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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0195

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liche Schönheit in der Ruhe oder
unter dem Gesichtspunkt der Be-
kleidung (darüber wurde schon viel
veröffentlicht), als vielmehr die
Schönheit in der Beweguna (Gang,
Geste usw.). Gysae hat offene Augen
dafür und schreibt einen trefflichen
Roman darüber. Ein gutes Zei-
chen für das dichterische Vermögen
des Autors ist es, daß der Roman
nirgends im Abstrakten stecken bleibt
oder sich zum Lehrhaften verdünnt,
Gefahren, die bei diescm Thema
recht nahe lagen. Aber eins ist aus-
zusetzen: Für einen Freund der
Schönheit sucht der Autor nocb zu
ost nacb ungewöhnlichen Eigenschafts-
wörtern, mit deneu er ganz un-
nützerweise seinen Stil aufputzt.

Schummerstunde. Bilder und
Gestalten aus der Lüneburger Heide
von K. Söhle (B. Behrs Ver-
lag, Berlin). Jn diesem Buche hat
der den Lesern des Kunstwarts wohl-
bekannte Poet cine große Anzahl von
Skizzen, ein „Kränzlein Verse" und
zwei „Volksballaden" gesammelt. Die
Skizzen erscheinen mir am wert-
vollsten. Jch rechne sie zu dem
Besten und Deutschesten, was die
Heimatkunst auf diesem Gebiete her-
vorgebracht hat. Diese helle Freude
an alten Sagen und Schnurren,
dies wohlige und warme Verständ-
nis für derbes, grad gewachsencs Na-
turvolk und für versonnene Schäfer
und Denker auf dem Lande. Welch
Poetenvergnügen an den geplagten
Pfarrern und Schulmeistern, wie an
jedem rechten, echten Lümmel! Und
wie tief hat sich Söhle in seine
Lüneburger Heide „hineingcsehn".
Das blüht und duftet. Das Herz
wird warm und weit bei diesem
Buch, denn rechte Heimatkunst ist
wie jede Kunst nie eng.

Da hinten bei uns. Er-
zählungen aus dem Schwarzwald von
A. Supper (E. Salzer, Heilbronn).
Auöb dies Buch wird den Freunden

isq

des Kunstwarts Freude bereiten. Be-
sonders sei auf zwei Erzählungen
hingewiesen, die erste und letzte, die
beiden bestcn des Bandes. Nament-
lich die letzte: „Johann Kusterer
auf Abwegen" ist ein kleines Meister-
werk an Jnnerlichkeit und Geschlossen-
heit. Auch an den andern Er-
zählungen erkennt man eine dich-
terische Begabung, auch hier ist mehr
als nur geschickte Schriftstellerei.
Aber der Verfasserin ist das Herz
noch so voll von allem, was sie an
ihren Schwarzwäldern gesehn und
erlebt hat, daß sie ost noch zu
wahllos und ungeordnet drauflos
plaudert. Dcn Stoff, der sie er-
greift, hat sie sich noch nicht hin-
reichend ausformen lassen, sie steckt
da noch zu tief in ihm, statt über ihm.

Sensitive Novellen. Von
A. De Nora (L. Staackmann, Leip-
zig). Es gibt ein gutes, deutsches
Wort für das Sensitive in diesen No-
vellen, nämlich: überreizt, und zwar
in dem Sinn, in dem man es bei
Kolportageromanen anwendet. lleber-
reizt ist die Handlung, und der
Stil dabei gewöhnlich. Eine Misch-
ung, die sich ebenfalls im Kolpor-
tageroman findet,. aber glücklicher-
weise sich nicht grade oft in die
Literatur verirrt. Zum Beweise nur
folgendes: Damit eine ganz gewöhn-
liche Ehebruchsgeschichte eincn mög-
lichst spanncnden Hintergrund be-
komme, muß sie sich auf jenem
Pariser Wohltätigkcitsbazar im Mai
(897 abspielen, bei dem, was wohl
noch in unser allcr Erinnerung, cine
Mcnge Menschcn in den Flammen
umkamen. Daß nun die Verwendnng
dieses schauerlichen Vorfalls hier so
unendlich roh und abstoßend wirkt,
liegt cinfach daran, daß er einer
ganz banalen, auch stilistisch absolut
reizlosen Geschichte als Staffage
dienen muß. Aehnlich wirkcn fast
alle Novellen dieses Bandes. Das
Schauerliche und llcberreizte der

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