der meine Bilder regelt!"

Chagall gibt sich ohne Vorbehalt seiner Arbeit hin. Leben heißt für ihn
schaffen. Wenn er nicht seine Empfindungen gestalten könnte, wäre er
ein toter Mann.

Er hat oft zu mir gesagt: „Man muß sein Dasein auf Erden rechtfertigen".
Er schafft, er arbeitet, er ist lebendig.

Der Ausdruck seines Gesichts mit den grauen Augen, von fliegenden
Haaren umrahmt, ist sanft, und wenn ich nicht wüßte, daß er Maler ist,
würde ich ihn für einen Dichter halten. In seiner Wohnung hat er mir
ein paar seiner Bilder gezeigt, aber im Atelier sind alle gegen die Wand
gedreht.

Sein Atelier, das im Bodengeschoß liegt, ist sehr geräumig und mit aller
Bequemlichkeit hergerichtet. In der einen Ecke steht ein breites, mit Tep-
pichen bedecktes Ruhebett. In diesem schönen Haus führt er ein glück-
liches Leben. Er verläßt es nur selten, denn die Außenwelt interessiert
ihn wenig. Er lebt in seiner Welt, er braucht nur Ruhe, um den Reich-
tum dieser Welt auszudrücken, um sein Zauberreich zu gestalten.
Seine Konzeption ist aber nicht visionär. Er ist Realist. Er schafft niemals
ein Werk, indem er in sein Inneres blickt. „Ich mache nicht Literatur,"
sagt er mir. Er kopiert gewissenhaft die Natur. „Ich suche die Wirk-
lichkeit, nicht die Abstraktion." Natürlich kopiert er sie so, wie er sie
sieht. Indem er einen Menschen oder die Natur betrachtet, entdeckt er
Dinge, die vielleicht niemand anders an ihnen sehen würde. „Wenn ich
einen Baum betrachte, so ist das für mich ein Wunder," und er malt
das Wunder. Er verabscheut die Vision, denn sein einziger Wunsch ist,
so natürlich, so einfach wie möglich zu sein. Wenn er sagt, daß er in
einem Baum ein Wunder sieht, so ist das seine Empfindung, die er in
eine malerische Form verwandelt.

Chagall behauptet, daß er beim Malen seinen spontanen Empfindungen
folge; aber es arbeitet in ihm, ihm selbst vielleicht unbewußt, auch eine
Ideologie. Denn alle seine Kindheitserinnerungen sind in seinen Bildern
niedergelegt.

Als er nach Paris kam, hat er sich mit allen Schulen bekannt gemacht,
aber überall fand er als Hauptsache das Experimentieren mit den ver-
schiedenen Techniken. „Der Impressionismus ist der Wechsel der Beleuch-
 
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