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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 23
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Rücklin, R.: Zur gegenwärtigen Lage in der Kunstindustrie
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Internationale Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin 1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0411

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Nr. 25

Die Kunst-Halle -z-

359

vor Allein ist es die größere Farbenfreude und
die Hinneigung zu Naturformen, die im Publikum
sich geltend macht. Auch wo, wie z. B. iu der
Fabrikation silberner Tafelgeschirre, Rokoko und
Louis XVI., anscheinend noch fest im Sattel sitzen,
müssen sie sich entsprechende Beimengungen gefallen
lassen, die zeigen, daß inan auch hier des neuen
Geistes einen Hauch verspürt. Und hier ist der Punkt,
wo ich auf meine Eingangs aufgestellte Behauptung,
daß die Beliebtheit der historischen Stilarten eine ab-
sterbende Tendenz deutlich ausgeprägt zeige, zurück-
kommen möchte. Menn mail hört, wie gut dieses
oder jeues Muster in Rokoko- oder sonst irgend
welchen Formen sich noch oerkaust und wie oft es
noch hergestellt wird, so möchte man freilich glauben,
daß diese historische Richtung noch lebensfrisch genug
sei, um sich auf absehbare Zeit erhalten zu können.
Menn man aber zusieht, wie viele neue Modelle in
dieser Art noch geschaffen werden, so wird das Re-
sultat ein ganz anderes und zu entgegengesetzten
Schlüssen berechtigendes sein. Daß vorhandene und
gangbare Modelle alter Stilrichtung noch nutzbar ge-
macht werden, ist selbstverständlich. Mo es sich aber
um die Herstellung neuer handelt, da tritt es denn
doch zu Tage, daß inan an die weitere Fortdauer der
historischen Stile selber nicht mehr glaubt und daß
Ulan, wo man sich wirklich an den modernen Stil
noch nicht wagt, sich in einer „gemäßigten Mittel-
richtung" bewegt, die wir, als Vorbereitung zum
allmäligen Umschwenken, wohl oder übel gelten
lassen müssen. Namentlich ist die stark und kräftig
sich geltend machende Vorliebe für gewisse einheimische
Pflanzenformen, mag sie sich auch nicht immer ge-
schmackvoll aussprechen, ein durchaus deutliches und
erfreuliches Zeichen eines Umschwunges im Geschmack,
der jedenfalls auf die moderne Ornamentik hinzielt.
Denn diese ist, wie unsere ganze Kunst, aus der neu
erwachten Naturliebe entstanden.
(Schluß folgt.)
Internationale Mzztellung für
moüerne dekorative Huim
in Turin lyor.
von Seiten des Hauptkomitss schreibt inan uns:
Die wichtige Stellung, welche sich die Kunst im
modernen Lebei: verschafft hat, ist zweifellos einer
der besten Beweise des Fortschrittes der Kultur in:
Anfänge des 20sten Jahrhunderts. Die Ku,ist,
welche bis vor Kurzein als ein Luxus betrachtet
wurde, welchen das gewöhnliche Leben sehr wohl
entbehren konnte, verlangt nun überall ihre Rechte,
da das Gefühl des Schönen überall als ein Faktor
der Vervollkommnung angesehen wird und da in
allen Dingen die Eleganz der Gestalt den Reflex
des Graziösen und des Geistes darstellt.
Heutzutage hat man begriffen, daß der mensch-
liche Geist einen Raum nöthig hat in welchem sich

seine Kraft derart entwickeln kann, daß die Harmonie
der Existenz sich in gleicher Meise um ihn herum,
in seinen: Hause, in seiner Heimath einstellt, und in
unseren Tagen darf man nicht bestreiten, daß die
den vergangenen Epochen entlehnten Style ein un-
annehmbares Geständniß von Unfähigkeit beweisen,
denn unsere Zeit soll ja doch auch einen Stempel
mit dem Gepräge ihrer künstlerischen Ueberzeugungen
zurücklafsen. Es ist unstreitbar, daß unsere Städte,
unsere Häuser, unsere Mohnungen der Reflex einer
vergangenen Zivilisation sind, wenn sie sich auch nicht
auf eine reine kaufmännische Erzeugung reduziren.
Mir verlangen von der Kunst, daß sie allen
materiellen Gestalten der Existenz ihr Gepräge ver-
leiht, gerade so, wie dies in den glorreichen Epochen
der Fall war. Mir verlangen von der Kunst, daß
sie den schlechten Geschmack aus unseren Mohnungen
verbanne, indem sie gleichzeitig den nutzlosen Glanz,
sowie die kaufmännische Trockenheit verdammt, so
daß alle für unfern Gebrauch bestimmten Gegen-
stände einen künstlerischen und harmonischen Stempel
tragen.
Italien hat sich bei diesen Nachforschungen
von anderen Nationen, welche das Studium der
neuen Formen aus dem immer offenen Buch der
Naturschönheiten geschöpft haben, überflügeln lassen.
Infolge dessen, ist es für uns um so nothwendiger,
das Erwachen einer Kunst, die in so hohem Maaße
die ganze zivilisirte Melt interessirt, zu begreifen und
in unseren: Lande, welches ja bekanntlich glorreiche
Traditionen in Bezug auf Dekorationen aufweisen
kann, bekannt zu machen.
Aus diesen: Grunde laden wir alle Kunstver-
ständigen zur Internationalen Ausstellung für moderne
dekorative Kunst ein, welche fs)02 in Turin statt-
finden wird. Mir hoffen, daß das Genie der gegen-
wärtigen Zeit unter den: Antriebe- der Munderschöp-
fungen, welche die Weltausstellung von sHOO geboten
har, in: Stande sein wird, Merke zu schaffen, die die
Bewunderung der ganzen Melt erregen. Da diese
Ausstellung nicht eine Miederspiegelung der schon so
oft wiederholten Expositionen seii: soll, erwartet
inan, daß weder Reproduktionen in schon bekannten:
Style, noch einfach industrielle Produkte, welche kein
künstlerisches Gepräge trage::, zur Ausstellung zuge-
lassen werden.
Diese Ausstellung wird nur Originalwerken,
welche eine künstlerische Neuheit der Form verfolgen,
geöffnet sein. Indem wir den Ausstellern die größte
Freiheit in ihrem Schaffungsvermögen lassen, halten
wir es für nothwendig, ihre Aufmerksamkeit auf das
Programm zu lenken, welches wir die Ehre haben
werden, Ihnen auf verlangen zu übersenden. Es
ist zu wünschen, daß diese Ausstellung einen wohl-
begrenzten und vollkommenen neuen Tharakter be-
komme.
Es liegt nicht in unserer Absicht, viele Gegen-
stände von verschiedenartigen Stylen bei einander zu
finden; wir bezwecken vielmehr, ein dekoratives En-
semble in Uebereinstimmung mit der Essenz des
modernen Lebens zur Schau zu bringen. Mir er-
warten sonnt, daß die Künstler und die Gewerbe-
treibenden nicht nur den Prunk einer herrlich aus-
gestatteten Mahnung anstreben, sondern daß sie die
einfache und bescheidene Eleganz in der gesummten
Ausstattung des bürgerlichen Hauses darzustellen
suchen.
Unter Anstrebung dieses Zieles werden wir der
Ausstellung einen guten Erfolg sichern. Eine aus
Künstlern bestehende Jury wird die Annahme der
 
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