Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0194

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Blut muß ciu Gcdicht der Phautasie !
vortüuscheu, durch die Seele allcin
ist cs nicht lebendig.

Bald nach dem Gespräche über
die „Glücklichcu Gattcn" legte Goethe
scincm Jünger eiu Bild vou Adriau
vou Ostade vor, und beide dachtcu
bei dcm Bildc sogleich au das Ge-
dicht von den „Glücklichen Gattcn".
Mau sah in ciue Bauerustube, die
Küche, Wohu- und Schlafzimmer iu
eiuem vorstellte. Mauu uud Frau
saßen sich gegenüber, die Frau spin-
ueud, der Mann Garn windend, ein
Bube zu ihren Füßen. Jm Hinter-
grunde cin Bett uud Hausgeräte.
Zufriedenheit, Behageu uud ciu gc-
wisses Schwelgcn in liebcnden Emp-
finduugeu lag auf dcn Gesichteru
vou Maun uud Frau, wic sie ciuander
anblickten. „Es wird cinem wohler
zu Mute," mciute Eckermanu, „je
länger man das Blatt ansieht; es
hat cineu Reiz gauz eigner Art." —
„Es ist der Reiz der Sinnlichteit,"
antwortete Goethe, „den keine Kunst
eutbehreu taun, und der in Ge-
genstüuden solcher Art in sciner
gauzcu Fülle herrscht." llnd er suhr
fort, vou dcr Schwierigkcit zu redcu,
den ideellen Gegenstünden, die man
doch auch darstellcn niöchte, dic
gchörige Sinnlichkeit und Deutlich-
kcit mitzugeben. Je älter mau werde,
desto geriuger wcrde diese Zeugungs-
kraft; iu juugeu Jahren habe er
die Jdeen im „Tasso" und der
„Jphigcnia" noch lcicht gestaltcn kön-
ncu; jctzt werde cr sich wohl Stoffe
suchcn müssen, die von Haus aus
Sinnlichkcit genug haben.

Wir wisscu, daß er sich deunoch
bis ans Endc gcdrnngen fühlte, auch
Jdceu mit Flcisch uud Blut zu um-
kkciden. Je älter wir werden, desto
mehr tritt die Pocsic in unserer Secle
zurück, die Philosophie dagcgen in
den Vordcrgrund. Die letzte große
Jdee, die Goethe in Gestalten um-
wandelte, war dic Erlösung des

irrenden Menschen durch die Gnade
Gottes. Dicsc schwierigstc Aufgabe
wäre auch ihm, zumal im hohen
Alter, nicht geluugen, weun ihm uicht
dic jungfrische Phantasie der katho-
lischen Gläubigen vorgearbcitct, und
wenn er nicht ihre Schöpfungeu be-
reitwillig angcnommen hättc. Unter
allen Dichteriuncn sollten wir die
katholische Kirche zucrst ucnuen; sic
war cinc Vorgängerin Schillers uud
auch Goethes. Als Goethe über den
Schluß des „Faust" mit Eckermanu
sprach, gestand er: „Uebrigens werden
Sie zugeben, daß der Schluß, wo
es mit der gerettcten Seele nach obcn
geht, sehr schwer zu machen war,
nnd daß ich bei so übersiunlichcu,
kaum zu ahncuden Diugeu mich sehr
leicht im Bagen hätte verlieren kön-
nen, wenn ich uicht meinen poetischcu
Jntcntionen durch dic scharf um-
risscuen christlich-kirchlichcn Figureu
und Vorstelluugen eiue wohltätig be-
schräukende Form und Festigkeit gc-
geben hätte."

Daß dieser selbe Verehrcr der
Siunlichkcit an die ideelle Oualität
des Stofses höhcre Ausorderuugeu
stellte, als irgend ein anderer Kunst-
richter, mögc cin andermal gezeigt
werden. w Bode

M Neue Bücher

Die Schwestern Hellwege.
Roman vou O. Gysae (A. Laugen,
Münchcn). Ein neuer Autor und ein
originclles Buch. Wie Frauk Wcde-
kind einst ein Bändchcn über die
„körperlichc Erziehung junger Mäd-
chen" schrieb, so schreibt Gysae einen
Romau über die ästhetische Erziehuug
junger Mädcheu und die Wirkuno
solcher Erziehung im Leben. Die
Frage nach dcm schöueu Menschen
ist gewiß gcnau so wertvoll, wie die
uacki der Schöuheit eiuer Laudschast,
eines Brunucns, ciues Marktplatzes.
Jch meine nicht so sehr die körper-

j. Novembcrhcfl (902

t53

>--

Llleratvr
 
Annotationen